BT-Drucksache 14/7484

Wasser als öffentliches Gut und die Bedeutung von Wasser in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Vom 14. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7484
14. Wahlperiode 14. 11. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dagmar Schmidt (Meschede), Adelheid Tröscher, Brigitte Adler,
Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Ursula Burchardt, Hans-Günter Bruckmann,
Detlef Dzembritzki, Gernot Erler, Gabriele Fograscher, Klaus Hagemann, Anke
Hartnagel, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Ingrid Holzhüter, Barbara Imhof,
Ulrich Kelber, Karin Kortmann, Konrad Kunick, Tobias Marhold, Lothar Mark,
Ulrike Mehl, Christoph Moosbauer, Albrecht Papenroth, Dr. Hermann Scheer,
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Dr. Angelica Schwall-Düren,
Joachim Tappe, Engelbert Wistuba, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wasser als öffentliches Gut und die Bedeutung von Wasser in der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach jüngsten Schätzungen sind derzeit weltweit 1,3 Milliarden Menschen
ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Prognosen zufolge wird es im Jahr
2050 ein Viertel der Menschheit sein. Wasserknappheit herrscht inzwischen in
über 30 Staaten der Erde. Verseuchtes Wasser ist weltweit eine der Hauptursa-
chen für Infektionskrankheiten (80 %) und die größte Ursache der Kindersterb-
lichkeit in den Entwicklungsländern.
Die Frage des Zugangs zu Wasser bzw. der Grundversorgung wird in vielen
Staaten zu einem überragenden Thema. Ursächlich für die besonders in
Entwicklungsländern, und hier regional verschärft, auftretenden „Wasserkri-
sen“ sind dabei folgende Faktoren:
l das anhaltende Wachstum der Bevölkerung,
l der Prozess der Verstädterung,
l eine nicht nachhaltige Nutzung in Industrie und Landwirtschaft,
l die zunehmende Belastung – mangels Klärung und unzulänglicher Wieder-

aufbereitung – von Grundwasser und Böden.
Die Sicherung und Bereitstellung der lebensnotwendigen Ressource Wasser,
liegt in der Verantwortung des Staates. In vielen Entwicklungsländern (EL)
wird der Staat dieser Aufgabe nicht gerecht.
Die technischen Anlagen zur Gewinnung, Speicherung, Weiterbeförderung,
Reinigung und Verteilung von Trinkwasser sowie der Sammlung und Wieder-

Drucksache 14/7484 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

aufbereitung von Abwasser können, müssen aber nicht im Besitz der öffent-
lichen Hand sein bzw. von öffentlichen Institutionen betrieben werden. Wir
haben in Europa eine gut funktionierende Wasserinfrastruktur, was für die
armen Länder bisher nicht der Fall ist. Viele Industrie- und Entwicklungsländer,
vor allem letztere, nutzen zunehmend Finanzkraft, Managementkompetenz und
Innovationsfähigkeit privater Unternehmen zu diesen Zwecken, obwohl die
Versorgung der Menschen mit dem Nahrungsmittel Wasser als eine originär
öffentliche Aufgabe betrachtet werden kann. Letztlich ausschlaggebend für eine
effiziente Wasserversorgung ist jedoch nicht die Entscheidung privat oder öf-
fentlich, sondern die, unter welchen rechtlichen und institutionellen Rahmenbe-
dingungen eine sozial tragbare und ökologisch nachhaltige Versorgung vor al-
lem der ärmsten Bevölkerungsschichten gewährleistet werden kann. Diese
Frage muss für jedes Entwicklungsland, für jedes Bundesland und für jede
Kommune individuell geklärt werden.
Da die Nationalstaaten in zunehmendem Maße um die Nutzung natürlicher
Wasservorkommen – z. B. Flussläufen, die zumeist mehrere Anrainer haben –
konkurrieren, zeichnet sich hier zwischenstaatliches Konfliktpotential ab. Der
Zugang vor allem zu sauberem Wasser ist eine Machtfrage zwischen den Staa-
ten. Ihre Beantwortung ist nicht unerheblich für die Entwicklungschancen der
Staaten. Mangelhafte Verteilungsgerechtigkeit und fehlende Kooperation an
grenzüberschreitenden Gewässern führt bereits zu Verteilungskonflikten mit
erheblichem Gewaltpotential.
Wasser darf nicht zu einem beliebigen Wirtschaftsgut werden, es darf weder
Märkten noch Staaten gehören. Das Recht auf Entwicklung ist bedroht, wenn
Wasser nicht als öffentliches Gut behandelt wird. Riccardo Petrella formulierte
in seinem 1999 erschienenen Wassermanifest: „Die Risiken liegen nicht nur in
der Knappheit, Verschmutzung und Verschwendung des Wassers, sondern auch
und vor allem darin, dass das Wasser (wieder) zu dem wird, was seine Um-
wandlung in ein öffentliches Gut zu verhindern oder zumindest doch abzu-
schwächen vermocht hat: eine Quelle der Ungleichheit, der Ungerechtigkeit,
bewaffneter Konflikte und einer nicht solidarischen Haltung zwischen mensch-
lichen Gemeinschaften und Generationen.“
Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der Wasserfrage bewusst und
orientiert ihre Politik dementsprechend auf einen nachhaltigen Umgang mit der
Ressource Wasser. Mit 600 bis 800 Mio. DM jährlich ist Deutschland der
größte europäische Geber im Wassersektor in der Entwicklungszusammen-
arbeit. Zahlreiche Projekte, insbesondere des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zeugen von dem hohen Stellen-
wert, der dieser Frage beigemessen wird. Zu erwähnen sind in diesem
Zusammenhang auch der im Jahr 1998 in Zusammenarbeit zwischen Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ),
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)
und Auswärtiges Amt (AA) und unter Beteiligung von Weltbank und der Deut-
schen Stiftung für internationale Entwicklung (DSE) begründete Petersberger
Prozess zu grenzüberschreitenden Gewässern, der Politikdialog auf multilatera-
ler und bilateraler Ebene, und die Förderung der Weltstaudammkommission.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
setzt einen Hauptakzent in der Frage des Gewässermanagements. Die kürzlich
vom Europäischen Parlament verabschiedete europäische Wasserrahmenrichtli-
nie durchbricht eine rein nationale Betrachtung der Gewässer in Europa. Sie
kann mit ihrem ganzheitlichen und integrativen Ansatz sicherlich ein Modell
für eine sinnvolle Gewässerbewirtschaftung sein, für das auch über Europa ge-
worben werden kann und sollte. Inwieweit diese Richtlinie außerhalb Europas
herangezogen werden kann, dürfte von den Gegebenheiten des Einzelfalls und
der Situation in den betroffenen Staaten abhängen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7484

Die großen internationalen Wasserforen, das 1. Welt-Wasser-Forum vom März
1997 in Marrakesch, das 2. Welt-Wasser-Forum, das im März 2000 von den
Niederlanden in Den Haag veranstaltet worden war, und das 3. Welt-Wasser-
Forum, das im März 2003 von Japan ausgerichtet wird, verdeutlichen den
hohen Rang der Thematik. Die Bundesregierung wird im Dezember 2001 zu
einer weltweiten Süßwasser-Konferenz nach Bonn einladen, um die globalen
Fragen des nachhaltigen Umgangs mit Süßwasser und insbesondere des
dringend notwendigen Zugangs der Armen zu sauberem Wasser in den
Rio +10-Prozess einzuspeisen.
Am gegenwärtigen Engagement der Bundesregierung lässt sich ablesen, dass
sie ihre globale Verantwortung wahrnimmt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
weiterhin internationale Abkommen und Regeln zum Schutz der Ressource
Wasser zu unterstützen, sowie die Projekte der Entwicklungszusammenarbeit
auf hohem Niveau zu verstetigen:

[A Ökologische Dimensionen]
1. Den Gedanken der Kreislaufwirtschaft beim Wassermanagement zu fördern,

die Forschungsförderung im Bereich Abwasserreinigung und Entsorgung zu
verstärken,

2. im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auf die nachhaltige Bewirt-
schaftung der Wasserressourcen zu drängen, so dass dem Wasserkreislauf
nicht mehr Wasser entnommen wird als sich natürlich neu bildet,

3. darauf hinzuarbeiten, dass die Einleiter von Schadstoffen in die Gewässer
gemäß dem Verursacherprinzip zur Verantwortung gezogen werden,

4. Wasserversorgungsprojekte im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Bio-
diversität, die Erhaltung von Feuchtgebieten und ihre Desertifikationswir-
kung zu prüfen;

5. fossile Grundwasserressourcen im Sinne der Nachhaltigkeit stärker zu schüt-
zen,

6. die Erkenntnisse und Empfehlungen der World Commission on Dams zur
Grundlage der Prüfung von Staudammprojekten zu machen, insbesondere
im Zusammenhang der Bürgschaftsvergabe. In diesem Sinne sich ebenso in
der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken für eine Orientierung
der WCD auszusprechen.

[B Ökonomische Dimension]
7. Systeme der Gebührenerhebung zu empfehlen, die den sozialen Verhältnis-

sen Rechnung tragen, um auch eine langfristige und gerechte Wirtschaftlich-
keit der Versorgung anzustreben,

8. Maßnahmen, die der Verringerung von übermäßigen Wasserverbräuchen vor
allem in Landwirtschaft, Industrie und Wohnvierteln dienen, Vorrang vor der
Erschließung neuer Wasservorkommen und dem weiträumigen Transport
von Wasser zu geben,

9. Umstrukturierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft zu unterstützen (Stich-
wort Konversion), die zugleich eine den Böden und Wasservorkommen
angemessene Nutzung gewährleisten und die Einkommensgrundlage der
ländlichen Bevölkerung sichern. Effizienzsteigerungen in der Landwirt-
schaft haben nach Expertenmeinungen das Potential zu einer Einsparung
von 45 bis 80 % des Wasserverbrauchs,

Drucksache 14/7484 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

10. sich in Entwicklungsländern im Wassersektor für die Stärkung staatlicher
Institutionen mit dem Ziel eines verbesserten Verbraucherschutzes einzu-
setzen,

11. gemeinsam mit der Wasserwirtschaft im Rahmen öffentlich-privater Part-
nerschaften deren Erfahrungen in der Anwendung von kosteneffizienten
best practices zu nutzen,

12. Öffentlich-Private-Partnerschaften (PPP) bei der Wasserversorgung/Ab-
wasserbeseitigung in Entwicklungsländern zu unterstützen, wo dafür
günstige Rahmenbedingungen im Sinne einer Verbesserung der Versorgung
der armen Bevölkerung bestehen.

[C Soziale Dimension]
13. Die Armutsbekämpfung zum Leitmotiv des entwicklungspolitischen

Engagements im Wasser-/Abwassersektor in den Entwicklungsländern zu
machen,

14. das Susidiaritätsprinzip beim Wassermanagement in Entwicklungsländern
zugrunde zu legen, d. h. nachhaltige Versorgungssysteme unter Einbezie-
hung der Nutzer am einzelnen Haushalt zu orientieren und besonders in
Entwicklungsländern angepasste und wassersparende Techniken zu unter-
stützen,

15. öffentliche Kampagnen und Aufklärung zu einem ressourcensparenden
Umgang mit Wasser in den Partnerländern zu unterstützen,

16. die Ausbildung von Fachleuten zu fördern, die weltweit auf dem Wasser-
sektor zur Verbreitung eines integrierten Wasserressourcen-Managements
beitragen,

17. im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gezielt weibliche Fachleute
einzusetzen, die eine größere Sensibilität gegenüber frauenspezifischen
Problemen beim Umgang mit Wasser erwarten lassen.

18. weiterhin den dezentralen, partizipativen Lösungsansatz unter Einbezie-
hung der lokalen Bevölkerung in den sowohl projektbegleitenden als auch
abschließenden Evaluierungsprozessen zu verfolgen und somit die Zivil-
gesellschaft zu stärken.

[D Politische Dimension]
19. Den Politikdialog und regionale Kooperation in der Frage der Wasser-

nutzung zu fördern; dies gilt insbesondere für Regionen an grenzüber-
schreitenden Gewässern,

20. sich auf internationaler Ebene für die Umsetzung des „Menschenrechts auf
Wasser“ einzusetzen,

21. sich für die Stärkung des VN-Übereinkommens über das Recht der nicht-
schifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe einzusetzen, das ex-
plizit die Grenzen nationaler Souveränitätsrechte in Bezug auf Gewässer
anerkannt hat,

22. Entwicklungsländer zu ermutigen, diese Konvention zu ratifizieren,
23. die Leitgedanken der europäischen Wasserrahmenrichtlinie als Modell für

neue völkerrechtliche Lösungen im internationalen Wassermanagement zu
werben,

24. sich dafür einzusetzen, dass die Prinzipien des „Framework for Action“
und der „World Water Vision“ eine Richtschnur für staatlichen und privaten
Umgang mit Süßwasser wird,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7484

25. weltweit dafür zu werben, dass ein klarer gesetzlicher Rahmen und geeig-
nete Institutionen für die Wasserwirtschaft und starke unabhängige Quali-
tätskontrollinstanzen ebenso notwendig sind wie Interessenvertretungen
der Menschen, die das Wasser nutzen,

26. auf internationaler Ebene für mehr Kohärenz und Koordination im Rahmen
der VN zu werben. Dabei ein besonderes Augenmerk auf die bessere Ab-
stimmung und Aufgabenverteilung der unterschiedlichen UN-Organisatio-
nen zu richten,

27. das Thema nachhaltiger Umgang mit Wasser in den Vorbereitungsprozess
des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung (Rio+10) zu integrieren,

28. den Entwicklungsländern als Hauptbetroffenen gegenwärtiger und zukünf-
tiger Wasserkrisen große Repräsentanz auf internationalen Konferenzen zu
geben,

29. weiterhin das Wissen von Ausführungsorganisationen, NonGovernmental
organisation (NGO) und Kirchen, kohärent zu nutzen und vor allem in der
Wertschätzung für deren öffentliche Bewusstseinsbildung nicht nachzu-
lassen.

Berlin, den 14. November 2001
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.