BT-Drucksache 14/8273

Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich herstellen

Vom 20. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8273
14. Wahlperiode 20. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa Luft,
Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Ruth Fuchs, Rosel Neuhäuser,
Christine Ostrowski, Christina Schenk, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich herstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass zum 1. Januar 2003 eine
Reform des steuerlichen Familienlastenausgleichs nach folgenden Maßgaben in
Kraft tritt:
l Die Einkommensbesteuerung erfolgt unabhängig von der Lebensweise bzw.

Lebensform;
l Familien sollen durch die schrittweise Umwandlung des Kindergeldes in

eine einkommensunabhängige Grundsicherung stärker am gesellschaftlichen
Wohlstand beteiligt und ihr Armutsrisiko gemindert werden;

l Eltern sind von den Kosten der Kinderbetreuung zu entlasten.

Berlin, den 19. Februar 2002
Dr. Barbara Höll
Heidemarie Ehlert
Dr. Christa Luft
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Uwe Jens Rössel
Dr. Ruth Fuchs
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Christina Schenk
Roland Claus und Fraktion

Drucksache 14/8273 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung
In ihrem Antrag „Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut begrenzen“ (Bun-
destagsdrucksache 14/6173) hat die PDS-Fraktion bereits eine sozial gerechte
Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs gefordert. Ziel war die ge-
rechte Verteilung steuerlicher Lasten zwischen Haushalten mit und ohne Kin-
der bzw. zwischen den unterschiedlichen Lebensweisen, die Chancengleichheit
der Kinder sowie insgesamt eine stärkere Teilhabe der Familien am gesell-
schaftlichen Wohlstand. Die Auswirkungen des Zweiten Gesetzes zur Famili-
enförderung der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/6160) ab Januar
2002 verdeutlichen, dass für diese Reform des Familienlastenausgleichs nach
wie vor dringender Handlungsbedarf besteht. Durch das Gesetz wurde die
Schieflage bei der wirtschaftlichen Behandlung von Familien nicht beseitigt,
sondern – im Gegenteil – neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Dabei sind insbe-
sondere die relative und absolute Mehrbelastung der allein erziehenden Eltern
durch die Abschaffung des Haushaltsfreibetrages, die unsozialen Entlastungs-
wirkungen von Kindergeld und -freibetrag bei Eltern mit unterschiedlich hohen
Einkommen, die Ausgrenzung von Sozialhilfeberechtigten von der Erhöhung
des Kindergeldes sowie die unzureichende Entlastung der Eltern von den Kos-
ten der Kinderbetreuung zu nennen.
In seinem Urteil vom November 1998 nahm das Bundesverfassungsgericht von
seiner langjährigen Auffassung Abstand, dass der steuerliche Vorteil durch das
Ehegattensplitting für allein Erziehende kompensiert werden müsse und bean-
standete die ausschließliche Gewährung des Haushaltsfreibetrages an allein Er-
ziehende. Zu diesem Zweck revidierte das Bundesverfassungsgericht gleichzei-
tig seine Meinung, das Ehegattensplitting beinhalte eine „Anerkennung der
Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ (BVerfGE 61, 319 (346)). In-
dem es feststellte, dass die Möglichkeit der Zusammenveranlagung von allen
Ehegatten in Anspruch genommen werden kann, „unabhängig davon, ob sie
unterhaltsberechtigte Kinder haben oder nicht“ (BVerfGE 99, 216 (240)), ent-
zog es dem Ehegattensplitting seine Rechtfertigung als Familienförderung. In
der Konsequenz reduziert sich die eheliche Zusammenveranlagung auf eine
kinderunabhängige Förderung einer bestimmten Lebensweise – einer Förde-
rung, die ihre größte Wirkung dort entfaltet, wo eine der Partnerinnen bzw. einer
der Partner auf seine Erwerbsarbeit verzichtet. Damit ist sie aber sowohl aus
steuersystematischen als auch gesellschaftspolitischen Gründen fragwürdiger
denn je. Ihre schrittweise Umwandlung, z. B. in eine Freibetragsregelung zur
steuerlichen Berücksichtigung von existenzsichernden Unterhaltsleistungen, ist
deshalb unabdingbar.
Die unveränderte Beibehaltung des Ehegattensplittings verstärkt darüber hinaus
die steuerliche Diskriminierung allein Erziehender. Durch die Abschaffung des
Haushaltsfreibetrages müssen diese zukünftig durchweg – selbst gegenüber
kinderlosen Steuerpflichtigen – erhebliche relative und absolute Mehrbelastun-
gen hinnehmen. Bei Wegfall des Haushaltsfreibetrages ergibt sich z. B. bei al-
lein Erziehenden mit einem Kind und einem Bruttolohn von 1 230 Euro monat-
lich eine Verminderung des Haushaltsnettoeinkommens in Höhe von 46 Euro,
bei zwei Kindern in Höhe von 33 Euro. Bei einem Bruttolohn in Höhe von mo-
natlich rund 2 500 Euro vermindert sich das Haushaltsnettoeinkommen um
rund 76 Euro (ein Kind) bzw. 64 Euro (zwei Kinder) im Monat. Damit werden
durch die von der Bundesregierung eingeleitete Reform der Familienförderung
gerade diejenigen Familien benachteiligt, die – sowohl im Vergleich zu den
Zwei-Eltern-Familien als auch insgesamt – tendenziell geringere Einkommen
erzielen sowie einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind. Nicht zuletzt der
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat diese besondere Le-
benslage von allein erziehenden Eltern hervorgehoben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8273

Um eine stärkere Teilhabe von Menschen mit Kindern am gesellschaftlichen
Wohlstand zu gewährleisten, muss den Familien ein höherer Anteil der Versor-
gungs- und Betreuungskosten zurückgegeben werden. Gleichzeitig müssen alle
Familien – unabhängig von der Höhe ihres Einkommens – von den entspre-
chenden Maßnahmen partizipieren, um eine annähernde Chancengleichheit al-
ler Kinder sicherzustellen. Die Reform der Familienförderung der Bundesregie-
rung leistet dieses nicht. Die materielle Lebenswirklichkeit von Familien mit
hohen und denen mit niedrigen und mittleren Einkommen driftet auch nach der
Umsetzung des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung weiter auseinander.
Durch die Anhebung der Kinderfreibeträge ab 2002 werden Spitzenverdiener
insgesamt um bis zu 235 Euro monatlich entlastet, während Familien mit gerin-
geren und mittleren Einkommen gerade ein Kindergeld in Höhe von 154 Euro
pro Monat erhalten. Darüber hinaus werden sozialhilfeberechtigte Familien von
der Erhöhung des Kindergeldes ausgeschlossen, da es fast vollständig auf die
Sozialhilfe angerechnet wird.
Damit wird deutlich, dass es zukünftig nicht darum gehen kann, das Kindergeld
um einige Euro zu erhöhen, sondern qualitative Veränderungen notwendig sind.
Angesichts der enormen Verarmungsrisiken, denen Familien verstärkt ausge-
setzt sind, müssen diese Reformen einen wirksamen Beitrag zur Existenzsiche-
rung von Kindern leisten. Kurzfristig muss mit dem Kindergeld ein Beitrag
geleistet werden, Kinder aus der Sozialhilfeabhängigkeit zu lösen. Davon aus-
gehend sind weitere Schritte vorzunehmen, um die steuerlich geprägte Fami-
lienförderung in eine allgemeine einkommensunabhängige Grundsicherung für
Kinder umzuwandeln.
Die vielfältigen Mehrbelastungen von Eltern und Kindern sollten nicht vorran-
gig durch den Ausbau steuerlicher Entlastungen ausgeglichen werden. Viel-
mehr müssen insbesondere die Nachteile bei der Aufnahme einer Erwerbsarbeit
bzw. der Erzielung eines leistungsgerechten Einkommens – die eine wesent-
liche Ursache für Armut sind – beseitigt werden. Im Mittelpunkt muss deshalb
der Ausbau einer bedarfsorientierten und kostengünstigen institutionellen Kin-
derbetreuung stehen. Hier existieren jedoch – auch nach Feststellung des
11. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung vom Januar 2002 – noch
gravierende Defizite. Den Eltern werden deshalb auch mittelfristig erhebliche
Kosten aus der Betreuung von Kindern erwachsen. Diese Aufwendungen min-
dern die Leistungsfähigkeit der Eltern und sind deshalb steuerlich zu berück-
sichtigen. Gleichzeitig werden mit dem erweiterten Abzug von Kinderbe-
treuungskosten und einem erhöhten Kindergeld für einen großen Teil der allein
Erziehenden die aus der Streichung des Haushaltsfreibetrages resultierenden
Mehrbelastungen kompensiert.

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