BT-Drucksache 15/2041

Europäische Chemikalienpolitik nach dem Entwurf der REACH-Verordnung

Vom 12. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2041
15. Wahlperiode 12. 11. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Rainer Funke, Dr. Christel
Happach-Kasan, Christoph Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Andreas
Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Europäische Chemikalienpolitik nach dem Entwurf der REACH-Verordnung

Am 29. Oktober 2003 hat die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf be-
schlossen über ein System zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von
Chemikalien (registration, evaluation and authorisation of chemicals, sog.
REACH-Verordnung), mit dem die EU-Chemikalienpolitik neu geregelt wer-
den soll.
Die geplanten Regelungen werden absehbar massive Auswirkungen nicht nur
auf die Chemieindustrie, sondern auf die gesamte Wirtschaft haben, da die che-
mische Industrie für nahezu alle Bereiche Zulieferer ist und auch andere Indus-
triezweige unmittelbar von den Regelungen betroffen sind. Trotz einiger Ver-
besserungen, die im Rahmen des Konsultationsprozesses gegenüber den ur-
sprünglichen Vorstellungen der EU-Kommission erreicht wurden, bleibt es
nach wie vor beim stoffbezogenen Ansatz bei der Risikobewertung. Außerdem
wird weiterhin der zu erwartende überzogene bürokratische Aufwand kritisiert
und werden Doppelregelungen befürchtet.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtung, dass die mit der

REACH-Verordnung verbundenen Kosten die kleinen und mittelständischen
Chemieunternehmen besonders hart treffen werden und auch Großunter-
nehmen aus Kostengründen davon Abstand nehmen werden, kleinvolumige
Produkte der Spezialchemie zu produzieren und REACH so zu einem Inno-
vationshemmnis werden kann?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die These, dass in diesem Fall allein das
Kostenkriterium (spezifische Kosten Euro/t) als Selektionsmechanismus
fungiert, nicht aber die Risikorelevanz eines kleinvolumigen Stoffes?

3. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass die Prüfanforderungen der
REACH-Verordnung, die die Gefährdung an den stofflichen Eigenschaften
und nicht an den möglichen anwendungsbezogenen Umwelt- und Gesund-
heitsgefahren festmachen, absehbar dazu führen werden, dass zwischen 20
und 40 Prozent der gegenwärtig in der EU verfügbaren Chemikalien vom
Markt verschwinden?

Drucksache 15/2041 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Überlegung, anstelle von Chemika-
liensicherheitsreports, die erforderlichen Daten Sicherheitsdatenblättern zu
entnehmen?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung Befürchtungen, dass aus Doppel-
regelungen bzw. Überschneidungen mit anderen Vorschriften der Gemein-
schaft – z. B. dem Bereich des Abfallrechts und desjenigen der Medizin-
produkte –, Unsicherheiten, zusätzliche Kosten für die betroffenen Unter-
nehmen und vermeidbare bürokratische Belastungen resultieren werden?

6. Wie wird die Bundesregierung dies auf europäischer Ebene verhindern?
7. Wie bewertet die Bundesregierung, insbesondere unter dem Aspekt eines

ungehinderten Wettbewerbs, die Sinnhaftigkeit der Regelung des Verord-
nungsentwurfs, wonach natürliches Gas, Rohöl oder Kohle generell von
der Registrierung ausgenommen sind, wogegen in der Natur vorkommende
Mineralien und Erze nur dann von der Registrierung ausgenommen werden
sollen, wenn sie nicht gefährlich oder nicht chemisch verändert worden
sind?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass sich das in den Konzen-
traten (chemisch-physikalisch oder mechanisch aufbereitete Erze) vor-
handene Ausgangsprodukt durch die Aufbereitung chemisch nicht ver-
ändert hat und damit eine Ausnahme von der Registrierungspflicht zu
rechtfertigen wäre?

9. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die unterschiedliche
Behandlung (zusätzliches Einstufungskriterium „gefährlich“ bei Nicht-
eisenmetallen (NE-Metallen), im Gegensatz zu beispielsweise der Kohle,
vgl. Frage 7) der genannten Bodenschätze lediglich historische Gründe hat
und nicht mit Umwelt- und/oder Gesundheitsschutzargumenten begründet
werden kann?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Überlegung, Mineralien, Erze und
entsprechende Konzentrate daher generell von der Registrierungspflicht
auszunehmen, und wie wird sie sich dafür einsetzen?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die geplante Registrie-
rungspflicht für Mineralien und Erze keine Verbesserung des Arbeits- und
Umweltschutzes in Europa ergeben würde, weil die Konzentrate aus-
schließlich in den dafür genehmigten Anlagen zur Nichteisenmetallgewin-
nung unter Einhaltung der scharfen europäischen und deutschen Arbeits-
schutz- und Umweltschutzbestimmungen eingesetzt werden?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass dies ein Beispiel dafür
ist, dass die stoffbezogene Risikobewertung gegenüber der anwendungsbe-
zogenen Risikobewertung unter Berücksichtigung möglicher Expositions-
szenarien keine Vorteile, dafür aber deutliche Nachteile hat, und dem-
zufolge das Risiko anwendungsbezogen beurteilt werden sollte?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Überlegung, Zwischenprodukte der
NE-Metallindustrie vom Regelungsbereich des REACH-Systems auszu-
nehmen, weil diese Zwischenprodukte in Kreisläufen geführt werden oder
Produkte einzelner Stufen der Metallgewinnung sind und nicht an den End-
verbraucher gelangen?

14. Wenn die Bundesregierung diese geforderten Ausnahmen positiv beurteilt,
teilt sie die Auffassung, dass nach der bisherigen Definition der Zwischen-
produkte, solche aus der Metallgewinnung – im Gegensatz zu Stoffen, die
synthetisiert werden können – nicht ausgenommen sind, und wenn ja, wie
wird sie sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass die Definition
entsprechend geändert wird?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2041

15. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass der Verordnungs-
entwurf keine spezielle Definition für Metallegierungen enthält, die im
heutigen Chemikalienrecht als Zubereitungen angesehen und nach der Zu-
bereitungsrichtlinie beurteilt werden?

16. Wenn ja, hält die Bundesregierung dies vor dem Hintergrund für sinnvoll,
dass beispielsweise Chrom/Nickelstähle, wie sie für Essbestecke verwen-
det werden, als Gefahrstoffe angesehen würden?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung, die Möglichkeit, Legierungen als
„besondere“ Zubereitungen zu definieren, und
a) soweit es von ihren Eigenschaften her angebracht ist, sie als Anwen-

dung innerhalb der Bewertung eines Metalls zu betrachten, bzw.
b) bei abweichenden Eigenschaften, eine separate Bewertung von Legie-

rungsfamilien zu ermöglichen und
c) im Technical Guidance Document ein spezielles Kapitel zu integrieren?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Überlegung, massive Metalle und
Legierungen – analog zu den Polymeren – von der Zulassung auszuneh-
men, wenn diese aufgrund ihrer massiven Form keine Gefahr für Umwelt
und Gesundheit darstellen?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Verordnungsentwurf
keine klare Regelung der Verantwortung für die Risikobewertung am Ende
des Lebenszyklus von Stoffen trifft, und wenn ja, was hat die Bundesregie-
rung unternommen oder will sie unternehmen, um eine klare europäische
Regelung durchzusetzen?

20. Welche Auswirkungen würde die REACH-Verordnung nach Auffassung
der Bundesregierung haben, wenn sie gegenüber dem aktuellen Entwurf
unverändert in Kraft treten würde (Kosten für chemische Industrie, Kosten
für nachgeschaltete Anwender, Auswirkung auf die Bruttowertschöpfung,
Auswirkung auf Arbeitsplätze)?

21. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzungen des EU-Kommis-
sars für Industrie, Erkki Liikanen, im „HANDELSBLATT“ vom 8. Okto-
ber 2003 im Vergleich zu den aktuellen Abschätzungen der EU-Kommis-
sion hinsichtlich der mit der REACH-Verordnung verbundenen Kosten?

22. Welchen bürokratischen Aufwand bezüglich der Umsetzung des REACH-
Systems erwartet die Bundesregierung
a) für die betroffenen Unternehmen (Chemieindustrie, NE-Metallindustrie,

nachgelagerte Anwender, etc.) und
b) für die zuständigen Behörden?

Berlin, den 11. November 2003
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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