BT-Drucksache 15/1218

Nachtragshaushalt umgehend vorlegen

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1218
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Dietrich Austermann, Friedrich Merz, Volker Kauder, Steffen
Kampeter, Bernhard Kaster, Ilse Aigner, Norbert Barthle, Jochen Borchert,
Manfred Carstens (Emstek), Albrecht Feibel, Herbert Frankenhauser, Jochen-
Konrad Fromme, Hans-Joachim Fuchtel, Susanne Jaffke, Bartholomäus Kalb,
Dr. Michael Luther, Kurt J. Rossmanith, Georg Schirmbeck, Antje Tillmann,
Klaus-Peter Willsch und der Fraktion der CDU/CSU

Nachtragshaushalt umgehend vorlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nur zwei Monate nach Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2003 im April
musste die Regierung den haushalts- und finanzpolitischen Offenbarungseid
leisten. Die Nettoneuverschuldung wird in diesem Jahr mit rund 40 Mrd. Euro
mehr als doppelt so hoch ausfallen wie ursprünglich geplant. Damit hat Rot-
Grün eine der höchsten Neuverschuldungen in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland zu verantworten.
Das Rekorddefizit wird im Wesentlichen durch massive Steuermindereinnah-
men und explodierende Ausgaben zur Finanzierung der gestiegenen Arbeits-
losigkeit verursacht:
l Bei den Steuereinnahmen allein des Bundes ist ein Minus von rund 7 Mrd.

Euro zu verkraften.
l Der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit wird rund 10 Mrd. Euro aus-

machen.
l Die Mehrausgaben bei der Arbeitslosenhilfe werden voraussichtlich 2 Mrd.

Euro betragen.
l In den Rentenkassen droht ein massives Liquiditätsproblem.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung mit 0,75 Prozent von einem zu positi-
ven realen Wirtschaftswachstum ausgegangen. Die tatsächliche Entwicklung
des Bruttoinlandsproduktes in der ersten Jahreshälfte deutet dagegen darauf
hin, dass die Wirtschaft auch in 2003 stagnieren wird, wodurch weitere Belas-
tungen auf den Haushalt zukommen werden.
Die Bundesregierung hat die Ziele ihrer Haushalts- und Finanzpolitik völlig
verfehlt. Wie schon im Vorjahr wird der Haushalt – unter Einschluss des ange-
kündigten Nachtrags – verfassungswidrig sein und maßgeblich dazu beitragen,
dass die Grenzen des Europäischen Stabilitätspaktes im zweiten Jahr in Folge
nicht eingehalten werden. Die Kreditermächtigungen des Bundes werden für
ein zusätzliches Defizit von rund 20 Mrd. Euro in diesem Jahr nicht ausreichen.
Die Bundesregierung muss umgehend einen Nachtragshaushalt einbringen, um

Drucksache 15/1218 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Einnahmen und Ausgaben wahrheitsgemäß und vollständig darzustellen und
die Nettoneuverschuldung in dem aus heutiger Sicht tatsächlich erforderlichen
Umfang zu erhöhen. Die Bundesregierung will einen Nachtragshaushalt jedoch
erst im Spätherbst aufstellen. Damit verstößt sie gegen die Vorgaben des
Grundgesetzes in mehrfacher Hinsicht:
1. Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister der Finanzen, ver-

letzt in gravierender Weise die Haushaltsgrundsätze von Vorherigkeit, Wahr-
heit, Klarheit und Vollständigkeit (Artikel 110 Abs. 1 und 2 GG). Vor allem
der Grundsatz der Vorherigkeit sichert die Funktion des Haushaltes als Pla-
nungsinstrument. Öffentliche Äußerungen des Bundeskanzlers und des
Bundesministers der Finanzen haben erkennen lassen, dass der derzeitige
Bundeshaushalt während des Vollzugs in Einnahmen und Ausgaben in zwei-
stelliger Milliardenhöhe abweichen wird. Wenn in dieser Situation kein
Nachtragshaushalt vorgelegt wird, ist dies ein gravierender Missbrauch des
Budgetinitiativmonopols der Bundesregierung. Dieses Initiativmonopol kor-
reliert mit der Verpflichtung, das Haushaltsverfahren so rechtzeitig einzulei-
ten, dass es noch dem Grundsatz der Vorherigkeit entspricht. Verstöße gegen
die Grundsätze von Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit liegen insbeson-
dere vor
l bei der entgegen den Annahmen der meisten Sachverständigen von Be-

ginn an wesentlich zu hoch geschätzten Steuereinnahmen,
l bei der Veranschlagung von 2 125 000 T Euro zusätzlicher Einnahmen

aufgrund des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit,
l bei der Nichtveranschlagung von Zuschussmitteln an die Bundesanstalt

für Arbeit.
2. Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister der Finanzen, ver-

stößt gegen die Begrenzung der Nettoneuverschuldung auf die Höhe der
Investitionen (Artikel 115 GG). Die Bundesregierung beruft sich auf die für
den Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beste-
hende Ausnahmeregelung. Die Inanspruchnahme des Artikels 115 Abs. 1
Satz 2 zweiter Halbsatz GG ist erstens nicht nur zulässig, wenn das gesamt-
wirtschaftliche Gleichgewicht bereits ernsthaft und nachhaltig gestört ist,
sondern schon dann angezeigt, wenn eine solche Störung unmittelbar droht,
also belegbar prognostiziert werden kann. Dass auch in 2003 eine Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegen würde, ist bei der
Verabschiedung des Haushaltes 2003 im März offenkundig gewesen. Die
Berufung auf die Ausnahmeregelung darf nicht dazu dienen, lediglich zum
Jahresende den Haushaltsausgleich zu gewährleisten und das Rechnungs-
ergebnis glatt zu ziehen. Die Erhöhung der Nettoneuverschuldung muss
zweitens zur Abwehr der Störung geeignet und bestimmt sein. Die Bundes-
regierung hat anhand der Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichge-
wichts darzulegen, in welcher Weise, d. h. nach Umfang und Verwendung,
die erhöhte Nettoneuverschuldung dieser Störung entgegen wirkt. Wird die
Erhöhung der Neuverschuldung erst zum Jahresende vollzogen, kann sie
diesem verfassungsrechtlichen Gebot nicht mehr Rechnung tragen.

Wird der Nachtragshaushalt erst zum Jahresende vorgelegt, verliert der Haus-
halt insgesamt seine Funktion als Planungs- und Kontrollinstrument. Damit
nimmt die Bundesregierung dem Haushaltsgesetzgeber jegliche politische Ge-
staltungskraft und degradiert den Haushalt zu einem reinen Vollzugsinstrument.
Die Art und Weise des von der derzeitigen Bundesregierung praktizierten
Haushaltsverfahrens mit mehrfachen Verfassungsverstößen ist letztlich eine
Aushöhlung des Budgetrechtes, also des klassischen Parlamentsrechtes zur
Kontrolle der Regierung.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1218

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l unverzüglich einen Nachtragshaushalt in den Deutschen Bundestag einzu-

bringen, der die aus heutiger Sicht wahrscheinliche Entwicklung der Einnah-
men und Ausgaben erfasst und die zu erwartende Neuverschuldung realis-
tisch abbildet. Nur so kann die Bundesregierung den Haushaltsgrundsätzen
von Wahrheit, Vorherigkeit und Vollständigkeit gerecht werden,

l den allgemeinen Staatsverbrauch (z. B. sächliche Verwaltungsausgaben) mit
einer Haushaltssperre zu belegen,

l mit dem Nachtragshaushalt, bzw. spätestens nach der Sommerpause, ein
umfassendes Haushaltssicherungsgesetz einzubringen, mit dem staatliche
Leistungen, etwa im Bereich der Subventionen, deutlich zurückgeführt
werden.

Berlin, den 24. Juni 2003
Dietrich Austermann
Friedrich Merz
Volker Kauder
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Ilse Aigner
Norbert Barthle
Jochen Borchert
Manfred Carstens (Emstek)
Albrecht Feibel
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb
Dr. Michael Luther
Kurt J. Rossmanith
Georg Schirmbeck
Antje Tillmann
Klaus-Peter Willsch
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.