BT-Drucksache 14/7792

Bürgerrechte schützen - öffentliche Sicherheit verbessern

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7792
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Heidemarie Lüth,
Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Bürgerrechte schützen – öffentliche Sicherheit verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington
markieren eine Zäsur in der internationalen und innenpolitischen Auseinander-
setzung mit terroristischen Angriffen.
Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Bevölkerungen in den westlichen Staa-
ten mit Sorge und Angst auf die Angriffe vom 11. September 2001 reagieren,
mit Angst vor weiteren Terroranschlägen, mit Angst vor den Folgen des Krie-
ges in Afghanistan.
Der Staat muss nach den Anschlägen vom 11. September 2001 überprüfen, ob
seine Sicherheitsvorkehrungen ausreichen. Das betrifft den Katastrophen-
schutz, den Schutz des Flugverkehrs, den Schutz industrieller Anlagen und von
Atomkraftwerken. Er muss auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Analyse
der realen Bedrohungslage prüfen, ob die gesetzlich gegebenen Mittel zur effi-
zienten Strafverfolgung der Hintermänner vom 11. September 2001 ausreichen,
ob die zuständigen Behörden in der Lage sind, im Wege der Gefahrenabwehr
terroristische Planungen auf deutschem Boden aufzudecken.
Maßstab für die Beurteilung legislativer Maßnahmen sowie vorhandener und
neu zu schaffender Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind die im Grundge-
setz festgelegten Grund- und Freiheitsrechte sowie die weiteren Grundsätze des
demokratischen Rechtsstaats. Alle im Rahmen der Terrorbekämpfung ergriffe-
nen Maßnahmen müssen deshalb folgenden Prinzipien gerecht werden: Sie
müssen für diesen Zweck geeignet und erforderlich sein. Sie müssen angemes-
sen sein und den geringstmöglichen Eingriff in Grundrechte darstellen.
Notwendig ist eine allgemeine internationale Konvention der UNO für den
Kampf gegen den Terrorismus. Der Deutsche Bundestag beobachtet mit Sorge,
dass in den letzten Monaten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu Maß-
nahmen der Terrorismusbekämpfung erklärt worden sind.
Die Bundesregierung ist bisher den Beweis schuldig geblieben, dass die vor-
handenen gesetzlichen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden nicht ausrei-
chen. Vielmehr ist sie mit ihren Anti-Terror-Paketen in hektische gesetzgeberi-
sche Aktivität verfallen.
Bei der Anhörung des Innenausschusses am 30. November 2001 zum Entwurf
für ein Terrorismusbekämpfungsgesetz hat die Mehrzahl der Sachverständigen
erhebliche Bedenken gegen den Entwurf geäußert und die Verfassungsmä-
ßigkeit etlicher Maßnahmen in Frage gestellt. Viele kritisierten, das Prinzip der

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Verhältnismäßigkeit der Mittel und das rechtsstaatliche Übermaßverbot würden
in zahlreichen Punkten verletzt.
Das betrifft die nahezu lückenlose Erfassung und Überwachung von Bürgerin-
nen und Bürgern nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Die vorgesehenen Maß-
nahmen heben das auch für sie geltende verfassungsmäßige Recht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung weitgehend auf und verletzen überdies den Gleich-
heitsgrundsatz, demzufolge vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Mit den
vorgesehenen Vorschriften etwa zum automatisierten Abgleich zwischen Aus-
länderzentralregister sowie Polizei und Geheimdiensten zur Weiterleitung per-
sonenbezogener Daten von den Ausländerbehörden und dem Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge an den Verfassungsschutz werden
Nichtdeutsche faktisch unter Generalverdacht gestellt. Damit wird die Un-
schuldsvermutung als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips erheb-
lich verletzt. Den Nachweis, dass die Maßnahmen zur Terrorbekämpfung ange-
messen, erforderlich und geeignet sind, hat die Bundesregierung bisher nicht er-
bracht. Das gilt auch für die Speicherungsvorschriften für Fingerabdrücke und
Sprachaufzeichnungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Dabei geht
es eindeutig nicht um Terrorbekämpfung, sondern um die Organisation einer
effizienten Abschiebepolitik.
Die Speicherung biometrischer Daten in den Ausweispapieren deutscher und
nichtdeutscher Bürgerinnen und Bürger zur Feststellung der Identität ist selbst
nach Auskunft von Verfassungsschützern während oben genannter Anhörung
nur dann sinnvoll, wenn zentrale Referenzdateien eingerichtet werden. Diese
können jedoch auch zu anderen Zwecken genutzt werden als zur bloßen Identi-
tätsfeststellung, beispielsweise für Fahndungszwecke. Damit kann jede und
jeder ins Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen geraten. Dies ist mit den Prin-
zipien eines demokratischen Rechtsstaates unvereinbar. Der vorliegende Ge-
setzentwurf gibt über entsprechende Planungen keine Auskunft. Die Bürgerin-
nen und Bürger werden im Unklaren gelassen, was mit ihren Daten geschehen
wird. Damit wird das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung missachtet.
Die Zuständigkeitserweiterungen für die Geheimdienste, also das Bundesamt
für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen
Abschirmdienst auf der einen sowie für das Bundeskriminalamt und das Zoll-
kriminalamt auf der anderen Seite heben die Trennung von Polizei und Ge-
heimdiensten weiter auf. Denn die Geheimdienste bekommen weitgehende
Ermittlungskompetenzen, ohne dass ein konkreter Verdacht über drohende Ge-
fahren oder begangene Straftaten vorliegen muss. Die Ermittlungsarbeit ist je-
doch nicht Aufgabe der Geheimdienste, sondern der Polizei und bei Straftaten
der Staatsanwaltschaften. Ermittlungen dürfen allerdings nur dann aufgenom-
men werden, wenn tatsächlich konkrete Verdachtsmomente vorliegen.
Zudem greift der Auskunftsanspruch der Geheimdienste gegenüber privaten
Unternehmen der Luftfahrt, Post, Telekommunikation, Finanz- und Kredit-
dienstleistern tief in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ein. In der
Praxis werden die Betroffenen nur selten über ihre Überwachung benachrichtigt
werden. Damit haben betroffene Bürgerinnen und Bürger kaum eine Chance,
dagegen vorzugehen.
Die Rechtswegegarantie nach Artikel 19 Abs. 4 GG wird ohne grundgesetz-
liche Neuregelung faktisch eingeschränkt. Auch das widerspricht dem Grund-
gesetz.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l den Entwurf für ein Terrorismusbekämpfungsgesetz zurückzunehmen, die

Stellungnahmen der Sachverständigen vor dem Innenausschuss gründlich zu

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prüfen und nur Maßnahmen vorzuschlagen, die dem rechtsstaatlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die Balance von Sicher-
heitsmaßnahmen und Freiheitsrechten muss dabei Leitlinie sein;

l ein umfassendes Konzept für bessere öffentliche Sicherheit vorzulegen. Da-
für sind weiter gehende Vorschläge notwendig als eine bloße Politik „innerer
Sicherheit“, die sich auf die Ausweitung von Polizei- und Geheimdienstbe-
fugnisse sowie strafrechtliche Verschärfungen beschränkt. Wer öffentliche
Sicherheit will, muss für inneren Frieden, für gesellschaftlichen Ausgleich
und soziale Gerechtigkeit sorgen, nicht für einen Abbau von Freiheit und
Selbstbestimmung. Wer öffentliche Sicherheit will, muss Demokratie und
Freiheitsrechte stärken, nicht abbauen. Menschen verschiedener Herkunft
und Kultur müssen als gleichwertig anerkannt und der interkulturelle Dia-
log, die interkulturelle Bildung auf allen Ebenen gestärkt werden. Wer
öffentliche Sicherheit will, muss die Ursachen begreifen und bekämpfen,
warum sich Menschen von dieser Gesellschaft abwenden, warum sie Straf-
taten begehen, welche Bedingungen im Wohnumfeld, im Bildungswesen, im
menschlichen Miteinander solche Prozesse befördern. Das ist keine Aufgabe
von Polizei und Geheimdiensten, sondern eine gesellschaftspolitische;

l auf der Grundlage einer öffentlich diskutierten, nachvollziehbaren Analyse
der tatsächlichen Bedrohungslage seit den Terroranschlägen vom 11. Sep-
tember 2001 erforderliche, geeignete und angemessene Maßnahmen zu er-
greifen. Dazu können zählen:
– verbesserte Gepäck- und Personenkontrollen an den Flughäfen;
– geregelte tariflich abgesicherte Arbeitsbedingungen für das Flughafenper-

sonal, um die hohe Fluktuation deutlich zu senken. Das ist nicht nur eine
arbeitsmarkt- und sozialpolitische Notwendigkeit, sondern erhöht auch
die Sicherheit. Denn es wird für kriminelle oder terroristische Gruppen
schwieriger, Personal in den Sicherheitsbereich einzuschleusen;

– die weitere Privatisierung von Sicherheitsaufgaben im öffentlichen Ver-
kehrswesen umgehend zu stoppen. Sicherheit darf nicht Billiglösungen
überlassen werden;

– bauliche Maßnahmen zum Schutz des Cockpits in Flugzeugen vor unbe-
fugtem Eindringen;

– Einsatz so genannter Sky-Marshalls, bewaffneter Flugbegleiter und Flug-
begleiterinnen auf besonders gefährdeten Strecken, sofern es sich um
ausgebildete Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte handelt. Die Bewaff-
nung muss dem Anlass angemessen sein, darf also nicht dazu geeignet
sein, die Flugzeughülle zu beschädigen, sondern nur mögliche Entführer
und Entführerinnen kampfunfähig zu machen;

– polizeilicher Schutz von Gebäuden und anderen Objekten, die unmittel-
bar als gefährdet eingestuft werden. Militärische Objekte können von
Soldaten geschützt werden. Aus der Notwendigkeit zum Schutz einzelner
Gebäude darf auf keinen Fall die Einschränkung der Versammlungsfrei-
heit abgeleitet werden;

– Intensivierung der internationalen Polizeikooperation auf rechtsstaatli-
cher Grundlage und unter effektiver parlamentarischer und justizieller
Kontrolle;

– technische Sicherung von besonders gefährdeten Objekten: Atomkraft-
werke, Chemiefabriken und Raffinerien, Flughäfen, Verkehrsknoten-
punkte, Wasserspeicher gehören zu den von Anschlägen besonders be-
drohten Objekten. Atomkraftwerke können noch weniger als andere
Einrichtungen gegen Attentate geschützt werden und sind auch deshalb

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hochgefährlich. Deshalb müssen die Kernkraftwerke so schnell wie mög-
lich abgeschaltet und die Atommülltransporte beendet werden. Die reale
Gefahr terroristischer Anschläge muss in eine Risikoabwägung bei der
Errichtung und Genehmigung gefährlicher Anlagen einbezogen werden.
Überflugverbote von gefährlichen Anlagen können ein wichtiger Beitrag
zu mehr Sicherheit sein. Die zuständigen Behörden sollen prüfen, ob die
Klima- und Belüftungsanlagen viel besuchter Gebäude oder solcher mit
hohem Symbolwert mit speziellen Filtern ausgerüstet werden, die Bio-
waffen- oder Giftgasattacken abwehren können;

– Stärkung des Katastrophenschutzes: Die Einrichtungen des Katastro-
phenschutzes, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Polizei, Sanitäter und
Sanitäterinnen, Krankenhäuser müssen effizient zusammenarbeiten kön-
nen. Dazu müssen insbesondere Polizei, Technisches Hilfswerk und Feu-
erwehr mit ausreichend Technik, mit modernen Fahrzeugen und ausrei-
chend Personal ausgestattet sein. Die Koordination muss reibungslos
über regional arbeitende Kopfstellen gewährleistet sein, damit im Ernst-
fall nicht wertvolle Zeit durch Kompetenzstreitigkeit oder fehlende Aus-
stattung verloren geht. Die Bundesregierung muss überprüfen, ob die me-
dizinischen und Krankenhaus-Kapazitäten für die Versorgung von
mehreren tausend Verletzten auch nach Rationalisierungen im Gesund-
heitswesen für den Fall eines Attentats mit einer hohen Zahl von Opfern
ausreichen. Sinnvoll ist überdies der Ausbau von zivilen Laborkapazitä-
ten sowie die ruhige und besonnene Aufklärung der Bevölkerung über
Gefahr und Wirkungsweise biologischer Kampfstoffe.

Eine demokratische Gesellschaft ist nur dann stark und sicher, wenn sie sich
durch ihre Entwicklung, nicht durch ihre Einschränkung wehrt.

Berlin, den 10. Dezember 2001
Petra Pau
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Heidemarie Lüth
Dr. Evelyn Kenzler
Roland Claus und Fraktion

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