BT-Drucksache 14/9260

zu dem Gesetzentwurf der Abg. Bachmaier, Schmidt, Struck und der SPD sowie der Abg. Häfner, Özdemir, Schewe-Gerigk, und der Fraktion BÜ90 -14/8503- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz

Vom 5. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9260
14. Wahlperiode 05. 06. 2002

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Gerald Häfner, Cem Özdemir, Irmingard Schewe-Gerigk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 14/8503 –

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren
und Volksentscheid in das Grundgesetz

A. Problem
Die im Grundgesetz festgelegte parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat
sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch auch der Wunsch nach
stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung. In den letzten Jahren wurden
die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Ebene der Bundeslän-
der deutlich ausgebaut. Die Erfahrungen damit waren positiv. Laut Artikel 20
Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen
und Abstimmungen ausgeübt. Durch neue direkte Beteiligungsrechte der Bür-
gerinnen und Bürger soll das parlamentarisch-repräsentative System unserer
sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie nun ergänzt, jedoch nicht ersetzt
werden. Zusätzliche Beteiligungsrechte bringen auch mehr Verantwortung für
die Bürgerinnen und Bürger bei der Entscheidung wichtiger Sachfragen. Inte-
resse und Engagement für eine verantwortliche Willensbildung werden ver-
stärkt. Dies belebt die Demokratie insgesamt und macht sie für die Menschen
auch attraktiver. Neue Beteiligungsrechte müssen sich ebenso wie parlamen-
tarische Initiativen und Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränder-
lichen Grundentscheidungen der Verfassung und den übrigen verfassungsrecht-
lichen Bestimmungen ausrichten und der Kontrolle durch das Bundesverfas-
sungsgericht unterliegen.

B. Lösung
Das Grundgesetz wird ergänzt bzw. geändert durch die Einführung der unmit-
telbaren Bürgerbeteiligung durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid auch auf Bundesebene.
Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP

Drucksache 14/9260 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen
Beibehaltung der bisherigen Verfassungslage.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
2. Vollzugsaufwand
Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide führen zu Durchfüh-
rungskosten beim Bund, vor allem aber bei den Ländern und Gemeinden, die
der Bund zu erstatten hat. Hierzu gehören u. a. Kosten der Prüfung der Stimm-
berechtigung, von öffentlichen Bekanntmachungen, Druckkosten, Kosten für
die Versendung von Abstimmungsbenachrichtigungen, Kosten der Feststellung
von Abstimmungsergebnissen. Die Höhe der entstehenden Kosten ist vor allem
davon abhängig, in welchem Umfang die Bevölkerung die neuen Beteiligungs-
rechte nutzen wird.

E. Sonstige Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9260

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8503 mit folgenden Maßgaben, im Übri-
gen unverändert, anzunehmen:

1. Die Überschrift des Gesetzes wird wie folgt gefasst:
„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung von
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz)“.

2. Die Überschrift nach Artikel 1 wird wie folgt gefasst:
„Änderung des Grundgesetzes“.

3. In Artikel 1 wird vor Nummer 1 der folgende äußere Rahmentext eingefügt:
„Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundes-

gesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1 veröffentlichten bereinig-
ten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 26. November 2001
(BGBl. I S. 3219), wird wie folgt geändert:“.

4. In Artikel 1 Nr. 3 wird Artikel 82a Abs. 2 Satz 2 wie folgt gefasst:
„Ausgeschlossen sind Volksinitiativen über das Haushaltsgesetz, über Abga-
bengesetze sowie über eine Wiedereinführung der Todesstrafe.“

5. Artikel 2 wird wie folgt gefasst:
„Artikel 2

(Inkrafttreten)
Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des sechsten auf die Verkündung folgen-

den Kalendermonats in Kraft.“

Berlin, den 5. Juni 2002

Der Innenausschuss
Ute Vogt (Pforzheim)
Vorsitzende

Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Berichterstatter

Gerald Häfner
Berichterstatter

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Drucksache 14/9260 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Gerald Häfner, Dr. Max Stadler und Ulla Jelpke

I. Zum Verfahren
1. Allgemein
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8503 wurde in der
227. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. März 2002
an den Innenausschuss federführend sowie an den Aus-
schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
und den Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen.
2. Voten der mitberatenden Ausschüsse
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung hat in seiner 64. Sitzung am 16. Mai 2002
mit den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU bei Abwesenheit der Fraktionen der FDP und PDS
empfohlen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8503 mit
der Maßgabe anzunehmen, dass der in Artikel 1 Nr. 3 vorge-
schlagene Artikel 82a Abs. 2 wie folgt gefasst wird:

„(2) Finanzwirksame Volksinitiativen sind zulässig. Aus-
geschlossen sind Volksinitiativen über das Haushaltsgesetz,
über Abgabengesetze sowie über eine Wiedereinführung der
Todesstrafe.“
Der Rechtsausschuss hat in seiner 130. Sitzung am 5. Juni
2002 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP empfohlen, dem Gesetzentwurf in
der Fassung der Änderungsanträge der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Ausschussdrucksache
14/843 des federführenden Ausschusses zuzustimmen.
Der Rechtsausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen
SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS
gegen die Stimmen der Fraktion der FDP empfohlen, den
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Ausschuss-
drucksache 14/841 abzulehnen.
3. Beratungen im federführenden Ausschuss
a) Der Innenausschuss hat in seiner 91. Sitzung am

20. März 2002 einvernehmlich beschlossen, eine öffent-
liche Anhörung zum Entwurf des Gesetzes zur Einfüh-
rung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid in das Grundgesetz durchzuführen.
Die öffentliche Anhörung hat der Innenausschuss in sei-
ner 94. Sitzung am 19. April 2002 durchgeführt.
Auf das Protokoll der Anhörung, an der sich 10 Sachver-
ständige beteiligt haben, wird hingewiesen.
Der Innenausschuss hat nach der Anberatung in der
97. Sitzung am 15. Mai 2002 in seiner 98. Sitzung am
5. Juni 2002 den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8503
abschließend beraten. Als Ergebnis der Beratungen
wurde der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8503 in der
Fassung des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP angenommen.

Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Aus-
schussdrucksache 14/843 wurde mit dem gleichen Stim-
menergebnis angenommen.
Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Aus-
schussdrucksache 14/841 wurde mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei
Stimmenthaltung der Fraktion der PDS abgelehnt.

b) Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Aus-
schussdrucksache 14/841 hat folgenden Wortlaut:
1. Die Überschrift lautet neu: „Entwurf eines Gesetzes

zur Einführung der Volksinitiative in das Grund-
gesetz“.

2. Artikel 1 wird wie folgt geändert:
a. Die Überschrift lautet nunmehr: „Änderung des

Grundgesetzes (Einführung der Volksinitiative)“.
b. Ziffer 2 entfällt.
c. Ziffer 3 lautet neu: „Nach Artikel 82 wird fol-

gende Vorschrift eingefügt:
Artikel 82a (Volksinitiative)
400 000 Stimmberechtigte können den Bundestag
mit einer mit Gründen versehenen Vorlage befas-
sen. Die Vertrauensleute der Volksinitiative haben
ein Recht auf Anhörung.“

II. Zur Begründung
Die Fraktion der SPD betont, dass es in der gewachsenen
Demokratie der Bundesrepublik Deutschland nun an der
Zeit sei, dem Volk das notwendige Maß an direkten Mitbe-
stimmungsmöglichkeiten einzuräumen. Der Wunsch hier-
für sei vielfach vorhanden, daher müsse eine Ergänzung
der parlamentarischen Demokratie um die Elemente der
Volksinitiative, des Volksbegehrens und des Volksent-
scheids verbunden mit einem entsprechenden Katalog zu
Quoren und Ausnahmen vorgenommen werden. Dieses
Vorhaben sei auch bei den Sachverständigen im Rahmen
der Anhörung des Innenausschusses auf große Zustim-
mung gestoßen. Der Änderungsantrag greife daher auch
deren Empfehlungen zu Ausnahmetatbeständen auf. Ent-
scheidend sei, grundsätzlich eine breite Einigung über die
Einführung dieser Elemente – auch nötigenfalls schritt-
weise – zu erzielen.
Die Fraktion der CDU/CSU hebt hervor, dass sie keine
grundsätzlichen Vorbehalte gegen mehr unmittelbare Mit-
bestimmungsmöglichkeiten habe, allerdings sei die Zeit bis
zur Bundestagswahl im September 2002 zu kurz, um so
wesentliche Veränderungen des Grundgesetzes vorzuneh-
men. Es sei notwendig, die insbesondere durch Sachver-
ständige auf der Anhörung geäußerte Kritik an wesent-
lichen Punkten des Gesetzentwurfs ausführlich zu beraten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9260

Der vorliegende Entwurf könne von der Fraktion der CDU/
CSU insbesondere wegen seiner verfassungswidrigen Ein-
schränkung der Länderrechte nach Artikel 79 Abs. 3 GG
zur Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes nicht
mitgetragen werden. Überdies verletzten die vorgesehenen
Quoren ein Grundprinzip der Demokratie: das Mehrheits-
prinzip. Deshalb solle erst in der nächsten Legislaturperi-
ode darüber befunden werden.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN führt aus, die
Ergänzung des Grundgesetzes sei schon in Artikel 20
Abs. 2 GG selbst angelegt. Volksinitiativen, Volksbegeh-
ren und Volksentscheide hätten sich in den Ländern be-
währt und wirkten grundsätzlich stabilisierend in einer De-
mokratie. Mehr Mitsprache des Volkes erhöhe das Engage-
ment der Bürger sowie deren Identifikation mit dem Ge-
meinwesen ebenso wie die Akzeptanz von Gesetzen, mehr
als vier Fünftel der Bevölkerung wünsche sich dies auch.
Auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union wür-
den ein Mehr an direkter Mitbestimmung kennen. Wichtig
sei, dass durch die Verfahrensgestaltung, die Hürden, Fris-
ten und die Regelungen zur Beteiligung der Länder sowie
die Ex-ante-Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts die
rechtliche und tatsächliche Anwendbarkeit des Artikels 82a
GG gewährleistet sei. Ein Mehr an Mitbestimmung trete
zudem Politik- und Parteienverdrossenheit sowie Protest-
wahlverhalten entgegen.

Die Fraktion der FDP spricht sich dafür aus, zunächst
die Volksinitiative zu realisieren. Verfassungsgesetz-
gebung sei konsensorientierte Gesetzgebung, wobei die
Volksinitiative ein erster wünschenswerter Schritt auf dem
Weg zu mehr direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten sei.
Insgesamt sei dieses Ziel jedoch nicht durch Elemente
einer „Volksgesetzgebung“ zu erreichen, es unterscheide
sich auf Bundesebene von kommunalen Mitbestimmungs-
möglichkeiten. Das Grundgesetz sei vorwiegend an einer
repräsentativen Demokratie orientiert. Diese könne nur be-
hutsam ergänzt werden. Entscheidend sei, einen breiten
Konsens für eine Verfassungsänderung zu erzielen.
Die Fraktion der PDS bedauert unter Hinweis auf ihren
Antrag zur Einführung plebiszitärer Elemente in das Grund-
gesetz, den sie zu Beginn der Legislaturperiode gestellt
habe, die Ausgestaltung und das Verfahren hinsichtlich die-
ses Gesetzentwurfs. Die Zeit bis zur Bundestagswahl sei tat-
sächlich zu knapp, eine gründlichere Diskussion der Ergeb-
nisse der Anhörung wäre wünschenswert. Zudem seien die
Hürden und Quoren zu hoch angesetzt, um ein tatsächliches
Mehr an Mitbestimmung zu erreichen und Politikverdros-
senheit zu vermeiden. Sie habe sich hier weitergehende Re-
gelungen gewünscht. Trotz dieser Bedenken sei der Gesetz-
entwurf aber ein sinnvoller erster Schritt, um zu einem
Mehr an direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten zu kom-
men. Daher könne sie zustimmen.

Berlin, den 5. Juni 2002
Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Berichterstatter

Gerald Häfner
Berichterstatter

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

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