BT-Drucksache 14/7783

Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen in der Bundesrepublik Deutschland und weltweit bekämpfen

Vom 11. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7783
14. Wahlperiode 11. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Hermann Gröhe, Maria Eichhorn,
Ilse Aigner, Brigitte Baumeister, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Renate Blank,
Dr. Norbert Blüm, Antje Blumenthal, Dr. Maria Böhmer, Sylvia Bonitz,
Monika Brudlewsky, Renate Diemers, Marie-Luise Dött, Rainer Eppelmann,
Anke Eymer (Lübeck), Ilse Falk, Ingrid Fischbach, Dr. Heiner Geißler,
Gerda Hasselfeldt, Ursula Heinen, Hubert Hüppe, Susanne Jaffke,
Irmgard Karwatzki, Eva-Maria Kors, Dr. Martina Krogmann, Vera Lengsfeld,
Ursula Lietz, Dr. Angela Merkel, Claudia Nolte, Beatrix Philipp, Marlies Pretzlaff,
Christa Reichard (Dresden), Katherina Reiche, Erika Reinhardt,
Hans-Peter Repnik, Hannelore Rönsch (Wiesbaden), Anita Schäfer,
Dr. Erika Schuchardt, Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bärbel Sothmann,
Margarete Späte, Erika Steinbach, Dorothea Störr-Ritter, Dr. Rita Süssmuth,
Dr. Susanne Tiemann, Edeltraut Töpfer, Dr. Hans-Peter Uhl, Angelika Volquartz,
Andrea Voßhoff, Dagmar Wöhrl, Aribert Wolf, Elke Wülfing und
der Fraktion der CDU/CSU

Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen in der
Bundesrepublik Deutschland und weltweit bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane an Frauen und Mäd-

chen, die in verschiedenen afrikanischen, einigen asiatischen Ländern und
durch Migrantengruppen auch in verschiedenen Industrienationen prakti-
ziert wird, ist als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung zu bewerten.
Sie stellt einen Akt der Folter dar, welcher der Zerstörung der weiblichen
Sexualität und in vielen Aspekten der Unterdrückung von Mädchen und
Frauen dient.
Genitalverstümmelung kann nicht durch die Berufung auf eine Religion ge-
rechtfertigt werden. Sie wird von keiner Religion explizit gefordert, obwohl
sich Befürworter dieses „Brauches“ dieser Argumentation bedienen.

2. Pro Jahr werden weltweit ca. zwei Millionen Frauen und Mädchen genital
verstümmelt. Regierungen, Vertreterinnen und Vertreter von Menschen-
rechtsorganisationen, Frauengruppen und Initiativen setzen sich aktiv für die
Beendigung von Genitalverstümmelung ein. Auf internationaler Ebene
wurde Genitalverstümmelung zuletzt von der 2. VN-Weltkonferenz über
Menschenrechte in Wien 1993, der 4. VN-Weltfrauenkonferenz in Peking
1995, der 56. VN-Menschenrechtskommission in Genf und von der VN-
Sonderkonferenz „Frauen 2000“ („Peking plus 5“) in New York als Men-

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schenrechtsverletzung verurteilt. Trotzdem wird diese Praxis noch in gro-
ßem Umfang aufrechterhalten. Gesetzliche Verbote werden – soweit in den
jeweiligen Staaten vorhanden – bisher nur lückenhaft durchgesetzt.

3. Durch Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge ist das Problem der Geni-
talverstümmelung auch in der Bundesrepublik Deutschland und anderen In-
dustrienationen akut. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Terre
des Femmes leben ca. 21 000 von Genitalverstümmelung betroffene Mäd-
chen und Frauen in Deutschland.

4. Die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane bringt weitreichende
Gesundheitsschäden mit sich. Neben den unmittelbar auftretenden Kompli-
kationen haben die Betroffenen ein Leben lang unter Miktions-, Menstruati-
ons- und Geburtsproblemen, Infektionen, Fisteln, Inkontinenz und weiteren
Krankheiten sowie unter verschiedenen Sexualproblemen zu leiden. Die
psychischen Folgen sind noch nicht erforscht. Diese Folgen der genitalen
Verstümmelung sowie die strafrechtliche Relevanz in Deutschland sind den
betroffenen Migrantinnen und deren Familienangehörigen nicht ausreichend
bewusst und bekannt. Aufklärungs- und Beratungsbedarf ist hier dringend
gegeben.

5. Maßnahmen zur Eindämmung und Beendung der Genitalverstümmelung an
Frauen und Mädchen können nur erfolgreich sein, wenn sie in ein ganzheit-
liches Maßnahmenpaket eingebettet sind, das auf die Gegebenheiten des
Landes, in dem Genitalverstümmelung praktiziert wird, zugeschnitten ist.
Die Bereitschaft der betroffenen Menschen, von einem alten „Brauch“ abzu-
lassen, ist Grundvoraussetzung für die Eindämmung und Abschaffung der
Genitalverstümmelung.
Der Deutsche Bundestag stellt daher fest, dass der Kampf gegen die Genital-
verstümmelung an Mädchen und Frauen in den betroffenen Ländern nicht
als Diktat westlicher Lebensweisen und Anschauungen geführt und verstan-
den werden darf, sondern durch Initiativen in den betroffenen Ländern selbst
– z. B. durch einheimische Nichtregierungsorganisationen oder Gesund-
heitsdienste – forciert werden muss. Die Durchsetzung von strikten Verbo-
ten und Strafandrohung durch Länder, in denen Genitalverstümmelung
praktiziert wird, kann das gesellschaftliche Bewusstsein gegen diese Men-
schenrechtsverletzung und die damit verbundenen Gefahren fördern und
stärken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– den in der interfraktionellen Beschlussempfehlung von 1998 zum Thema

Genitalverstümmelung (Bundestagsdrucksache 13/10682) ausgesprochenen
konkreten Handlungsempfehlungen umfassend nachzukommen;

– neben den in Ägypten, Tansania und im Sudan geförderten Projekten gegen
Genitalverstümmelung auch in anderen Staaten, in denen Genitalverstüm-
melung praktiziert wird, Projekte zu deren Eindämmung und Abschaffung
zu initiieren und finanziell zu unterstützen. Diese Projekte sollten in ein um-
fassendes Konzept eingebettet sein, das sowohl die Aufklärung von Frauen,
deren Familien und den praktizierenden „Beschneiderinnen“ und „Be-
schneidern“ als auch unter ganzheitlicher Perspektive die Fort- und Ausbil-
dung von Frauen fördern soll;

– im politischen Dialog mit den betroffenen Staaten gezielt darauf hinzuwir-
ken, das gesetzliche Verbot der Genitalverstümmelung einzuführen bzw.
konsequent umzusetzen;

– eine Anschlussfinanzierung des Projektes „Förderung von Initiativen zur
Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung“ durch das Bundesmi-

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nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), für
die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt von der Deutschen Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, über das Jahr 2002 hinaus
zu gewährleisten;

– die direkten Zuwendungen an UNICEF für Maßnahmen gegen Genitalver-
stümmelung, die Pflichtbeiträge sowie die freiwilligen staatlichen Leistun-
gen an UNICEF und WHO zu erhöhen, um den gemeinsamen Plan/das „ge-
meinsame Statement“ von WHO, UNICEF und UNFPA zur Abschaffung
der Genitalverstümmelung nachhaltiger zu fördern;

– dafür zu sorgen, dass Genitalverstümmelungen von den Staatsanwaltschaf-
ten in der Bundesrepublik Deutschland ex officio verfolgt werden, da die
Genitalverstümmelung nicht nur einen Verstoß gegen die Menschenwürde,
sondern auch eine schwere Körperverletzung im Sinne des Strafgesetz-
buches darstellt. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der
CDU/CSU „Islam in Deutschland“ (Bundestagsdrucksache 14/2301) stellt
die Bundesregierung fest (Bundestagsdrucksache 14/4530), dass Genitalver-
stümmelung in der Bundesrepublik Deutschland als – nicht einwilligungs-
fähige – gefährliche Körperverletzung strafbar ist (§§ 223 ff., insbesondere
§§ 224, 225 des Strafgesetzbuches);

– nicht in Zweifel zu ziehen, dass das geltende Asyl- und Ausländerrecht in
allen Fällen geschlechtsspezifischer Verfolgung, Menschenrechtsverletzun-
gen oder sonstiger, im Rahmen von § 53 Abs. 6 AuslG relevanter Gefahren
keine Schutzlücke zum Nachteil von Frauen enthält. Dagegen ist eine
Verbesserung des derzeitigen ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus zu
erwägen;

– nicht in Zweifel zu ziehen, dass bereits nach der geltenden Rechtslage ge-
schlechtsspezifische Verfolgung, soweit es sich um eine vom Staat ausge-
hende oder dem Staat zurechenbare Verfolgung bzw. Menschenrechtsverlet-
zung oder sonstige im Rahmen des § 53 Abs. 6 relevante Gefahr handelt –
bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – bereits vom Asylgrundrecht
(Artikel 16a Abs. 1 GG) und/oder Abschiebungsschutz gemäß §§ 51, 53
AuslG erfasst ist;

– zu gewährleisten, dass Mädchen und Frauen geschützt werden, die von ihren
Familienangehörigen gegen ihren Willen in ihre Heimatländer verbracht
werden sollen, um dort einer Genitalverstümmelung unterzogen zu werden;

– in der Bundesrepublik Deutschland durch gezielte Aufklärungsarbeit noch
intensiver als bislang sowohl die Bevölkerung als auch insbesondere die
direkt betroffenen Berufsgruppen der Ärztinnen und Ärzte, der Juristinnen
und Juristen sowie der Lehrerinnen und Lehrer für die Problematik der Ge-
nitalverstümmelung zu sensibilisieren und so dazu beizutragen, dass den
Problemen der in Deutschland lebenden genitalverstümmelten Frauen und
Mädchen kompetent begegnet und gefährdeten Mädchen und Frauen schnell
und wirkungsvoll geholfen werden kann;

– gemeinsam mit den Bundesländern zu prüfen, wie in den Ausländer- und
Migrantenberatungsstellen den mit der Frage der Genitalverstümmelung in
Zusammenhang stehenden Problemfeldern wirkungsvoll Rechnung getra-
gen werden kann;

– zu prüfen, ob Konzepte gegen Genitalverstümmelung, die in anderen Län-
dern umgesetzt werden, ganz oder in Teilen sinnvoll auf die Bundesrepublik
Deutschland übertragen werden könnten.

Drucksache 14/7783 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Berlin, den 11. Dezember 2001
Annette Widmann-Mauz
Hermann Gröhe
Maria Eichhorn
Ilse Aigner
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Renate Blank
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Monika Brudlewsky
Renate Diemers
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)
Ilse Falk
Ingrid Fischbach

Dr. Heiner Geißler
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Irmgard Karwatzki
Eva-Maria Kors
Dr. Martina Krogmann
Vera Lengsfeld
Ursula Lietz
Dr. Angela Merkel
Claudia Nolte
Beatrix Philipp
Marlies Pretzlaff
Christa Reichard (Dresden)
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik

Hannelore Rönsch (Wiesbaden)
Anita Schäfer
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dorothea Störr-Ritter
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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