BT-Drucksache 15/1540

Dritte Stufe der Bahnreform und Börsengang der Deutsche Bahn AG

Vom 8. September 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1540
15. Wahlperiode 08. 09. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Georg Brunnhuber, Ilse Aigner, Dietrich Austermann, Norbert
Barthle, Renate Blank, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Jochen Borchert,
Manfred Carstens (Emstek), Hubert Deittert, Albrecht Feibel, Enak Ferlemann,
Herbert Frankenhauser, Jochen-Konrad Fromme, Dr. Michael Fuchs, Hans-
Joachim Fuchtel, Georg Girisch, Peter Götz, Klaus Hofbauer, Susanne Jaffke,
Bartholomäus Kalb, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster, Werner Kuhn (Zingst),
Eduard Lintner, Dr. Michael Luther, Klaus Minkel, Henry Nitzsche, Kurt J.
Rossmanith, Gero Storjohann, Magdalene Strothmann, Antje Tillmann, Volkmar
Uwe Vogel, Gerhard Wächter, Klaus-Peter Willsch und der Fraktion der CDU/CSU

Dritte Stufe der Bahnreform und Börsengang der Deutsche Bahn AG

Bereits im Abschlussbericht der Regierungskommission Bundesbahn aus dem
Jahre 1991 stand in Kapitel 7.1 „Die Ausgliederung (der Transportgesellschaf-
ten aus der Holding) schafft glaubwürdige Voraussetzungen für die interessierte
Privatwirtschaft, dass der Wettbewerb von Trassen diskriminierungsfrei ver-
läuft und dass sich ein Markteintritt in den Schienenverkehr als kalkulierbares
Risiko lohnt.“
Auch im aktuellen Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen (BMVBW) steht im Kapitel Bahnreform: „In Bezug auf
den Wettbewerb hat der bisherige Verlauf der Bahnreform gezeigt, dass der
Frage der Unabhängigkeit von Netz und Transport besondere Bedeutung zu-
kommt. Nur durch diese Unabhängigkeit kann letztendlich ein diskriminie-
rungsfreier Wettbewerb unter den Schienenverkehrsanbietern gesichert wer-
den.“
Um dies auch tatsächlich realisieren zu können, wurde in § 2 Abs. 2 des Geset-
zes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (DBGrG) die
Voraussetzungen für die Ausgliederung ausdrücklich festgeschrieben.
Durch überparteilichen Konsens war zum Zeitpunkt der Bahnreform vorgese-
hen, dass diese so genannte dritte Stufe der Bahnreform nach einer Bestands-
analyse am Ende der zweiten Stufe der Bahnreform durchgeführt wird. Als
Sicherungsinstrument wurde seitens des Gesetzgebers in Artikel 87e Abs. 3
Satz 3 in Verbindung mit Abs. 5 Grundgesetz (GG) vorgesehen, dass die Ver-
äußerung von Anteilen des Bundes an dem Unternehmen nur aufgrund eines
Gesetzes erfolgen kann und die Zustimmung des Bundesrates hierzu erforder-
lich ist.
Sicherlich ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur dritten Stufe der
Bahnreform – und damit zu mehr Wettbewerb – die Umsetzung des ersten
Eisenbahninfrastrukturpakets der EU und der Ergebnisse der Task Force

Drucksache 15/1540 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

„Zukunft Schiene“ durch das 3. Änderungsgesetz eisenbahnrechtlicher Vor-
schriften, auch wenn die Bewertung zur Trennung von Netz und Verkehr
kritisch zu sehen ist und nicht unbedingt der Zielsetzung der EU entspricht.
Die Ergebnisse der Task Force wurden mit Presseerklärung vom 1. Oktober
2001 der Öffentlichkeit vorgestellt und sollten zügig umgesetzt werden. So war
in der besagten Pressemitteilung zu lesen: „Bei allen notwendigen und vorge-
schlagenen Änderungen muss der Zeitfaktor berücksichtigt werden. Die EU-
Richtlinien 2001/12 bis 14 sind bis März 2003 in nationales Recht umzuset-
zen.“ Bis zum heutigen Tag liegt jedoch kein entsprechender Gesetzentwurf
dem Deutschen Bundestag vor.
Äußerungen aus dem BMVBW lassen nun darauf schließen, dass – ohne Prüfung
verschiedener Optionen – ein Börsengang der Holding der Deutsche Bahn AG
(DB AG) angestrebt wird. Beispielsweise wurde am 15. April in der Presseerklä-
rung Nr. 122/03 seitens des Ministeriums erklärt: „Die Bundesregierung hält am
Ziel des Börsengangs der Deutschen Bahn AG fest.“ Im Nachrichtenmagazin
„Focus“ Nr. 34 vom 18. August 2003 wird berichtet, dass eine Arbeitsgruppe mit
dem Titel „Börsengang der Bahn“ eingerichtet wurde „mit dem Ziel, das Staats-
unternehmen bis spätestens 2006 den Aktienhändlern feilzubieten“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gibt es zwischenzeitlich einen konkreten Zeithorizont für die Umsetzung

der Ergebnisse der Task Force „Schiene“ und bis wann soll der entspre-
chende Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht werden?

2. Ist es richtig, dass es bei der Ressortabstimmung des 3. Änderungsgesetzes
eisenbahnrechtlicher Vorschriften – mit dem die Ergebnisse der Task Force
„Schiene“ umgesetzt werden sollen – Dissenspunkte gibt, und wenn ja, mit
welchen Ressorts und zu welchen konkreten Inhalten?

3. Ist beabsichtigt, verbraucherrechtliche Aspekte mit in das 3. Änderungsge-
setz eisenbahnrechtlicher Vorschriften einfließen zu lassen, und wenn ja,
welchen Inhalts?

4. Hat die Bundesregierung eine konkrete Bestandsanalyse der Bahnreform
unternommen, wenn ja, wie ist das Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

5. Ist es richtig, dass sich zurzeit eine oder mehrere Arbeitsgruppen im
Auftrag der Bundesregierung mit dem Thema Börsengang der Bahn
beschäftigt, und wenn ja, wie lautet der konkrete Arbeitstitel dieser
Arbeitsgruppe/-n.

6. Wie setzen sich diese Arbeitsgruppe/-n zusammen und wie lautet die Ziel-
setzung für die Arbeitsgruppe/-n?

7. Ist es richtig, dass die Stelle eines Beraters des Bundes zur Bewertung der
finanz- und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen für einen Börsen-
gang der DB AG ausgeschrieben wurde und welche konkrete Aufgabe soll
dieser Berater wahrnehmen?

8. Ist ein Börsengang der DB AG noch im Verlaufe dieser Legislaturperiode
beabsichtigt, und wenn ja, gibt es konkrete terminliche Vorstellungen?

9. Werden Anforderungen an den Kapitalmarkt für einen Börsengang gestellt,
und wenn ja, welche?

10. Welcher Gewinn vor Zinsaufwand und Steuern (EBIT = Earnings Before
Interest and Taxes) ist nach Ansicht der Bundesregierung für einen Börsen-
gang der DB AG erforderlich und wie hoch war der EBIT im Jahre 2002?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1540

11. Beabsichtigt die Bundesregierung, im Hinblick auf eine für den Wett-
bewerb förderliche Trennung von Netz- und Verkehrsgesellschaften, mit
einem integrierten Unternehmen DB AG an die Börse zu gehen, oder wird
zuvor eine institutionelle Trennung von Fahrweg- und Verkehrsgesell-
schaften angestrebt?

12. Ist sich die Bundesregierung bewusst, dass ein Börsengang der DB AG
ohne Zustimmung von Deutschem Bundestag und Bundesrat nicht möglich
ist, und wann beabsichtigt die Bundesregierung den Deutschen Bundestag
und den Bundesrat zu beteiligen?

13. Sind der Bundesregierung Beispiele für den erfolgreichen Börsengang in-
tegrierter Eisenbahnunternehmen unter den Bedingungen des diskriminie-
rungsfreien Netzzuganges bekannt?

14. Sind der Bundesregierung Beispiele für einen dauerhaften und effektiven
Wettbewerb auf dem Netz privatisierter, integrierter ehemaliger Staats-
bahnunternehmen bekannt?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung den Gesichtspunkt des intermodalen
Wettbewerbs sowie einer integrierten Verkehrspolitik bei einem Börsen-
gang einer integrierten DB AG bei fortbestehender unmittelbarer staat-
licher Verwaltung beim Straßen- und Wasserstraßennetz?

16. Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die durch die Bahnreform ange-
strebte Kosten-Ertragstransparenz in einem integrierten Eisenbahnunterneh-
men sicherzustellen, bei dem zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten aufgrund
von Beherrschungsverträgen die Bilanzen der beherrschten Unternehmen
nur sehr eingeschränkt aussagekräftig erscheinen lassen?

17. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass der Wettbewerb bei den
Eisenbahnverkehrsunternehmen durch Mischkalkulationen innerhalb des
DB-Konzerns nicht verfälscht wird (entsprechende Vorwürfe wurden im
Hinblick auf die Erhöhung der Trassenpreise durch Regionalfaktoren im
Zusammenhang mit Verkehrsverträgen mit DB Regio für Schienenperso-
nennahverkehr-Leistungen erhoben)?

18. Wie beabsichtigt die Bundesregierung, den diskriminierungsfreien Zugang
dritter Eisenbahnverkehrsunternehmen über den Bereich der Gleisanlagen
hinaus auch in den folgenden, für den Marktzutritt bedeutsamen, Bereichen
herzustellen:
– an Gleisen der Verladeanlagen (Beispiel Laderampen für den Pkw-

Shuttleverkehr nach Sylt)
– dauerhaft von einzelnen konzernangehörigen Eisenbahnverkehrsunter-

nehmen angemieteten Anlagen, wie z. B. Rangierbahnhöfe
– Informationssysteme für Reisende sowie Fahrplandrucksachen (Kurs-

bücher)
– Bahnstrom?

19. Welche Vorteile bringt nach Auffassung der Bundesregierung der Fort-
bestand des integrierten DB-Konzerns mit sich, die nicht gleichzeitig Wett-
bewerbsnachteile für andere Eisenbahnverkehrsunternehmen darstellen?

20. Wie will die Bundesregierung insbesondere verhindern, dass die konzern-
interne Abstimmung im Hinblick auf Synergien zwischen Netz und
Verkehr auch außerhalb der von den „Chinese Walls“ umfassten Netz-
Marketing-Bereiche zu Wettbewerbsverzerrungen zu Gunsten der Eisen-
bahnverkehrsunternehmen der DB AG führt (z. B. durch Austausch von
Insider-Wissen, langfristiger Abstimmung in den Bereichen der techni-
schen und betrieblichen Planung)?

Drucksache 15/1540 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
21. Beabsichtigt die Bundesregierung, Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass
sich die DB Netz AG im Hinblick auf die Schnittstellen zwischen Netz und
Verkehr gerade im Hinblick auf kostspielige neue Sicherungs- und Infor-
mationstechniken (PZB 90, GSM-R, elektronischer Buchfahrplan, ETCS)
eher an den Bedürfnissen der anderen Konzerntöchter als an den finanziell
weniger leistungsfähigen Mitnutzern des Netzes ausrichtet?

22. Wie steht die Bundesregierung zu einer möglichen weiteren Effizienzstei-
gerung bei der Bewirtschaftung des Eisenbahnnetzes durch Wettbewerb
unter mehreren potenziellen Netzbetreibern?

23. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass das deutsche Schienen-
wegenetz zukünftig in seinem Zuschnitt und seiner Leistungsfähigkeit
nicht nur den Zielen der kurzfristigen Renditeerzielung, sondern darüber
hinaus auch den Zielen der
– notwendigen Leistungsfähigkeit und Flexibilität für einen Wettbewerb

mit vielen Marktteilnehmern mit immer wechselnden Ansprüchen
– Erzielung der im Bundesverkehrswegeplan zugrunde liegenden Zu-

wachsraten
– notwendigen Qualität aus der Sicht der Bahnkunden
– gleichmäßigen Erschließung der Regionen
dauerhaft entspricht?

Berlin, den 8. September 2003
Dirk Fischer (Hamburg)
Eduard Oswald
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Georg Brunnhuber
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Renate Blank
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Jochen Borchert
Manfred Carstens (Emstek)
Hubert Deittert
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Georg Girisch

Peter Götz
Klaus Hofbauer
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Werner Kuhn (Zingst)
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Klaus Minkel
Henry Nitzsche
Kurt J. Rossmanith
Gero Storjohann
Magdalene Strothmann
Antje Tillmann
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Klaus-Peter Willsch
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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