BT-Drucksache 15/1769

Vereinfachung der Mülltrennung und Möglichkeiten zur Nutzung der Spielräume zur Entlastung privater Haushalte

Vom 15. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1769
15. Wahlperiode 15. 10. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan,
Christoph Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Marita Sehn, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Vereinfachung der Mülltrennung und Möglichkeiten zur Nutzung der vorhandenen
Spielräume zur Entlastung privater Haushalte

Einem aktuellen Agentur- und Medienbericht zufolge haben Studien ergeben,
dass Hausmüll und Wertstoffe aus technischer Sicht vollständig maschinell ge-
trennt werden können. Das aufwändige Sortieren in den Haushalten per Hand sei
ohne ökologische oder ökonomische Einbußen durch eine automatisierte Müll-
trennung ersetzbar. Ein Testlauf bei der RWEUmwelt AG in Essen habe gezeigt,
dass bei der Mülltrennung auf automatisierten Anlagen mehr Wertstoffe und
Verpackungsmaterialien verwertet werden könnten als bei der getrennten
Sammlung über das Duale System Deutschland (DSD). Die gewonnenen Wert-
stoffe hätten bei deutlich geringeren Kosten zum Teil sogar eine bessere Qualität
als bei der Trennung von Hand. Namentlich genannte Experten hätten bestätigt,
dass „die derzeit in Deutschland praktizierte Form der Mülltrennung durch den
Verbraucher … technisch überholt“ sei (dpa-Meldung vom 7. Oktober 2003 in
Verbindung mit dem Bericht des ARD-Magazins „Plusminus“ in der Sendung
vom gleichen Tage).
Konkret wurde unter anderem von einem mittelständischen Unternehmen be-
richtet, dessen Anlagen sich erfolgreich an drei Standorten im Einsatz befänden
und dort problemlos Hausmüll und Verpackungsmüll gemeinsam verwerten
würden. Zunächst würden Eisen, Aluminium, Keramiken und Glas vollautoma-
tisch aussortiert. Der Rest werde in einem biologisch-mechanischen Verfahren
zu einem hochwertigen Sekundärrohstoff verarbeitet, der beispielsweise in der
Chemieanlage Schwarze Pumpe zu Methanol umgewandelt und dann in der
Kunststoffproduktion eingesetzt werde. Die Verarbeitung einer Tonne Hausmüll
zu diesem Sekundärrohstoff koste nach Unternehmensangaben weniger als 200
Euro. Allerdings lande nicht nur dieser Sekundärrohstoff in der Schwarzen
Pumpe, sondern auch der überwiegende Teil der über das DSD gesammelten
und sortierten Mischkunststoffe. Mit anderen Worten werde der Müll zunächst
über separate Gefäße und Systeme getrennt und aufwändig sortiert, um kurze
Zeit später rund 100 km weiter in der Methanolproduktion wieder zusammenzu-

Drucksache 15/1769 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

fließen. Über die im Rahmen des DSD entstehenden Kosten für das Sammeln,
Sortieren und Verwerten einer Tonne Mischkunststoff habe das Unternehmen
keine Angaben gemacht. Nach Expertenschätzung belaufen sich diese Kosten
auf rund 1000 Euro pro Tonne.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat die Bundesregierung Kenntnis von dem eingangs erwähnten Bericht so-

wie den dort zitierten jüngeren Erfahrungen, Untersuchungen und Tests,
und wenn ja, welche Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass durch erhebliche tech-
nische Fortschritte in den Sortier- und Verwertungsanlagen mittlerweile
eine vollkommen neue Situation entstanden sei, wonach zum Beispiel mit
Nahinfrarot-Geräten ausgestattete Anlagen problemlos alle Wertstoffe auch
aus bunt gemischtem Hausmüll selektieren und dabei auch verschiedene
Kunststoffarten und Glasfarben im nachhinein aussortieren könnten?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass die getrennte Abfall-
sammlung über das DSD deshalb im Prinzip verzichtbar und ein Eintonnen-
system demgegenüber effizienter, wirkungsvoller, ökologisch besser und
überdies vermutlich wesentlich preiswerter sei?

4. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass für die getrennte
Abfallsammlung jährlich rund zweiMrd. Euro in Form von Lizenzgebühren
aufgewendet werden müssen, um die Leerung der DSD-Gefäße sowie die
Sortierung und anschließende Verwertung der Abfälle durch das DSD zu
finanzieren?

5. Zu welchem Anteil werden diese Kosten auf die betreffenden Produktpreise
und damit auf die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher überwälzt,
und wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die daraus durch-
schnittlich resultierende Belastung pro Haushalt und Jahr?

6. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten für das Sam-
meln, Sortieren und Verwerten einer Tonne Mischkunststoff über das DSD?

7. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass annähernd 30 Kilo-
gramm so genannter Leichtverpackungen pro Kopf und Jahr über das DSD
gesammelt, davon tatsächlich aber kaummehr als die Hälfte verwertet wird,
während der Rest als Fehlwürfe und Sortierreste mit dem normalen Haus-
müll entsorgt werden muss, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen leitet
die Bundesregierung daraus ab?

8. Wenn nein, welche anders lautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung dazu vor?

9. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass sich gerade im Haus-
müll, der derzeit über die grauen Tonnen von den Kommunen entsorgt wird,
noch erhebliche Mengen an wertvollen Rohstoffen befinden, die in der Re-
gel für eine Verwertung verloren gehen, und wenn ja, welche Schlussfolge-
rungen leitet die Bundesregierung daraus ab?

10. Wenn nein, welche anders lautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung dazu vor?

11. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass jüngste Messungen in
Dresden undMünster ergeben haben, dass sich im normalen Hausmüll mehr
Verpackungen mit grünem Punkt befinden als in den Sammelgefäßen des
DSD, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen leitet die Bundesregierung
daraus ab?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1769

12. Wenn nein, welche anders lautenden Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung dazu vor?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass die Aufrechterhaltung
der vergleichsweise aufwändigen Getrenntsammlung von Abfällen und
Reststoffen vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll erscheint, und eine ge-
meinsame Sammlung und Abfuhr der Reststoffe demgegenüber logistische
(und damit auch ökologische) Vorteile hätte und die Kosten verringern
würde, sofern es tatsächlich gelänge, die Wertstoffe aus dem gemischten
Hausmüll zu verwerten?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Verzicht auf die Ge-
trenntsammlung von Abfällen und Reststoffen ökologisch vor allem des-
halb vorteilhaft wäre, weil dann nicht mehr drei oder vier Müllabfuhren
(Restmüll, GelberMüll, Biomüll, Papier, Glas) auf den gleichen Strecken zu
bewältigen wären und überdies das Verfahren zur Abfallverwertung stark
vereinfacht würde, während zudem Spielräume zur finanziellen Entlastung
der Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen würden?

15. Wenn nein, weshalb nicht, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen leitet
die Bundesregierung daraus ab?

16. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass das DSD bereits
erwägt, in bestimmten Regionen auf die getrennte Erfassung von Ver-
packungsmüll zu verzichten, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen leitet
die Bundesregierung daraus ab?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die in der eingangs genannten Sendung
zitierte Aussage des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, wonach die Getrenntsammlung von
Verpackungsmüll nach wie vor sinnvoll und die Voraussetzung für eine Ge-
winnung hochwertiger Recycling-Produkte sei und nur so gewährleistet
werden könne, dass die neu entstehenden Produkte weitgehend frei von
Schadstoffen seien, während der Abteilungsleiter Abfall im Umweltbundes-
amt, Prof. Dr. Jürgen Hahn, mit der exakt gegenteiligen Einschätzung zitiert
wird?

18. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, das System der DSD-
Lizenzgebühren zu erhalten, weil deren Lenkungswirkung zur Abfallver-
meidung beitrage, gleichwohl aber das DSD zur reinen Inkassostelle zu re-
formieren, welche die erhobenen Gebühren an jene Städte und Kreise wei-
terleite, die bei einer gemeinsamen Erfassung die Wertstoffe optimal
verwerteten, um auf diese Weise die kommunalen Müllgebühren zum Vor-
teil der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich zu senken?

19. Trifft es zu, dass die Bundesregierung trotz erheblicher Zweifel am öko-
logischen Sinn der Getrenntsammlung von Abfällen dennoch am bisherigen
System aus „erzieherischen“ Gründen festhalten will, um das Umweltbe-
wusstsein der Bürger nicht durch eine Konfrontation mit den Realitäten zu
gefährden, und wenn nein, welche Erwägungen sind stattdessen für die Hal-
tung der Bundesregierung maßgeblich?

Berlin, den 14. Oktober 2003
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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