BT-Drucksache 14/9225

Chancen auf Arbeit für alle - Offensive in der Arbeitsmarktpolitik

Vom 4. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9225
14. Wahlperiode 04. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Klaus Brandner, Franz Thönnes, Doris Barnett, Peter Dreßen,
Konrad Gilges, Wolfgang Grotthaus, Walter Hoffmann (Darmstadt), Renate Jäger,
Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Brigitte Lange, Erika Lotz,
Andrea Nahles, Leyla Onur, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Silvia Schmidt
(Eisleben), Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, Dieter Dzewas, Hans
Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin
Griese, Christel Humme, Lothar Ibrügger, Dr. Uwe Küster, Christine Lehder, Günter
Oesinghaus, Christel Riemann-Hanewinckel, Marlene Rupprecht, Siegfried
Scheffler, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Margrit
Spielmann, Rolf Stöckel, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD
sowie der AbgeordnetenDr. Thea Dückert, Ekin Deligöz, KerstinMüller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Chancen auf Arbeit für alle – Offensive in der Arbeitsmarktpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
l Positive Bilanz

Die Bundesregierung hat sich als wichtigstes Ziel den Abbau der von der
Vorgängerregierung übernommenen Rekordarbeitslosigkeit und die Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze gesetzt.

l Dies zu verwirklichen ist aber nicht mit einer einzelnen Maßnahme zu er-
reichen, vielmehr kommt es auf eine umfassende Gesamtstrategie an. Die
Finanz-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik müssen dabei
zusammenwirken. Erheblich Bedeutung hat darüber hinaus die Tarifpolitik.

l Die Zwischenbilanz seit 1998 ist eindeutig positiv.
Im Vergleich der Jahresdurchschnitte 1998 und 2001 konnte die Arbeitslo-
sigkeit um 430 000 oder 10 % zurückgedrängt werden. Außerdem hat sich
die Struktur der Arbeitslosigkeit verbessert. Vor allem ist die Langzeitar-
beitslosigkeit überdurchschnittlich um 16 % auf 1,285 Millionen im Jahres-
durchschnitt 2001 zurückgegangen. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen be-
trägt jetzt nur noch 33,4 % gegenüber 35,6 % in 1998.

l Im gleichen Zeitraum sind rund 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze entstan-
den. Mit 38,8 Millionen Erwerbstätigen wurde 2001 der höchste Beschäfti-
gungsstand seit der Wiedervereinigung erzielt. Zu Beginn der letzten beiden
Ausbildungsjahre stand erstmals seit 1995/1996 für jeden Ausbildungsplatz-
bewerber rechnerisch ein Ausbildungsplatz zur Verfügung. In der Ausbil-

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dungsbilanz 2001 hat sich der Überhang an Ausbildungsstellen im Vergleich
zum Vorjahr auf rund 4 100 nahezu verdoppelt.

l Die Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt beruhen weder auf einem Rückgang
des Angebots an Arbeitskräften noch auf Statistikeffekten. Das Statistische
Bundesamt hat in seinen revidierten Berechnungen die geringfügige Be-
schäftigung auch für die zurückliegenden Jahre einbezogen. Damit ist ein
Vergleich im Zeitablauf möglich. Die Entlastung des Arbeitsmarktes bei den
älteren Arbeitnehmern wurde durch steigende Frauenerwerbstätigkeit, Neu-
eintritte von jungen Menschen nach der Ausbildung, Zuwanderung von Ar-
beitskräften und Arbeitsaufnahme aus der Stillen Reserve überkompensiert.

l Deutschland kann auch im internationalen Vergleich mithalten. Die Bundes-
republik steht im Vergleich zu den übrigen Euro-Staaten bei der Arbeits-
marktbilanz (Arbeitslosenquote, Beschäftigungsquote) überdurchschnittlich
gut da, besonders deutlich bei der Jugendarbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen-
quote für unter 25-Jährige liegt mit 10,0 % weit unter dem Durchschnitt der
Euro-Zone (16,8 %) und auch unter dem Durchschnitt aller EU-Mitglied-
staaten (15,6 %, jeweils Februar 2002). Das ist nicht zuletzt ein Erfolg des
dualen Systems und des Ausbildungskonsenses auf Bundes- und Landes-
ebene.

l Konjunkturelle Erholung steht bevor
Alle Frühindikatoren deuten auf eine Konjunkturerholung bereits in der
zweiten Jahreshälfte 2002 hin, die sich positiv auf den Arbeitsmarkt auswir-
ken wird. Trotz weltwirtschaftlich schwieriger Rahmenbedingungen hat die
Erwerbstätigkeit auch im vergangenen Jahr weiter zugenommen. Bei einem
Wirtschaftswachstum von 0,6 % stieg die Zahl der Erwerbstätigen um
55 000. Die relative Abschwächung des Beschäftigungsaufbaus im Ver-
gleich zu den Vorjahren beruht im Wesentlichen auf konjunkturellen Grün-
den. Die gleichzeitige Konjunkturschwäche in den USA, Europa und Japan
hat Deutschland als stark exportorientiertes Land besonders betroffen. Hinzu
kommt die angespannte weltweite Sicherheitslage nach dem 11. September
2001. Auch vorübergehend höhere Energiepreise und Tierseuchenfolgen ha-
ben sich dämpfend auf die Konjunktur ausgewirkt.
Die in der Bundesrepublik bestehenden besonderen strukturellen Belastun-
gen des Arbeitsmarktes durch den Abbau von Überkapazitäten insbesondere
im ostdeutschen Baugewerbe wirken zudem fort. Außerdem ist weiterhin
die Finanzierung der deutschen Einheit aufzubringen.

l Zielgerichtete beschäftigungspolitische Strategie
Die Beschäftigungspolitik der Bundesregierung hat sich grundsätzlich be-
währt. Den Eckpfeiler für diesen integrierten Politikansatz bildet das Bünd-
nis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, das zu einer Fülle von
weitreichenden Ergebnissen und Verabredungen geführt hat. Zur Verbesse-
rung der Arbeitsmarktlage beigetragen haben z. B. eine mittelstandsfreund-
liche Verbesserung der Altersteilzeit, der Ausbau der aktiven Arbeitsmarkt-
politik mit besseren Beschäftigungsaussichten für ältere Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, Modellversuche für geringqualifizierte Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen sowie Langzeitarbeitslose. Auch der bessere Schutz
der Bauarbeiter mit einer neuen Schlechtwettergeldregelung beruht auf
einem Konsens der Tarifvertragsparteien. Die größten Fortschritte gab es im
Bereich der Aus- und Weiterbildung. Der Ausbildungskonsens für eine Voll-
versorgung der jungen Frauen und Männer mit Ausbildungsplätzen steht.
Die von der IT-Branche zugesagte Zielmarke von 40 000 Ausbildungsplät-
zen allein in diesem Sektor ist mit inzwischen 70 000 (Verfünffachung seit
1998) weit übertroffen. Eine Modernisierung bei der Berufsausbildung
kommt noch hinzu. Im Bereich Altersvorsorge und Vermögensbildung sind

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durch das Bündnis größere Spielräume für die Tarifvertragsparteien eröffnet
worden.
Das Bündnis ist vor allem langfristig strategisch angelegt. Über das Bündnis
wird daher angestrebt, die einzelnen beschäftigungsrelevanten Bereiche
noch stärker zu verzahnen. Die Bündnisgespräche sollten im Übrigen dem
wichtigen Ziel dienen, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und sich dann
auf gemeinsame Rahmendaten zu verständigen.
Die Tarifvertragsparteien tragen ein gutes Stück Mitverantwortung. Die Ta-
rifautonomie hat sich bewährt. Regional und auf Branchen zugeschnittene
Lösungen sind Ausdruck eines Subsidiaritätsprinzips im wohlverstandenen
Sinne. Beschäftigungssicherung ist eine Komponente in vielen Tarifverträ-
gen.

l Die Bundesregierung hat durch einen auf Beschäftigungswirkung ausgerich-
teten Mix von Angebots- und Nachfragepolitik die Konjunktur positiv be-
einflusst. Kernelemente sind die Einkommensteuerreform mit einer Entlas-
tung schwerpunktmäßig bei unteren und mittleren Einkommen und die Öko-
Steuer zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge mit Anreizen zu um-
weltgerechtem Verhalten bei Wirtschaft und Verbrauchern. Ein Gesamtent-
lastungsvolumen bei direkten Steuern von rund 56 Mrd. Euro mobilisiert die
Binnennachfrage und verbessert die Angebotsbedingungen für Unterneh-
men. Die Unternehmenssteuerreform soll vor allem die Wettbewerbsfähig-
keit im europäischen Rahmen stärken. Gleichzeitig hat die Bundesregierung
die Belastung durch Sozialabgaben reduziert, die gesetzliche Rentenversi-
cherung stabilisiert, die Haushaltskonsolidierung eingeleitet und ein Zu-
kunftsinvestitionsprogramm mit Schwerpunkt auf den Bereichen Bildung,
Forschung und Verkehr aufgelegt. Damit sind dauerhafte Voraussetzungen
für mehr Beschäftigung geschaffen worden.

l Arbeitsmarktpolitik unverzichtbar
Aktive Arbeitsmarktpolitik ist unverzichtbarer Bestandteil einer offensiven
Beschäftigungspolitik. Hauptziele unserer Arbeitsmarktpolitik sind ein ho-
her Beschäftigungsstand und Verbesserungen in der Beschäftigungsstruktur
durch eine präventiv ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik. Im Einklang mit den
beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU geht es vor allem darum, die
Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu erhö-
hen und dadurch eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu errei-
chen. Im Mittelpunkt steht eine zügige und passgenaue Besetzung von offe-
nen Stellen. Arbeitsmarktpolitik leistet durch die Förderung beruflicher
Aus- und Weiterbildung einen wichtigen Beitrag zum lebenslangen Lernen
und damit zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Sie trägt zum Ausgleich
regionaler Strukturunterschiede und zur Durchsetzung der Chancengleich-
heit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt bei.
Aktive Arbeitsmarktpolitik ermöglicht eine breitere Teilhabe aller Personen-
gruppen am Erwerbsleben. Sie leistet einen Beitrag zur Umsetzung des Ver-
fassungsauftrags zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen
Landesteilen und ist damit gerade für die neuen Bundesländer unabdingbar.

l Die wirtschaftlich und sozial stabilisierendeWirkung der Arbeitsmarktpolitik
kommt in der derzeitigen Konjunkturphase voll zum Tragen. In 2001 konnten
im Jahresdurchschnitt rund 1,3 Millionen Menschen über aktive Arbeits-
marktpolitik in denArbeitsmarkt eingegliedert oder qualifiziert werden. Nach
Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung beträgt die
Entlastungswirkung (vermiedene Arbeitslosigkeit) der aktiven Arbeitsmarkt-
politik 724 000Personen.DieBundesregierung hat die antizyklischeWirkung
der Arbeitsmarktpolitik finanziell abgesichert. Im Gegensatz zum kurzfristi-
gen Auf und Ab unter der Vorgängerregierung hat die Rot-Grüne Bundesre-

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gierung die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau ver-
stetigt und damit nach dem Prinzip „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“
gehandelt. Der Anteil aktiver Maßnahmen an den Gesamtausgaben für Ar-
beitsmarktpolitik ist seit 1998 gestiegen.Während in 1998mit 19,9Mrd. Euro
29 Prozent der Gesamtausgaben für aktive Maßnahmen verwendet wurden,
sind es in diesem Jahr mit rund 22,5 Mrd. Euro über 33 Prozent. Gleichzeitig
sind die Ausgaben für die passiven Lohnersatzleistungen Arbeitslosengeld
und Arbeitslosenhilfe von 42,9 Mrd. Euro auf 38,2 Mrd. Euro zurückgegan-
gen, obwohl das Arbeitslosengeld deutlich angehoben wurde. Der Grund da-
für ist die Einbeziehung der Einmalzahlungen in die Bemessungsgrundlage
mit einem jährlichen Finanzvolumen von 1,9 Mrd. Euro. Der Zuschuss des
Bundes zur BAkonnte dennoch von 3,9Mrd. Euro auf 2,0Mrd. zurückgeführt
werden.

l Arbeitsmarktpolitische Offensive Job-AQTIV-Gesetz
Die Bundesregierung hat mit dem zu Jahresanfang 2002 in Kraft getretenen
Job-AQTIV-Gesetz die Voraussetzungen in der Arbeitsmarktpolitik für eine
Fortsetzung des Beschäftigungsaufschwungs geschaffen. Eine aktivierende
und auf eine Steigerung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit zielende
Arbeitsmarktpolitik erhöht Wirkung und Effizienz des Mitteleinsatzes.
Kernpunkt ist eine Intensivierung der Arbeitsvermittlung in Verbindung mit
einem präventiven und passgenauen Einsatz der arbeitsmarktpolitischen In-
strumente. Mit dem Prinzip des Förderns und Forderns gilt ein faires Gleich-
gewicht von Rechten und Pflichten für Arbeitslose.
Deutschlands Beschäftigungschancen liegen vor allem bei hochwertigen
Gütern und Dienstleistungen. Entsprechend werden auch die Qualifikations-
anforderungen an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiter zuneh-
men. Eine breit angelegte Qualifizierungsoffensive erhöht die Beschäfti-
gungschancen von Arbeitslosen sowie von Arbeitslosigkeit bedrohten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Verbesserungen bei Transfermaß-
nahmen ermöglichen einen nahtlosen Übergang von Beschäftigten auf einen
neuen Arbeitsplatz oder in eine Qualifizierungsmaßnahme.
Das Gesetz erleichtert die Verzahnung von Arbeitsmarkt- mit Infrastruktur-
politik durch einen kombinierten Mitteleinsatz. Gleichzeitig wird öffentlich
geförderte Beschäftigung stärker auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet.
Das Job-AQTIV-Gesetz befördert die Gleichstellung der Geschlechter auf
dem Arbeitsmarkt und erhöht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Das Job-AQTIV-Gesetz hat die Entscheidungskompetenzen der örtlichen
Arbeitsämter und ihrer Selbstverwaltung hinsichtlich des Mittel- und Instru-
menteneinsatzes weiter gestärkt.

l Reform der Arbeitsverwaltung eingeleitet
Die Leitungsstruktur der Bundesanstalt für Arbeit (BA) ist mit der Umset-
zung der ersten Stufe zur Reform der Arbeitsverwaltung gestrafft und stär-
ker nach privatwirtschaftlichem Vorbild ausgerichtet worden. Die Eingliede-
rungschancen von Arbeitslosen sind durch mehr Wettbewerb in der
Arbeitsvermittlung, die Einführung von Vermittlungsgutscheinen und eine
stärkere Kooperation von Arbeitsämtern mit Dritten verbessert worden.
Die Neugestaltung der BA als kundenorientierte Dienstleistungseinrichtung
mit Schwerpunkt Arbeitsvermittlung und Beratung wird in einer zweiten
Reformstufe fortgeführt und in der Expertenkommission „Moderne Dienst-
leistungen am Arbeitsmarkt“ vorbereitet.

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l Arbeitsmarktpolitische Initiativen erfolgreich
Mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit (Jump) hat die Bun-
desregierung in drei Jahren rund 400 000 junge Menschen gefördert und
einen deutlichen Beitrag zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit geleistet.
Das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter hat mit
einem Bündel von Maßnahmen die Chancen schwerbehinderter Menschen
am Arbeitsmarkt deutlich verbessert. So ist im Vergleich die Zahl der ar-
beitslosen schwerbehinderten Menschen im letzten Jahr dreimal stärker zu-
rückgegangen als die Zahl aller Arbeitslosen und betrug nur noch 171 000
gegenüber 194 000 im Jahr 1998.
Im Arbeitsförderungsrecht sind bürokratische Hemmnisse und soziale Här-
ten abgebaut und die von der Vorgängerregierung veranlasste verfassungs-
widrige Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei den Lohnersatz-
leistungen beseitigt worden.
Das reformierte Betriebsverfassungsgesetz eröffnet im Zusammenspiel mit
dem Job-AQTIV-Gesetz den Betriebsparteien neue Möglichkeiten zur Qua-
lifizierung und Beschäftigungssicherung.
Neue Einstiegshilfen in Arbeit für Menschen mit geringeren Qualifikationen
und für Langzeitarbeitslose sind in Modellprojekten ausgetestet worden. Da-
bei hat sich das sog. Mainzer Modell bewährt. Es bietet für Geringverdiener
eine zielgruppengenaue, befristete Einstiegshilfe in den ersten Arbeitsmarkt.
Seit 1. März 2002 steht es bundesweit und unter erleichterten Bedingungen
zur Verfügung.
Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit werden wirkungsvoller bekämpft.
Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat sich be-
währt. Mittlerweile stehen auch mehr als 4 Mio. ausschließlich geringfügig
Beschäftigte unter dem Schutz der Sozialversicherung. Die darauf beruhen-
den Einnahmen der Sozialversicherung belaufen sich auf ca. 2,6 Mrd. Euro.
Das entspricht einer Beitragsentlastung von 0,3 Prozentpunkten. Dazu kom-
men noch die statistisch nicht getrennt erfassten Nebenbeschäftigungen.

l Rahmenbedingungen für die Arbeitszeitgestaltung verbessert
Eine erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt außer der Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze auch eine breitere Verteilung des vorhandenen Be-
schäftigungsvolumens voraus. Hierzu zählen kürzere und flexiblere Arbeits-
zeiten sowie der Abbau bezahlter Mehrarbeit. Die Bundesregierung hat
insbesondere mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, dem Altersteilzeit-
gesetz und mit Verbesserungen für Kindererziehende wichtige Vorausset-
zungen für eine stärkere Nutzung von Teilzeitarbeit geschaffen.
Ein sozial abgefederter Wechsel in den Ruhestand über Altersteilzeit ist jetzt
über einen verlängerten Zeitraum von sechs Jahren und auch in kleinen und
mittleren Betrieben möglich. Die Tarifvertragsparteien haben die erweiterten
Handlungsspielräume verstärkt genutzt.
Die Arbeitszeitgestaltung ist im Übrigen eine wichtige Aufgabe der Tarif-
vertragsparteien. Sie müssen den gesetzlichen Rahmen ausfüllen und kön-
nen dabei auf die betrieblichen und branchenspezifischen Belange eingehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l den eingeschlagenen arbeitsmarktpolitischen Kurs konsequent nach dem

Prinzip von Fördern und Fordern fortzusetzen. Hierzu zählt ein hohes Ni-
veau aktiver Arbeitsförderung, solange die Arbeitslosigkeit dies erfordert.
Die Ausgaben sind weiterhin soweit wie möglich von passiven in aktive um-
zuschichten. Vorrang haben Maßnahmen zur Eingliederung in den ersten

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Arbeitsmarkt. Die mit dem Job-AQTIV-Gesetz beschlossene stärkere Er-
folgskontrolle hinsichtlich der Wirkungen aktiver Arbeitsmarktpolitik ist
umzusetzen;

l in Übereinstimmung mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU
die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung zu schaffen und hierbei
insbesondere die Beschäftigungsquoten von Frauen und älteren Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern zu steigern. Die u. a. im Job-AQTIV-Gesetz
angelegten Fördermöglichkeiten sind intensiv zu nutzen, auch im Hinblick
auf die Unterstützung eines Prozesses lebenslangen Lernens;

l die Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsver-
mittlung offensiv fortzuführen. Ein Schwerpunkt ist eine stärkere Konzent-
ration der Arbeitsämter auf die Kernbereiche Arbeitsvermittlung und Bera-
tung sowie die Entwicklung einer effektiven und effizienten Verwaltung;

l die Arbeit der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission
„Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu begleiten und möglichst
bald nach Abschluss Vorschläge zur Umsetzung der Ergebnisse zu unter-
breiten;

l im Hinblick auf eine bessere Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
die Mozart-Modellprojekte sorgfältig auszuwerten und die Vorbereitungen
für eine in der kommenden Legislaturperiode erfolgende Reform voranzu-
treiben. Im Mittelpunkt steht das Ziel einer wirksameren Eingliederung
arbeitsloser Leistungsempfänger in den Arbeitsmarkt. Anzustreben ist eine
Hilfegewährung „aus einer Hand“, auch zur Vermeidung überflüssiger Bü-
rokratie;

l die Politik zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur weiteren Ver-
besserung des Lehrstellenangebots fortzusetzen. Besonderes Augenmerk ist
auf die neuen Bundesländer zu legen. Die Maßnahmen sollten verstärkt die
Probleme an der sog. zweiten Schwelle aufgreifen. Eine Verknüpfung von
Altersteilzeit mit einer Einstiegsteilzeit für Jugendliche nach der Berufsaus-
bildung soll hier eine Beschäftigungsbrücke zwischen Alt und Jung schlagen
und einem Wegzug der jungen Generation entgegenwirken;

l auf eine intensive Nutzung der im Job-AQTIV-Gesetz reformierten arbeits-
marktpolitischen Instrumente hinzuwirken. Dies betrifft in strukturschwa-
chen Regionen z. B. das neue Instrument der Beschäftigung schaffenden
Infrastrukturförderung, durch das sich beträchtliche Synergieeffekte mit
Investitionsförderprogrammen erzielen lassen;

l Beschäftigungsmöglichkeiten für geringer Qualifizierte und Teilzeitbeschäf-
tigte ab einem Einkommen von 325 Euro/Monat zu erschließen. In Überein-
stimmung mit den Leitlinien der EU zur Beschäftigungspolitik ist dabei zu
prüfen, wie die Belastung durch Sozialabgaben vorrangig am unteren Ende
der Lohnskala reduziert werden kann. Die Bundesregierung sollte dem
Deutschen Bundestag in regelmäßigen Abständen über die Erfahrungen mit
dem Mainzer Modell berichten und Vorschläge zur Weiterentwicklung un-
terbreiten;

l zur besseren Erschließung des Beschäftigungspotenzials in Privathaushalten
ist eine einkommensunabhängige Förderung für haushaltswirtschaftliche
Dienstleistungen zu prüfen, die entweder direkt oder über eine Dienstleis-
tungsagentur sozialversicherungspflichtig erbracht werden. Die Förderung
soll nicht nur zur Bekämpfung von Schwarzarbeit, sondern auch beschäfti-
gungs- und gleichstellungspolitischen Zielen dienen;

l auf Basis des bestehenden Gesetzes Möglichkeiten für ein vereinfachtes
Verfahren zur Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge für geringfügig
Beschäftigte zu suchen;

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l die Anstrengungen der Tarifvertragsparteien zur Schaffung von mehr Teil-
zeitarbeitsplätzen zu unterstützen und neue Ansätze mit zu initiieren. Hierzu
kann eine Verknüpfung von beschäftigungsorientierter Lohnpolitik mit Qua-
lifizierungsförderung und Arbeitszeitfragen im Bündnis für Arbeit beitra-
gen. Die Arbeitgeber sind hierbei an ihre Zusage zur Schaffung von mehr
Teilzeitarbeitplätzen zu erinnern.
Eine Förderung von Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern bei der Einrichtung bzw. Nutzung von Teilzeitarbeitsplätzen ist zu
prüfen. Vorrangig ist zu entscheiden, ob die Insolvenzsicherung von Arbeits-
zeitkonten verbessert werden muss, etwa durch eine Sanktionierung bei Un-
terlassung einer Insolvenzsicherung (stärkere Kontrolle und Ahndung von
Verstößen);

l im Bündnis für Arbeit hinzuwirken auf eine Umwandlung von bezahlter
Mehrarbeit in neue Beschäftigung und hierzu alle betriebs- und tarifvertrag-
vertraglichen Möglichkeiten zu nutzen. Im Zusammenwirken mit den Tarif-
vertragsparteien ist zudem zu prüfen, ob auch gesetzliche Änderungen not-
wendig sind.

Berlin, den 4. Juni 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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