BT-Drucksache 14/8503

Entwurf eine Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz

Vom 13. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8503
14. Wahlperiode 13. 03. 2002

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Gerald Häfner, Cem Özdemir, Irmingard Schewe-Gerigk,
Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren
und Volksentscheid in das Grundgesetz

A. Problem
Die im Grundgesetz festgelegte parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat
sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch auch der Wunsch nach
stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung. In den letzten Jahren wurden
die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Ebene der Bundeslän-
der deutlich ausgebaut. Die Erfahrungen damit waren positiv. Laut Artikel 20
Abs. 2 Grundgesetz wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstim-
mungen ausgeübt. Durch neue direkte Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und
Bürger soll das parlamentarisch-repräsentative System unserer sozialen und
rechtsstaatlichen Demokratie nun ergänzt, jedoch nicht ersetzt werden. Zusätz-
liche Beteiligungsrechte bringen auch mehr Verantwortung für die Bürgerinnen
und Bürger bei der Entscheidung wichtiger Sachfragen. Interesse und Engage-
ment für eine verantwortliche Willensbildung werden verstärkt. Dies belebt die
Demokratie insgesamt und macht sie für die Menschen auch attraktiver. Neue
Beteiligungsrechte müssen sich ebenso wie parlamentarische Initiativen und
Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränderlichen Grundentschei-
dungen der Verfassung und den übrigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen
ausrichten und der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen.

B. Lösung
Das Grundgesetz wird ergänzt bzw. geändert durch die Einführung der unmit-
telbaren Bürgerbeteiligung durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid auch auf Bundesebene.

C. Alternativen
Beibehaltung der bisherigen Verfassungslage.

Drucksache 14/8503 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

D. Kosten
Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide führen zu Durchfüh-
rungskosten beim Bund, vor allem aber bei den Ländern und Gemeinden, die
der Bund zu erstatten hat. Hierzu gehören u. a. Kosten der Prüfung der Stimm-
berechtigung, von öffentlichen Bekanntmachungen, Druckkosten, Kosten für
die Versendung von Abstimmungsbenachrichtigungen, Kosten der Feststellung
von Abstimmungsergebnissen. Die Höhe der entstehenden Kosten ist vor allem
davon abhängig, in welchem Umfang die Bevölkerung die neuen Beteiligungs-
rechte nutzen wird.
Die bisherigen in- und ausländischen Erfahrungen bei Volksentscheiden zeigen,
dass sich die daraus entstehenden „Demokratiekosten“ in einem überschauba-
ren Rahmen halten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8503

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid in das Grundgesetz

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates fol-
gendes Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

(Einführung von Volksinitiative,
Volksbegehren und Volksentscheid)

1. Artikel 76 Abs. 1 (Einbringung von Gesetzesvorlagen)
wird wie folgt geändert:
„(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch

die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages,
durch den Bundesrat oder durch Volksinitiative einge-
bracht.“

2. Artikel 79 Abs. 2 (Änderung des Grundgesetzes) wird
wie folgt geändert:
„Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei

Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Drit-
teln der Stimmen des Bundesrates oder der Zustimmung
durch Volksentscheid.“

3. Nach Artikel 82 wird folgender Abschnitt eingefügt:
„VII a. Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid
Artikel 82a (Volksinitiative)
(1) Vierhunderttausend Stimmberechtigte können den

Bundestag mit einer mit Gründen versehenen Gesetzes-
vorlage befassen. Die Vertrauensleute der Volksinitiative
haben das Recht auf Anhörung.
(2) Finanzwirksame Volksinitiativen sind zulässig.

Ausgeschlossen sind Volksinitiativen über das Haus-
haltsgesetz, über Abgabengesetze, Dienst- und Versor-
gungsbezüge sowie die Rechtsverhältnisse der Mitglie-
der des Deutschen Bundestages sowie über eine Wieder-
einführung der Todesstrafe.
Artikel 82b (Volksbegehren)
(1) Kommt innerhalb von acht Monaten das bean-

tragte Gesetz nicht zustande, können die Vertrauensleute
der Volksinitiative die Durchführung eines Volksbegeh-
rens einleiten.

(2) Hält die Bundesregierung, eine Landesregierung
oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages das be-
antragte Gesetz für verfassungswidrig, ist die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
(3) Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn

ihm fünf vom Hundert der Stimmberechtigten innerhalb
von sechs Monaten zugestimmt haben.
Artikel 82c (Volksentscheid)
(1) Ist ein Volksbegehren zustande gekommen, findet

innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid statt, es
sei denn, das begehrte Gesetz wurde zuvor angenom-
men.
(2) Der Bundestag kann nach Maßgabe des Artikels 77

einen eigenen Gesetzentwurf mit zur Abstimmung stel-
len.
(3) Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn die

Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und min-
destens zwanzig vom Hundert der Stimmberechtigten
sich an der Abstimmung beteiligt haben.
(4) Ein verfassungsändernder Gesetzentwurf ist ange-

nommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zuge-
stimmt und mindestens vierzig vom Hundert der Stimm-
berechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben.
(5) Bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesra-

tes bedürfen und bei verfassungsändernden Gesetzen gilt
das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe
seiner Bundesratsstimme.
Artikel 82d (Ausführungsgesetz)

Das Nähere, auch den Anspruch der Stimmberechtig-
ten auf Information über Inhalte und Gründe der Ge-
setzentwürfe, regelt ein Gesetz, welches der Zustim-
mung des Bundesrates bedarf.“

Artikel 2
(Inkrafttreten)

Dieses Gesetz tritt sechs Monate nach seiner Verkündung
in Kraft.

Berlin, den 13. März 2002

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Drucksache 14/8503 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Die parlamentarisch-repräsentative Demokratie des Grund-
gesetzes hat sich bewährt.
Sie soll jedoch um direkte Beteiligungsrechte der Bürgerin-
nen und Bürger ergänzt werden. Demokratie ist auf aktive,
interessierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und
Bürger angewiesen. Die Einführung der Möglichkeit von
unmittelbarer Bürgerbeteiligung und -entscheidung ist ge-
eignet, neues Engagement und Bereitschaft zu Mitverant-
wortung zu wecken. Das demokratische Bewusstsein wird
dadurch gefestigt und belebt. Das Volk als Träger der
Staatsgewalt gewinnt in dem gesetzten Rahmen einen un-
mittelbaren Einfluss auf deren Ausübung.
Volksinitiative, Volksbegehren sowie Volksentscheid wer-
den in das Grundgesetz eingefügt, um den Bürgerinnen und
Bürgern über die Teilnahme an Wahlen hinaus Möglichkei-
ten unmittelbarer Einflussnahme auf die politische Willens-
bildung und staatliche Entscheidungen einzuräumen. Viele
Bürgerbewegungen und -initiativen auf kommunaler wie
auf Landes- und Bundesebenen zeigen den Willen der Be-
völkerung, sich aktiv für das Gemeinwesen einzusetzen und
an seiner Ausgestaltung mitzuwirken. Dieser Bereitschaft
zur Mitwirkung an der Politikgestaltung sollen erweiterte
Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden.
Handlungsformen hierfür sind insbesondere die Volksinitia-
tive, das Volksbegehren und der Volksentscheid. Diese For-
men direkter Bürgerbeteiligung stellen das parlamenta-
risch-repräsentative System des Grundgesetzes nicht in
Frage, sondern ergänzen es sinnvoll. Das Parlament bleibt
für den Regelfall der Ort der politischen Auseinanderset-
zung, der Entscheidung und des Kompromisses. Das Volk
als Träger der Staatsgewalt gewinnt aber einen effektiveren
Einfluss auf deren Ausübung, indem es das Parlament dazu
veranlassen kann, sich mit bestimmten Themen zu befassen,
oder indem es selbst unmittelbare Sachentscheidungen
trifft.
Ein Mehr an direkter Bürgerbeteiligung führt auch zur Fes-
tigung und Belebung der parlamentarischen Demokratie.
Eine Schwächung ist nicht zu erwarten. Die Sorge um die
„demokratische Reife“ des Volkes, die bei der Verabschie-
dung des Grundgesetzes als Grund für die Versagung direk-
ter Demokratie ins Feld geführt worden war, widerstreitet
jedenfalls heute nicht mehr direkter Demokratie. Die Bun-
desrepublik Deutschland kann sich auf ein in mehr als
50 Jahren gewachsenes demokratisches Bewusstsein der
Bevölkerung stützen.
Die Erfahrungen in Staaten des – vor allem europäischen –
Auslandes, deren Verfassungen Formen direkter Bürgerbe-
teiligung enthalten, lassen erkennen, dass auch schwierige
und komplexe Sachverhalte sachgerecht beurteilt und ent-
schieden werden können. Insofern stellt eine Ergänzung des
Grundgesetzes auch einen Schritt zu mehr europäischer Ge-
meinsamkeit dar. In allen Ländern der Bundesrepublik
Deutschland gibt es die Möglichkeit des Volksentscheids.
Das auf Länderebene grundsätzlich bewährte Verfahren
sollte auch auf Bundesebene seinen Platz haben.

Das vorgesehene Verfahren der Volksgesetzgebung ist drei-
stufig ausgestaltet:
Mit der Volksinitiative erhalten die Bürgerinnen und Bürger
die Möglichkeit, den Deutschen Bundestag mit einem be-
stimmten und mit Gründen versehenen Gesetzentwurf zu
befassen.
Stimmt der Gesetzgeber innerhalb von acht Monaten einem
solchen Gesetzentwurf nicht zu, findet auf Antrag der Ver-
treterinnen und Vertreter der Initiative ein Volksbegehren
statt.
Kommt das Volksbegehren zustande, so ist ein Volksent-
scheid über den Gesetzentwurf durchzuführen. Bei Zustim-
mung einer – gegebenenfalls qualifizierten – Mehrheit der
Abstimmenden ist der Gesetzentwurf angenommen.
Das vorgesehene Verfahren sichert, dass die Verfassung und
insbesondere die Grundrechte nicht verletzt werden. Die
vorgezogene Normenkontrolle durch das Bundesverfas-
sungsgericht beugt der Gefahr verfassungswidriger Volks-
entscheide vor. Zudem ermöglicht die Dauer des Verfahrens
von ca. zwei Jahren vom Start der Volksinitiative bis zum
Volksentscheid einen gründlichen Diskussionsprozess. Das
Instrument der Konkurrenzvorlage ermöglicht dem Deut-
schen Bundestag darüber hinaus eine eigene Regelung mit
zur Abstimmung zu stellen, wenn er die vorgeschlagene Re-
gelung mehrheitlich für nicht angemessen hält.

B. Die Regelungen im Einzelnen
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1 – Artikel 76 Abs. 1
Es wird als Folgeänderung zu Artikel 82a (neu) klargestellt,
dass die durch eine Volksinitiative an den Deutschen Bun-
destag herangetragenen Gesetzentwürfe als Gesetzesvorla-
gen zu behandeln sind.
Zu Nummer 2 – Artikel 79 Abs. 2
Es wird klargestellt, dass die Verfassung auch durch Volks-
entscheid geändert werden kann.
Zu Nummer 3 – Abschnitt VII a.
Zu Artikel 82a
Zu Absatz 1
Bürgerinnen und Bürger, die das Parlament mit einer Geset-
zesvorlage befassen wollen, müssen zunächst vierhundert-
tausend Stimmberechtigte davon überzeugen, die Einbrin-
gung der Gesetzesvorlage zu unterstützen. Die Sammlung
dieser Unterschriften ist nicht fristgebunden.
Nur ein vollständiger und begründeter Gesetzentwurf kann
Gegenstand einer Volksinitiative sein. Bloße Handlungs-
aufträge oder Zielvorgaben an das Parlament sind ausge-
schlossen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8503

Die Vertrauensleute haben als Vertreter der Volksinitiative
das Recht auf Anhörung.
Zu Absatz 2
Grundsätzlich kann sich die Volksgesetzgebung auf alle Re-
gelungsgegenstände beziehen, für die eine Bundeskompe-
tenz besteht. Zunächst wird klargestellt, dass finanzwirk-
same Gesetzentwürfe zulässig sind. Das heißt Gesetze, die
staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen, können
durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
zustande kommen. Die Volksgesetzgebung wird nicht unter
einen allgemeinen Finanzvorbehalt gestellt, da andernfalls
weite Regelungsbereiche ausgeschlossen wären.
Die finanziellen Auswirkungen der Volksgesetzgebung ber-
gen keine höhere Gefahr für das Gleichgewicht des Haus-
halts als die parlamentarische Gesetzgebung. Zudem wer-
den die Rechte des Parlaments durch die Abstimmung über
ein finanzwirksames Gesetz nicht entscheidend vermindert:
Der Deutsche Bundestag kann während des Verfahrens al-
ternative Regelungen verabschieden oder zur Abstimmung
stellen. Dem Parlament bleibt es auch im Grundsatz unbe-
nommen, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz
wieder zu ändern oder aufzuheben.
Das Budgetrecht des Parlaments wird durch das Recht
finanzwirksamer Volksgesetzgebung berührt. Artikel 79
Abs. 3 und Artikel 20 stehen dieser Modifizierung des Bud-
getrechts durch den verfassungsändernden Gesetzgeber aber
nicht entgegen. Das Budgetrecht ist Ausdruck des Gewal-
tenteilungs- und damit des Rechtsstaatsprinzips und auch
Ausprägung des Demokratieprinzips. Historisch ist es als
parlamentarische Kontrolle der (monarchischen) Exekutive
entstanden. Auch verfassungsdogmatisch betrifft es das
Verhältnis zwischen (bislang rein parlamentarischer) Legis-
lative und Exekutive. Die Einschränkung des parlamentari-
schen Budgetrechts zugunsten der Volksgesetzgebung be-
lässt das Budgetrecht aber innerhalb der legislativen Staats-
funktion und ist deshalb dem verfassungsändernden Gesetz-
geber nicht verwehrt.
Ausgenommen von der Volksgesetzgebung ist aber das
Haushaltsgesetz selbst. Dieses ist für die Volksgesetzgebung
ungeeignet, da es in einem festen zeitlichen Rahmen verab-
schiedet werden muss. Auch eignet sich die auf ein konkre-
tes Vorhaben zugeschnittene Volksgesetzgebung nicht zum
Instrument der globalen Steuerung durch das Haushalts-
gesetz, welches dem Parlament vorbehalten bleibt.
Auch Abgabengesetze bleiben wie schon in Artikel 73
Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung von der Volksge-
setzgebung ausgenommen, da sie gerade dem Zweck der
staatlichen Mittelbeschaffung dienen und ihre Änderung
deshalb dem Parlament vorbehalten bleiben soll. Gemeint
sind hier Abgaben i. S. d. Finanzverfassungsartikel, d. h.
Steuern, Zölle und Finanzmonopole.
Dienst- und Versorgungsbezüge sind ebenfalls – wie auch in
den Länderverfassungen – von der Volksgesetzgebung aus-
genommen. Das heißt die Alimentationsleistungen des Staa-
tes gegenüber seinen Beamten können nicht durch Volksge-
setzgebung gesenkt oder erhöht werden.
Auf die Rechtsstellung der Bundestagsabgeordneten soll
sich die Volksgesetzgebung nicht erstrecken, um die Unab-
hängigkeit der Abgeordneten zu gewährleisten.

Zu Artikel 82b
Zu Absatz 1
Sobald die Volksinitiative eine in die Zuständigkeit des
Bundes fallende Gesetzesvorlage in den Deutschen Bundes-
tag eingebracht hat, ist dieser verpflichtet, sich mit ihr zu
befassen.
Eine durch Volksinitiative ausgelöste Debatte kann schon
auf dieser Stufe zu einem vom Parlament beschlossenen Ge-
setz führen, welches das Anliegen der Initiative aufgreift.
Wenn das von der Initiative beantragte Gesetz nicht inner-
halb von acht Monaten zustande kommt, wobei der Bundes-
rat gemäß den Artikeln 77, 78 zu beteiligen ist, so können
die Vertrauensleute der Volksinitiative die Durchführung
eines Volksbegehrens einleiten.

Zu Absatz 2
Bereits ab Einleitung des Volksbegehrens unterliegt der Ge-
setzentwurf der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Diese
vorgezogene Normenkontrolle gewährleistet, dass grundge-
setzwidrige Entwürfe schon vor Durchführung des aufwän-
digen Volksbegehrens gestoppt werden. Dies gilt sowohl für
die Voraussetzung der Bundeszuständigkeit und des nach
Artikel 82a Abs. 2 zulässigen Gegenstands, als auch für
sämtliche materiellen verfassungsrechtlichen Grenzen. So
würde ein Volksbegehren, das gegen Grundrechte verstößt,
bereits in diesem Stadium scheitern.
Zweck der antizipierten Normenkontrolle ist es auch,
den weiteren Verfahrensgang von verfassungsrechtlichen
Streitigkeiten zu entlasten und der Enttäuschung vorzu-
beugen, die bei der Verwerfung eines volksbegehrten oder
-beschlossenen Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkt ent-
stünde.

Zu Absatz 3
Der eigentliche Test für die Relevanz des Gesetzentwurfs
und seine Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern ist das
Erreichen der für das Volksbegehren erforderlichen Unter-
stützung. Fünf Prozent der Stimmberechtigten, d. h. rund
drei Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen das Anlie-
gen der Initiatoren für so wichtig halten, dass sie innerhalb
von sechs Monaten eine Volksabstimmung begehren.

Zu Artikel 82c
Zu Absatz 1
Nach Zustandekommen des Volksbegehrens kann das Par-
lament das begehrte Gesetz innerhalb von sechs Monaten
verabschieden und damit das Verfahren beenden.
Der Zeitraum von sechs Monaten reicht, um Abstimmungen
während ungünstiger Zeiten zu vermeiden und ggf. mehrere
Abstimmungen zusammenzufassen oder mit einem Wahl-
termin zu verbinden. Zudem ist diese Zeit eine weitere In-
formations- und Werbephase für Befürworter wie Gegner
des Gesetzentwurfs.
Wenn das Parlament den Gesetzentwurf nicht verabschie-
det, findet – ohne weiteren Antrag – ein Volksentscheid
statt.

Drucksache 14/8503 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Zu Absatz 2
Die Verzahnung von parlamentarischer und direktdemokra-
tischer Gesetzgebung wird in der Phase des Volksentscheids
dadurch erreicht, dass der Deutsche Bundestag einen eige-
nen Gesetzentwurf zum gleichen Gegenstand zur gleichzei-
tigen Abstimmung stellen kann. An diesem wirkt der Bun-
desrat entsprechend Artikel 77 mit. Dieses Verfahren ist ge-
eignet, die Diskussion um die beste Lösung und die Kom-
promissfindung zu fördern.
Zu Absatz 3
Ein einfaches Gesetz kommt durch Volksentscheid zustande,
wenn sich die Mehrheit der Abstimmenden dafür ausspricht.
Das zusätzliche Erfordernis, dass sich mindestens zwanzig
Prozent der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt
haben muss, verhindert, dass sich partikulare Sonderinteres-
sen einer kleinen Minderheit durchsetzen können. Gewähr-
leistet wird zugleich, dass das Abstimmungsergebnis nicht
durch Hinweis auf eine zu geringe Stimmbeteiligung in Frage
gestellt werden kann. Anliegen von bundesweiter Bedeutung
und allgemeinem politischen Interesse haben jedoch gute
Chancen, das Beteiligungsquorum zu erreichen.
Zu Absatz 4
Für Verfassungsänderungen gelten erheblich höhere Quo-
ren. Dies entspricht der erschwerten Abänderbarkeit der
Verfassung im parlamentarischen Verfahren. Die Verfas-
sung als Grundlage der Rechtsordnung und des politischen
Prozesses soll nur dann durch Volksabstimmung geändert
werden können, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens
besteht. Deshalb müssen sowohl zwei Drittel der Abstim-
menden zustimmen als auch mindestens vierzig Prozent der
Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligen.
Durch diese Voraussetzungen ist die Verfassung vor nicht
hinreichend durchdachten Änderungen geschützt.
Zu Absatz 5
Diese Regelung trägt dem bundesstaatlichen Aufbau der
Bundesrepublik Deutschland Rechnung. Vorbild für die
Länderbeteiligung beim Volksentscheid ist das bewährte
Modell des schweizerischen „Volks- und Ständemehr“
(Artikel 142 Abs. 3 Bundesverfassung der Schweizeri-
schen Eidgenossenschaft). Bei Verfassungsänderungen
und bei Gesetzen, die im parlamentarischen Verfahren der

Zustimmung des Bundesrates bedürften (zustimmungs-
pflichtige Gesetze) werden die Stimmen doppelt gezählt:
Das Ergebnis in einem Land gilt als die Abgabe seiner
Bundesratsstimmen. Demnach muss bei zustimmungs-
pflichtigen Gesetzen die Mehrheit der Abstimmenden in so
vielen Ländern dem Gesetzentwurf zustimmen, dass deren
Stimmen einer Mehrheit im Bundesrat entsprechen. Bei
Verfassungsänderungen ist die Mehrheit in so vielen Län-
dern erforderlich, dass deren Stimmen einer Zweidrittel-
mehrheit im Bundesrat entsprechen.
Diese Regelung fügt den Volksentscheid in das föderale
System der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Gewich-
tung der Bundesländer im Bundesrat bei der parlamentari-
schen Gesetzgebung setzt sich im Abstimmungsverfahren
des Volksentscheids fort.
Die erforderliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge-
bung (Artikel 79 Abs. 3) ist hierdurch sichergestellt. Denn
Artikel 79 Abs. 3 erklärt nur die grundsätzliche Mitwirkung
für unantastbar und garantiert weder den bisherigen Umfang
noch das bestehende Verfahren der ausschließlichen Mitwir-
kung durch den Bundesrat.
Da beim Volksentscheid die Bürgerinnen und Bürger unmit-
telbar und nicht vermittelt durch Repräsentativorgane ent-
scheiden, kann die Mitwirkung der Länder ebenfalls nur
unmittelbar erfolgen. Die Berücksichtigung der Abstim-
mungsergebnisse in den einzelnen Bundesländern realisiert
somit deren erforderliche Mitwirkung.
Zu Artikel 82d
Die Einzelheiten des Verfahrens der Volksgesetzgebung
sind in einem besonderen Bundesgesetz zu regeln, das we-
gen der Möglichkeit von Volksentscheiden auch in der Zu-
stimmung des Bundesrates obliegenden Bereichen selbst
dessen Zustimmung bedarf. Neben Verfahrensfragen und
Einzelheiten der Rechtsstellung der Initiativen werden in
diesem Gesetz auch Regelungen zur Information der Ab-
stimmenden über Inhalte und Gründe der Gesetzentwürfe
sowie Regelungen zur Kostenerstattung getroffen werden
müssen.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt gemäß Artikel 82 Abs. 2 Satz 1 Grund-
gesetz das Inkrafttreten des Gesetzes.

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