BT-Drucksache 14/8000

Reformprozeß der Internationalen Agrarforschung vorantreiben

Vom 17. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8000
14. Wahlperiode 17. 01. 2002

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf
Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki, Gernot Erler, Gabriele
Fograscher, Anke Hartnagel, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Ingrid Holzhüter,
Barbara Imhof, Ulrich Kelber, Karin Kortmann, Konrad Kunick, Tobias Marhold,
UlrikeMehl, Albrecht Papenroth, Dr. HermannScheer, DagmarSchmidt (Meschede),
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Joachim Tappe, Engelbert Wistuba,
Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reformprozess der Internationalen Agrarforschung vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In Anbetracht der hohen Zahl hungernder Menschen in der Welt und der da-
mit verbundenen Folgeprobleme hat Deutschland dem Thema Welternährung
einen zentralen Stellenwert in der Entwicklungspolitik gegeben. Dies wird im
Aktionsprogramm 2015 Armutsbekämpfung – eine globale Aufgabe vielfach
unterstrichen.
Die dichte Folge wichtiger Konferenzen im Agrarforschungsbereich wie etwa
das „Globale Forum für Agrarforschung“ im Mai 2000 in Dresden, die Konfe-
renz rural21 im Juni 2000 in Potsdam, die IFPRI-Konferenz Vision 2025 in
Bonn im September 2001 und nicht zuletzt die Rom+5-Nachfolgekonferenz des
Welternährungsgipfels im Sommer 2002 dokumentiert die Dringlichkeit, mit
der die Verantwortlichen an Lösungen für Armuts- und Ernährungsprobleme ar-
beiten.
Der nationalen und internationalen Agrarforschung, die sich durch die 1971 ge-
gründete Consultive Group on International Agricultural Research (CGIAR)
der Bekämpfung von Hunger und Armut verschrieben hat, kommt in diesem
Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Dabei ist es besonders wichtig,
dass die Zielgruppen selbst in den Diskussions- und Forschungsprozess einge-
bunden sind, und zwar als gleichberechtigte Partner und unter Berücksichti-
gung ihres lokalen Wissens.
Das so genannte „CGIAR Mid-Term Meeting 2001“ vom 21. bis 25. Mai 2001
in Durban (Südafrika) sollte die Weichen für die weitere Konsolidierung und
Neustrukturierung des Internationalen Agrarforschungssystems stellen. Der
vorläufig eingesetzte Exekutivrat soll bis zum Jahrestreffen der CGIAR umfas-
sende Vorschläge erarbeiten, die dann diskutiert und beschlossen werden sollen.
Dies betrifft insbesondere die Zusammensetzung des Rats und dessen Arbeits-
richtlinien, die Entwicklung, Vorbereitung und Umsetzung der Programme, die

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Einrichtung eines Wissenschaftlichen Rates und einer zentralen Schaltstelle für
Kommunikation und Fundraising.
Diese Entscheidungen werden weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen,
die auf viele Jahre die Ausrichtung der Internationalen Agrarforschung nach-
haltig beeinflussen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,
1. dafür Sorge zu tragen, dass sich die entwicklungsorientierte nationale und

internationale Agrarforschung konsequent an den Zielen Armutsbekämp-
fung, Ernährungssicherheit, Ernährungssicherung, Umwelt- und Ressour-
censchutz orientiert, und zwar unter Berücksichtigung des gender-main-
streaming-Aspektes;

2. sich dafür einzusetzen, dass die vorhandenen finanziellen Ressourcen effizi-
ent und zielgenau eingesetzt werden;

3. in den zuständigen Gremien darauf zu bestehen, das Finanzierungssystem
der internationalen Agrarforschungszentren zukunftsfähig zu gestalten und
seine Effektivität mittels eines kontinuierlichen Monitorings sowohl intern
als auch unabhängig extern fortlaufend überprüfen zu lassen;

4. darauf hinzuwirken, dass der Anteil von einheimischen Wissenschaftlern an
den Führungspositionen der Agrarforschungsinstitute erhöht und weiterhin
in die Aus- und Weiterbildung einheimischer junger Wissenschaftler inves-
tiert wird, um die Kompetenzen und Kapazitäten im Süden zu steigern;

5. im Dialog zwischen nationaler und internationaler öffentlicher Agrarfor-
schung und privaten Forschungseinrichtungen besonderen Wert auf partizi-
pative Forschungsansätze zu legen, die der Bedeutung der Kleinbäuerinnen
und Kleinbauern als Leistungsträger einer nachhaltigen Entwicklung länd-
licher Räume gerecht wird und gleichzeitig bei einer an Nachhaltigkeitskri-
terien ausgerichtete Entwicklung zukunftsfähigerer Betriebseinheiten bera-
tend mitwirkt;

6. dafür zu sorgen, die nach der Konferenz in Luzern im Februar 1995 und
durch die dort verabschiedete Erklärung von Luzern kontinuierlich auf-
gebaute Beteiligung der Zivilgesellschaft innerhalb des Systems der inter-
nationalen Agrarforschung stetig fortzusetzen und dabei auf transparente
Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse zu achten;

7. sich dafür einzusetzen, dass neben den Mitgliedern und den Co-Sponsoren
Weltbank, UNDP, IFAD und FAO ihrer Bedeutung angemessen zivilgesell-
schaftliche Interessenvertretungen indigener Gruppen und Kleinbäuerinnen
und -bauern gehört und am Diskussionsprozess aktiv beteiligt werden;

8. ihren Einfluss geltend zu machen, dass die Restrukturierung des Internatio-
nalen Agrarforschungssystems (CGIAR) durch einen konstruktiven Abbau
bürokratischer Hemmnisse und die konsequente Umsetzung demokrati-
scher Kontrollmechanismen begleitet wird;

9. die wissenschaftliche Begleitung der freiwilligen Agrar-Umwelt/Sozial-
Zertifizierung zu forcieren;

10. die internationale Agrarforschung im Bereich umweltgerechter Produk-
tionssysteme wie dem ökologischen Landbau und artgerechter Tierhal-
tungssysteme auch unter dem Gesichtspunkt von Low-Input-Strategien zu
verstärken;

11. der Nutzung und Weiterverarbeitung landwirtschaflticher Rohstoffe inner-
halb der internationalen Agrarforschung unter stärkerer Berücksichtigung
ökologischer Erfordernisse mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Im Sinne

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der Steigerung ihres wirtschaftlichen Potentials können auf diese Weise die
Binnenmärkte der Entwicklungsländer gestärkt werden, und so können un-
ter anderem im Zuge der Öffnung der europäischen und außereuropäischen
Märkte die Entwicklungsländer zunehmend aus der Position reiner Roh-
stofflieferanten heraustreten;

12. einen Diskussionsprozess anzustoßen, der die Möglichkeiten der Agrarfor-
schung im Hinblick auf eine Berücksichtigung von Weiterverarbeitungs-
möglichkeiten landwirtschaftlicher Produkte für den Lebensmittelbereich
erörtert, um langfristig neben Aspekten der Eigenversorgung die Palette
attraktiver Exportprodukte zu erweitern;

13. darauf zu achten, dass in Bezug auf vorhandene Kapitalinteressen für einen
akzeptablen Interessen- und Finanzausgleich (benefit-sharing) gesorgt
wird. Dies gilt insbesondere auch für Fragen handelsbezogener geistiger
Eigentumsrechte im Bereich der Pflanzenzüchtung, bei der neben berech-
tigten Interessen der Eigentümer auch gesellschaftliche Interessen berück-
sichtigt werden müssen;

14. dass im Zusammenhang mit der Gentechnik eine kontinuierliche Technik-
folgenabschätzung erfolgt, die ganzheitliche Aspekte bezüglich wirtschaft-
licher, ökologischer, sozialer und kultureller Konsequenzen berücksichtigt,
sich also am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert, und die Entwicklungs-
länder beim Schutz vor Risiken der Gentechnik adäquat unterstützt werden;

15. in besonderer Weise darauf hinzuwirken, dass die Nutzung der wissen-
schaftlichen Erkenntnisse im Sinne der vorgenannten Ziele wirtschafts-, so-
zial- und kulturpolitische Aspekte der Entwicklung ländlicher Räume be-
rücksichtigt, um die ländliche Entwicklung auch für die langfristige
Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu nutzen.

Berlin, den 17. Januar 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Begründung
Die während der Welternährungskonferenz 1996 in Rom verfasste Erklärung
zur Welternährungssicherheit bekräftigt den Willen und die Verpflichtung zur
Erreichung von Ernährungssicherheit für alle. Bis zum Jahr 2015 soll die An-
zahl der unterernährten Menschen auf die Hälfte des damaligen Standes verrin-
gert werden. Die Staats- und Regierungschefs stellen ausdrücklich fest, dass
„die Erreichung nachhaltiger Welternährungssicherheit (…) untrennbar mit der
Umsetzung der sozialen, wirtschaftlichen, umweltrelevanten und menschlichen
Entwicklungsziele verknüpft (ist), die auf den jüngsten internationalen Konfe-
renzen vereinbart worden sind“. Die dritte Verpflichtung geht speziell auf Maß-
nahmen und Ziele bezüglich der nationalen und internationalen Agrarfor-
schung ein.
Die Agrarforschung kann in den Bereichen Agrar-, Forst-, Fischerei- und Er-
nährungswirtschaft Beiträge zu einer Reihe von zentralen Problemen leisten,
die direkt oder indirekt die Ernährungssicherheit und -sicherung betreffen, an-
gefangen von der Entwicklung der ländlichen Räume über die Sicherung der
natürlichen Ökosysteme, den Erhalt und die Nutzung der biologischen Vielfalt,

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Boden- und Gewässerschutz bis hin zu einer nachhaltigen Nutzung der Wälder
oder einer sachlichen Auseinandersetzung mit den modernen Biotechnologien.
Die Bundesregierung hat sich in vielen internationalen Abkommen und bilate-
ralen Vereinbarungen verpflichtet, zur Lösung der genannten Probleme aktiv
beizutragen. Deutschland verfügt auf den relevanten Forschungsgebieten über
umfangreiche und leistungsfähige öffentliche und private Forschungskapazitä-
ten und über ein vielfältiges Instrumentarium zur Förderung von Forschungs-
kooperationen auf diesen Gebieten. Informations- und Wissensaustausch, die
Bildung neuer Partnerschaften und ein verbessertes Wissensmanagement könn-
ten den Entwicklungsländern als wirksame Instrumente im Kampf gegen Armut
dienen. In diese Richtung geht der in der Abschlusserklärung des Globalen
Forums für Agrarforschung im Mai 2000 in Dresden angekündigte Paradig-
menwechsel in der Agrarforschung, hin zu einer holistischen „wissensintensi-
ven Landwirtschaft“, die vor allem an den Bedürfnissen der Landwirte orien-
tiert sein muss. Dabei spielt traditionelles lokales Wissen als Grundlage
wissenschaftlicher Forschung eine wesentliche Rolle. Die Forschungskapa-
zitäten zu stärken und die Katalysatorrolle der Nichtregierungs- und Farmer-
organisationen zu nutzen sind dabei zwei Seiten der gleichen Medaille.
Die Lösung der Welternährungsprobleme ist und bleibt eine der größten Heraus-
forderungen unserer Zeit. Die Defizite in Fragen der Ernährungssicherheit und
Ernährungssicherung sind vielschichtig und berühren nicht allein produk-
tionstechnische Faktoren. Außerdem sind sie nicht auf Hunger- und Krisen-
gebiete beschränkt, sondern haben ihre Ursache auch in Konsummustern und
sich daraus ergebenden Ernährungsgewohnheiten in Entwicklungsländern und
Industrieländern. Gleichwohl ist eine Steigerung der Produktivität auf nicht
begünstigten Agrarstandorten unerlässlich, denn gerade in diesen Regionen
leben zwei Drittel der Landbevölkerung der Entwicklungsländer, das sind etwa
1,8 Milliarden Menschen. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass die
landwirtschaftliche Nutzfläche nicht mehr wesentlich gesteigert werden kann
und die zukünftig ebenfalls nur begrenzt zur Verfügung stehende Ressource
Wasser gerade auch in den unterversorgten Ländern erheblich zur Verschärfung
der Problematik beitragen wird.
Immer wichtiger werden sozialpolitische und soziokulturelle Aspekte im Zu-
sammenhang mit längst überfälligen Landreformen, die zu grundlegenden Än-
derungen der (besitz-)rechtlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Ordnung im ländlichen Raum beitragen könnten. Einer Ausrichtung der Agrar-
forschung im Hinblick auf diese, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Menschenrechte berührenden Fragestellungen, wurde bislang nicht genügend
Raum gegeben. Deshalb sollten die Ergebnisse der Internationalen Konferenz
„Zugang zu Land“ („access to land“), die im März 2001 in Bonn stattfand, aktiv
in den Diskussionsprozess um die Ausrichtung der Internationalen Agrarfor-
schung einbezogen werden.
Eine Lösung der Welternährungsprobleme am grünen Tisch wird es nicht ge-
ben, schon gar nicht über die betroffene ländliche Bevölkerung hinweg. Eine
partizipative Beteiligung der im ländlichen Raum lebenden Menschen am For-
schungsprozess und mithin an der Umsetzung der erzielten Ergebnisse wird
sich nachhaltig auswirken und einen selbsttragenden Prozess im Sinne der
Hilfe zur Selbsthilfe fördern. Auch dies wäre im Sinne der in Dresden vorge-
stellten „Global Shared Vision“, bei der es um neue Modelle für Forschungs-
partnerschaften mit den verschiedenen Interessengruppen geht.
Zwischen den Problemfeldern Ernährungssicherheit und Bevölkerungswachs-
tum, Umweltzerstörung, Armut und Unterentwicklung bestehen vielfältige
Interdependenzen, so dass nur von einem ganzheitlichen Ansatz dauerhafte
Lösungen erwartet werden können. Deshalb muss die Agrarforschung die Be-
reiche nachhaltige Landnutzungssysteme, angepasste Technologien, agroforst-

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wirtschaftliche Systeme, nachhaltige Nutzung aquatischer Ökosysteme und die
bereits erwähnten sozioökonomischen Fragen noch mehr als bisher berück-
sichtigen.
Einen wichtigen Beitrag zur Gentechnik-Debatte kann die nationale und inter-
nationale Agrarforschung leisten, wenn sie sich um Schließung der Wissens-
lücken im Zusammenhang mit möglichen Risiken gentechnisch veränderter
Organismen bemüht. Unabhängig davon wie kritisch die potentiellen Nutzerin-
nen und Nutzer den Biotechnologien und insbesondere der Gentechnik gegen-
überstehen, müssen im Dialog mit ihnen Bewertungskriterien für eine Nutzen-
Risiken-Abwägung erstellt werden. Dabei muss das Vorsorgeprinzip Priorität
haben.
Die Strukturdebatte innerhalb des Internationalen Agrarforschungssystems und
die anhaltende Kritik an der Ausrichtung und der Überbürokratisierung des
Systems sollten ernst genommen werden und erfordern tiefgreifende Reformen.

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