BT-Drucksache 15/2090

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/1500, 15/1670, 15/1922, 15/1923- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 (Haushaltsgesetz 2004)

Vom 26. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2090
15. Wahlperiode 26. 11. 2003

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dietrich Austermann, Friedrich Merz, Steffen Kampeter, Ilse
Aigner, Norbert Barthle, Jochen Borchert, Manfred Carstens (Emstek), Albrecht
Feibel, Herbert Frankenhauser, Jochen-Konrad Fromme, Hans-Joachim Fuchtel,
Susanne Jaffke, Bartholomäus Kalb, Bernhard Kaster, Volker Kauder, Norbert
Königshofen, Dr. Michael Luther, Kurt J. Rossmanith, Georg Schirmbeck, Antje
Tillmann, Klaus-Peter Willsch und der Fraktion der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/1500, 15/1670, 15/1922, 15/1923 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004
(Haushaltsgesetz 2004)

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Haushalt ist verfassungswidrig und birgt Risiken von bis zu 20 Mrd. Euro.
Mit der für 2004 geplanten Neuverschuldung trägt die Bundesregierung die
Hauptverantwortung dafür, dass zum dritten Mal in Folge die Defizitgrenze des
Maastricht-Vertrages verletzt wird. Der Bundeshaushalt 2004 widerspricht den
Haushaltsgrundsätzen von Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit. Gesetzge-
bungsvorhaben mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für den Bundes-
haushalt, die sich noch im Vermittlungsverfahren befinden, sind mit Schätz-
ansätzen berücksichtigt, deren Realisierung ausgesprochen unsicher ist.
Im Einzelnen:
1. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist der

Haushalt des Bundes bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens verfassungs-
widrig. Mit über 29 Mrd. Euro überschreitet die Neuverschuldung die
Investitionsausgaben um fast 5 Mrd. Euro. Das ist die höchste geplante Neu-
verschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwar hat
die Koalition die Nettokreditaufnahme gegenüber dem ursprünglichen
Haushaltsentwurf um 1,5 Mrd. Euro abgesenkt. Dies ist jedoch nur dadurch
gelungen, dass die Bundesregierung kurzerhand 7 Mrd. Euro Privatisie-
rungserlöse in den Etat eingestellt hat, die keine seriöse Finanzierungsmaß-
nahme darstellen. Einen wesentlichen Teil dieser Privatisierungserlöse will
die Bundesregierung durch zusätzliche Platzhaltergeschäfte von Anteilen
des Bundes an der Deutschen Telekom AG und der Deutsche Post AG mit
der Kreditanstalt für Wiederaufbau erzielen. Dies ist – auch nach Auffas-
sung des Bundesrechnungshofes – nicht nur eine teure und risikoreiche

Drucksache 15/2090 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Finanzierung, sondern es ist auch eine verdeckte Kreditaufnahme, die mit
der Bundeshaushaltsordnung nicht vereinbar ist. Zudem verschleudert der
Bundesminister der Finanzen zum Stopfen von Haushaltslöchern die Reser-
ven des Bundes, die für die Deckung der Altersversorgung der ehemaligen
Bediensteten der Postnachfolgeunternehmen vorgesehen sind.
Eine Verletzung der Defizitgrenze nach Artikel 115 GG ist nur erlaubt, wenn
eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben ist. Ange-
sichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit von 4 bis 4,5 Millionen Arbeits-
losen und der seit drei Jahren andauernden Stagnation kann eine Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des Artikels 115 angenom-
men werden. Das Grundgesetz erfordert jedoch auch, dass die erhöhte Net-
tokreditaufnahme und die damit finanzierten Maßnahmen zur Abwehr der
Störung geeignet sein müssen. Das von den Koalitionsfraktionen mit der
verfassungswidrigen Erhöhung der Nettokreditaufnahme finanzierte Vorzie-
hen der Steuerreform wird dieser Anforderung nicht gerecht. Die um ein
Jahr vorgezogene dritte Stufe der Steuerreform könnte allenfalls dann einen
konjunkturell spürbaren Schub auslösen, wenn sie durch entsprechende
Strukturreformen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt begleitet würde. Im
Übrigen dient das Vorziehen der Steuerreform und die damit verbundene
bewusste Inkaufnahme einer verfassungswidrigen Neuverschuldung nur
dazu, von der dramatischen Haushaltslage abzulenken, die das Ergebnis der
katastrophalen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ist.

2. Bereits heute steht fest, dass auch 2004 die 3 %-Defizit-Grenze des Maast-
richt-Vertrags überschritten wird, zum dritten Mal in Folge. Die Hauptver-
antwortung für die fortgesetzte Verletzung dieses Stabilitätskriteriums trägt
der Bund aufgrund seiner dramatisch ansteigenden Neuverschuldung. Eine
Nettokreditaufnahme, die bereits in der Planung dazu führt, dass erneut
gegen den Maastricht-Vertrag verstoßen wird, bedeutet den vorsätzlichen
Bruch europäischen Rechts. Die Bundesregierung verstößt nicht nur per-
manent gegen die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrags. Sie stellt die
Sanktionsmaßnahmen der EU-Kommission in Frage und betreibt deren
Verhinderung durch entsprechende Entscheidungen im ECOFIN-Rat. Die
Bundesregierung beschädigt damit nicht nur die EU-Kommission als
Hüterin der europäischen Verträge, sondern trägt auch dazu bei, dass der
Stabilitätspakt immer weiter ausgehöhlt wird. Durch ihre Verschuldungs-
politik fügt die Bundesregierung der gemeinsamen Währung einen mög-
licherweise irreparablen Schaden zu.
Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein zentraler Eckpfeiler
der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Er ist wesentlicher
Garant für die Stabilität des Euro. Gerade Deutschland hat ein grund-
legendes Interesse an einer stabilen europäischen Währung. Der Euro soll
nicht weniger stabil sein, als die D-Mark es war. Die Durchsetzung des
Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts vor Eintritt in die dritte Stufe
der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion war ein großer Erfolg
der seinerzeitigen Bundesregierung. Angesichts dieser Bedeutung ist die
strikte Einhaltung der Regeln des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
pakts von allen Mitgliedsländern für die Glaubwürdigkeit des Pakts und die
dauerhafte Funktionsfähigkeit der Europäischen Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion von überragender Bedeutung. Deshalb muss gerade auch
Deutschland als die größte europäische Volkswirtschaft sich dem Regelwerk
ohne Abstriche verpflichtet fühlen und es bedingungslos einhalten.

3. Der Bundesrat hat am 7. November 2003 bei einer Reihe von haushaltsrele-
vanten Gesetzgebungsvorhaben den Vermittlungsausschuss angerufen. Das
Haushaltsbegleitgesetz mit dem Vorziehen der dritten Stufe der Steuer-
reform, das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Vermitt-
lungsverfahren zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (Korb II), das Steuer-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2090

ehrlichkeitsgesetz, die Gemeindefinanzreform, die Tabaksteuer sowie das
Gesetz zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV)
sind mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für den Bundeshaushalt
verbunden. Der Ausgang des Vermittlungsverfahrens ist zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung über den Haushalt 2004 völlig offen. Allein durch
Hartz IV sollen durch die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ Milliarden-
beträge in den Bundeshaushalt verlagert werden. Im Gegenzug sollen sieben
Umsatzsteuerpunkte von den Ländern auf den Bund übertragen werden. Auf
einer im zweistelligen Milliardenbereich veränderlichen Basis kann jedoch
kein seriöser Beschluss zum Haushalt 2004 gefasst werden. Das Haushalts-
verfahren, wie es die Bundesregierung praktiziert, führt die Haushaltsbera-
tungen ad absurdum. Durch die Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens wird
der Haushalt 2004 möglicherweise noch vor seinem Inkrafttreten überholt
sein. Er wird dann bereits im Januar 2004 durch einen Nachtragshaushalt
angepasst werden müssen.

4. Der Bundeshaushalt 2004 ist – auch ohne die vorgezogene Steuerreform –
mit erheblichen Risiken behaftet. Sie ergeben sich aus falschen gesamtwirt-
schaftlichen Annahmen, zu optimistischen Ansätzen bei den Steuerein-
nahmen und den Arbeitsmarktausgaben sowie unsicheren, aber dennoch
unterstellten Bundesratsentscheidungen zu mehreren großen Einnahme- und
Ausgabepositionen. Damit verstößt der Haushalt gegen die Haushaltsgrund-
sätze von Wahrheit und Vollständigkeit. Gegenüber dem Parlament und der
Öffentlichkeit wird die wahre Haushalts- und Finanzlage zum Zeitpunkt der
Budgetaufstellung verschleiert. Die Risiken im Haushalt 2004 belaufen sich
insgesamt auf rd. 20 Mrd. Euro. Das Maut-Desaster wird völlig ignoriert.
Die nicht umgesetzte Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversiche-
rung um 2 Mrd. Euro ist in eine globale Minderausgabe umgewandelt
worden, die zwar zur Hälfte auf die Ressorts umgelegt, aber noch mit keiner
einzigen Sparmaßnahme unterlegt worden ist. Insgesamt belaufen sich die
globalen Minderausgaben im Bundeshaushalt auf über 3 Mrd. Euro. Globale
Minderausgaben dieser Größenordnung beschädigen den Deutschen Bun-
destag als Haushaltsgesetzgeber. Eine ungedeckte Lücke in diesem Umfang
ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Bundeshaushalt auch ohne das schul-
denfinanzierte Vorziehen der Steuerreform eine verfassungswidrige Kredit-
aufnahme aufweisen würde.

5. Die falsche Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik der Bundesregie-
rung hat die größte Wachstums- und Beschäftigungskrise in Deutschland
verursacht. Die Folge für die öffentlichen Kassen sind sprunghaft anstei-
gende Defizite durch sinkende Steuereinnahmen und explodierende Sozial-
ausgaben. In dieser dramatischen Haushaltslage ist es zwingend erforder-
lich, dass in erster Linie der Staatsverbrauch reduziert wird.
Die Bundesregierung hat durch eine jahrelange wirtschafts- und wachstums-
feindliche Politik die finanziellen Gestaltungsspielräume des Staates derart
eingeengt, dass eine zukunftsorientierte Politik zum Wohle unserer Gesell-
schaft nicht mehr möglich ist. Wir brauchen einen Politikwechsel für
Deutschland. Umfassende Reformen des Arbeitsmarktes, Neubegründung
der sozialen Sicherungssysteme, eine umfassende Vereinfachung des Steuer-
systems und Entbürokratisierung sind Kernelemente dieses Politikwechsels;
damit soll die soziale Marktwirtschaft als die erfolgreichste Wirtschaftsord-
nung für die Bundesrepublik Deutschland fit gemacht werden für die
Chancen der Globalisierung. Die bisherigen Vorschläge der Agenda 2010
greifen zu kurz. Ohne Bündnisse für Arbeit, ohne eine beschäftigungs-
freundliche Novellierung des Kündigungsschutzgesetzes und ohne weiter-
gehende Lockerungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie der Rück-
nahme der kostenträchtigen Maßnahmen im Rahmen der Novelle des
Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahr 2001 wird es nicht gelingen, die

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Beschäftigungsbarrieren abzubauen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Zur
Entfesselung der Wachstumskräfte in Deutschland bedarf es neben einer
grundlegenden Reform der sozialen Sicherungssysteme auch einer wirk-
lichen Steuerstrukturreform, die die Steuersätze senkt, Ausnahmen von der
Besteuerung beseitigt und das Steuerrecht insgesamt vereinfacht. Diese
Reformen müssen endlich angegangen werden auch mit dem Ziel, über ein
höheres Wirtschaftswachstum die Konsolidierung der Staatsfinanzen voran-
zutreiben und dauerhaft ausgeglichene Staatshaushalte zu erreichen. Im
Rahmen dieses Politikwechsels sind in einem neu gestalteten Haushalt klare
Schwerpunkte zu setzen. Diese liegen insbesondere im Bereich der Infra-
struktur, der Ausgaben für Forschung, Bildung und Entwicklung, der Mittel-
standsförderung, der Unterstützung von Familien und der Ausstattung der
Streitkräfte.

II. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung erstens auf, umgehend
nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens die finanziellen Auswirkungen des
Vermittlungsergebnisses durch einen Nachtragshaushalt in den Haushalt 2004
einzuarbeiten.
Zweitens fordert der Deutsche Bundestag, dass die Bundesregierung zukünftig
das Budgetrecht des Parlamentes und die verfassungsmäßigen Haushaltsgrund-
sätze wieder achtet. Dazu gehört insbesondere, dass die Bundesregierung einen
auf realistischen Annahmen basierenden Haushalt vorlegt und den Haushalt be-
treffende Gesetze so rechtzeitig in das Verfahren einführt, dass sie in den Haus-
haltsberatungen berücksichtigt werden können.
Drittens fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, den Euro-
päischen Stabilitäts- und Wachstumspakt im Sinne der Empfehlungen der
EU-Kommission zu erfüllen und das Defizit entsprechend zurückzuführen.
Viertens fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, endlich ein
stringentes Konzept zur mittel- und langfristigen Erhöhung des Wirtschafts-
wachstums in Deutschland vorzulegen, das unter anderen folgende Elemente
enthält:
l Bündnisse für Arbeit, die beschäftigungssichernde und beschäftigungs-

fördernde Maßnahmen auf betrieblicher Ebene ermöglichen;
l eine beschäftigungsfreundliche Novellierung des Kündigungsschutzgesetzes

und weitergehende Lockerungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz;
l Rücknahme der kostenträchtigen Maßnahmen im Rahmen der Novelle des

Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahr 2001;
l eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme;
l eine wirkliche Steuerstrukturreform, die die Steuersätze senkt, Ausnahmen

von der Besteuerung beseitigt und das Steuerrecht insgesamt vereinfacht.
Berlin, den 26. November 2003
Dietrich Austermann
Friedrich Merz
Steffen Kampeter
Ilse Aigner
Norbert Barthle
Jochen Borchert
Manfred Carstens (Emstek)
Albrecht Feibel
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel

Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Norbert Königshofen
Dr. Michael Luther
Kurt J. Rossmanith
Georg Schirmbeck
Antje Tillmann
Klaus-Peter Willsch
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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