BT-Drucksache 15/1273

Strategie Deutschlands bei den Biowissenschaften und der Biotechnologie im Rahmen der Strategie für Europa

Vom 25. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1273
15. Wahlperiode 25. 06. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg),
Birgit Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Strategie Deutschlands bei den Biowissenschaften und der Biotechnologie
im Rahmen der Strategie für Europa

Im März des Jahres 2000 haben in Lissabon die Staats- und Regierungschefs
der Europäischen Union das Ziel formuliert, die EU bis zum Jahr 2010 zum
wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum
der Welt zu machen.
Dementsprechend erklärte der Europäische Rat im März 2002 in Barcelona, die
Gesamtausgaben der Europäischen Union für Forschung und Entwicklung bis
2010 auf annähernd 3 % des Bruttoinlandsproduktes zu steigern und verwies
auf die Bedeutung der Spitzentechnologien für das künftige Wachstum.
Will Deutschland in diesem Prozess einen seiner Leistungskraft gebührenden
Anteil leisten, müssen verstärkte Anstrengungen zur umfassenden Förderung
der Biotechnologie unternommen werden.
Im Jahr 2002 war die junge Biotechbranche in Deutschland erstmalig seit 1995
nicht mehr wachstumgsgeprägt. Die vorliegenden Berichte der Vereinigung
deutscher Biotechnologieunternehmen (VBU)/Biocom AG „VBU Guide of
German Biotech Companies“ und von Ernst & Young „Deutscher Biotechno-
logie-Report 2003“ mit ihren statistischen Datenmaterialien kommen zwar –
aufgrund verschiedener Definitionen – zu unterschiedlichen absoluten Zahlen,
stimmen jedoch in ihren generellen Aussagen überein.
Diese bestätigen der Biotechnologiebranche:
– eine leicht negative Entwicklung bei der Anzahl der Unternehmen gegen-

über dem Vorjahr (Ernst & Young: 360 (- 5); VBU/BIOCOM: 533 (- 5)), die
durch Rückgang der Neugründungsrate von 13 auf 6 % gekennzeichnet ist.
Ernst & Young geht von 25 und VBU/BIOCOM von 50 Neugründungen
aus. Beide konstatieren einen Anstieg der Insolvenzen auf 26 (Ernst &
Young) bzw. 35 (VBU/BIOCOM);

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– einen Stopp des Reifungsprozesses, was seinen Ausdruck auch in einem
Rückgang der Beschäftigtenzahlen gegenüber dem Vorjahr findet. Ernst &
Young konstatiert 13 400 Beschäftigte und damit einen Rückgang um
- 1 008, der - 7 % entspricht. Nach VBU/BIOCOM beschäftigt die Branche
18 890 Mitarbeiter, also 910 Personen (- 5 %) weniger als im Vorjahr;

– der Anzahl der unmittelbar in Forschung und Entwicklung tätigen Mitarbei-
ter sank laut Ernst & Young im Berichtszeitraum um 7 % auf 7 308.

Von Ernst & Young werden darüber hinaus weitere Rückgänge, beispielsweise
beim Umsatz in Höhe von 3 %, bei FuE-Ausgaben (FuE: Forschung und Ent-
wicklung) von 11 % und bei der Venture-Capital-Finanzierung von 61 % ange-
geben. Standen im Jahr 2001 noch rund 525 Mio. Euro Venture Capital zur
Verfügung, so waren es 2002 nur noch 207 Mio. Euro. Börsengänge fanden in
2002 gar nicht statt.
Der Bericht von Ernst & Young weist für das Jahr 2002 mindestens 300 Bio-
technologie-Unternehmen aus, in denen sich 60 Wirkstoffe in der klinischen
Entwicklung befinden.
Dabei zeigt sich ein Rückgang, gerade bei Produkten in den späteren Entwick-
lungsphasen, gegenüber dem Vorjahr: Phase II: 22 (- 5); Phase III: 3 (- 1);
Zulassungs-Phase: 1 (- 2). Lediglich bei Phase I ist ein Anstieg von 27 auf 34
Projekte zu verzeichnen. Auch wird darauf hingewiesen, dass nach wie vor kei-
nes der in Deutschland in den letzten Jahren neu gegründeten Biotech-Unter-
nehmen aus eigener FuE ein Arzneimittel auf den Markt gebracht hat.
Der Gesundheitsmarkt ist ein Zukunftsmarkt, in dem von einer breiten Öffent-
lichkeit biotechnologische Produkte gut akzeptiert werden. Bis zum Jahr 2002
wurden 88 biotechnologische Arzneimittel in der EU zugelassen. Dieses ent-
spricht 36 % aller Neuzulassungen in der EU seit der 1995 erfolgten verpflich-
tenden Einführung des Zentralen Europäischen Zulassungsverfahrens für Bio-
techprodukte.
Da gerade die medizinisch pharmazeutische Biotechnologie ein enormes Wirt-
schaftspotential birgt, werden insbesondere die Erfolge, die Deutschlands
Pharma-Biotech-Unternehmen und zukünftige Start-up’s aus diesem Bereich
bei der Umsetzung ihrer innovativen FuE-Ansätze in marktfähige Produkte ha-
ben, entscheidend dafür sein, ob Deutschland die angestrebte Wettbewerbs-
fähigkeit und Wirtschaftsstärke auf dem Feld Biotechnologie innerhalb der
nächsten sieben Jahre erreichen wird.
Aufgrund der vorliegenden Branchenzahlen von 2002 ergibt sich ein Klärungs-
bedarf über die Strategie und die Maßnahmen der Bundesregierung zur Errei-
chung der Ziele von Lissabon und Barcelona auf dem Feld Biowissenschaften
und Biotechnologie in Deutschland und Europa.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit wurde das Rahmenprogramm Biotechnologie, das im Jahr 2001

beschlossen wurde, in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Wirt-
schaft umgesetzt?

2. In welchem Umfang erfolgte der Mittelabfluss der hierfür vorgesehenen 860
Mio. Euro seit dem Programmanlauf?

3. Wie hoch sind die Haushaltsansätze in Umsetzung dieses Programms in den
Jahren 2004 bis 2006?

4. Sieht die Bundesregierung negative Folgen aus der Nichtumsetzung der
EU-Biopatentrichtlinie in nationales Recht für deutsche Biotechnologie-
unternehmen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1273

5. Hat die Bundesregierung die Absicht, die Arzneimittel-Zulassungsverfah-
ren zu straffen bzw. zu beschleunigen?

6. Welche deutschen Forschungsprojekte, in denen Universitäten, außeruni-
versitäre Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammenarbeiten,
werden im Rahmen des 6. Europäischen Forschungsrahmenprogramms auf
den Gebieten der Biotechnologie gefördert?

7. Wie hoch ist hierfür der Mittelrückfluss nach Deutschland?
8. Wie viel Geld hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung

(BMBF) seit BioRegio in die Biowissenschaften, den Technologietransfer
auf dem Feld Biowissenschaften inkl. Patentverwertung, das Jahr der Bio-
wissenschaften und sonstige biotech-spezifische Maßnahmen (z. B. Veran-
staltungen) investiert?

9. Wie viele der 2002 existierenden klein- und mittelständischen Biotech-
Unternehmen (KMU) in Deutschland (Ernst & Young 360, Biocom 533)
sind durch öffentliche Gelder ((BMBF), Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit (BMWA)) gefördert worden und in welcher Höhe?

10. Welche Schwerpunkte hat die Bundesregierung bei der Förderung dieser
Unternehmen gesetzt?

11. Was tut die Bundesregierung dafür, um die Kommerzialisierung der mit
öffentlichen Forschungsgeldern finanzierten Innovationsansätze für den
Standort Deutschland sicherzustellen?

12. Welche Unterstützung sieht die Bundesregierung vor, um den Unterneh-
men insbesondere im Bereich der roten Biotechnologie (Pharma) am
Standort Deutschland eine Chance zu geben, Produktentwicklungen abzu-
schließen (Präklinik, Klinik) und in die Märkte zu bringen?

13. Welche Maßnahmen sind vorgesehen zur Unterstützung der Unternehmen
für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten und neuer Arbeitsplätze ins-
besondere in der roten Biotechnologie?

14. Welche Haushaltsmittel sind für die Zeit von 2004 bis 2006 für die künftige
Förderung der Biotechnologie im Bereich Wissenschaft und Wirtschaft
veranschlagt?

15. Welche konkreten Maßnahmen sieht die Bundesregierung dafür vor, die
strategische Lücke zwischen Vorleistungen in FuE und Kommerziali-
sierung – insbesondere bei der Produktentwicklung im Pharmabereich – zu
schließen?

16. Welche Haushaltsmittel stellt die Bundesregierung dafür zur Verfügung?
17. Welche zusätzlichen Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung bis

zum Jahr 2010, um im Rahmen der Umsetzung der Ziele von Lissabon die
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen respektive deutschen Biotechnolo-
gieindustrie zu stärken?

18. Welche Maßstäbe legt die Bundesregierung bei ihren Förderstrategien an,
um die seit BioRegio mit viel Engagement und öffentlichem Geld geschaf-
fenen Wachstumspotentiale voll auszuschöpfen und damit Deutschland
respektive die EU innerhalb der nächsten 7 Jahre auf den Spitzentechno-
logien Biowissenschaften und Biotechnologie wachstumsstark und welt-
weit wettbewerbsfähig zu machen?

Berlin, den 3. Juni 2003
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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