BT-Drucksache 15/1219

Rechtsicherheit für biotechnologische Erfindungen durch schnelle Umsetzung der Biopatentrichtlinie

Vom 25. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1219
15. Wahlperiode 25. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Rainer Funke, Ulrike Flach, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Christoph Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion der FDP

Rechtssicherheit für biotechnologische Erfindungen durch schnelle Umsetzung
der Biopatentrichtlinie

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die EU-Richtlinie 98/44 über den Schutz biotechnologischer Erfindungen
verfolgt den Zweck, bestimmte Grundsätze des Patentrechts im Bereich der
biotechnologischen Erfindungen zu präzisieren und damit die Entwicklung bio-
technologischer Erfindungen zu fördern. Die Richtlinie sieht nicht die Einfüh-
rung eines neuen Rechts vor, sondern vielmehr eine Anpassung und Ergänzung
des bestehenden Rechts mit dem Ziel, zur Einheitlichkeit eines europäischen
Patentrechts zu gelangen. Insbesondere soll die europäische Patentierungs-
praxis harmonisiert werden. Gerade im Bereich der Innovationstechnologie
Biomedizin ist ein uneingeschränkt geltendes Gemeinschaftspatent ein wich-
tiges Ziel.
Die Richtlinie hätte bis zum 30. Juli 2000 in nationales Recht umgesetzt wer-
den müssen. Bisher sind dieser Verpflichtung nur 6 Länder nachgekommen.
Deutschland hat die Richtlinie bislang nicht umgesetzt. Die Europäische Kom-
mission hat daher gegen die Länder, die der Umsetzungspflicht nicht nachge-
kommen sind, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG-Vertrag
eingeleitet.
Ein einheitliches europäisches Patenrecht für biotechnologische Erfindungen
eröffnet große Chancen für die Forschung, sowohl bei der Suche nach Ursa-
chen von Krankheiten und neuen Therapiemöglichkeiten als auch bei der Suche
nach gesunden pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln für die Sicherung
der Nahrungsgrundlagen der Menschen. Solche Investitionen leisten nur in ge-
ringem Umfang der Staat oder von ihm ausgestattete Gesellschaften und Insti-
tute. Der allergrößte Teil von Forschungsmitteln wird von Privatunternehmen
aufgebracht. Auf dem Feld der Biomedizin gibt es aber ohne wirksamen Patent-
schutz keine wissenschaftliche Forschung und keinen therapeutischen Fort-

Drucksache 15/1219 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

schritt. Die Entwicklung und Vermarktung von Produkten im Biotechnologie-
sektor benötigt einen verlässlichen Rechtsrahmen. Die Umsetzung der EU-
Richtlinie liegt nicht nur im Interesse weltweit operierender Pharma-Konzerne.
Gerade junge innovative Start-Up-Unternehmen haben ohne Patente nicht die
geringsten Entwicklungschancen. Der Patentschutz sichert die Forschungser-
gebnisse und schafft damit die Voraussetzung für Kooperationen mit anderen
Unternehmen und den Zugang zu Risikokapital.
Es entspricht bereits heute der internationalen Rechtspraxis, dass der Stoff-
schutz im Biotechnologiebereich umfassend gewährleistet wird. Für chemische
Stoffe ist der absolute Patentschutz in Deutschland von der Rechtsprechung
wiederholt bestätigt worden. Die EU-Biopatentrichtlinie stellt diese Grundsätze
nicht in Frage, sondern geht vielmehr davon aus, dass der absolute Stoffschutz
auch für Stoffpatente biotechnologischer Erfindungen gelten muss. Die Kritik,
die Patentierung von Gensequenzen und sämtlicher ihrer zahlreichen Funktio-
nen sei zu weitreichend, überzeugt nicht. Es werden hohe Anforderungen an
die Patentierungsvoraussetzungen, insbesondere an die Erfindungshöhe, zu
stellen sein. Die Richtlinie sieht vor, dass die gewerbliche Anwendbarkeit einer
Funktion bereits mit der Patentanmeldung und nicht erst im Laufe des Paten-
tierungsverfahrens konkret dargelegt werden muss. Spekulative Patentanmel-
dungen werden damit ausgeschlossen.
Die Forschung im Bereich der Biotechnologie ist nach wie vor sehr teuer. In-
vestitionen lohnen sich daher nur, wenn die hohen Ausgaben für die Forschung
über die Patente wieder eingespielt werden. Nur durch einen umfassenden
Stoffschutz werden notwendige Investitionen angeregt, die zur Schaffung von
Arbeitsplätzen und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen
Union im Bereich der Biotechnologie dringend notwendig sind. Die Europäi-
sche Kommission schätzt, dass der europäische Biotechnologiemarkt bis 2005
ein Volumen von über 100 Mrd. Euro erreichen könnte. Solange die EU-Richt-
linie nicht europaweit umgesetzt ist, ist zu befürchten, dass der europäische
Biotechnologiesektor im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig
sein wird. Bei weiteren Verzögerungen bei der Umsetzung der EU-Richtlinie
droht die Europäische Union den Anschluss an die Konkurrenz im Amerika
und Asien zu verlieren. Seit 1998 ist die Zahl der Feldversuche mit gentech-
nisch veränderten Organismen in der EU bereits um 76 % zurückgegangen.
Im Bereich der Pflanzenzüchtung muss weiterhin der Sortenschutz das klassi-
sche und primäre Schutzrecht sein. Dieser muss gestärkt und darf vom Patent-
schutz nicht unterlaufen werden. Beide Schutzrechtsarten müssen nebeneinan-
der existieren, wobei ihr Verhältnis zueinander geregelt werden muss. Im Be-
reich des Sortenschutzes ermöglicht das Züchterprivileg einen kontinuierlichen
Züchtungsfortschritt, der zur Sicherung einer nachhaltigen Landwirtschaft bei-
trägt. Es muss sichergestellt sein, dass der Umgang mit Pflanzenmaterial, das
patentierte Eigenschaften enthält, zum Zweck der Züchtung neuer Sorten bis
zur Beantragung der Sortenzulassung frei ist. Dies kann durch eine Erweiterung
des bereits heute im Patentgesetz vorhandenen Versuchsprivilegs erreicht wer-
den. Weiterhin muss der Nachbau von Sorten mit patentierten Eigenschaften
geregelt werden.
Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt verkündet, dass die Richtlinie in
völligem Einklang mit den Grundprinzipien der Achtung der Menschenwürde
und der Unversehrtheit der Person steht. Die Richtlinie selbst definiert dabei
die ethischen Grenzen der Patentierbarkeit von biologischem Material. Sie ent-
hält dazu klare Bestimmungen, die die Achtung der Menschenwürde sicherstel-
len. Ausgenommen von der Patentierbarkeit sind daher z. B. Verfahren zum
Klonen von Menschen oder zur Veränderung ihrer genetischen Identität, die
Verwendung menschlicher Embryonen für industrielle Zwecke und Verfahren
zur Änderung der genetischen Identität von Tieren, die den Tieren Leiden brin-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1219

gen können, ohne von wesentlichem medizinischem Nutzen zu sein. Es bleibt
dabei: Es gibt kein Patent auf Leben. Die Richtlinie nimmt auch ausdrücklich
Endeckungen von der Patentierbarkeit aus. Patentierbar sind nur Erfindungen,
die die Anwendungen einer Erkenntnis auf technischem Gebiet beinhalten. Das
geltende Patentrecht wird insoweit nicht geändert.
Nachdem das Gesetzgebungsverfahren in der 14. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages gescheitert und eine Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie nicht
erfolgt ist, kann sich Deutschland keine weiteren Verzögerungen leisten. In den
vergangenen Jahren hat es eine ausführliche und grundlegende Diskussion über
die EU-Biopatentrichtlinie gegeben. Insbesondere in den Beratungen der
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ hat das Thema
Biopatente einen großen Raum eingenommen. Die Enquete-Kommission hat in
einem Zwischenbericht (Bundestagsdrucksache 14/5157) Handlungsempfeh-
lungen für den Gesetzgeber vorgelegt. Nun muss endlich entschieden werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
unverzüglich dem Deutschen Bundestag ein Gesetz vorzulegen, mit dem die
EU-Richtlinie 98/44 über den Schutz biotechnologischer Erfindungen 1:1 in
nationales Recht umgesetzt wird.

Berlin, den 24. Juni 2003
Rainer Funke
Ulrike Flach
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann (Homburg)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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