BT-Drucksache 14/8031

Welternährungsgipfel - fünf Jahre später

Vom 23. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8031
14. Wahlperiode 23. 01. 2002

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau,
Rudolf Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki, Gernot Erler,
Gabriele Fograscher, Anke Hartnagel, Reinhold Hemker, Frank Hempel,
Ingrid Holzhüter, Barbara Imhof, Ulrich Kelber, Karin Kortmann, Konrad Kunick,
TobiasMarhold, LotharMark, UlrikeMehl, Albrecht Papenroth, Dr. HermannScheer,
Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell,
Wieland Sorge, Joachim Tappe, Engelbert Wistuba, Hanna Wolf (München),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Ulrike Höfken, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Welternährungsgipfel – fünf Jahre später

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Teilnehmerstaaten des Welternährungsgipfels 1996 in Rom haben sich zum
Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2015 die Anzahl der Hungernden von damals 800Mil-
lionen auf 400 Millionen zu reduzieren. Im globalen Aktionsplan wurden sieben
Aufgabenschwerpunkte identifiziert:
– Schaffung des für eine Bekämpfung von Armut und Hunger und für dauer-

haften Frieden nötigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes;
– Umsetzung einer Ernährungspolitik, die allen Menschen Nahrung in ausrei-

chender Menge und Qualität sichert;
– Umsetzung einer partizipativen und nachhaltigen Entwicklungspolitik;
– Einbettung einer solchen Politik in eine faire und marktorientierte Welthan-

delspolitik;
– Bereitstellung von Nahrungsmitteln für Nothilfe bei Naturkatastrophen und

Konflikten;
– Optimaler Einsatz öffentlicher und privater Investitionen;
– Umsetzung und Evaluierung dieses Aktionsplans auf allen Ebenen.
Die Probleme im Bereich Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung sind
auch wissenschaftlich hinreichend untersucht und umfassend dokumentiert wor-
den. In zahlreichen internationalen Erklärungen und Aktionsprogrammen wer-
den die Ziele eindeutig formuliert und Lösungswege aufgezeigt. Nach Angaben
der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO) sind die technischen, institutionellen und finanziellen Möglichkeiten,

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den Kampf gegen den Hunger zu gewinnen, grundsätzlich vorhanden. Erforder-
lich ist eine politische Prioritätensetzung zu Gunsten von Maßnahmen zur Be-
kämpfung des Hungers und zur Entwicklung der Landwirtschaft und der ländli-
chen Räume. Ziel aller Bemühungen ist, wie es der diesjährige Träger des
Welternährungspreises Per Pinstrup-Andersen formuliert, eine „Welt, in der
jeder Mensch Zugang zu ausreichender Nahrung hat, um ein gesundes und
lebenswertes Leben zu führen, eine Welt, in der es keine Unterernährung gibt
und Nahrungsmittel aus leistungsfähigen und kostengünstigen Nahrungsketten
stammen, die mit einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen ver-
einbar sind“. Das Aktionsprogramm 2015 der Bundesregierung unterstreicht im
Hinblick auf diese Ziele die große Bedeutung des Rechts auf Nahrung im Kon-
text der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte.
Gerade jetzt, fünf Jahre nach dem Welternährungsgipfel in Rom, geht es nicht
allein um eine Analyse der bisher erreichten Fortschritte, sondern um eine
politische Weichenstellung im Hinblick auf zukünftige Strategien. Insofern
steht der „Welternährungsgipfel – fünf Jahre später“ in direktem Zusammen-
hang mit der Ministerratstagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha/
Katar, der Konferenz der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung im
März 2002 in Monterrey/Mexiko und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwick-
lung im September 2002 in Johannesburg.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem von ihr
initiierten Themenjahr Welternährung die Diskussion über Lösungsstrategien
unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen fördert. Es ist ebenfalls
begrüßenswert, dass die Bundesregierung mit der von ihr eingeleiteten Neu-
orientierung der Agrarpolitik in Deutschland und der Europäischen Union auch
zur Reduzierung von Armut und Hunger in Entwicklungsländern beitragen und
deren Position im internationalen Agrarhandel stärken will.
Der Deutsche Bundestag nimmt Stellungnahmen der FAO besorgt zur Kennt-
nis, die bei gleichbleibendem Engagement der Staatengemeinschaft die Errei-
chung des Zieles einer Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden in Zwei-
fel ziehen, wenn nicht erheblich mehr Anstrengungen unternommen werden.
Der Deutsche Bundestag bedauert, dass der „Welternährungsgipfel – fünf Jahre
später“ abgesagt wurde, verbindet aber mit der Verschiebung auf Juni 2002 die
Hoffnung, dass in der Zwischenzeit den Zielen der Welternährungskonferenz
1996 in Rom weltweit verstärkte Tatkraft gewidmet wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. bei der Erarbeitung schlüssiger Konzepte für die Verbesserung der Agrar-

struktur und der Agrarverfassung (armutsorientierte und demokratische
Agrarreformen) unter Einbeziehung der Ergebnisse der Konferenz „Access
to Land“ im März 2001 in Bonn in den Ländern des Südens unterstützend
mitzuwirken. Durch einen besseren Zugang zu Land, Wasser, Krediten, Be-
triebsmitteln und Technologien sollen lokale und regionale Wirtschafts-
strukturen gestärkt und damit stabilisierend auf das binnenwirtschaftliche
Umfeld eingewirkt werden;

2. alle Anstrengungen auf internationaler Ebene zu unternehmen, damit die
Investitionstätigkeiten im Agrarbereich und der ländlichen Entwicklung in
Entwicklungsländern massiv gesteigert werden. Dabei sind insbesondere die
Interessen von Millionen von Kleinbauern zu berücksichtigen, die einen
maßgeblichen Beitrag zur Sicherung der Ernährung und zur nachhaltigen
Entwicklung ländlicher Räume leisten;

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3. das dafür notwendige positive Investitionsklima, Demokratisierung,
Rechtsstaatlichkeit, Aufbau funktionierender öffentlicher Verwaltungs-
strukturen und anderer Institutionen sowie besonders die Partizipation der
ländlichen Bevölkerung nach Kräften zu fördern;

4. bei Investitionen in ländliche Räume der Entwicklungsländer darauf zu
achten, dass sie sich am Prinzip einer sozialökonomischen Entwicklung un-
ter Berücksichtigung der in der AGENDA 21 genannten Nachhaltigkeits-
kriterien orientieren, die Möglichkeiten der Entwicklung einer sozialen
Infrastruktur und der menschlichen Entwicklung ausreichend berücksich-
tigen;

5. Ernährungssicherheit und -sicherung als Menschenrecht bei allen entwick-
lungs- und handelspolitischen Maßnahmen zu berücksichtigen und sich für
eine verbindliche Umsetzung des so genannten International Code of Con-
duct on the Human Right to Adequate Food einzusetzen;

6. die Entwicklung standort- und umweltgerechter Produktionsverfahren in
der Land- und Forstwirtschaft zur Sicherung der Eigenversorgung und
gleichzeitig die verstärkte Entwicklung des Exports deutlich zu fördern und
dabei die Leitbildfunktion des ökologischen Landbaus zur nachhaltigen
Lebensmittelerzeugung und dessen positive Ertragseffekte bei niedrigem
Energie- und Ressourceninput besonders zu berücksichtigen;

7. die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe in Entwicklungslän-
dern sowohl zur Förderung der Eigenversorgung, der lokalen Märkte und
des Binnenhandels als auch in Bezug auf einen weiter diversifizierten
Außenhandel zu unterstützen;

8. gender-Aspekte und Fragen des empowerment of women grundsätzlich auf
allen Ebenen mit zu berücksichtigen, um damit neben grundsätzlichen
Erwägungen des Gleichberechtigungsgedankens auch der besonderen Be-
deutung der Frauen bei der Sicherung der Ernährung Ausdruck zu verlei-
hen, den Zugang von Frauen zu Land in besonderer Weise zu fördern und
somit das vorhandene Potential der Hilfe zur Selbsthilfe zu nutzen;

9. die Ergebnisse der IFPRI-Konferenz „Sustainable Food Security for all by
2020“ vom 4. bis 6. September 2001 in Bonn, insbesondere die Themen
Nahrungsmittelproduktion, Zugang zu Nahrung über Einkommensgenerie-
rung, Gesundheitsvorsorge, Bildung sowie Wasser als wesentliche Ele-
mente einer vorsorgenden Ernährungssicherungspolitik, bei den „Beratun-
gen des Welternährungsgipfels – fünf Jahre später“ zu berücksichtigen;

10. darauf hinzuwirken, dass die handelspolitische Initiative der Europäischen
Union „everything but arms“ konsequent umgesetzt wird und sich für eine
weitere Öffnung der Märkte der Industriestaaten gegenüber den Ent-
wicklungsländern einzusetzen. Ein special and differential treatment for
developing countries soll gewährleistet werden. Außerdem soll die Bun-
desregierung im Rahmen der neuen WTO-Runde für eine weitere wesent-
liche Reduzierung aller Formen der Exportsubventionierung im Agrarbe-
reich in den Industrieländern eintreten und gleichzeitig darauf achten, dass
die Multifunktionalität der Landwirtschaft erhalten bleibt;

11. ihren Einfluss geltend zu machen, dass die von der WTO-Ministerratsta-
gung betonte Frage der Ernährungssicherung während der nun beschlosse-
nen Verhandlungsrunde in allen Bereichen berücksichtigt wird, insbeson-
dere im Zusammenhang mit den Verhandlungen im Agrarbereich und dem
Abkommen über geistiges Eigentum. Außerdem sollen die unter dem
Begriff „Food and Development Box“ zusammengefassten Vorstellungen
einer großen Anzahl von Entwicklungsländern berücksichtigt werden;

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12. sich für eine Begünstigung des Imports von landwirtschaftlichen Fair-
Trade-Produkten aus Entwicklungsländern einzusetzen und diesen Fair-
Trade-Produkten eine Präferenz im öffentlichen Beschaffungswesen einzu-
räumen und sich für eine entsprechende Änderung der EU-Beschaffungs-
richtlinie für die öffentliche Hand einzusetzen;

13. zivilgesellschaftliches und privates Engagement zu fördern und auf inter-
nationaler Ebene Konsultationen über Ernährungsfragen und deren Institu-
tionalisierung voranzubringen;

14. in ihren Bemühungen um Innovationsentwicklung und -verbreitung (For-
schung für Entwicklung) noch größere Anstrengungen zu unternehmen
und sich innerhalb der Consultative Group on International Agricultural
Research (CGIAR) dafür einzusetzen, dass die Aktivitäten der internatio-
nalen Agrarforschung dem Ziel einer nachhaltigen Nahrungsmittelsiche-
rung dienen;

15. sich dafür einzusetzen, dass das Thema Welternährung auf die Tagesord-
nung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung im September 2002 in
Johannesburg aufgenommen wird;

16. mit einer baldmöglichen deutlichen Steigerung des Anteils der finanziellen
Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt die
Bedeutung der Armutsbekämpfung und der Ernährungssicherung als zu-
kunftssichernde globale Aufgaben zu dokumentieren.

Berlin, den 23. Januar 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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