BT-Drucksache 15/2011

Haftungsregeln als eigenständiges Instrument europäischer Umweltpolitik

Vom 12. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2011
15. Wahlperiode 12. 11. 2003

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Haftungsregeln als eigenständiges Instrument europäischer Umweltpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag begrüßt prinzipiell das Ziel einer Vermeidung und
Sanierung von Umweltschäden unter Einführung einer Haftpflicht für ökologi-
sche Schäden (Umwelthaftung), weil dieses umweltpolitische Instrument zum
einen dem Verursacherprinzip verpflichtet ist und eigenverantwortliches Han-
deln für umweltpolitische Ziele aktiviert. Zum anderen zielen geeignete Haf-
tungsregeln – ggf. in Verbindung mit einer marktlichen Versicherung der be-
treffenden Risiken – auf eine Minimierung der mit umweltrelevanten Aktivitä-
ten verbundenen Gesamtkosten und sichern bei Eintritt eines Schadensfalls die
Eigentumsrechte der Betroffenen. Dies gilt zumindest hinsichtlich einer zivil-
rechtlich angelegten Umwelthaftung, wenn und soweit sie das Ordnungsrecht
sinnvoll ergänzt oder als Alternative tragfähig gestaltet werden kann.
Mit Blick auf den am 23. Januar 2002 von der EU-Kommission vorgelegten
Vorschlag für eine Richtlinie zur Umwelthaftung (Vorschlag für eine Richtlinie
des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die
Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt) erweist sich
jedoch, dass es sich bei dem beabsichtigten Regelungswerk der Sache nach um
reines Ordnungsrecht handelt, welches um Elemente privatrechtlicher Herkunft
erweitert werden soll. Zentral ist, dass der Verursacher von Schäden an der bio-
logischen Vielfalt und Gewässern von Behördenseite zur „Sanierung“ dieser
Schäden im Sinne einer Wiederherstellung des Status quo ante einschließlich
eines Ausgleichs für vorübergehenden ökologischen „Nutzungsausfall“ ver-
pflichtet werden soll. Insoweit sollen neue ordnungsrechtliche Pflichten für Be-
treiber von Industrieanlagen begründet werden. Dabei soll die Richtlinie öffent-
lich-rechtlich ausgerichtet sein und keine zivilrechtlichen Anspruchsgrund-
lagen schaffen. Vielmehr sollen die jeweils nationalen Behörden deren An-
wendung sicherstellen, indem Sanierungs- und Vorsorgemaßnahmen gegen
Umweltschädiger festgesetzt bzw. auf dem Wege der Ersatzvornahme durchge-

Drucksache 15/2011 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

führt werden. Von einer obligatorischen Deckungsvorsorge (Versicherungs-
pflicht) wird zunächst abgesehen.
Bei der nationalen Umsetzung sollen die Mitgliedstaaten jeweils entscheiden
können, ob Betreiber im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung von den
Kosten für getroffene Sanierungsmaßnahmen freigestellt werden können, wenn
der Betreiber eine Betriebsgenehmigung vorlegen kann („Rechtfertigungs-
grund erlaubten Verhaltens“) oder der Umweltschaden zum Zeitpunkt seines
Eintritts für den Betreiber nicht vorhersehbar gewesen ist. Diesbezüglich unter-
schiedliche Regelungen in den Mitgliedstaaten könnten zu massiven Wettbe-
werbsverzerrungen führen. Darüber hinaus ist ungeklärt, wie bei grenzüber-
schreitenden Schäden zu verfahren ist, wenn der eine betroffene Mitgliedstaat
eine Kostenbefreiung vorgesehen hat und der andere nicht. Nicht zuletzt
erscheint eine Vermischung ordnungs- und zivilrechtlicher Konzepte umwelt-
politisch nicht hilfreich und ist aus rechtssystematischer Perspektive zu kriti-
sieren.

II. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass aus deutscher Sicht bei
den weiteren Beratungen zur Umwelthaftungsrichtlinie auf europäischer Ebene
insbesondere zu berücksichtigen ist, dass
– im Sinne des ursprünglichen Kommissionsentwurfs eine Haftung nur für

Umweltschäden vorzusehen ist, die durch unerlaubten bzw. rechtswidrigen
Betrieb hervorgerufen werden, um die Legalisierungswirkung bestehender
Genehmigungen zu erhalten,

– die eingangs gekennzeichnete Vermischung ordnungs- und zivilrechtlicher
Konzepte vermieden wird,

– der Kreis der potenziellen Verantwortlichen sowie die Haftungstatbestände
eingegrenzt und enumerativ abschließend benannt werden,

– im weiteren Fortgang des Rechtsetzungsverfahrens geprüft wird, ob die
geplanten Regelungen statt als Richtlinie demgegenüber als Verordnung
erlassen werden sollten, um mögliche nachteilige Auswirkungen auf den
Wettbewerb zu vermeiden,

– insbesondere mit Blick auf die technischen Definitionen in Artikel 2 des
Richtlinienentwurfs die Vorgaben inhaltlich eindeutig bestimmt und für die
Verpflichteten kalkulierbar sind,

– Vorgaben getroffen werden, die ökologisch effektiv, für den Vollzug prakti-
kabel und im internationalen Wettbewerb vertretbar sind,

– von dem im Vorschlag der Kommission und im Gemeinsamen Standpunkt
vorgesehenen Ersatz des Nutzungsausfalls bei Umweltschäden an natür-
lichen Ressourcen abgesehen wird, da praxistaugliche Methoden zur Quan-
tifizierung solcher Schäden nicht verfügbar sind, und dass

– die europäische Umwelthaftungsrichtlinie in geeigneter Form und recht-
zeitig mit anderen supra- und internationalen Regelungen zur Haftung für
ökologische Schäden – z. B. mit dem UNECE-Protokoll über die zivilrecht-
liche Haftung und Schadensersatz bei Schädigung der Gewässer durch In-
dustrieunfälle mit grenzüberschreitenden Auswirkungen – abgestimmt wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
auf die vorgenannten Punkte im Rat hinzuwirken und zudem bei der nationalen
Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie sicherzustellen, dass
– eine Versicherbarkeit der dadurch begründeten Haftungsrisiken prinzipiell

möglich und insbesondere für verpflichtete mittelständische Unternehmen
kalkulierbar und wirtschaftlich tragbar ist,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2011

– der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers genutzt wird, damit sich das
europäische Umwelthaftungsrecht harmonisch in das zivilrechtliche Haf-
tungssystem mit seinen individuellen Zurechenbarkeitsregelungen einfügen
kann,

– den zuständigen Behörden bei der Anordnung von Sanierungen ein Ent-
schließungsermessen verbleibt,

– in diesem Sinne alle Voraussetzungen dafür zu schaffen sind, dass sich pri-
vate Märkte der Deckungsvorsorge entwickeln können,

– für potenzielle Schadensfälle eine sachgerechte Lastenteilung im föderalen
Verbund sowie zur Gewährleistung von Rechts- und Planungssicherheit eine
Haftungsbegrenzung vorgesehen wird,

– für den Fall, dass die Umwelthaftungsrichtlinie mit Blick auf den „Recht-
fertigungsgrund erlaubten Verhaltens“ im Sinne des Gemeinsamen Stand-
punktes des Rates beschlossen wird, der vorgesehene Spielraum entspre-
chend genutzt wird, um die Vereinbarkeit mit dem deutschen Industrie-
anlagenrecht nicht zu gefährden,

– der sachliche Anwendungsbereich nicht über die europäischen Vorgaben
hinaus erweitert wird,

– für deutsche Unternehmen keine einseitig nachteiligen und den Wirtschafts-
standort Deutschland im Wettbewerb belastenden Regelungen getroffen
werden.

Berlin, den 12. November 2003
Michael Kauch
Birgit Homburger
Angelika Brunkhorst
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.