BT-Drucksache 14/6467

zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates -14/638, 14/6279 (neu) - Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen

Vom 27. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6467
14. Wahlperiode 27. 06. 2001

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates
– Drucksachen 14/638, 14/6279 (neu) –

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen

A. Problem

Eine erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung ist nur möglich, wenn es gelingt,
die für eine Anklage und Hauptverhandlung erforderlichen Beweise zu erlan-
gen. Dies stößt bei Straftaten von erheblicher Bedeutung, etwa aus dem Be-
reich der Organisierten Kriminalität, häufig auf besondere Schwierigkeiten.
Hier kommt dem Zeugenbeweis oft herausragende Bedeutung zu.

Die Personen, gegen die sich diese Verfahren richten, versuchen deshalb, belas-
tende Aussagen zu verhindern. Wer bereit ist, im Strafverfahren auszusagen,
unterliegt daher oftmals einer besonders hohen Gefährdung von Leib, Leben,
Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte. Darüber hinaus üben
die Täter nicht selten auch auf Angehörige der Beweisperson oder ihr sonst
nahestehende Personen in vergleichbarer Weise Druck aus.

Die Sicherstellung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs erfordert, derart
wichtige Zeugen zu gewinnen und ihre Aussagewilligkeit aufrechtzuerhalten.
Dies setzt aber voraus, dass diesen Zeugen, deren Angehörigen und ihnen na-
hestehenden Personen von den Strafverfolgungsbehörden ein umfassender und
wirksamer Schutz angeboten werden kann.

Bislang erfolgt der Schutz solcher Zeugen allein auf der Grundlage der polizei-
rechtlichen Generalklauseln oder der strafrechtlichen Grundsätze des Notstan-
des und von Richtlinien der Verwaltung. Diese reichen jedoch für spezifische
Maßnahmen des Zeugenschutzes, wie z. B. die Errichtung und Aufrechterhal-
tung einer Tarnidentität, häufig nicht aus. Da solche Maßnahmen vielfältige
Auswirkungen auf das Strafverfahren haben können, sind darauf bezogene Re-
gelungen erforderlich, die in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegen.

Zudem besteht bei Behörden und privaten Stellen, die von den Zeugenschutz-
dienststellen um Unterstützung gebeten werden, Rechtsunsicherheit über die
Zulässigkeit der von ihnen erwarteten Maßnahmen.

B. Lösung

Dem Innenausschuss lag eine vollständig überarbeitete Fassung vor, die im
Wesentlichen durch eine Bund-Länder Arbeitsgruppe erstellt wurde.

Drucksache 14/6467 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Mit einer bundesrechtlichen Regelung sollen die Grundlagen für die Durchfüh-
rung spezifischer Maßnahmen des Zeugenschutzes im Zusammenhang mit dem
Strafverfahren klar umrissen und für die mit den Maßnahmen im Einzelnen
befassten Stellen die nötige Rechtssicherheit geschaffen werden.

Der Gesetzentwurf beinhaltet im Wesentlichen:

1. Festlegung der Voraussetzungen für Zeugenschutzmaßnahmen,

2. Aufgabenzuweisung an die Zeugenschutzdienststelle,

3. Verpflichtung von zu schützenden Personen nach den Bestimmungen des Ver-
pflichtungsgesetzes,

4. Einführung einer Befugnisnorm für die Zeugenschutzdienststelle sowie einer
Befugnisnorm für andere öffentliche Stellen zur Unterstützung der Zeugen-
schutzdienststelle im Hinblick auf

 Übermittlungs- und Weitergabesperren für gespeicherte Daten und

 den vorübergehenden Aufbau einer Tarnidentität,

5. Regelungen zur Erreichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsverkehr,
zum Zeugenschutz im Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen und im
Gerichtsverfahren.

Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU und F.D.P.
gegen die Stimmen der Fraktion der PDS

C. Alternativen

Beibehaltung des gegenwärtigen, durch Rechtsunsicherheit gekennzeichneten
Zustands.

D. Kosten

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand werden durch das Gesetz nicht ver-
ursacht.

2. Vollzugsaufwand

Die im Gesetz vorgesehenen Regelungen entsprechen weitgehend den derzeit
bereits praktizierten Verfahrensweisen. Weitergehende Kosten entstehen durch
das Gesetz nicht. Es ist darüber hinaus auch nicht zu erwarten, dass durch das
Gesetz die Zahl der Zeugenschutzfälle insgesamt zunehmen würde.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6467

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/683 und Drucksache 14/6279 (neu)
in nachfolgender Fassung unter der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur
Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen“ anzunehmen.

Berlin, den 27. Juni 2001

Der Innenausschuss

Ute Vogt (Pforzheim)
Vorsitzende

Hans-Peter Kemper
Berichterstatter

Wolfgang Zeitlmann
Berichterstatter

Cem Özdemir
Berichterstatter

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Drucksache 14/6467 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes
gefährdeter Zeugen

(Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz – ZSHG)

§ 1
Anwendungsbereich

(1) Eine Person, ohne deren Angaben in einem Strafver-
fahren die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermitt-
lung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten aussichtslos
oder wesentlich erschwert wäre, kann mit ihrem Einver-
ständnis nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt werden,
wenn sie aufgrund ihrer Aussagebereitschaft einer Gefähr-
dung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesent-
licher Vermögenswerte ausgesetzt ist und sich für Zeugen-
schutzmaßnahmen eignet.

(2) Mit seinem Einverständnis kann ferner nach Maßgabe
dieses Gesetzes geschützt werden, wer Angehöriger (§ 11
Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches) einer in Absatz 1 ge-
nannten Person ist oder ihr sonst nahe steht, aufgrund ihrer
Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Leben, Ge-
sundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte aus-
gesetzt ist und sich für Zeugenschutzmaßnahmen eignet.

(3) Sofern es für den Zeugenschutz erforderlich ist, kön-
nen Maßnahmen nach diesem Gesetz auf Angehörige (§ 11
Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches) einer in Absatz 1 oder 2
genannten Person oder ihr sonst nahestehende Personen er-
streckt werden, wenn diese sich hierfür eignen sowie ihr
Einverständnis erklären.

(4) Maßnahmen nach diesem Gesetz können beendet wer-
den, wenn eine der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Vo-
raussetzungen nicht vorlag oder nachträglich weggefallen ist.
Soweit eine Gefährdung der zu schützenden Person fortbe-
steht, richten sich die Schutzmaßnahmen nach allgemeinem
Gefahrenabwehrrecht. Die Beendigung des Strafverfahrens
führt nicht zur Aufhebung der Zeugenschutzmaßnahmen,
soweit die Gefährdung fortbesteht.

§ 2
Zeugenschutzdienststellen

(1) Der Schutz einer Person nach Maßgabe dieses Geset-
zes obliegt der Polizei oder den sonst nach Bundes- oder
Landesrecht zuständigen Behörden (Zeugenschutzdienst-
stellen). Bundes- und landesrechtliche Regelungen zur Ab-
wehr einer für die zu schützende Person bestehenden Ge-
fahr bleiben unberührt.

(2) Die Zeugenschutzdienststelle trifft ihre Entscheidun-
gen nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei der Abwägung
sind insbesondere die Schwere der Tat sowie der Grad der
Gefährdung, die Rechte des Beschuldigten und die Auswir-
kungen der Maßnahmen zu berücksichtigen.

(3) Die im Zusammenhang mit dem Zeugenschutz
getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen sind akten-
kundig zu machen. Die Akten werden von der Zeugen-
schutzdienststelle geführt, unterliegen der Geheimhaltung
und sind nicht Bestandteil der Ermittlungsakte. Sie sind der
Staatsanwaltschaft auf Anforderung zugänglich zu machen.
Die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Zeugen-
schutzdienststelle sind in Strafverfahren nach den allgemei-
nen Grundsätzen unter Berücksichtigung des § 54 der Straf-
prozessordnung zur Auskunft auch über den Zeugenschutz
verpflichtet.

(4) Bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfah-
rens ist über Beginn und Beendigung des Zeugenschutzes
das Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft herzustellen.
Nach diesem Zeitpunkt ist die Staatsanwaltschaft von der
beabsichtigten Beendigung des Zeugenschutzes in Kenntnis
zu setzen.

§ 3
Geheimhaltung, Verpflichtung

Wer mit dem Zeugenschutz befasst wird, darf die ihm
bekannt gewordenen Erkenntnisse über Zeugenschutzmaß-
nahmen auch über den Zeitpunkt der Beendigung des Zeu-
genschutzes hinaus nicht unbefugt offenbaren. Personen,
die nicht Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbu-
ches) sind, sollen nach dem Gesetz über die förmliche Ver-
pflichtung nicht beamteter Personen verpflichtet werden, so-
fern dies geboten erscheint.

§ 4
Verwendung personenbezogener Daten

(1) Die Zeugenschutzdienststelle kann Auskünfte über
personenbezogene Daten der zu schützenden Person ver-
weigern, soweit dies für den Zeugenschutz erforderlich ist.

(2) Öffentliche Stellen sind berechtigt, auf Ersuchen der
Zeugenschutzdienststelle personenbezogene Daten der zu
schützenden Person zu sperren oder nicht zu übermitteln.
Sie sollen dem Ersuchen entsprechen, soweit entgegenste-
hende öffentliche Interessen oder schutzwürdige Interessen
Dritter nicht überwiegen. Die Beurteilung der Erforderlich-
keit der Maßnahme durch die Zeugenschutzdienststelle ist
für die ersuchte Stelle bindend.

(3) Die Zeugenschutzdienststelle kann von nicht öffent-
lichen Stellen verlangen, personenbezogene Daten der zu
schützenden Person zu sperren oder nicht zu übermitteln.

(4) Bei der Datenverarbeitung innerhalb der öffentlichen
und nicht öffentlichen Stellen ist sicherzustellen, dass der
Zeugenschutz nicht beeinträchtigt wird.

(5) Die §§ 161, 161a der Strafprozessordnung bleiben
unberührt.

(6) Die öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen teilen
der Zeugenschutzdienststelle jedes Ersuchen um Bekannt-
gabe von gesperrten oder sonst von ihr bestimmten Daten
unverzüglich mit.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/6467

§ 5
Vorübergehende Tarnidentität

(1) Öffentliche Stellen dürfen auf Ersuchen der Zeugen-
schutzdienststelle für eine zu schützende Person Urkunden
oder sonstige Dokumente zum Aufbau oder zur Aufrechter-
haltung einer vorübergehend geänderten Identität (Tarndo-
kumente) mit den von der Zeugenschutzdienststelle mitge-
teilten Daten herstellen oder vorübergehend verändern
sowie die geänderten Daten verarbeiten. Sie sollen dem Er-
suchen entsprechen, soweit entgegenstehende öffentliche In-
teressen oder schutzwürdige Interessen Dritter nicht über-
wiegen. Die Beurteilung der Erforderlichkeit der Maßnahme
durch die Zeugenschutzdienststelle ist für die ersuchte Stelle
bindend. Für Zwecke des Satzes 1 dürfen Eintragungen in
Personenstandsbücher nicht vorgenommen werden. Perso-
nalausweise und Pässe dürfen nicht für Personen ausgestellt
werden, die nicht Deutsche im Sinne von Artikel 116 des
Grundgesetzes sind.

(2) Die Zeugenschutzdienststelle kann von nicht öffent-
lichen Stellen verlangen, für eine zu schützende Person
Tarndokumente mit den mitgeteilten Daten herzustellen
oder zu verändern sowie die geänderten Daten zu verarbei-
ten.

(3) Die zu schützende Person darf unter der vorüberge-
hend geänderten Identität am Rechtsverkehr teilnehmen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten in Bezug auf Bedienstete
von Zeugenschutzdienststellen entsprechend, soweit dies
zur Erfüllung ihrer Aufgaben unerlässlich ist.

§ 6
Aufhebung von Maßnahmen des Zeugenschutzes

Wird der Zeugenschutz insgesamt beendet oder sind ein-
zelne Maßnahmen nicht mehr erforderlich, unterrichtet die
Zeugenschutzdienststelle unter Berücksichtigung der Be-
lange des Zeugenschutzes die beteiligten öffentlichen und
nicht öffentlichen Stellen. Öffentliche Stellen heben die
nach §§ 4 und 5 getroffenen Maßnahmen auf. Die Zeugen-
schutzdienststelle zieht Tarndokumente ein, deren Verwen-
dung nicht mehr erforderlich ist.

§ 7
Ansprüche gegen Dritte

(1) Ansprüche der zu schützenden Person gegen Dritte
werden durch Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht be-
rührt.

(2) Soweit es zur Sicherung von Ansprüchen der zu
schützenden Person gegenüber öffentlichen Stellen erfor-
derlich ist, setzt die Zeugenschutzdienststelle diese über die
Aufnahme in den Zeugenschutz in Kenntnis. Die Zeugen-
schutzdienststelle bestätigt ihnen gegenüber Tatsachen, die
zur Entscheidung über den Anspruch von Bedeutung sind.

(3) Wurde eine versicherungspflichtige Beschäftigung
oder Tätigkeit einer zu schützenden Person durch Zeugen-
schutzmaßnahmen unterbrochen oder war eine zu schüt-
zende Person durch Zeugenschutzmaßnahmen daran gehin-
dert, Beiträge an die Rentenversicherung zu zahlen, kann
sie für die Zeit der Maßnahmen auf Antrag freiwillige
Beiträge nachzahlen, sofern diese Zeit nicht bereits mit
Beiträgen belegt ist. Die nachgezahlten Beiträge gelten als
Pflichtbeiträge, wenn durch die Maßnahmen eine versiche-
rungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen

wurde. Der Antrag kann nur innerhalb eines Jahres nach
Ende der Maßnahmen gestellt werden. § 209 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch findet Anwendung.

§ 8
Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle

Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle dürfen nur
in dem Umfang gewährt werden, als dies für den Zeugen-
schutz erforderlich ist. Sie können insbesondere zurück-
gefordert werden, wenn sie aufgrund wissentlich falscher
Angaben gewährt worden sind.

§ 9
Ansprüche Dritter

(1) Ansprüche Dritter gegen die zu schützende Person
werden durch Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht
berührt. Mit Aufnahme in den Zeugenschutz hat die zu
schützende Person sie der Zeugenschutzdienststelle offen zu
legen.

(2) Die Zeugenschutzdienststelle trägt dafür Sorge, dass
die Erreichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsver-
kehr nicht durch Maßnahmen des Zeugenschutzes vereitelt
wird.

§ 10
Zeugenschutz in justizförmigen Verfahren

(1) Eine zu schützende Person, die in einem anderen
gerichtlichen Verfahren als einem Strafverfahren oder in
einem Verfahren vor einem parlamentarischen Unter-
suchungsausschuss vernommen werden soll, ist berechtigt,
abweichend von den Bestimmungen der jeweiligen Verfah-
rensordnung, Angaben zur Person nur über eine frühere
Identität zu machen und unter Hinweis auf den Zeugen-
schutz Angaben, die Rückschlüsse auf die gegenwärtigen
Personalien sowie den Wohn- und Aufenthaltsort erlauben,
zu verweigern. An Stelle des Wohn- und Aufenthaltsortes
ist die zuständige Zeugenschutzdienststelle zu benennen.

(2) Urkunden und sonstige Unterlagen, die Rückschlüsse
auf eine Tarnidentität oder den Wohn- oder Aufenthaltsort
einer geschützten Person zulassen, sind nur insoweit zu den
Verfahrensakten zu nehmen, als Zwecke des Zeugenschut-
zes dem nicht entgegenstehen.

(3) Für das Strafverfahren bleibt es bei den Vorschriften
der §§ 68, 110b Abs. 3 der Strafprozessordnung.

§ 11
Zeugenschutz bei freiheitsentziehenden Maßnahmen

Entscheidungen der Zeugenschutzdienststelle, die Aus-
wirkungen auf den Vollzug von Untersuchungshaft, Frei-
heitsstrafe oder einer sonstigen freiheitsentziehenden Maß-
nahme haben können, dürfen nur im Einvernehmen mit dem
Leiter der jeweiligen Vollzugseinrichtung getroffen werden.

Artikel 2

Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes

In § 26 Abs. 1 Satz 1 des Bundeskriminalamtgesetzes
vom 7. Juli 1997 (BGBl. I S. 1650), das zuletzt durch Arti-
kel 10 des Gesetzes vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1253)
geändert worden ist, werden nach den Wörtern „soweit

Drucksache 14/6467 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

nicht dieses Gesetz“ die Wörter „oder das Zeugenschutz-
Harmonisierungsgesetz“ eingefügt.

Artikel 3

Änderung des Ausländergesetzes

Das Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354,
1356), das zuletzt durch Artikel 9a des Gesetzes vom
2. August 2000 (BGBl. I. S. 1253) geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:

1. Dem § 64 Abs. 3 wird folgender Satz angefügt:

„Ein Ausländer, der zu schützende Person im Sinne des
§ 1 des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes ist, darf

nur im Einvernehmen mit der Zeugenschutzdienststelle
ausgewiesen oder abgeschoben werden.“

2. Dem § 76 Abs. 4 wird folgender Satz angefügt:

„Die Zeugenschutzdienststelle unterrichtet die zustän-
dige Ausländerbehörde unverzüglich über Beginn und
Ende des Zeugenschutzes für einen Ausländer.“

Artikel 4

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/6467

Bericht der Abgeordneten Hans-Peter Kemper, Wolfgang Zeitlmann,
Cem Özdemir, Dr. Max Stadler und Ulla Jelpke

I. Zum Verfahren

1. Der Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache
14/638 und die weitere Stellungnahme der Bundesregie-
rung auf Drucksache 14/6279 (neu) wurden in der
176. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. Juni
2001 an den Innenausschuss federführend sowie an den
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und den
Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen.

2. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend hat in seiner 71. Sitzung am 27. Juni 2001 mit
den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen
der Fraktion der PDS empfohlen, den Gesetzentwurf in
der Innenausschussfassung anzunehmen.

3. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat in sei-
ner 95. Sitzung am 27. Juni 2001 mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion der PDS bei
Stimmenthaltung der Fraktion der F.D.P., die Annahme
des Gesetzentwurfs in der Innenausschussfassung emp-
fohlen.

4. Der Rechtsausschuss hat in seiner 90. Sitzung am
27. Juni 2001 mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. gegen die
Stimmen der Fraktion der PDS bei Stimmenthaltung der
Fraktion der CDU/CSU empfohlen, dem Gesetzentwurf
in der Innenausschussfassung zuzustimmen.

5. Der Innenausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner
63. Sitzung am 27. Juni 2001 abschließend beraten und
ihm in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Frak-
tionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU
und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion der PDS zu-
gestimmt.

Zuvor wurde über den Änderungsantrag der Koalitionsfrak-
tionen (Ausschussdrucksache 14/501) vom 21. Juni 2001
abgestimmt.

Der Änderungsantrag in der vorgetragenen Fassung wurde
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung
der Fraktion der PDS angenommen.

Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Aus-
schussdrucksache 14/501 vom 21. Juni 2001 hatte folgen-
den Wortlaut:

„Der Innenausschuss möge beschließen:

Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes
gefährdeter Zeugen – Drucksache 14/638 – wird in der in
der erweiterten Gegenäußerung der Bundesregierung auf
Drucksache 14/6279 (neu) niedergelegten Fassung unter der
Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Harmonisierung
des Schutzes gefährdeter Zeugen“ mit folgenden Maßga-
ben, im Übrigen unverändert, angenommen:

1. In Artikel 1 § 1 Abs. 4 wird nach Satz 1 folgender Satz
neu eingefügt:

„Soweit eine Gefährdung der zu schützenden Person
fortbesteht, bleiben Schutzmaßnahmen nach allgemei-
nem Gefahrenabwehrrecht gewährleistet.“

2. In Artikel 1 § 2 Abs. 3 wird nach Satz 3 folgender Satz
angefügt:

„Die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Zeugen-
schutzdienststelle sind in Strafverfahren nach den allge-
meinen Grundsätzen unter Berücksichtigung des § 54
der Strafprozessordnung zur Auskunft auch über den
Zeugenschutz verpflichtet.“

3. In Artikel 1 § 10 Abs. 1 werden in Satz 1 die Worte „ge-
richtlichen Verfahren“ gestrichen und durch die Worte
„anderen gerichtlichen Verfahren als einem Strafverfah-
ren“ ersetzt.

4. In Artikel 1 § 10 erhält Absatz 3 folgenden Wortlaut:

„Für das Strafverfahren bleibt es bei den Vorschriften
der §§ 68, 110b Abs. 3 der Strafprozessordnung.“

Bei den Beratungen haben die Koalitionsfraktionen zu
Ziffer 1 ausgeführt, dass zur redaktionellen Klarstellung,
diese Änderung – wie folgt – lauten soll:

„Soweit eine Gefährdung der zu schützenden Person fortbe-
steht, richten sich die Schutzmaßnahmen nach allgemeinem
Gefahrenabwehrrecht.“

II. Zur Begründung

1. Allgemeines

a) Zur Notwendigkeit eines Gesetzes

Insbesondere Straftäter mit hoher krimineller Energie gehen
heute planmäßig und professionell vor und vermeiden dabei
Spuren. Die Gewinnung von Sachbeweisen wird daher für
die Ermittlungsbehörden immer schwieriger. Die erfolgrei-
che Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, aber auch
anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung ist daher häu-
fig nur mit Hilfe der Aussagen von Zeugen möglich.

Die für das Ermittlungsverfahren oder eine Hauptverhand-
lung benötigten Informationen können dabei häufig nur von
Personen gewonnen werden, die wegen ihrer persönlichen
Nähe zu den Tätern oder aus ähnlichen Gründen genaue
Kenntnisse über deren Tatbeteiligung sowie die Tatplanung
und -ausführung haben. Ihre Aussagen können daher für die
Ermittlungen und das Strafverfahren von entscheidender
Bedeutung sein.

Die Personen, gegen die sich diese Verfahren richten, versu-
chen deshalb, belastende Aussagen zu verhindern. Zu die-
sem Zweck üben sie auf den Zeugen Druck aus, entweder
unmittelbar oder mittelbar, indem sie seine Angehörigen
oder sonst ihm nahestehende Personen bedrohen. Die Band-
breite solcher Pressionen reicht von symbolischen Gesten,

Drucksache 14/6467 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

z. B. dem Zusenden von Tierkadavern, der Abgabe von
Warnschüssen, über Bedrohungen, Sachbeschädigungen
und Körperverletzungen bis hin zu versuchten und vollen-
deten Tötungsdelikten. Aber auch nach einer rechtskräfti-
gen Verurteilung kann es vorkommen, dass die Täter aus
Rache auf diese Weise gegen einen Belastungszeugen vor-
gehen.

Zeugen, die sich bereit erklärt haben, in diesen Kriminali-
tätsbereichen belastende Aussagen zu machen, ihre Ange-
hörigen oder Personen, die mit ihnen in häuslicher Gemein-
schaft leben oder zu ihnen in einer persönlichen Beziehung
stehen oder standen, sind demnach einer besonders hohen
Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder we-
sentlicher Vermögenswerte ausgesetzt.

Solche Zeugen werden nur dann aussagefähig und -willig
bleiben, wenn sie der Staat, auch über das Ende des Straf-
prozesses hinaus, umfassend und wirksam schützen kann.
Die Glaubwürdigkeit einer solchen Schutzgarantie ist dabei
zunächst für den einzelnen Zeugen von Bedeutung. Ganz
generell kann sie aber die dringend benötigte Aussagebe-
reitschaft solcher Personen in künftigen Strafverfahren för-
dern. Eine gesetzliche Regelung wird dieser Glaubwürdig-
keit zugute kommen.

Welche Bedeutung staatliche Schutzgarantien für gefähr-
dete Zeugen in der Strafrechtspflege inzwischen erlangt ha-
ben, zeigt die Entwicklung: seit 1995 wurden bei Bund und
Ländern im Jahresdurchschnitt ca. 650 Zeugenschutzfälle
bearbeitet.

Zur Abwehr der Gefahr wird eine zu schützende Person zu
Beginn der Schutzmaßnahmen regelmäßig aus ihrem bis-
herigen Lebensumfeld herausgelöst und an einem anderen
Ort getarnt untergebracht. Die erforderlichen Maßnahmen
dienen sowohl ihrer psychischen Stabilisierung als auch der
konsequenten Abschottung. Sie sind regelmäßig aufwendig
und komplex. In Betracht kommen z. B. Verhaltensbera-
tung, psychologische Betreuung, vorübergehende Sicherung
des Lebensunterhaltes, Arbeitsplatzsuche, Kinderbetreuung,
Schutzobservationen und Beschaffung von Tarndokumen-
ten.

Die Maßnahmen des Zeugenschutzes orientieren sich
derzeit an gemeinsamen Richtlinien, die in den Ländern auf
der Grundlage von Beschlüssen der Konferenz der Justiz-
ministerinnen und -minister und der Ständigen Konferenz
der Innenminister und -senatoren der Länder erlassen
worden sind.

Wegen der Auswirkungen von Schutzmaßnahmen auf die
Rechte Dritter, nicht zuletzt des Beschuldigten, sind einem
Rückgriff auf die Generalklauseln der Polizeigesetze
bereichsspezifische, auf das Strafverfahren zugeschnittene
Regelungen vorzuziehen. Es ist daher notwendig, dem Zeu-
genschutz eine klar auf das Strafverfahren bezogene gesetz-
liche Grundlage zu geben. Diese soll mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf geschaffen werden. Durch die Regelungen
soll im Übrigen für die mit den Maßnahmen befassten Stel-
len die nötige Transparenz und damit Rechtssicherheit her-
gestellt werden. Soweit Schutzmaßnahmen nicht auf der
Grundlage des Zeugenschutzharmonisierungsgesetzes erfol-
gen, z. B. weil die dort festgelegten Voraussetzungen nicht
gegeben sind, wird bzw. bleibt bei bestehender Gefähr-

dungslage ein Schutz aufgrund der Regelungen des Gefah-
renabwehrrechts der Länder gewährleistet.

Der Gesetzentwurf beinhaltet im Wesentlichen:

1. Festlegung der Voraussetzungen für Zeugenschutzmaß-
nahmen,

2. Aufgabenzuweisung an die Zeugenschutzdienststelle,

3. Verpflichtung von zu schützenden Personen nach den
Bestimmungen des Verpflichtungsgesetzes,

4. Einführung einer Befugnisnorm für die Zeugenschutz-
dienststelle sowie einer Befugnisnorm für andere öffent-
liche Stellen zur Unterstützung der Zeugenschutzdienst-
stelle im Hinblick auf

 Übermittlungs- und Weitergabesperren für gespei-
cherte Daten und

 den vorübergehenden Aufbau einer Tarnidentität,
5. Regelungen zur Erreichbarkeit der zu schützenden Per-

son im Rechtsverkehr, zum Zeugenschutz im Vollzug
freiheitsentziehender Maßnahmen und im Gerichtsver-
fahren.

b) Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Das Vorhaben unterfällt dem Bereich der konkurrierenden
Gesetzgebung, Artikel 72, 74 GG. Es handelt sich um eine
Annexkompetenz zur Regelung des gerichtlichen Verfah-
rens, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Das Recht des gericht-
lichen Verfahrens ist die Gesamtheit der Rechtsnormen über
die verfahrensmäßige Behandlung von Angelegenheiten
durch die Gerichte. Zum gerichtlichen Verfahren gehört ins-
besondere auch das Strafverfahren.

Auch wenn Zeugenschutz grundsätzlich dem Bereich der
Gefahrenabwehr zuzurechnen ist, besteht ein enger Sachzu-
sammenhang mit dem Strafverfahren. Die Sphäre Dritter,
insbesondere des Beschuldigten, kann durch Maßnahmen
des Zeugenschutzes berührt werden. Der Zeugenschutz
dient der Sicherung des staatlichen Strafverfolgungsanspru-
ches. Der Zeuge ist in aller Regel nur deswegen gefährdet,
weil er bereit ist oder war, in einem Strafverfahren auszusa-
gen und mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuar-
beiten. Regelungen, die mit Blick auf diesen Zusammen-
hang getroffen werden, lassen sich dem Verfahren im Sinne
von Artikel 74 Abs. 1 GG zurechnen.

Aus dem engen inhaltlichen Bezug zum Strafverfahren
ergeben sich für die Bundesgesetzgebungskompetenz fol-
gende Einschränkungen:

Eine Gesetzgebungskompetenz besteht:

– für Maßnahmen zum Schutz von Personen, deren Aus-
sage zur Erforschung der Wahrheit von Bedeutung ist
oder war, soweit diese Personen im Rahmen eines Straf-
verfahrens voraussichtlich wesentliche Angaben zur Er-
forschung des Sachverhaltes machen werden,

– in Fällen nachrückenden Zeugenschutzes, d. h., in denen
nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss Zeugen-
schutzmaßnahmen fortgeführt werden sollen, die bereits
während des Strafprozesses begonnen wurden und deren
Fortbestehen sich als nach wie vor notwendig erweist.

Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist mangels
Bezuges zum Strafverfahren in den Fällen zu verneinen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/6467

– in denen eine gefährdete Person erst nach rechtskräfti-
gem Verfahrensabschluss zu schützen ist oder

– aufgrund einer veränderten Gefahrenlage nach rechts-
kräftigem Verfahrensabschluss neue, nicht bereits wäh-
rend des laufenden Verfahrens begonnene Schutzmaß-
nahmen erforderlich werden.

c) Zur Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen
Regelung

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützt sich wegen
des Regelungsschwerpunktes des Gesetzes auf Artikel 74
Absatz 1 Satz 1 GG (konkurrierende Gesetzgebung). Des-
halb unterfällt das Gesetzesvorhaben dem Anwendungsbe-
reich des Artikel 72 Abs. 2 GG.

Während die Möglichkeiten strafprozessualen Zeugenschut-
zes bundeseinheitlich geregelt sind, stützen sich die Maßnah-
men des polizeilichen Zeugenschutzes auf das Gefahrenab-
wehrrecht der Länder, insbesondere auf die Generalklauseln
der Polizeigesetze. Im Einzelfall findet auch ein Rückgriff
auf § 34 StGB statt, so z. B. für die Ausstellung von Tarnpa-
pieren. Als einzige Ausnahme ist in dem niedersächsischen
Polizeigesetz (§ 30 NGefAG) eine Spezialermächtigungs-
grundlage für die Ausstellung von Tarnpapieren für gefähr-
dete Zeugen enthalten. Nur das BKA-Gesetz beinhaltet für
die Durchführung von Zeugenschutzmaßnahmen gemäß § 6
BKAG eine spezielle Aufgabenzuweisung und dazu korres-
pondierend in § 26 BKAG eine Befugnisnorm. Maßnahmen
mit Auswirkungen auf das Strafverfahren bedürfen zur Wah-
rung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse einer
bundeseinheitlichen Regelung.

Wirksame Zeugenschutzmaßnahmen wie das Anfertigen
von Tarndokumenten lassen sich im Übrigen in einer Viel-
zahl von Fällen nicht auf das Gebiet eines Bundeslandes
beschränken. In über 50 % aller Zeugenschutzfälle in
Deutschland (mit steigender Tendenz) wird dabei der Zeuge
in einem anderen Bundesland angesiedelt.

Auch hinsichtlich der länderübergreifenden Zusammenar-
beit der beteiligten Behörden bedarf es also einheitlicher
Regelungen.

2. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1

Artikel 1 beinhaltet den Entwurf des eigentlichen Gesetzes
zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen.

Zu § 1 (Anwendungsbereich)

Zu Absatz 1

Absatz 1 beschreibt die Voraussetzungen, unter denen
Zeugenschutz im Strafverfahren gewährt werden kann.
Geschützt werden können nicht nur Zeugen, sondern auch
Beschuldigte, die aufgrund ihrer Aussagebereitschaft glei-
chermaßen gefährdet sind.

Die Aufnahme in den Zeugenschutz setzt voraus, dass die
Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung von
Beschuldigten nicht ohne die Aussage der zu schützenden
Person erreicht werden kann oder wesentlich erschwert
wäre. Bevor die meist einschneidenden und aufwendigen

Zeugenschutzmaßnahmen aufgenommen werden, sind an-
dere in Betracht kommende Möglichkeiten zu nutzen.

Das Erfordernis des Einverständnisses stellt klar, dass
Schutzmaßnahmen nach diesem Gesetz gegen den Willen
der zu schützenden Person nicht zulässig sind.

Die geforderte Aussagebereitschaft umfasst den auf der
Grundlage eines freien Entschlusses zustande gekommenen
uneingeschränkten Willen des Zeugen zur Aussage und die
Bereitschaft, vor Gericht zu erscheinen.

Die zu schützende Person muss wegen ihrer Aussagebereit-
schaft gefährdet sein. Dies setzt tatsächliche Anhaltspunkte,
die den Eintritt eines Schadens für die genannten Rechts-
güter wahrscheinlich erscheinen lassen, voraus. Eine nur
abstrakte Gefährdung reicht nicht aus. In jedem Einzelfall
ist eine Gefährdungsanalyse vorzunehmen.

Eine Person muss für die Durchführung von Zeugenschutz-
maßnahmen geeignet sein. An der Eignung kann es etwa
fehlen, wenn die zu schützende Person falsche Angaben
macht, Zusagen nicht einhält oder hierzu nicht die Fähigkeit
besitzt, zur Geheimhaltung nicht bereit ist oder Straftaten
begeht.

Unberührt von diesem Gesetz bleiben Betreuungs- und
Schutzprogramme für spezielle Personengruppen (z. B. aus-
ländische Opfer von Menschenhandel), bei denen die
Voraussetzungen nach diesem Gesetz nicht vorliegen.

Zu Absatz 2

Das Gesetz findet auch auf Angehörige des Zeugen oder
Beschuldigten oder ihm sonst nahestehende Personen
Anwendung, denn Gefahren können auch diesem Personen-
kreis drohen. Selbst wenn ein Zeuge oder Beschuldigter
bereit wäre, unter Zurückstellen seiner eigenen Gefährdung
auszusagen, ist dies häufig in Frage gestellt, wenn die
Gefahr nahestehenden Personen droht. Hinsichtlich der
Eignung und des Einverständnisses gilt das gleiche wie bei
Absatz 1.

Zu Absatz 3

Die Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz
kann im Einzelfall die Einbeziehung von Angehörigen
oder sonst nahestehenden Personen der in den Absätzen 1
und 2 genannten Personen erforderlich machen, auch
wenn sie selbst nicht gefährdet sind. Das kann etwa bei
der Wohnsitzverlagerung einer ganzen Familie der Fall
sein. Absatz 3 stellt klar, dass Schutzmaßnahmen auch
auf diese Personen erstreckt werden können. Auch hier
gelten bezüglich Eignung und Einverständnis die Ausfüh-
rungen zu Absatz 1.

Zu Absatz 4

Absatz 4 Satz 1 legt fest, unter welchen Voraussetzungen
der Zeugenschutz beendet werden kann, wobei er an die in
Absatz 1 bis 3 genannten Voraussetzungen anknüpft.

Soweit Maßnahmen des Zeugenschutzes nach diesem Ge-
setz beendet werden, eine Gefährdung aber gleichwohl fort-
besteht, wird bzw. bleibt ein Schutz aufgrund der Regelun-
gen des Gefahrenabwehrrechts der Länder gewährleistet.

Drucksache 14/6467 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Satz 3 verdeutlicht, dass die Zeugenschutzmaßnahmen über
die Beendigung des Strafverfahrens hinaus aufrechterhalten
bleiben, wenn die Gefahrenlage fortbesteht.

Zu § 2 (Zeugenschutzdienststellen)

Zu Absatz 1

Absatz 1 Satz 1 enthält die allgemeine Aufgabenzuweisung.
Neben einer Vielzahl von schlicht hoheitlichen Maßnahmen
kommen zum Schutz der in § 1 genannten Personen insbe-
sondere Maßnahmen nach § 4 ff. in Betracht.

Zeugenschutzdienststellen im Sinne dieses Gesetzes sind
die nach den jeweiligen Bestimmungen des Bundes oder
eines Landes für die Durchführung des Zeugenschutzes
zuständigen Behörden. Die Länderpolizeien und das Bun-
deskriminalamt haben Zeugenschutzdienststellen eingerich-
tet, die in der Regel von der die Ermittlungen führenden
Dienststelle organisatorisch getrennt sind. Der Gesetzes-
wortlaut schließt die Wahrnehmung von Zeugenschutz-
maßnahmen etwa durch den Bundesgrenzschutz und die
Zollbehörden im Rahmen von deren Zuständigkeit mit ein.
Eine Festlegung der zuständigen Behörden durch dieses
Bundesgesetz würde zum einen in die Organisationshoheit
der Länder eingreifen und zum anderen die notwendige Fle-
xibilität beeinträchtigen.

Die Vorschrift stellt klar, dass sich die Aufgabenzuweisung
und die Befugnis zu anderen als den nach diesem Gesetz zu-
lässigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr aus dem Polizei-
recht ergeben.

Zu Absatz 2

Klargestellt wird, dass Entscheidungen in Zusammenhang
mit dem Zeugenschutz nach pflichtgemäßem Ermessen ge-
troffen werden, insbesondere dass kein Rechtsanspruch auf
Aufnahme in den Zeugenschutz, dessen Fortführung oder
die Durchführung bestimmter Maßnahmen besteht.

Die Entscheidung über Beginn, Art, Umfang und Beendi-
gung von Zeugenschutzmaßnahmen setzt eine strikt am
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Abwägung vor-
aus. Absatz 2 Satz 2 benennt die im Rahmen der Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung insbesondere abzuwägenden Gesichts-
punkte.

In der Regel werden Maßnahmen nach diesem Gesetz nur
bei Straftaten von erheblicher Bedeutung in Betracht kom-
men, z. B. bei terroristischer Gewaltkriminalität oder Orga-
nisierter Kriminalität. Andere Kriminalitätsbereiche sind
dadurch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Zu Absatz 3

Alle im Rahmen des Zeugenschutzes getroffenen Maß-
nahmen, wie z. B. Aufnahme und Verpflichtung der zu
schützenden Person, die Ausstellung von Tarndokumenten,
finanzielle Leistungen oder die Beendigung des Zeugen-
schutzes müssen jederzeit nachvollzogen werden können.
Die Zeugenschutzdienststelle ist deshalb zur lückenlosen
Dokumentation verpflichtet. Die dabei entstehenden Unter-
lagen sind im Hinblick auf die Sicherheit der zu schützen-
den Person sowie wegen der in ihnen enthaltenen Informa-
tionen über das taktische Vorgehen der Polizei beim

Zeugenschutz in besonderem Maße geheimhaltungsbedürf-
tig. Deshalb werden die Akten nur von der Zeugenschutz-
dienststelle geführt und sind nicht Bestandteil der Ermitt-
lungsakte. Soweit es im Hinblick auf das Strafverfahren
erforderlich ist, sind der Staatsanwaltschaft die Akten auf
Anforderung zugänglich zu machen. Mitarbeiter der Staats-
anwaltschaft und Zeugenschutzdienststelle sind im Straf-
verfahren nach allgemeinen Grundsätzen zur Auskunft auch
über den Zeugenschutz verpflichtet. Sie bedürfen allerdings
gem. § 54 StPO u. U. einer Aussagegenehmigung, die unter
Berücksichtigung der Zwecke des Zeugenschutzes zu ertei-
len ist und ggf. beschränkt werden kann.

Zu Absatz 4

Solange das Strafverfahren noch nicht rechtskräftig abge-
schlossen ist, ist über die Aufnahme oder Beendigung des
Zeugenschutzes Einvernehmen mit der zuständigen Staats-
anwaltschaft herzustellen. Während eines anhängigen Ver-
fahrens sind die Entscheidungen über den Zeugenschutz
maßgeblich für die Entwicklung des Verfahrens, für die die
Staatsanwaltschaft die Verantwortung trägt. Handelt es sich
um ein eingestelltes Ermittlungsverfahren, ist für die Ent-
scheidungen weiterhin das Einvernehmen erforderlich, da
ein derartiges Verfahren in der Regel einer Wiederaufnahme
zugänglich ist.

Aber auch nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfah-
rens, das Anlass zu Maßnahmen des Zeugenschutzes gege-
ben hat, ist die Staatsanwaltschaft im Wege der vorherigen
Unterrichtung zu beteiligen, da ihr Erkenntnisse vorliegen
können (z. B. aus Folgeverfahren), die für die Entscheidung
über die Beendigung des Zeugenschutzes von wesentlicher
Bedeutung sein können.

Zu § 3 (Geheimhaltung, Verpflichtung)

Die Aufrechterhaltung eines wirksamen Zeugenschutzes
setzt unter anderem die Geheimhaltung der Zeugenschutz-
maßnahmen voraus. Amtsträger sind bereits nach dienst-
rechtlichen Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet,
so dass Satz 1 insoweit lediglich deklaratorische Bedeutung
zukommt. Die Regelung dient der Sicherstellung der Ge-
heimhaltung durch andere Personen. Satz 1 bezieht sowohl
die zu schützenden Personen selbst als auch solche Private
ein, die für Maßnahmen nach diesem Gesetz in Anspruch
genommen werden können.

Zur Sicherstellung der Geheimhaltung ermöglicht Satz 2
die Verpflichtung nach dem Gesetz über die förmliche
Verpflichtung nicht beamteter Personen vom 2. März 1974
(Verpflichtungsgesetz – VerpflG – BGBl. I Seite 469, 547),
geändert durch § 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 15. August 1974
(ÄndG – BGBl. I Seite 1942).

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 VerpflG ermöglicht die förmliche Ver-
pflichtung von Privatpersonen zur gewissenhaften Erfüllung
ihrer Obliegenheiten und stellt sie damit insoweit Amtsträ-
gern gleich, sofern dies durch ein Gesetz vorgesehen ist. § 3
Satz 2 schafft diese gesetzliche Grundlage.

Die Strafbewehrung für unbefugtes Offenbaren von Kennt-
nissen über Zeugenschutzmaßnahmen ergibt sich für Amts-
träger aus § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB, für nach dem Ver-
pflichtungsgesetz verpflichtete Personen aus § 353b Abs. 2

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/6467

Nr. 2 StGB. Die Strafverfolgung ist gemäß § 353b Abs. 4
StGB von der Erteilung einer Ermächtigung abhängig.

Die Soll-Vorschrift macht deutlich, dass der Zeugenschutz-
dienststelle bei der Entscheidung über die Verpflichtung ein
eingeschränkter Ermessensspielraum zusteht. Bei zu schüt-
zenden Personen wird die Verpflichtung in der Regel gebo-
ten sein, während bei anderen Personen je nach Umfang der
Befassung mit Maßnahmen des Zeugenschutzes zu ent-
scheiden sein wird. Die Bereitschaft sich verpflichten zu
lassen ist ein wichtiges Kriterium für die Geeignetheit einer
zu schützenden Person.

Zu § 4 (Verwendung personenbezogener Daten)

Zu Absatz 1

Jede Bekanntgabe personenbezogener Daten der zu schüt-
zenden Person erhöht ihre Gefährdung. Deshalb eröffnet
Absatz 1 der Zeugenschutzdienststelle die Möglichkeit, ent-
sprechende Auskunftsersuchen privater und öffentlicher
Stellen abzulehnen. Bei der nach § 2 Abs. 2 Satz 2 vorzu-
nehmenden Abwägung werden namentlich auch mögliche
Auswirkungen auf die ersuchende Stelle zu berücksichtigen
sein. Informationspflichten gegenüber der zuständigen
Staatsanwaltschaft bleiben von Absatz 1 unberührt, so dass
es weitergehender Regelungen, etwa im Sinne von § 110b
Abs. 3 Satz 2 StPO, nicht bedarf.

Zu Absatz 2

Personenbezogene Informationen sind heute in einer Viel-
zahl von öffentlichen und nicht öffentlichen Dateien gespei-
chert. Häufig sind Informationen aus solchen Dateien, wie
z. B. dem Melderegister, einer Vielzahl von Behörden und
Institutionen, aber auch Privaten, zugänglich. Durch Aus-
künfte aus diesen Dateien kann z. B. der Aufenthaltsort ei-
ner zu schützenden Person festgestellt werden. Um sicheren
Schutz gewährleisten zu können, wird öffentlichen Stellen
die Befugnis eingeräumt, auf Ersuchen der Zeugenschutz-
dienststelle Daten zu sperren oder sie nicht zu übermitteln.
Dies umfasst auch den Ausschluss des automatisierten Ab-
rufs. Soweit überwiegende schutzwürdige Belange Dritter
oder der Allgemeinheit nicht entgegenstehen, kommen die
öffentlichen Stellen dem Ersuchen der Zeugenschutzdienst-
stelle nach. Die Prüfung der Erforderlichkeit durch die
Zeugenschutzdienststelle entlastet insoweit die ersuchten
öffentlichen Stellen. Das Verhältnis zwischen der Zeugen-
schutzdienststelle und anderen öffentlichen Stellen be-
stimmt sich nach den Regeln der Amtshilfe, soweit nicht
das Gesetz Besonderes bestimmt.

Die Generalklausel des Absatzes 2 wird im besonderen An-
wendung finden auf öffentliche Dateien und Register, wie
z. B. Melde-, Personalausweis-, Pass-, Personenstands-,
Fahrerlaubnis- und Fahrzeugregister. Dies macht Änderun-
gen entsprechender Spezialgesetze entbehrlich.

Zu Absatz 3

Nicht öffentliche Stellen sind verpflichtet, dem Verlangen
der Zeugenschutzdienststelle nachzukommen. Die umfang-
reiche Datenverarbeitung im privaten Bereich, wie z. B. bei
Versicherungen und Banken oder im Telekommunikations-
wesen, eröffnet ebenso Möglichkeiten zur Ausspähung.

Effektiver Zeugenschutz erfordert deshalb, auch den nicht
öffentlichen Bereich einzubeziehen.

Zu Absatz 4

Absatz 4 ergänzt die Absätze 2 und 3 für den Bereich der
internen Datenverarbeitung.

Zu Absatz 5

Der Hinweis auf die §§ 161, 161a StPO macht deutlich,
dass die Einschränkungen im Verhältnis zur sachleitenden
Staatsanwaltschaft nicht gelten.

Zu Absatz 6

Absatz 6 dient zum einen dem Erkennen und Verhindern
von Ausspähversuchen. Zum anderen ermöglicht er der
Zeugenschutzdienststelle, ihre Rolle bei der Durchsetzung
von Ansprüchen Dritter gegen die zu schützende Person
wahrzunehmen. Mit Blick auf die möglichen Folgen einer
Nichtweitergabe von Informationen prüft die Zeugenschutz-
dienststelle in jedem Einzelfall, ob eine Weitergabe erfolgen
kann oder ob eine zeitlich befristete Datensperre in Betracht
kommt.

Zu § 5 (Vorübergehende Tarnidentität)

Zu Absatz 1

Zum wirksamen Zeugenschutz erweist sich häufig der Auf-
bau einer Tarnidentität als unverzichtbar. Hierfür sind auch
und vor allem Dokumente mit Tarnpersonalien erforderlich.
Die zu schützende Person muss mit Urkunden und Nach-
weisen ausgestattet werden, mit denen der für die Tarnung
angenommene Lebenslauf nachvollzogen werden kann.
Dies ist z. B. für die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses
oder für die Ein- oder Umschulung von Kindern erforder-
lich. In dieses System der Abschottung müssen auch die für
die Tarnidentität bedeutsamen Dateien und Register mit ein-
bezogen werden.

Um dies gewährleisten zu können, wird öffentlichen Stellen
die Befugnis eingeräumt, auf Ersuchen der Zeugenschutz-
dienststelle Tarndokumente herzustellen oder zu verändern
sowie die geänderten Daten zu verarbeiten. Soweit überwie-
gende schutzwürdige Belange Dritter oder der Allgemein-
heit nicht entgegenstehen, kommen die öffentlichen Stellen
dem Ersuchen der Zeugenschutzdienststelle nach. Die Prü-
fung der Erforderlichkeit durch die Zeugenschutzdienst-
stelle entlastet insoweit die ersuchten öffentlichen Stellen.

Die Generalklausel des Absatzes 1 wird im besonderen An-
wendung finden auf Dokumente, wie z. B. Personalausweis,
Reisepass, Führerschein, Haftentlassungsschein, Lohnsteu-
erkarte oder Zeugnisse sowie die entsprechenden Dateien
und Register. Dies macht Änderungen von Spezialgesetzen
entbehrlich.

Die Personenstandsbücher müssen richtig bleiben. Zum
Schutz gefährdeter Personen kann es geboten sein, Perso-
nenstandsurkunden mit Tarndaten für begrenzte Zwecke
auszustellen; um die Gefahr des Missbrauchs auszuschlie-
ßen, werden sie der gefährdeten Person nur anlassbezogen
überlassen. Derartige Urkunden dürfen insbesondere nicht

Drucksache 14/6467 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

dazu verwandt werden, Eintragungen in Personenstands-
bücher mit Tarndaten zu erwirken.

Zu Absatz 2

Nicht öffentliche Stellen sind verpflichtet, dem Verlangen
der Zeugenschutzdienststelle nachzukommen. Auch im
nicht öffentlichen Bereich werden Ausweise, Befähigungs-
und Leistungsnachweise oder ähnliche Dokumente ausge-
stellt. Effektiver Zeugenschutz erfordert deshalb, den nicht
öffentlichen Bereich auch insoweit einzubeziehen.

Zu Absatz 3

Die zu schützende Person muss unter der Tarnidentität auch
am Rechtsverkehr teilnehmen können, etwa bei Wohnungs-
oder PKW-Anmietungen, Kontoeröffnungen bei Geldinsti-
tuten oder Eintragungen in öffentliche Bücher und Register
mit Ausnahme der Personenstandsbücher, Absatz 1. Gegen-
über allgemeinen Regelungen (z. B. § 154 Abgabenord-
nung) geht Absatz 3 vor.

Zu Absatz 4

Es kann erforderlich sein, auch die Mitarbeiter der Zeugen-
schutzdienststelle vorübergehend mit einer anderen Identität
zu versehen, um z. B. gefahrlos eine Wohnung für die vorü-
bergehende Unterbringung der zu schützenden Person an-
mieten zu können. Offenes Auftreten der Zeugenschutz-
dienststelle könnte das Interesse Dritter wecken und damit
das Risiko für die zu schützende Person oder die Angehö-
rigen der Zeugenschutzdienststelle erhöhen.

Zu § 6 (Aufhebung von Maßnahmen des Zeugenschutzes)

Im Interesse der Rechtsklarheit sind die praktischen Vorkeh-
rungen, die sich nach Aufhebung von Zeugenschutzmaß-
nahmen oder nach Beendigung des Zeugenschutzes insge-
samt ergeben, zumindest für öffentliche Stellen festzulegen.
Hierzu gehört z. B. dass geänderte Daten in Registern be-
richtigt werden oder die Zeugenschutzdienststelle Tarndo-
kumente einzieht.

Zu § 7 (Ansprüche gegen Dritte)

Zu Absatz 1

Der Wechsel des Lebensmittelpunktes einer zu schützenden
Person nimmt ihr in der Regel zumindest vorübergehend die
Erwerbsgrundlage. Die Sicherung des Lebensunterhaltes
bildet jedoch eine unabdingbare Voraussetzung des Zeugen-
schutzes. Bis die zu schützende Person in der Lage ist, aus
eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, bedarf sie
der wirtschaftlichen Unterstützung.

Absatz 1 dient der Klarstellung, dass Ansprüche der zu
schützenden Personen gegen Dritte, sowohl Private als auch
öffentliche Stellen, durch Maßnahmen des Zeugenschutzes
nicht berührt werden. Dies gilt auch für Zuwendungen der
Zeugenschutzdienststelle nach § 8. Die Gewährung von
Sozialhilfe richtet sich ausschließlich nach den Leistungs-
voraussetzungen des BSHG; unabhängig davon, ob und
inwieweit die anspruchsbegründenden Sachverhalte durch
Art und Umfang des Zeugenschutzes bedingt sind.

Zu Absatz 2

Zuständig für die Prüfung und Entscheidung über die An-
spruchsgewährung sind insbesondere die Leistungsträger
im Sinne des SGB I, die Bundesanstalt für Arbeit sowie die
nach Landesrecht für die Durchführung des Asylbewerber-
leistungsgesetzes zuständigen Stellen. Absatz 2 stellt sicher,
dass diesen die für die Prüfung maßgeblichen Tatsachen
mitgeteilt werden; insoweit übernimmt die Zeugenschutz-
dienststelle im Interesse der zu schützenden Person eine
Mittlerfunktion. Sie hat gegenüber den Leistungsträgern die
Tatsachen darzulegen und zu bestätigen, die für die Prüfung
der Leistungsvoraussetzungen der Hilfegewährung benö-
tigt werden. Soweit erforderlich kann darüber hinaus ein
Bediensteter der Zeugenschutzdienststelle als Zustellungs-
bevollmächtigter benannt werden.

Zu Absatz 3

Versicherte, die aufgrund von Zeugenschutzmaßnahmen ge-
hindert sind, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten,
müssen hierdurch u. U. einen Verlust in Höhe der entspre-
chenden Rentenanwartschaften hinnehmen. Um die Mög-
lichkeit der Nachzahlung von Beiträgen für die Zeit der
Zeugenschutzmaßnahmen, in denen die zu schützende Per-
son an der Entrichtung von Beiträgen gehindert war, zu
regeln, wurde eine Bestimmung analog des § 205 SGB VI
aufgenommen.

Zu § 8 (Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle)

Soweit in Einzelfällen die zu schützende Person eigene Mit-
tel nicht einsetzen kann oder Leistungen im Sinne von § 7
Abs. 2 nicht zur Verfügung stehen und es für den Zeugen-
schutz erforderlich ist, schafft Absatz 1 die Möglichkeit ei-
ner vorübergehenden wirtschaftlichen Unterstützung durch
die Zeugenschutzdienststelle. An Art und Umfang der Zu-
wendungen ist ein strenger, an den Abwägungskriterien von
§ 2 orientierter Maßstab anzulegen. Die Unterstützung soll
die zu schützende Person wirtschaftlich nicht besser stellen,
als vor der Aufnahme in den Zeugenschutz. Damit wird
dem möglichen Vorwurf vorgebeugt, die Aussage der zu
schützenden Person sei durch unzulässige Vorteile erlangt
worden.

Satz 2 stellt klar, dass Zuwendungen der Zeugenschutz-
dienststelle, die eine zu schützende Person auf unlautere Art
und Weise (z. B. durch wissentlich unwahre Angaben über
die Voraussetzungen für den Zeugenschutz – etwa Gefähr-
dung – oder die bisherigen Lebensumstände) erschlichen
hat, zurückgefordert werden können. Bei einer bloßen Kor-
rektur des Inhalts einer Aussage werden diese Vorausset-
zungen nicht gegeben sein.

Zu § 9 (Ansprüche Dritter)

Zu Absatz 1 und 2

Maßnahmen des Zeugenschutzes dürfen nicht dazu führen,
dass berechtigte Ansprüche Dritter, auch öffentlicher Stel-
len, nicht durchgesetzt werden können. Nach § 9 Abs. 2
trägt die Zeugenschutzdienststelle deshalb dafür Sorge, dass
die Erreichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsver-
kehr, z. B. für Zustellungen, gerichtliche Ladungen als Par-
tei oder Zeuge oder für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13 – Drucksache 14/6467

nicht vereitelt wird. Die Zeugenschutzdienststelle wird in-
soweit nur als Informationsmittler tätig; so kann z. B. ein
Bediensteter der Zeugenschutzdienststelle als Zustellungs-
bevollmächtigter benannt werden. Gläubiger einer zu schüt-
zenden Person sollen durch den Zeugenschutz nicht besser
gestellt werden; insbesondere kann die Zeugenschutzdienst-
stelle nicht für die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen ein-
stehen.

Zu § 10 (Zeugenschutz in justizförmigen Verfahren)

Zu Absatz 1

Auch in Gerichtsverfahren und Verfahren vor einem parla-
mentarischen Untersuchungsausschuss, muss sichergestellt
bleiben, dass die Personalien, unter denen die zu schützende
Person zu diesem Zeitpunkt lebt, sowie ihr gegenwärtiger
Aufenthaltsort, nicht offengelegt werden und damit eine Er-
höhung ihrer Gefährdung herbeigeführt wird. Für das Straf-
verfahren geschieht dies aufgrund der Spezialregelung des
Absatzes 3 gemäß den §§ 68, 110b Abs. 3 StPO. Für die
sonstigen Verfahren räumt Absatz 1 dem Zeugen das Recht
ein, in einem förmlichen Verfahren alle Auskünfte zu ver-
weigern, die zu einer Offenlegung dieser Daten führen wür-
den.

Der Hinweis, dass das Auskunftsverweigerungsrecht abwei-
chend von den Bestimmungen der verschiedenen Verfahrens-
ordnungen gilt, stellt klar, dass die Regelung des Gesetzes
diesen vorgeht (nur die Vorschriften der StPO bleiben gemäß
Absatz 3 unberührt).

Dem Bund steht eine begrenzte Annexkompetenz zur Rege-
lung des Auskunftsverweigerungsrechtes für eine Anhörung
vor einem Untersuchungsausschuss eines Landesparlamen-
tes zu. Das durch den Zeugenschutz angestrebte Ziel würde
in Frage gestellt, wenn der Zeuge zwar im Strafverfahren
die Auskünfte verweigern dürfte, im Verfahren vor einem
Untersuchungsausschuss dieses Recht jedoch nicht in An-
spruch genommen werden könnte.

Zu Absatz 2

Absatz 2 legt den Zeitpunkt fest, zu welchem Unterlagen,
die Rückschlüsse auf den Wohn- oder Aufenthaltsort des
Zeugen zulassen, zu den Verfahrens- oder Ermittlungsakten
genommen werden können. Dies ist erst dann möglich,
wenn die Gefährdung nicht mehr besteht.

Zu § 11 (Zeugenschutz bei freiheitsentziehenden Maß-
nahmen)

Während des Aufenthaltes der zu schützenden Person in ei-
ner Justizvollzugsanstalt oder einer sonstigen Anstalt, in der

freiheitsentziehende Maßnahmen jedweder Art vollzogen
werden, muss gleichermaßen ein wirksamer Zeugenschutz
gewährleistet werden. Dies setzt unter Beachtung der Be-
lange des Zeugenschutzes und des Vollzuges eine enge und
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Zeugenschutz-
dienststelle und der Vollzugsanstalt voraus. Die Herstellung
des Einvernehmens mit dem Leiter der jeweiligen Vollzugs-
einrichtung stellt sicher, dass die insbesondere im Sicher-
heits- und Organisationsbereich der Einrichtung möglichen
Implikationen beherrscht werden können.

Hieraus ergibt sich für die Zeugenschutzdienststelle die
Pflicht, den Leiter der Vollzugseinrichtung, in der sich der
zu schützende Zeuge befindet oder in die er aufgenommen
werden soll, von Beginn und Ende des Zeugenschutzes
sowie vollzugsrelevanter Maßnahmen nach diesem Gesetz
rechtzeitig zu unterrichten. Die vertrauensvolle Zusammen-
arbeit bedingt aber auch, dass der Leiter der Vollzugsein-
richtung die Zeugenschutzdienststelle über alle für die
Ausgestaltung und Fortführung des Zeugenschutzes bedeut-
samen Umstände informiert.

Die Zuständigkeit der Landesjustizverwaltungen bei Verle-
gung von Gefangenen in ein anderes Bundesland bleibt
durch das Gesetz zur Regelung des Schutzes gefährdeter
Zeugen unberührt.

Zu Artikel 2 (Änderung des Bundeskriminalamt-
gesetzes – BKAG)

Durch eine Ergänzung von § 26 Abs. 1 Satz 1 BKAG wird
der Vorrang von Artikel 1 gegenüber den Regelungen des
BKAG im Bereich des Zeugenschutzes klargestellt.

Zu Artikel 3 (Änderung des Ausländergesetzes –
AuslG)

Durch die Ergänzung des § 64 Abs. 3 AuslG soll sicherge-
stellt werden, dass eine ausländische zu schützende Person
nicht ohne Wissen der Zeugenschutzdienststelle abgescho-
ben werden kann. Die Ausländerbehörde hat das Einverneh-
men mit der Zeugenschutzdienststelle vor der Ausweisung
oder Abschiebung herzustellen. Die Zeugenschutzdienst-
stelle hat für die Herstellung des Einvernehmens mit der
Staatsanwaltschaft oder mit dem Leiter der Vollzugseinrich-
tung Sorge zu tragen (§ 2 Abs. 4 und § 11 ZSHG).

Die Änderung des § 76 Abs. 4 gewährleistet die notwendige
Information der Ausländerbehörde. Sie entspricht den übri-
gen Regelungen des Absatzes 4.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Artikel 4 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

Berlin, den 27. Juni 2001

Hans-Peter Kemper
Berichterstatter

Wolfgang Zeitlmann
Berichterstatter

Cem Özdemir
Berichterstatter

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

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