BT-Drucksache 15/1234

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz - PräimpG)

Vom 25. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1234
15. Wahlperiode 25. 06. 2003

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Detlef Parr, Ulrike Flach, Rainer Funke, Otto Fricke, Dr. Dieter
Thomae, Dr. Christel Happach-Kasan, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Angelika Brunkhorst, Helga Daub, Jörg van Essen, Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Christoph Hartmann (Homburg),
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Gisela Piltz,
Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik
(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

A. Problem
Vor einem Jahrzehnt entwickelten britische Wissenschaftler eine Diagnostik zur
Erkennung bestimmter genetischer Schädigungen an künstlich gezeugten Em-
bryonen in den ersten Tagen nach der Befruchtung: die sog. Präimplantations-
diagnostik (PID). Die Frau entscheidet nach der Untersuchung des Embryos auf
eine schwerwiegende genetische Erkrankung, für die eine starke Disposition
bei dem Paar mit Kinderwunsch besteht, über die Implantation.
In Deutschland ist ein Antrag auf Durchführung einer PID („Lübecker Fall“
1995/1996) von der zuständigen Ethik-Kommission abgelehnt worden, weil
dieses Verfahren nicht mit dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) vereinbar sei.
Aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen ist es bedenklich, genetisch
schwer vorbelasteten Paaren mit Kinderwunsch die Möglichkeit der PID vorzu-
enthalten. Die potenziellen Eltern sollten vielmehr nach sorgfaltiger Beratung
durch den Arzt eigenverantwortlich entscheiden dürfen, ob sie im Vorfeld der
Schwangerschaft eine PID durchführen lassen wollen. Voraussetzung für die
Durchführung der PID ist zudem ein Votum einer ärztlichen Ethikkommission.
Die Entscheidung für oder gegen eine solche Diagnostik wird für die Beteiligten
letztlich immer eine Gewissensfrage bleiben. Deshalb sieht das Gesetz vor, dass
es in der Entscheidung des Einzelnen liegt, ob er die PID unter den Bedingungen
des Gesetzes in Anspruch nimmt bzw. sich hieran beteiligt. Aus einer negativen
Entscheidung dürfen ihm keine rechtlichen Nachteile erwachsen.

Drucksache 15/1234 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

B. Lösung
Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte herzustellen, ist
das Embryonenschutzgesetz dahin gehend zu ändern, dass die PID nach einge-
hender Beratung und positivem Votum einer Ethikkommission in den Fällen
zulässig ist, in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine
schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen.

C. Alternativen
Keine. Eine Beibehaltung des derzeitigen Embryonenschutzgesetzes bedeutet
eine zu große Rechtsunsicherheit für die betroffenen Paare und Ärzte.
Ein explizites Verbot der PID, das einschlägig vorbelasteten Paaren es praktisch
unmöglich machte, eigene genetisch gesunde Kinder zu bekommen, wäre hin-
gegen verfassungsrechtlich bedenklich und stünde im Widerspruch zu dem
Recht der Frau, nach „positivem Befund“ einer Pränataldiagnostik und bei Vorlie-
gen der medizinischen Indikation die Schwangerschaft abbrechen zu lassen.
Die teilweise als Alternative zur PID genannte Polkörperdiagnostik ist keine
Alternative zur PID. Nur die weibliche Eizelle bildet während der meiotischen
Teilung Polkörper, deren genetische Diagnostik Rückschlüsse auf die geneti-
sche Ausstattung der Eizelle ermöglichen. Die genetische Ausstattung des
männlichen Spermiums kann mit dieser Methode nicht diagnostiziert werden.
Crossing-over-Ereignisse während der ersten meiotischen Teilung können zu-
dem zu Fehldiagnosen führen.

D. Kosten
Durch die Anwendung der PID in der reproduktionsmedizinischen Praxis ent-
stünden den Haushalten des Bundes und der Länder Kosten, wenn diese neue
Methode über Steuermittel finanziert würde. Da Fachleute bei einer Zulassung
der PID in dem vorgeschlagenen engen Rahmen bis auf weiteres nur mit weni-
gen hundert Fällen im Jahr rechnen, wäre die Höhe der Kosten auf jeden Fall
begrenzt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1234

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik
(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderungen des Embryonenschutzgesetzes

Das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990
(BGBl. I S. 2746) wird wie folgt geändert:
l. Nach § 3 wird folgender neue § 3a eingefügt:

㤠3a
Präimplantationsdiagnostik

(1) Besteht für einen Embryo auf Grund der geneti-
schen Disposition der Eltern oder eines Elternteiles eine
hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erb-
krankheit, so handelt der Arzt nicht rechtswidrig, der
nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wis-
senschaft eine künstliche Befruchtung vornimmt, um den
Embryo vor der Implantation auf die Gefahr dieser
Krankheit zu untersuchen. Nicht rechtswidrig handelt
auch der Arzt, der auf Grund dieses diagnostischen Er-
gebnisses den Embryo auf Verlangen der Frau nicht auf
diese überträgt.

(2) Das Bundesministerium der Justiz hat durch Rechts-
verordnung, im Einvernehmen mit dem Bundesministe-
rium für Gesundheit und Soziale Sicherung zu bestimmen:
1. die Indikation einer hohen Wahrscheinlichkeit einer

schwerwiegenden Erbkrankheit des Embryos,
2. Ausmaß und Gegenstand der erlaubten Diagnostik

beim Embryo,
3. die fachlichen, personellen und sächlichen Vorausset-

zungen der Durchführung von Maßnahmen, insbe-
sondere eine Beschränkung auf entsprechend ausge-
stattete und lizenzierte Zentren,

4. die berufsrechtlichen Voraussetzungen der Durchfüh-
rung einer Maßnahme im Einzelfall, insbesondere die
vorherige Billigung durch eine ärztliche Ethik-Kom-
mission,

5. die zentrale Dokumentation der Maßnahmen,
6. die Anforderungen an die ärztliche Qualitätssiche-

rung, insbesondere die Teilnahme an einem zentralen
Register,

7. die umfassende medizinische, ethische und psycho-
soziale Beratung der Eltern vor, während und nach

einer Maßnahme, sowie deren entsprechende Aufklä-
rung und Einwilligung.
(3) Die Rechtsverordnung ist vor Verkündung dem

Deutschen Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Be-
schluss des Deutschen Bundestages geändert oder abge-
lehnt werden. Der Beschluss des Deutschen Bundestages
wird dem Bundesministerium der Justiz zugeleitet. Das
Bundesministerium der Justiz ist bei der Verkündung der
Rechtsverordnung an den Beschluss des Deutschen Bun-
destages gehalten. Hat sich der Deutsche Bundestag
nach Ablauf von fünf Sitzungswochen nach Eingang
einer Rechtsverordnung nicht mir ihr befasst, so wird die
unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministe-
rium der Justiz zur Verkündung zugeleitet. Der Deutsche
Bundestag befasst sich mit der Rechtsverordnung auf
Antrag von so vielen Mitgliedern des Deutschen Bun-
destages, wie zur Bildung einer Fraktion erforderlich
sind.

(4) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Ab-
satz l durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Die Nicht-
durchführung oder Nichtmitwirkung darf nicht zum
Nachteil des Betreffenden geltend gemacht werden.

(5) Die Bundesregierung erstellt jährlich einen Be-
richt über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiag-
nostik. Der Bericht enthält auf der Grundlage der zentra-
len Dokumentation die Zahl der jährlich durchgeführten
Maßnahmen sowie eine wissenschaftliche Auswertung.
Der Bericht beruht auf anonymisierten Daten. Der Be-
richt ist bis zum 31. Juli eines jeden Jahres den gesetzge-
benden Körperschaften zuzuleiten.

2. In § 9 wird folgende neue Nummer 2 eingefügt:
„2. die Präimplantationsdiagnostik,“.
Die bisherigen Nummern 2 und 3 werden Nummern 3
und 4.

3. In § 11 Abs. l wird folgende Nummer 2 eingefügt:
„2. entgegen § 9 eine Präimplantationsdiagnostik vor-

nimmt oder“.
In der bisherigen Nummer l wird das Wort „oder“ durch
ein Komma ersetzt.

Artikel 2
Inkrafttreten

Das Gesetz tritt am 1. Juli 2004 in Kraft.

Berlin, den 25. Juni 2003
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/1234 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Ob die seit einem Jahrzehnt bekannte und im Ausland über-
wiegend praktizierte Präimplantationsdiagnostik (PID) ge-
gen das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990
(ESchG) verstößt, wird kontrovers diskutiert. Durchweg
wird allerdings davon ausgegangen, dass eine Regelung die-
ses Verfahrens, das wesentlich in Grundrechtspositionen
Beteiligter eingreift, dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Er ist
gehalten, Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten zu schaf-
fen. Diese Auffassung teilt auch die Enquete-Kommission
„Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen
Bundestages. Der Nationale Ethikrat hat sich in seiner Stel-
lungnahme von Januar 2003 zur „genetischen Diagnostik
vor und während der Schwangerschaft“ für eine verantwor-
tungsvolle und eng begrenzte Zulassung der PID ausgespro-
chen. Der Gesetzentwurf dient dem Ziel, durch eine aus-
drückliche Bestimmung im ESchG die gesetzliche Grund-
lage für eine – eng begrenzte – Anwendung der PID in
Deutschland zu schaffen.

I.
Das medizinische Verfahren der PID wurde Ende der 80er
Jahre von britischen Wissenschaftlern entwickelt. Internati-
onal ist das Verfahren insbesondere in den USA und in Aus-
tralien etabliert. In Europa wird die PID in mittlerweile über
zehn Ländern angewandt, so in Großbritannien, Frankreich,
Italien und Spanien, aber auch in Skandinavien sowie in den
kleineren Nachbarländern Deutschlands Belgien und Nie-
derlande. In den meisten dieser Länder beruht die Behand-
lungspraxis auf besonderen Gesetzen, die das Verfahren
beim Risiko einer schweren Erbkrankheit zulassen.
Bei der PID handelt es sich im engeren Sinn um die gene-
tische Untersuchung von Zellen „künstlich“ in der sog.
Petri-Schale (in vitro) gezeugter, ungefähr drei Tage alter
Embryonen auf das Vorliegen einer monogen bedingten bei
den Eltern oder einem Elternteil angelegten Erbkrankheit
oder Chromosomenschädigung. Genetisch stark vorbelaste-
ten Eltern, die z. T. bereits ein schwer krankes Kind haben
oder die nach einer Präimplantationsdiagnostik wegen me-
dizinischer oder psychischer Indikation der Mutter eine Ab-
treibung haben vornehmen lassen, gibt diese Methode die
Möglichkeit, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen,

II.
Die PID hilft späte Abbrüche nach Pränataldiagnostik
(PND) – vom dritten bis in den fünften Monat hinein – zu
vermeiden und den Paaren eine „Schwangerschaft auf
Probe“ zu ersparen. Die PID wird somit nicht damit gerecht-
fertigt, dass es bereits die PND mit anschließender Schwan-
gerschaftsberatung gibt. Vielmehr wird die Option für die
PID angesichts einer komplexen Konfliktlage und zur Ver-
meidung späterer, gravierender Konflikte einer Güterabwä-
gung als vertretbar erachtet. Bei der Abwägung zwischen
den Ängsten und Nöten der Betroffenen und ethischen Be-
denken wegen der Nichtimplantation eines auf Grund einer
monogenetisch bedingten Erbkrankheit schwer geschädig-

ten Embryos trifft dieser Gesetzentwurf eine Entscheidung
zugunsten der betroffenen Eltern. Das „Verwerfen“ bei pa-
thologischem Befund ist nicht primär oder eigentliches Ziel,
sondern ein lediglich in Kauf genommenes Mittel mit dem
Ziel, einen absehbaren Konflikt für die Frau zu vermeiden.
Die PID kann selbst mit anschließender „Verwerfung“ des
Embryos wegen seiner genetischen Schädigung die Frau
weniger stark belasten als ein Schwangerschaftsabbruch
nach einer PND. Die Bedenken der Behinderten und ihrer
Verbände, dass die Möglichkeit, Behinderungen bereits im
Vorfeld einer Schwangerschaft auszuschließen, zu einer
mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber Be-
hinderten führen könnte, sind sehr ernst zu nehmen. Es ist
daher wichtig darauf hinzuweisen, dass mit dem Umstand,
das bestimmte Paare ein eigenes Kind mit einer Behinde-
rung verhindern wollen, kein Unwerturteil gegenüber allen
Menschen mit dieser Behinderung verbunden ist. Jeder ge-
borene Mensch genießt unabhängig von den Bedingungen
seiner Entstehung, Würde und Anerkennung. Im Übrigen
müssten sich die Befürchtungen der Diskriminierung glei-
chermaßen auch gegen die PND richten. Obwohl diese Me-
thode bereits seit Jahrzehnten angewandt wird, lassen sich
keine Anzeichen für befürchtete Fehlentwicklungen finden.
Es lässt sich oft beobachten, dass das, was zunächst als
Grenzüberschreitung oder gar als Tabubruch gilt, akzeptiert
wird, wenn sich zeigt, dass die befürchteten negativen Fol-
gen nicht eingetreten sind. Allerdings hängt das Verhältnis
einer Gesellschaft zu ihren schutzbedürftigen Mitgliedern
von der Grundhaltung und dem gesamtgesellschaftlichen
Klima ab. Es muss deshalb dafür gesorgt werden, dass sich
in dieser Hinsicht die Bedingungen für Menschen mit Be-
hinderungen verbessern.

III.
Der Gesetzentwurf setzt die Auffassung der Enquete-Kom-
mission um, dass die PID durch den Gesetzgeber geregelt
werden muss. Auch gemäß der ständigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes sind Regelungen mit
wesentlichen Eingriffen in Grundrechte eines Rechtsträgers
– wie hier insbesondere in das Lebensrecht des Embryos –
dem Parlament vorbehalten.
Bei seiner gesetzlichen Regelung des Verfahrens verfügt das
Parlament über einen weiten Gestaltungsspielraum, unter-
liegt jedoch den Grenzen der Verfassung. Einschlägig sind
hier insbesondere das Grundrecht auf Leben und Gesund-
heit (Artikel 2 Abs. 2 GG) der Frau und des Embryos sowie
das Grundrecht der Eltern auf freie Entfaltung der Persön-
lichkeit (Artikel 2 Abs. 1) – hinsichtlich seines Kinderwun-
sches – und der institutionelle Schutz von Ehe und Familie
(Artikel 6) berührt. Ein absolutes Verbot der PID könnte zu-
dem gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen. Der
Gesetzentwurf trägt dem durch eine grundsätzliche, jedoch
an enge Voraussetzungen gebundene Zulassung der PID
Rechnung. Er hält dabei die medizinische Indikation des
§ 2l8a Abs. 2 StGB für den gebotenen „Anknüpfungspunkt“
und geht deshalb bei Vorliegen der genetischen Indikation
des vorgeschlagenen § 3a ESchG davon aus, dass eine PID
nicht rechtswidrig ist.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1234

Die Notwendigkeit, die PID gesetzlich zu regeln, reicht
allerdings nur so weit, wie es die Legitimierung des Grund-
rechtseingriffs gebietet. Das betrifft etwa z. B. die Frage der
Strafbarkeit der Nichtimplantation eines schwer geschädig-
ten Embryos. Das betrifft aber auch die „Gewissensklausel“
des Absatzes 3. Das Nichtimplantieren eines geschädigten
Embryos wird auch nach einer gesetzlichen Zulassung der
PID für viele Ärzte und Eltern eine Frage des Gewissens
bleiben. Die Freiwilligkeit der Vornahme bzw. Teilnahme
will der Entwurf in besonderem Maße rechtlich sicherstel-
len – auch um einem möglichen Trend in der Gesellschaft
vorzubeugen, der das gesetzliche Recht auf eine PID einmal
quasi zur Pflicht werden lassen könnte.
Gerade im Bereich persönlicher Lebensgestaltung, in dem
regulative staatliche Eingriffe besonderer Rechtfertigung
bedürfen, bringt eine gesetzliche Zulassung der PID den in-
dividuellen Freiheitsanspruch auf der einen und den Schutz
allgemeiner Rechtsgüter durch den Staat auf der anderen
Seite am ehesten zu einem gerechten Ausgleich. Denn eine
derartige Zulassung ermöglicht den Paaren, die eine PID
wahrnehmen wollen, die verantwortungsvolle Ausübung ih-
res Grundrechts auf Fortpflanzungsfreiheit, ohne dass damit
die moralische Position derjenigen, die die PID strikt ableh-
nen, abgewertet oder für unhaltbar erklärt würde. Zudem
können Gesetzgeber und Politik auf unterschiedliche Weise
zukünftige Eltern dabei unterstützen, sich für Lebensoptio-
nen zu entscheiden, die sich von ihnen nicht zwingend ge-
setzlich einfordern lassen.

IV.
Da die Diagnostik in Deutschland auch wegen der bestehen-
den ethischen und rechtlichen Bedenken gegenwärtig nicht
angeboten wird, wenden sich deutsche Risikopaare in einer
wachsenden Zahl von Fällen an Zentren in Nachbarländern,
so vor allem an das der Brüsseler Freien Universität; ein
großer Teil der 92 dort 1993 bis 1998 behandelten Paare
kam aus Deutschland. Deutsche Reproduktionsmediziner,
die Patienten zum Zweck einer PID ins Ausland vermitteln,
setzen sich einer Gefahr der Strafbarkeit aus. In ihrem Plä-
doyer „Forschungsfreiheit“ warnte 1996 die Deutsche For-
schungsgemeinschaft davor, dass auf dem Gebiet der Fort-
pflanzungsmedizin die PID als Alternative zum Schwanger-
schaftsabbruch nach PND vom ESchG behindert werde; sie
sprach sich für eine Ausnahmeregelung in dem Gesetz aus.
Der Gesetzentwurf dient demnach auch einem Abbau von
Regelungsunterschieden in dem zusammenwachsenden Eu-
ropa und einer immer mehr die Landesgrenzen übergreifen-
den Entwicklung, von der sich Deutschland nicht ausschlie-
ßen sollte.

B. Einzelbegründung
Zu Artikel l
Zu Nummer l (§ 3a Präimplantationsdiagnostik)
Um die ethische wie rechtliche Bedeutung der PID und die
Klarstellungsfunktion der Gesetzesänderung zum Ausdruck
zu bringen, fasst der Entwurf die notwendigen Änderungen
in einem eigenen Paragrafen zusammen. Die Stellung der
neuen Vorschrift innerhalb des Gesetzes stellt klar, dass die
PID nicht zu den verbotenen Verfahren der künstlichen Be-

fruchtung (§§ l bis 4) zählt. Eine Einfügung der Bestimmung
nach § 3 empfiehlt sich wegen einer Vergleichbarkeit der
Regelungsinhalte: § 3 Satz 2 lässt aus schwerwiegenden ge-
netischen Gründen eine Ausnahme von dem grundsätz-
lichen Verbot des Satzes l zu, eine Samenzelle für die künst-
liche Befruchtung nach dem Geschlecht auszuwählen; § 3a
will aus entsprechenden Gründen – allerdings für den Fall
einer Aussonderung bereits befruchteter Eizellen – eine eng
begrenzte Ausnahme vom grundsätzlichen Schutz der Em-
bryonen regeln.

Zu Absatz l
Vom Sinn des Behandlungsverfahrens her – und zwar so-
wohl aus der medizinischen Sicht der behandelnden Ärzte
als auch aus der menschlichen des erblich belasteten Paares
mit Kinderwunsch – ist die PID ein dreigeteiltes Verfahren
(IVF/genetische Untersuchung/Implantationsentscheidung).
Die ersten beiden Schritte sind eine logische Einheit, da der
Arzt zunächst eine künstliche Befruchtung vornehmen
muss, um den Embryo auf das genetische Risiko untersu-
chen zu können. Kritiker des Verfahrens sehen bereits in der
Untersuchung das Ziel der PID und sehen die Strafnorm des
ESchG § l Abs. l Nr. 2 als erfüllt an. Nach ihrer Ansicht
werde bei der PID die IVF zum Zweck einer genetischen
Untersuchung und nicht zur Herbeiführung einer Schwan-
gerschaft unternommen. Satz l beschreibt deshalb den ersten
und zweiten Schritt der PID ausdrücklich, um festzuhalten,
dass diese Schritte unter den näher dargelegten Vorausset-
zungen keine rechtswidrige Straftat darstellen. Die zentrale
Frage der Verwerfung des Embryos hingegen wird in Satz 2
gesondert geregelt. Auf diese Weise wird der ethische
Schwerpunkt des Verfahrens, die Verwerfung – selbstver-
ständlich ebenfalls nur unter bestimmten engen Vorausset-
zungen – als nicht rechtswidrig definiert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ersten Entschei-
dung zum Schwangerschaftsabbruch von 1975 konstatiert,
dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, zum Schutz des
ungeborenen Lebens die gleichen Maßnahmen strafrecht-
licher Art zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung geborener
Menschen für erforderlich hält. Selbst für den Zeitraum
nach der Nidation hat das Bundesverfassungsgericht einen
abgestuften Schutz des Fötus für verfassungsrechtlich ak-
zeptabel gehalten.
Der Tatbestand des Satzes l setzt eine künstliche Befruch-
tung voraus, im fortpflanzungsmedizinischen Sprachge-
brauch eine assistierte Reproduktion, i. d. R. eine IVF. Satz l
bringt zum Ausdruck, dass die künstliche Befruchtung auch
zum Zweck einer genetischen Untersuchung des Embryos
nicht rechtswidrig ist. Die Formulierung „vor der Implanta-
tion … zu untersuchen“, ebenso wie das Wort „um“, halten
ausdrücklich fest, dass nur mit dem Ziel, einen Embryo zu
implantieren und eine Schwangerschaft herbeizuführen, die
ersten beiden Schritte von einem Arzt unternommen werden
können.
Im Übrigen muss die künstliche Befruchtung den für diese
geltenden Vorschriften des ESchG entsprechen, also vor
allem den Regelungen zur Begrenzung der Befruchtungen
und Übertragungen (§ l Abs. l Nr. 3, 4 und 5) und zum Ver-
bot der eigenmächtigen Befruchtung (§ 4 Abs. l Nr. l und
2). Ob die genetische Untersuchung an Zellen des Embryos

Drucksache 15/1234 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

vorgenommen wird, die ihre Totipotenz (§ 8 Abs. l, zweiter
Halbsatz) bereits verloren haben oder nicht, ist dagegen
unerheblich. Ebenso wenig läge beim Abspalten einer noch
totipotenten Zelle für die Diagnostik ein verbotenes Klonen
(§ 6 Abs. l) vor.
Satz l stellt außerdem klar, dass die zu diesem Zweck durch-
geführte IVF nach dem „Stand der Erkenntnisse der medizi-
nischen Wissenschaft“ – in der medizinischen Fachsprache
„lege artis“ – vorzunehmen ist. Dies entspricht der Rege-
lung des Transplantationsgesetzes (TPG), (vgl. etwa § 3
Abs. l Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2).
Der Begriff der „schwerwiegenden Erbkrankheit“ des Kin-
des nimmt auf eine vom ESchG bereits in § 3 Satz 2 ver-
wendete Formulierung Bezug. Unter „Erbkrankheiten“ sind
nach derzeitigem Kenntnisstand der Gendiagnostik mono-
gen bedingte Erkrankungen und Chromosomenstörungen zu
verstehen. „Schwerwiegend“ sind diese insbesondere, wenn
sie sich auf Grund sehr geringer Lebenserwartung, Schwere
des Krankheitsbildes und schlechter Behandelbarkeit von
anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden. Bezüg-
lich der betreffenden Krankheit muss bei dem zu behandeln-
den Paar ein „hohes genetisches Risiko“ vorliegen. Dies ist
eine hohe Wahrscheinlichkeit, die vom üblichen Risiko der
Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich
abweicht. Zum andern ist die Eintrittswahrscheinlichkeit
nach den Gesetzlichkeiten der Übertragbarkeit und Kombi-
nation erblicher Anlagen genetisch einzuschätzen: Eine
Wahrscheinlichkeit von 25 bis 50 % wird als hohes Risiko
bezeichnet. Das „Risiko des Paares“ muss nicht auf einer
Belastung beider Partner beruhen, sondern kann sich auch
bei nur einem Partner ergeben.
Satz 2 regelt die Straffreiheit des Verzichts auf den Transfer
eines Embryos. Wird der geschädigte Embryo „nicht auf die
Frau übertragen“, stirbt er. Diese Aufopferung embryonalen
Lebens lässt Satz 2 deshalb nur dann als „nicht rechtswid-
rig“ zu, wenn sich die Frau – angesichts der Entscheidung
über den Transfer des dann festgestellt geschädigten Em-
bryos in einem Konflikt sieht, der ihr vergleichbar mit der
medizinischen Indikation des § 218a Abs. 2 StGB den Ab-
bruch erlauben würde.
Diese Vergleichbarkeit der Situation in vitro und in vivo legt
es nahe, den Tatbestand des § 3a an die Regelung der Bera-
tungslösung des § 218a Abs. l StGB anzulehnen. Die Quali-
fizierung „rechtswidrig, aber straflos“ wäre als Anknüp-
fungspunkt verfehlt, weil in diesen Fällen das Gesetz auf
eine inhaltlich geprüfte Berechtigung – eine Indikation –
verzichtet und „nur“ einen Beratungsschein verlangt.
Als gesetzgeberischer Anknüpfungspunkt für den § 3a
Abs. l ESchG ist vielmehr § 218a Abs. 2 StGB gewählt
worden, weil hier wie dort (BVerfGE 88, S. 203 ff., 274) das
Vorliegen einer ärztlichen Indikation festgestellt werden
muss. Ebenso wie der Abbruch nach medizinischer Indika-
tion vom Gesetz ausdrücklich als „nicht rechtswidrig“ er-
klärt wird, ist demnach auch die Gesamtmaßnahme der PID
mit der Rechtsordnung vereinbar. Bei § 218a Abs. 2 StGB
erklärt sich die negative Formulierung „nicht rechtswidrig“
aus dem Gegensatz zum rechtswidrigen Abbruch nach Ab-
satz 1. Aus Gründen der Rechtsklarheit und gesetzgeberi-
schen Eindeutigkeit könnte in § 3a die positive Aussage
„handelt rechtmäßig“ gewählt werden. An dieser Stelle
muss jedoch sowohl aus systematischen Gründen, als auch

um unterschiedliche strafrechtliche Interpretationen zu ver-
meiden die Formulierung „nicht rechtswidrig“ gewählt wer-
den.
Zu Absatz 2
Absatz 1 nennt Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten
Ermächtigung, zum Erlass einer Rechtsverordnung, die die
Voraussetzungen festlegt, unter denen die Anwendung einer
PID zulässig ist. Die dabei verwendeten unbestimmten
Rechtsbegriffe bedürfen jedoch für ihre Anwendung in der
Praxis einer Konkretisierung. Darüber hinaus sind den das
Verfahren anwendenden Ärzten möglichst präzise Vorgaben
an die Hand zu geben.
Die Aufzählung der Nummern l bis 7 ist abschließend.
Zu Absatz 3
Der Deutsche Bundestag befasst sich mit der Rechtsverord-
nung nach dieser Vorschrift nur unter bestimmten Voraus-
setzungen. Gemeint ist eine flexible Form der Mitwirkung,
die die Mitwirkung des Deutschen Bundestages immer dann
gewährleistet, wenn er dies für notwendig hält. Wegen der
weitreichenden ethischen Fragestellungen und der vorgetra-
genen Bedenken, ist es geboten, dass der Bundestag das
Recht bekommt, die von den Bundesministerien vorgelegte
Verordnung zu verändern.
Zu Absatz 4
Besonderen Wert legt der Entwurf darauf, dass die PID, die
auch nach einer gesetzlichen und ergänzenden berufsrecht-
lichen Regelung kritisiert werden wird, für alle Beteiligten
– insbesondere den behandelnden Arzt und die behandelte
Frau – freiwillig ist und diese Freiwilligkeit auch rechtlich
abgesichert wird. Dem dient die „Gewissensklausel“ des
Absatzes 4.
Die „freiwillige Mitwirkung“ an Maßnahmen der künstli-
chen Befruchtung ist zwar in § 10 ESchG generell geregelt.
Der Entwurf sieht jedoch aus mehreren Gründen eine geson-
derte Klausel bei der PID vor: Zum einen möchte er bei der
rechtlichen Absicherung dieses Verfahrens die Freiwilligkeit
und deren Schutz besonders hervorheben. Zum anderen er-
scheint der Schutzbereich des § 10 insofern nicht ausrei-
chend, als die geltende Formulierung zumindest nicht aus-
drücklich dafür Sorge trägt, dass der Verzicht auf eine PID
nicht einem Beteiligten später rechtlich zum Nachteil ge-
reicht. Dies soll vor allem für den behandelnden Arzt ausge-
schlossen sein, der sonst – auf Grund der unter dem Stich-
wort „Kind als Schaden“ bekannten Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes – bei Geburt eines genetisch geschädig-
ten Kindes wegen Unterlassung einer nach dem Stand der
Wissenschaft angezeigten PID u. U. auf Schadensersatz ver-
klagt werden könnte. Einem rechtlichen Nachteil soll auch
bei den Eltern vorgebeugt werden, die sich in Kenntnis ihres
hohen genetischen Risikos gegen die Vornahme einer PID
und für eine Schwangerschaft entscheidet. Andernfalls
könnte etwa eine private Lebens- oder Krankenversicherung
möglicherweise bei künftigen Tarifgestaltungen Ausschluss-
tatbestände vorsehen. Zwar sind heute rechtliche Konse-
quenzen dieser Art noch nicht absehbar. Der Gesetzentwurf
versucht jedoch, mit der Gestaltung der Gewissensklausel
auch gesellschaftlichen Trends vorzubeugen, die sich irgend-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/1234

wann sogar zu versicherungsrechtlichen Konsequenzen ver-
dichten könnten.
Satz l entspricht fast wörtlich der generell für die künstliche
Befruchtung, den Embryotransfer und die Kryokonservie-
rung geltenden Freiwilligkeits-Klausel des § 10 EschG. Ein
vergleichbarer, wenn auch begrenzter Schutz gilt für dieMit-
wirkung an einem Schwangerschaftsabbruch (§ 12 Schwan-
gerschaftskonfliktgesetz).
Satz 2 sichert, dass die Klausel auch geeignet ist, den be-
schriebenen rechtlichen Entwicklungen vorzubeugen.
Zu Absatz 5
Auf Grund der neuen Dimensionen, die sich für Eltern mit
der Zulassung der PID bei der Entscheidung über die Geburt
eines Kindes eröffnen, ist es notwendig, dass das Parlament
eine verlässliche Grundlage erhält, um die Praxis der PID
überprüfen zu können. Der jährliche Bericht der Bundesre-
gierung ist notwendig für eine verlässliche Einschätzung der

Konsequenzen einer Anerkennung der PID. Zur Sicherung
des Datenschutzes werden die Daten anonymisiert erfasst
und anonymisiert im Bericht ausgewiesen.

Zu den Nummern 2 und 3 (Arztvorbehalt)
Es handelt sich um Folgeänderungen für die Vorschriften
des ESchG über den Arztvorbehalt und dessen Bewehrung
(§§ 9 und 11). Die Durchführung der PID soll Ärzten vorbe-
halten bleiben, da schon für die künstliche Befruchtung der
Arztvorbehalt gilt.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Im Hinblick auf die Vorbereitungsarbeiten, welche die zu-
ständigen Bundesministerien auf Grund von § 3a Abs. 2 für
den Erlass der ihnen obliegenden Rechtsverordnung zu leis-
ten haben, soll das Gesetz nicht bereits am Tag nach der
Verkündung, sondern erst zum 1. Juli 2004 in Kraft treten.

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