BT-Drucksache 14/9671

Qualitätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr- Verbraucherschutz und Kundenrechte stärken

Vom 2. Juli 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9671
14. Wahlperiode 02. 07. 2002

Antrag
der Abgeordneten Gustav Herzog, Doris Barnett, Rainer Brinkmann (Detmold),
Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, Annette Faße, Iris Follak, Norbert
Formanski, Iris Gleicke, Klaus Hasenfratz, Reinhold Hemker, Reinhold Hiller
(Lübeck), Barbara Imhof, Gabriele Iwersen, Ilse Janz, Marianne Klappert, Ute
Kumpf, Konrad Kunick, Dr. Christine Lucyga, Dieter Maaß (Herne), Heide
Mattischeck, Holger Ortel, Karin Rehbock-Zureich, Karsten Schönfeld, Reinhard
Schultz (Everswinkel), Wieland Sorge, Wolfgang Spanier, Rita Streb-Hesse,
Reinhold Strobl (Amberg), Jella Teuchner, Reinhard Weis (Stendal), Matthias
Weisheit, Lydia Westrich, Dr. Margrit Wetzel, Heino Wiese (Hannover), Waltraut
Wolff (Wolmirstedt), Heidemarie Wright, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Qualitätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr –
Verbraucherschutz und Kundenrechte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der öffentliche Personenverkehr leistet einen wichtigen Beitrag für die Mobili-
tät in Deutschland. Mobil sein bedeutet für Menschen ein hohes Maß an Frei-
heit und Lebensqualität, insbesondere für viele Berufspendler, für die Freizeit-
und Urlaubsgestaltung. Der öffentliche Personenverkehr entlastet die Straßen
und Ballungsräume; er ist – neben dem Fahrradverkehr – eine umweltfreund-
liche Alternative zum motorisierten Individualverkehr.
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen verfolgen das Ziel, mit einer Quali-
tätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr die öffentlichen Verkehrssys-
teme zuverlässiger, schneller, behindertengerechter und attraktiver zu gestalten.

Der Deutsche Bundestag stellt außerdem fest:
– dass das Genehmigungsverfahren von Beförderungsbedingungen und Tari-

fen nach § 12 Abs. 5 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) bereits heute eine
Rechtmäßigkeitskontrolle im Verhältnis zu den maßgeblichen Verbraucher-
schutznormen, namentlich auch der seit dem 1. Januar 2002 im Bürgerlichen
Gesetzbuch integrierten Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen (§§ 305 ff. BGB) einschließt,

– dass das rechtliche Verhältnis zwischen Bahnkunden und Verkehrsunterneh-
men bereits heute durch einen bürgerlich-rechtlichen Beförderungsvertrag
charakterisiert und damit zivilrechtlicher Natur ist, ohne dass es durch die

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parallel geltenden Spezialvorschriften im AEG und der Eisenbahnverkehrs-
ordnung maßgebliche Einschränkungen der Fahrgastrechte gibt,

– dass der Fahrgast bereits heute einen unmittelbar durchsetzbaren Anspruch
auf Beförderung hat, was sich aus § 10 AEG ergibt, so dass die Beförderung
nicht ohne zwingende Gründe verweigert werden kann,

– dass der Fahrgast außerdem ein Recht zum Rücktritt hat, wenn er bei einem
Anschlussversäumnis infolge Verspätung oder Zugausfall auf die Weiter-
fahrt verzichten möchte, wobei er den Fahrpreis für die nicht durchfahrene
Strecke zurückverlangen kann,

– dass der Fahrgast alternativ entgeltfrei mit dem nächsten günstigen Zug des-
selben Anbieters zum Ausgangsbahnhof zurückkehren und Erstattung des
gezahlten Fahrpreises verlangen kann,

– dass auch eine Haftung für die Weiterbeförderung insoweit besteht, als der
Fahrgast bereits derzeit seine Reise ohne zusätzliches Entgelt mit einem an-
deren Zug desselben Anbieters fortsetzen kann,

– dass der Fahrgast außerdem bereits heute denjenigen, in dessen Namen die
Fahrkarte verkauft worden ist, in Anspruch nehmen kann, da dieser sein
Vertragspartner ist,

– dass Preisangaben von Verkehrsunternehmen, die ihre Leistungen im Wett-
bewerb anbieten wollen, zur Einsicht angeboten und veröffentlicht werden
müssen und

– dass im Zuge der Bahnreform und der Regionalisierung des öffentlichen
Personennahverkehrs (ÖPNV) bereits Verbesserungen von Quantität und
Qualität des öffentlichen Personenverkehrs eingetreten sind.

Gleichwohl wird der öffentliche Personenverkehr von vielen Menschen noch
immer nicht als ausreichende Alternative zum motorisierten Individualverkehr
wahrgenommen. Verbesserte Leistungs- und Serviceangebote der Verkehrsun-
ternehmen können die Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs steigern
und damit die Kundennachfrage zusätzlich erhöhen.
Deshalb gilt es, neue Ansätze für eine Verbesserung der Qualitätsstandards im
öffentlichen Personenverkehr zu finden, um erforderliche Maßnahmen für eine
Stärkung des Verbraucherschutzes und der Kundenrechte auf den Weg zu brin-
gen.
Dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass Defizite bei den Fahrgastrechten
der Kunden im öffentlichen Personenverkehr im Sinne heutiger Standards von
Verbraucherrechten behoben werden. Insbesondere wird der § 17 EVO als eine
Einschränkung originärer Verbraucherrechte bewertet.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Eckpunktepapier vom Mai 2000 über einen
attraktiven und leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr ihre Vorstel-
lungen über die Qualitätsoffensive im Bahn- und Busverkehr vorgelegt. Der
Schwerpunkt dieser Offensive richtete sich insbesondere an die Verkehrsunter-
nehmen mit der Forderung nach einer stärkeren Ausrichtung auf die Bedürf-
nisse der Kunden. In diesem Zusammenhang sprach sich die Bundesregierung
für eine stärkere Wettbewerbsorientierung und für verlässliche finanzielle Rah-
menbedingungen zugunsten des ÖPNV aus.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist mit der vom Deutschen Bundestag
und Bundesrat beschlossenen Novelle des Regionalisierungsgesetzes getan.
Danach werden die Mittel für den ÖPNV der Länder auf Rekordniveau angeho-
ben. Länder, ÖPNV-Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen erhalten damit
eine verlässliche und planbare Finanzausstattung, die es ihnen gestattet, die
Qualität und Attraktivität des ÖPNV für die Kunden nachhaltig zu verbessern.

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Zugleich haben Bundesregierung und Koalitionsfraktionen mit der Einführung
der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale in das Einkommensteu-
ergesetz ab dem Jahr 2001 die Nachfrage nach Verkehrsleistungen im ÖPNV
zusätzlich gestärkt: Bahn und Bus fahren lohnt sich auch steuerlich für Pendle-
rinnen und Pendler.
Verkehrsunternehmen des öffentlichen Personenverkehrs nicht nur im intra-
modalen Wettbewerb, sondern sind in hohem Maße dem Wettbewerb mit ande-
ren Verkehrsträgern wie z. B. dem PKW und zunehmend auch dem Luftverkehr
ausgesetzt. Auch deswegen sollen Verbraucherschutz und Kundenrechte einer
umfassenden Bestandsaufnahme unterzogen werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
dass die Bundesregierung erste Schritte unternommen hat, um die Angleichung
von Kundenrechten zwischen den Verkehrsträgern zu verbessern. Im „2. Gesetz
zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften“, das am 1. August 2002
in Kraft tritt, wird beispielsweise bei den Haftungsgrenzen nicht mehr zwischen
den einzelnen Verkehrsträgern unterschieden. Außerdem sind in diesem Gesetz
die geltenden Haftungshöchstgrenzen verdoppelt worden. Schließlich führt
dieses Gesetz erstmalig einen verschuldensunabhängigen Schmerzensgeld-
anspruch auch bei der Vertragshaftung ein.
Das Gesetz „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ beinhaltet den
Anspruch auf einen barrierefreien Zugang zum öffentlichen Personenverkehr
(Artikel 1 Teil 2 Kapitel 13 SGB IX neu).
Mit der Umsetzung des von der Bundesregierung unterzeichneten Protokolls
betreffend der „Änderung des Übereinkommens über den internationalen Ei-
senbahnverkehr (COTIF)“ in nationales Recht ist eine Erstattung der Über-
nachtungskosten für den Fall geregelt, dass eine Reise nicht mehr am selben
Tag fortgesetzt werden kann.
Mit dem Unterlassungsklagegesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist,
wird den Verbraucherzentralen ein Recht zum Einklagen von individuellen An-
sprüchen von Verbrauchern – auch im Verkehrsbereich – eingeräumt.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
im Rahmen einer „Qualitätsoffensive Öffentlicher Personenverkehr“ eine um-
fassende Bestandsaufnahme unter Einbeziehung der Verkehrsunternehmen,
Verbraucher- bzw. Fahrgastverbände vorzunehmen und daraus sich für den
Bundesgesetzgeber ergebende Vorschläge für ein zeitgemäßes und verbrau-
cherorientiertes Fahrgastrecht vorzulegen.
Dabei sollen folgende Eckpunkte berücksichtigt werden:
– Verbesserung der haftungsrechtlichen Situation von Fahrgästen gegenüber

Verkehrsunternehmen bei mangelhaften Leistungen,
– Orientierung der Fahrgastrechte im öffentlichen Bus- und Schienenverkehr

an den für den Luftverkehr jeweils geltenden Standards mit dem Ziel der
Anpassung auf dem höchstmöglichen Kundenschutzniveau,

– Orientierung der Fahrgastrechte im öffentlichen Bus- und Schienenverkehr
an den in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltenden
Vorschriften mit dem Ziel einer Harmonisierung auf dem höchsten Verbrau-
cherschutzniveau,

– Bereitstellung umfassender Fahrplanauskünfte im jeweiligen Verkehrsbe-
reich auch über die Angebote konkurrierender Verkehrsunternehmen,

Drucksache 14/9671 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
– Einrichtung und Förderung unabhängiger Schlichtungsstellen zur unbüro-
kratischen und vereinfachten Regelung von Verbraucheransprüchen,

– Durchsetzung besserer Verbraucherrechte bei internationalen Abkommen im
Verkehrssektor.

Berlin, den 2. Juli 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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