BT-Drucksache 15/1825

Distanzierung der Bundesregierung von gesetzeswidrigen Zerstörungen von Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen

Vom 22. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1825
15. Wahlperiode 22. 10. 2003

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Daniel
Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga
Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer
Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Christoph Hartmann
(Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Günter
Rexrodt, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Distanzierung der Bundesregierung von gesetzeswidrigen Zerstörungen von
Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In diesem Jahr sind verschiedene Zerstörungen von Freisetzungsversuchen
öffentlich geworden. In einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom
14. Oktober 2003 werden nach Auskunft von Ulrich Ehlers von der Zulas-
sungsstelle Gentechnik des Robert-Koch-Instituts jährlich etwa jeder fünfte
Freisetzungsversuch zerstört oder beschädigt. Im Frühjahr wurde in Thüringen
ein Feld unbrauchbar gemacht, das vorbereitet worden war zur Aussaat von
transgenem Weizen. Dieser Weizen soll gegen die Infektion von Fusarium-Pil-
zen resistent sein. Die Toxine von Fusarium beeinträchtigen die Qualität des
geernteten Weizens und der aus ihm hergestellten Lebens- und Futtermittel.
Weiterhin wurden im Sommer in Bayern Felder zerstört, auf denen transgene
Kartoffeln angebaut worden waren. Mit den Kartoffeln sollte das Vitamin
Zeaxanthin produziert werden, das bei alten Menschen helfen kann, die Dege-
neration der Netzhaut zu verhindern. In Erwartung der Kartoffelernte hatte die
Ethik-Kommission die Erlaubnis erteilt, das aus den Kartoffeln gewonnene
Zeaxanthin für klinische Versuche zu verwenden. Schließlich sind die Versuche
mit transgenen Kartoffeln mit öffentlichen Mitteln gefördert worden. Die
Versuchsflächen mit transgenen Kartoffeln sind zudem mit öffentlichen Mitteln
gefördert worden. Daher sind die Zerstörungen auch vor dem Hintergrund der
angespannten Haushaltslage des Bundes weder für die Bundesregierung noch
für den Steuerzahler akzeptabel.

Beide Beispiele stehen für eine Fortsetzung der unrühmlichen Serie von geset-
zeswidrigen Aktionen, mit denen Gegner der Grünen Gentechnik die Arbeit
von wissenschaftlichen Instituten und Pflanzenzuchtunternehmen sabotieren.

Drucksache 15/1825 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bereits in früheren Jahren ist im Deutschen Bundestag über Zerstörungen von
Freisetzungsversuchen berichtet worden.
In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestags-
drucksache 14/2942 „Chancen der Gentechnik als Schlüsseltechnologie“
schreibt die Bundesregierung in Beantwortung der Frage Nr. 12 „Wie beurteilt
die Bundesregierung die in der Vergangenheit eingetretenen mutwilligen Zer-
störungen von Versuchsfeldern, die insbesondere der Sicherheitsbewertung von
gentechnisch veränderten Pflanzen dienen sollen?“:
„Die Bundesregierung begrüßt eine sachliche Auseinandersetzung mit der
Gentechnik. Sie verurteilt aber mutwillige Zerstörungen von Versuchsfeldern
mit gentechnisch veränderten Organismen. Zerstörungen genehmigter Freiset-
zungsversuche sind kein hinzunehmendes Mittel, um Kritik zum Ausdruck zu
bringen. Sie sind zudem kontraproduktiv, nicht zuletzt weil damit auch Ergeb-
nisse aus Begleitforschungsvorhaben im Rahmen der Risikoabschätzung und
Wirkungsanalyse zerstört werden.“
In Beantwortung der Frage Nr. 13 wird weiter ausgeführt „Liegen der Bundes-
regierung Zahlen über die daraus entstandenen wirtschaftlichen Schäden vor?“:
„Nach Aussagen der betroffenen Unternehmen sind die aus der mutwilligen
Zerstörung von Versuchsfeldern entstandenen wirtschaftlichen Schäden be-
trächtlich. Die den Betreibern entstandenen finanziellen Verluste setzen sich
zusammen aus den rein materiellen Schäden (Zerstörung des Versuchsfeldes)
sowie finanziellen Einbußen, die durch den mit der Zerstörung entstandenen
Forschungsrückstand und die damit verbundene verzögerte Marktreife und
Produkteinführung hervorgerufen werden (Entwicklungsschäden). Der Bundes-
verband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) veranschlagt die direkten Schäden
durch Zerstörungen von Freilandversuchen mit durchschnittlich 150 000 DM
pro zerstörtem Versuch. Die fiktiv errechneten Verluste aus dem verspäteten
Marktzugang werden mit ca. 50 DM pro ha Anbaufläche einer dann zugelasse-
nen Sorte beziffert. Daneben gibt der BDP zusätzlich Einbußen durch das Ver-
lorengehen von genetischem Material in Höhe von durchschnittlich 50 DM pro
ha Anbaufläche an. Hierin sind die entstehenden Verluste (Personal, Material),
die aus dem Abbruch der wissenschaftlichen Begleitforschung selbst entstehen,
nicht enthalten. Neben dem unmittelbaren Schaden entsteht nach Angaben des
BDP daher auch ein volkswirtschaftlicher Schaden in einer Größenordnung
von 3 bis 5 Mio. DM. Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung wird die Zer-
störung eines Versuchsfeldes nach Auffassung des BDP dann, wenn ein laufen-
des Sortenprüfungsverfahren betroffen ist. Unzureichendes Datenmaterial,
etwa aufgrund von zerstörten Versuchsflächen, kann zur kompletten Einstellung
des Sortenprüfungs- und -zulassungsverfahrens führen. Dies hat zur Folge,
dass u. U. innovative Produkte, die mit hohem Entwicklungsaufwand herge-
stellt wurden, nicht zur Vermarktung gelangen.“
Im zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentech-
nikgesetz vom 26. Juli 2001 (Bundestagsdrucksache 14/6763) stellt die Bun-
desregierung fest:
„Behinderungen und Zerstörungen von Freisetzungsversuchen stellten in den
vergangenen Jahren ein ernstes Problem dar. Nach Berichten aus den betroffe-
nen Ländern wurden unterschiedliche Vorgehensweisen beobachtet:
l Besetzung von Freisetzungsversuchsflächen durch Versuchsgegner vor der

Aussaat;
l Behinderung der Anpflanzungen oder Verhinderung der Aussaat oder des

Auspflanzens durch Ausbringen von Herbiziden;
l direkte Zerstörungen der gentechnisch veränderten Organismen nach der

Aussaat durch mechanische Einwirkung.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1825

Bis zum April 2001 wurden 113 Freisetzungsvorhaben an insgesamt 595 Stand-
orten genehmigt. Der Bundesregierung sind an 79 Standorten Störungen der
Versuche bekannt geworden, die zu einer teilweisen oder völligen Zerstörung
des Versuchs führten (58 Fälle bis Dezember 1998, 20 Fälle in den Jahren 1999
und 2000 sowie ein Fall in 2001). Diese Angaben schließen vermutlich nicht
alle Störungen ein, da es hierfür keine Meldepflicht gibt.“ Weiter heißt es
„Nach Aussagen der betroffenen Unternehmen sind die aus der Zerstörung von
Versuchsfeldern entstandenen wirtschaftlichen Schäden beträchtlich. Die fi-
nanziellen Verluste setzten sich zusammen aus den rein materiellen Schäden
(Zerstörung des Versuchsfeldes) sowie finanziellen Einbußen, die durch den mit
der Zerstörung entstandenen Forschungsrückstand und die damit verbundene
verzögerte Marktreife und Produkteinführung hervorgerufen werden (Entwick-
lungsschäden).“
Im Widerspruch zu diesen eindeutigen Aussagen der Bundesregierung in der
vorigen Legislaturperiode steht heute eine stillschweigende Akzeptanz der
Zerstörung von Versuchsfeldern. In der ZDF-Sendung „Frontal 21“ vom 29.
Juli 2003 wurde die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, Renate Künast, gefragt: „Ihre Behörde genehmigt einen Wei-
zenversuch in Gotha, und anschließend schlägt Greenpeace diesen Versuch ent-
zwei und ruiniert diesen Versuch. Sie treten gemeinsam auf. Ist das Absicht
oder billigen Sie das nicht, dass Felder zerstört werden?“ Auf diese Frage ant-
wortete die Ministerin ausweichend: „Ich gehe davon aus, das ist eine brilliante
Frage von „Frontal 21“, um einen ihrer berühmten Berichte zu machen. Sie hät-
ten sich auch gleich so vorstellen können. Ich habe dazu nichts zu sagen, weil
ich Ihnen nichts über gemeinsame Aktivitäten mit Greenpeace in Zukunft sage,
weil ich noch gar nicht darüber geredet habe – schon gar nicht über solche!“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich unverzüglich und eindeutig von gesetzeswidrigen Aktionen gegen die

Grüne Gentechnik zu distanzieren;
2. dafür Sorge zu tragen, dass die federführend zuständige Bundesministerin

für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, die von ihr durch die
Nichtbeantwortung der o. g. Frage in der ZDF-Sendung „Frontal 21“ vom
29. Juli 2003 verursachten Irritationen in der Öffentlichkeit durch eine ein-
deutige Distanzierung schnellstens aus der Welt räumt;

3. sich eindeutig für den im Grundgesetz verankerten Schutz der Eigentums-
rechte auch im Zusammenhang mit Versuchsfeldern, die dem Anbau von
gentechnisch veränderten Pflanzen dienen, auszusprechen;

4. die Zerstörung von Versuchsfeldern – auch wenn sie durch regierungsnahe
Organisationen erfolgt sind – auf das Schärfste zu verurteilen;

5. gemeinsam mit den beteiligten Pflanzenzuchtunternehmen und Landwirten
wirksamere Maßnahmen gegen mutwillige Sachbeschädigungen zu ent-
wickeln;

6. den Dialog mit Greenpeace und anderen Organisationen, die in der Vergan-
genheit die Zerstörung von Versuchsfeldern betrieben oder befürwortet
haben, zu suchen, um den Wert solcher Versuche zur Risikoabschätzung und
Wirkungsanalyse für die Verbraucher auch diesen Gruppen zu verdeut-
lichen.

Berlin, den 22. Oktober 2003

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.