BT-Drucksache 14/7298

Die Sozialhilfe armutsfest gestalten

Vom 7. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7298
14. Wahlperiode 07. 11. 2001

Antrag
der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Barbara Höll, Dr. Klaus Grehn, Monika Balt,
Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Ilja Seifert, Rosel Neuhäuser,
Heidemarie Lüth, Dr. Uwe-Jens Rössel, Petra Bläss, und der Fraktion der PDS

Die Sozialhilfe armutsfest gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Sozialhilfe ist eine wesentliche Säule der sozialstaatlichen Sicherung und
gilt als letztes Auffangnetz, das im Bedarfsfall vor Armut und Ausgrenzung
schützen muss. Dabei geht es nicht nur um die Sicherung der materiellen
Grundbedürfnisse wie Essen, Kleidung und Wohnen, sondern auch um die Be-
ziehungen zur Umwelt und der Teilnahme am kulturellen Leben.
Der überwiegende Teil der entsprechenden Aufwendungen wird im Rahmen
der Hilfe zum Lebensunterhalt pauschal durch Regelsätze abgegolten. Mit ihrer
Festsetzung und Fortschreibung wird daher maßgeblich entschieden, ob die
Sozialhilfe dieser Aufgabe gerecht wird und ein Leben ermöglicht, „das der
Würde des Menschen entspricht“ (§ 1 Abs. 2 BSHG).
Die Bemessungsgrundlage für die Sozialhilferegelsätze wurde zuletzt 1989 ge-
ändert. Dazu legte der Deutsche Verein für öffentliche und private Vorsorge
(DV) ein Modell vor, dessen Berechnungen in Ermangelung aktueller Zahlen
auf Daten von 1983 basierten und entsprechend dem Preisindex für die Lebens-
haltung aller Haushalte hochgerechnet wurden. Dem hätte in 1988 eine Erhö-
hung der Regelsätze um 4,6 % entsprochen. Da der regelsatzrelevante Ver-
brauch in den unteren Einkommensgruppen stärker als dieser Preisindex
angestiegen war, wurde alternativ eine Variante vorgelegt, die dessen Fort-
schreibung am Preisindex für Haushalte mit niedrigen Einkommen orientierte.
Danach wären die Regelsätze um 12,6 % anzuheben gewesen.
Aus Kostengründen entschied sich die Ministerpräsidentenkonferenz für die
erste, fachlich unzureichende Variante. Zudem sollte der Ausgleich für die fest-
gestellte Unterdeckung der Regelsätze bis zum Jahr 1988 erst stufenweise in
den Folgejahren bis 1992 stattfinden.
Dem beschlossenen Modell entsprechend hätte 1993, nachdem die aktuelle
Einkommens- und Verbraucherstatistik (EVS) vorlag, eine Überprüfung der
Regelsätze stattfinden müssen. Doch fiel diese Überprüfung den Sparbeschlüs-
sen der damaligen Bundesregierung zum Opfer.
In den Jahren nach 1993 erfolgte die Fortschreibung der Regelsätze aufgrund
willkürlich festgelegter Sätze und nicht, wie ebenfalls von der Ministerpräsi-
dentenkonferenz beschlossen, entsprechend dem Preisindex für die Lebenshal-
tung aller Haushalte. Nur zum 1. Juli 2000 wurden die Regelsätze gemäß der
Preissteigerung erhöht. Allerdings wurde dieser Anpassung die Preisentwick-

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lung des Vorjahres im früheren Bundesgebiet (0,7 Prozent) zugrunde gelegt.
Dagegen erhöhten sich hier die Preise im zweiten Halbjahr 1999 und ersten
Halbjahr 2000 um rund 1,4 %. In den neuen Bundesländern stiegen die Lebens-
haltungskosten im gleichen Zeitraum um 1 %.
Zum 1. Juli 2001 wurde die Fortschreibung der Regelsätze wieder an die Ren-
tenentwicklung gekoppelt. Auch die sich daraus ergebende Erhöhung der Re-
gelsätze von rund 2 % (alte Bundesländer) bzw. 1,9 % (neue Bundesländer)
bleibt deutlich hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurück.
Folge dieser Entwicklung ist ein kontinuierlicher Kaufkraftverlust der Regel-
sätze. Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist der Real-
wert des Eckregelsatzes – gemessen am Preisindex für die Lebenshaltung aller
Haushalte ohne Wohnungsmieten – zum 1. Juli 2001 gegenüber dem 1. Juli
1993 um 3,8 % (alte Bundesländer) bzw. 5,1 % (neue Bundesländer) gesunken.
Entgegen der Koalitionsvereinbarung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN sah sich weder die Bundesregierung noch die Koalition bisher in der
Lage, ein neues Modell der Bedarfsbemessung für die Regelsätze vorzulegen.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen
im Bundessozialhilfegesetz beabsichtigt die Bundesregierung nun die Vorlage
des neuen Modells auf das Jahr 2005 zu verschieben. Da zwischenzeitlich die
Anpassung der Regelsätze in Abhängigkeit von der Rentenentwicklung erfol-
gen soll, wird nicht nur der bisherige Realwertverlust der Regelsätze für wei-
tere Jahre festgeschrieben. Auch für die zukünftige Entwicklung der Regelsätze
droht die weitere Abkopplung von dem Anstieg der Lebenshaltungskosten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. bis zum Frühjahr 2002 ein verbessertes System zur Regelsatzbemessung

vorzulegen. Dies soll im Vorfeld mit den Wohlfahrtsverbänden und Sozial-
hilfeorganisationen abgestimmt werden. Sollte kein Konsens erzielt werden,
erfolgt die Fortschreibung der Sozialhilferegelsätze entsprechend der unter
2. genannten Vorgabe.

2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der künftig die Fortschreibung der Regel-
sätze des Bundessozialhilfegesetzes nach folgender Maßgabe sichert:
a) die Fortschreibung der Sozialhilferegelsätze zum 1. Juli 2002 hat die in

Ost- und Westdeutschland differenzierte Entwicklung der Lebenshal-
tungskosten der vergangenen Jahre auszugleichen. Ausgangspunkt dabei
ist der vom DV für das Jahr 1983 ermittelte regelsatzrelevante Verbrauch.
Dieser ist in seiner Höhe und Struktur entsprechend den nachfolgenden
Einkommens- und Verbraucherstatistiken zu überprüfen.

b) in den Folgejahren sind die Regelsätze mindestens so zu erhöhen, dass
keinesfalls die Steigerung der Lebenshaltungskosten unterschritten wird.

Berlin, den 7. November 2001
Pia Maier
Dr. Barbara Höll
Dr. Klaus Grehn
Monika Balt
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Ruth Fuchs

Dr. Ilja Seifert
Rosel Neuhäuser
Heidemarie Lüth
Dr. Uwe-Jens Rössel
Petra Bläss
Roland Claus und Fraktion

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