BT-Drucksache 14/6320

AIDS-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern

Vom 20. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6320
14. Wahlperiode 20. 06. 2001

Antrag
der Abgeordneten Frank Hempel, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau,
Brigitte Adler, Rudolf Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki, Marga
Elser, Gernot Erler, Gabriele Fograscher, Klaus Hagemann, Anke Hartnagel,
Reinhold Hemker, Monika Heubaum, Ingrid Holzhüter, Barbara Imhof,
Ulrich Kelber, Karin Kortmann, Konrad Kunick, Tobias Marhold, Lothar Mark,
Ulrike Mehl, Albrecht Papenroth, Dr. Hansjörg Schäfer, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Wieland Sorge,
Engelbert Wistuba, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD
sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Köster-Loßack,
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

AIDS-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die AIDS-Pandemie ist zu einem globalen gesellschaftlichen und gesundheits-
politischen Problem mit weitreichenden sozioökonomischen Folgen im be-
ginnenden 21. Jahrhundert geworden. Sie stellt eines der grundlegendsten
Probleme für die Entwicklung vieler Entwicklungsländer dar. Erfolge der ver-
gangenen Dekaden, wie z. B. Senkung der Säuglings- und Kindersterblichkeit
und Erhöhung der Lebenserwartung, werden durch die Seuche vernichtet.
Nelson Mandela bezeichnete sie auf der Welt-AIDS-Konferenz in Durban als
„Tragödie nie dagewesenen Ausmaßes“.

Seit Beginn der Epidemie Anfang der 80er Jahre haben sich bis Ende 2000 über
58 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, von denen bereits über
22 Millionen verstorben sind. Laut dem VN-Programm UNAIDS waren Ende
2000 schätzungsweise 36,1 Millionen Menschen mit HIV infiziert oder schon
an AIDS erkrankt und täglich infizieren sich weitere 15 000 Menschen. Ein sol-
ches Ausmaß der Epidemie wurde bis vor einem Jahrzehnt von keiner Institu-
tion vorhergesehen: Die aktuelle Dimension der AIDS-Pandemie liegt mehr als
50 % über der Prognose des Global Programme on AIDS der WHO von 1991.

Besonders schwer betroffen sind die Entwicklungsländer, in denen ca. 95 %
aller Menschen mit HIV/AIDS leben. Regionaler Schwerpunkt der AIDS-Pan-
demie ist Afrika südlich der Sahara mit 25,3 Millionen, gefolgt von Süd- und
Südostasien mit 5,8 Millionen und Lateinamerika mit 1,4 Millionen infizierten
Menschen.

Drucksache 14/6320 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Zwar ist die Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen in Afrika südlich der
Sahara insgesamt leicht rückläufig (2000: 3,8 Millionen; 1999: 4,0 Millionen),
doch ist dies kein Grund die Bemühungen zur Bekämpfung der Epidemie jetzt
zu vernachlässigen, denn nach Schätzung von Experten werden in der kom-
menden Dekade mehr Menschen in Afrika südlich der Sahara an AIDS sterben
als in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts zusammen. Gründe für den Rückgang
der Neuinfektionen sind einerseits die bereits hohe Infektionsrate der Bevölke-
rung im reproduktiven Alter und anderseits die Implementierung umfassender
und erfolgreicher Präventivprogramme (z. B. Uganda und Tansania). Dennoch
liegt die Anzahl der Menschen mit HIV/AIDS in Afrika südlich der Sahara mit
weitem Abstand vor allen anderen Weltregionen bei 25,3 Millionen, was 70 %
aller HIV/AIDS-Fälle weltweit entspricht. Die Prävalenzrate bei Erwachsenen
(15 bis 49 Jahren) liegt in der Region bei 8,8 % mit einer Spannbreite von unter
2 % bis 35,8 %.

Mit 780 000 HIV-Neuinfektionen (2000) in Süd- und Südostasien stieg die
Gesamtzahl der HIV/AIDS-Fälle auf 5,8 Millionen, was zu einer Prävalenzrate
bei Erwachsenen von 0,56 % führt.

Die bevölkerungsreiche Region Ostasien und Pazifik weist mit 130 000 Neuin-
fektionen eine relativ geringe Rate auf. Die Gesamtzahl der HIV/AIDS-Betrof-
fenen liegt bei 640 000 und die Prävalenzrate bei 0,07 %.

Eine unzureichende Datenbasis für die Region Nordafrika, Naher und Mittlerer
Osten lässt kaum eine Einschätzung der HIV/AIDS-Situation zu. Es ist aber da-
von auszugehen, dass auch in dieser Region die Epidemie im Vormarsch ist.
UNAIDS schätzt die Zahl der Neuinfektionen für das Jahr 2000 auf 80 000 bei
einer Gesamtzahl von 400 000. Somit läge die Prävalenzrate bei 0,2 %.

Die Karibikregion weist zwar „nur“ eine Gesamtinfektionshöhe von 390 000
und eine Neuinfektion von 60 000 auf, liegt aber – bedingt durch die relativ ge-
ringe Bevölkerungszahl – mit einer Prävalenzrate von 2,8 % an zweiter Stelle
hinter Afrika südlich der Sahara, weit vor dem Rest der Weltregionen. 1999 ist
die Region in eine neue Phase des öffentlichen Bewusstseins und der öffent-
lichen Kenntnisnahme des Problems HIV/AIDS getreten und die CARICOM-
Staaten streben eine karibische Partnerschaft gegen HIV/AIDS an.

Die Übertragung von HIV in Lateinamerika hat mehrere komplexe Ursachen.
Hauptübertragungswege sind sowohl hetero- als auch homosexuelle Sexual-
kontakte und intravenöser Drogenkonsum, die im Jahr 2000 zu 150 000 Neuin-
fektionen geführt haben. Aus der Gesamtzahl von 1,4 Millionen HIV-Infizier-
ten resultiert eine Prävalenzrate von 0,5 %.

Bei aller Brisanz der HIV/AIDS-Epidemie in den Entwicklungsländern dürfen
die Länder Osteuropas, Zentralasiens und besonders die Russische Föderation
nicht unbeachtet bleiben. Zwar ist die Zahl der HIV/AIDS-Fälle für 2000 noch
gering im globalen Vergleich (700 000), doch sind besonders in der Russi-
schen Föderation enorme Wachstumsraten zu verzeichnen. So liegt das Aus-
maß der Neuinfektionen in der Russischen Föderation (über 50 000) und in
Estland im Jahr 2000 höher als alle registrierten HIV-Fälle (Russische Födera-
tion 1987 bis 1999: 29 000) seit Beginn der Epidemie. Die Dunkelziffer ist we-
sentlich höher. Hauptübertragungsweg sind risikobehaftete Drogeninjekti-
onspraktiken.

Zu Beginn der Pandemie waren die Hauptbetroffenen von HIV/AIDS vor allem
Männer. In Entwicklungsländern war dies u. a. bedingt durch höhere Mobilität
und Promiskuität. Noch in den 80er Jahren schienen Frauen und Kinder von der
AIDS-Epidemie nur am Rande betroffen. Heute stellen sie in Afrika südlich der
Sahara mehr als die Hälfte der Neuinfizierten und stehen mit Recht im Mittel-
punkt der internationalen Bemühungen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6320

Frauen sind in vielen Entwicklungsländern aus verschiedenen Gründen beson-
ders gefährdet, mit dem Virus infiziert zu werden. Die Gründe hierfür sind ei-
nerseits auf gesellschaftlicher Ebene zu suchen: Neben der generellen Benach-
teiligung von Frauen u. a. der unzureichende Zugang zu Informationen und
Beratung über reproduktive Gesundheit sowie Diskriminierungen und man-
gelnder rechtlicher Schutz (z. B. verwitweter Frauen). Andererseits sind Frauen
in Entwicklungsländern häufig im privaten Umfeld ebenso rechtlos: Sie können
sich gegen ungeschützten Verkehr nicht wehren und sind unter Umständen Ge-
walt und Vergewaltigung ausgesetzt. Im Zusammenspiel mit finanziellen Ab-
hängigkeiten werden Frauen in Armut und Prostitution getrieben, ein Prozess,
der durch HIV/AIDS noch beschleunigt wird. In Ländern, deren Situation von
allgemeiner Armut, Migration, Vertreibung und Krieg geprägt ist, sind Frauen
besonders der Gefahr sexueller Gewalt und damit auch einer HIV-Infektion
ausgesetzt.

Kinder sind durch die hohe Infektionsrate von Frauen im reproduktiven Alter,
vor allem in einigen Regionen Afrikas (25 bis 30 %), direkt betroffen. Hier
liegt die HIV-Rate von Säuglingen entsprechend hoch. Die Infektion kann vor,
während und nach der Geburt über das Stillen von der HIV-positiven Mutter
auf das Kind übertragen werden. In Simbabwe sind AIDS-bedingte Erkrankun-
gen mittlerweile zur Haupttodesursache bei Kindern unter fünf Jahren gewor-
den.

Heute leben weltweit über 1,4 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV/AIDS
und täglich kommen 1 700 Neuinfektionen hinzu, davon 79 % in Afrika südlich
der Sahara. Seit Beginn der Epidemie verloren nach einer groben Schätzung
rund 12 Millionen Kinder ihre Eltern. Durch den frühen Tod der Eltern werden
diese Kinder zu Waisen, können häufig die Schule nicht abschließen und müs-
sen um das eigene Überleben kämpfen. Ein Teufelskreis aus Armut, fehlender
Bildung und dadurch wiederum erhöhten HIV-Infektionsrisiko entsteht.

Laut ILO ist aufgrund der hohen Prävalenz von HIV/AIDS im arbeitsaktiven
Alter zwischen 15 und 49 Jahren damit zu rechnen, dass Kinderarbeit zunimmt
und mühsam erkämpfte Frauenrechte erodieren werden.

Armut und HIV/AIDS stehen in engem Zusammenhang. Parallel zum Anstieg
der Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, breitet sich die
HIV-Infektion besonders schnell aus, denn Armut erschwert den Zugang zu In-
formationen und defizitäre Bildung deren Verarbeitung und Umsetzung. Die
Sorge um eine Krankheit, deren Verlauf man jahrelang nicht bemerkt, tritt in
den Hintergrund des täglichen Überlebenskampfes. Um diesen Teufelskreis
von fehlender Information über Sexualität, Ansteckungsrisiken und Schutz-
maßnahmen zu durchbrechen, müssen Bildungsdefizite, soziale Ungleichheit
und Armut effektiv verringert werden.

Die sozioökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen für die betroffe-
nen Länder spielen sich auf allen Ebenen ab. Gesamtwirtschaftlich ist in diesen
betroffenen Ländern mit der Schwächung der nationalen Ökonomie und damit
verbunden mit einem erheblichen Rückgang des BSP zu rechnen. Ökonomi-
sche Entwicklungserfolge (wie z. B. in Botsuana) werden durch die HIV/
AIDS-Epidemie zunichte gemacht. Nach einer Schätzung der Weltbank verur-
sacht eine Infektionsrate von 10 % langfristig einen Rückgang des Nationalein-
kommens um 33 %. In Staaten Afrikas südlich der Sahara mit einer Prävalenz-
rate von 20 % und mehr kann sich das Wachstum des BIP um bis zu 2 % pro
Jahr verringern. Die Weltbank rechnet in den nächsten 10 Jahren in Tansania
mit einer Verringerung des BSP um 15 bis 25 %. Das jährliche Wirtschafts-
wachstum Südafrikas wird um 0,3 bis 0,4 % niedriger ausfallen als ohne HIV/
AIDS und die Rentabilität einiger südafrikanischer Minen wird aufgrund der
Seuche schon heute in Frage gestellt. Die Effekte der Epidemie für die natio-
nale Wirtschaft werden langfristige und langsame Korrosionsprozesse sein.

Drucksache 14/6320 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Für die Gesundheit der Bevölkerung bedeutet die HIV/AIDS-Pandemie die Re-
vidierung der meisten gesundheitspolitischen Entwicklungserfolge der vergan-
genen Jahrzehnte. AIDS ist in den von der Epidemie am stärksten betroffenen
Ländern zur häufigsten Todesursache im reproduktiven Lebensalter geworden.
Laut WHO sterben mittlerweile mehr Menschen an AIDS als an Malaria und
Tuberkulose zusammen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in den Ländern Afri-
kas südlich der Sahara sich die Lebenserwartung, die von 1950 bis Anfang der
90er Jahre von 44 auf rund 60 Jahre gestiegen war, im nächsten Jahrzehnt wie-
der um 15 bis 20 Jahre verringern wird. Die Betreuung und Pflege AIDS-kran-
ker Menschen führt zu einer Überforderung der vorhandenen, ohnehin schon
unzureichenden Gesundheitssysteme.

Nicht unterschätzt werden dürfen die Auswirkungen von HIV/AIDS auf den
ländlichen Raum. Gerade in Afrika südlich der Sahara, wo die Feldarbeit über-
wiegend von Frauen gemacht wird, führt die hohe Prävalenz dieser Bevölke-
rungsgruppe zu erheblichen Versorgungsengpässen, denn durch die noch
schlechtere soziale und medizinische Versorgung auf dem Land übernehmen
vor allem Frauen die Pflege der erkrankten Familienmitglieder und nicht selten
werden sämtliche finanziellen Mittel dafür verwendet. Somit wird der Acker-
bau aufgrund der zeitlichen und ökonomischen Aufwendung für die Kranken-
pflege vernachlässigt.

Medikamente zur Behandlung der HIV-Infektion stehen zur Verfügung und
werden in den Industrieländern auch umfangreich eingesetzt. Für Patienten in
Entwicklungsländern sind diese jedoch unbezahlbar und es fehlt vielfach an
den notwendigen Basisgesundheitseinrichtungen und -strukturen. Auch bei
dem von einigen internationalen Pharmakonzernen zugesagten Preisnachlass
von bis zu 90 % übersteigen die jährlichen Kosten das durchschnittliche Jahres-
einkommen um ein Vielfaches. Eine kostenlose bzw. für die Patienten ökono-
misch vertretbare Bereitstellung der Medikamente und die Gewährleistung der
Verteilung sowie einer fachlichen medizinischen Betreuung, könnte wirkungs-
voll helfen die HIV/AIDS-Pandemie zu bekämpfen.

Die 1998 im Rahmen von Patentstreitigkeiten von internationalen Pharmakon-
zernen eingereichte Sammelklage gegen die südafrikanische Regierung wurde
zwar am 19. April 2001 wieder zurückgezogen, doch eine endgültige Lösung
auf internationaler Ebene ist noch in weiter Ferne. Der Deutsche Bundestag be-
grüßt jedoch, dass die multinationalen Pharmakonzerne zunehmend ihre Ver-
antwortung anerkennen.

International wird intensiv an der Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV
(u. a. auch in Kenia) gearbeitet. Die Testprogramme werden jedoch noch einige
Jahre brauchen, um Aussagen über die Wirksamkeit und die umfassende An-
wendbarkeit machen zu können. Darüber hinaus wird die Verfügbarmachung
der dann entwickelten Impfstoffe für die am meisten betroffenen, armen Bevöl-
kerungsgruppen in den Entwicklungsländern die größte Herausforderung für
die Weltgemeinschaft darstellen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Absicht der Bundesregierung,

sich im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bei der Bekämp-
fung von HIV/AIDS auf umfassende und sektorübergreifende Prävention zu
konzentrieren, dieses Segment zur Querschnittsaufgabe zu erklären und für die
Umsetzung notwendige lokale Strukturen (vor allem des Gesundheits- und Bil-
dungswesens) zu stärken.

Bis einschließlich 1999 hat die Bundesregierung 397,5 Mio. DM für bilaterale
Projekte der HIV/AIDS-Bekämpfung zur Verfügung gestellt. 55 % gingen in das
am meisten betroffene Gebiet Afrika südlich der Sahara. Für 2000 stellte die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/6320

Bundesregierung 110 Mio. DM zur Verfügung und für 2001 sind 140 Mio. DM
geplant.

Da mit einem Impfstoff nach Expertenmeinung frühestens in einigen Jahren zu
rechnen ist, bleiben umfassende Präventionsprogramme für die Allgemeinbe-
völkerung und besondere Bevölkerungsgruppen (insbesondere Jugendliche)
sowie die Bereitstellung von Kondomen der sinnvollste entwicklungspolitische
Ansatz. In die Konzeption und Gestaltung dieser Programme sollen Menschen,
die mit HIV/AIDS leben, einbezogen werden. Präventionsprogramme können
nur dann wirksam greifen, wenn es gelingt, die mit HIV/AIDS verbundene
Stigmatisierung und Diskriminierung zu überwinden.

Investition in medikamentöse Behandlung spielte zwar in der Vergangenheit
aus Gründen von infrastrukturellen Verteilungsdefiziten und unmöglicher
Finanzierbarkeit nur eine untergeordnete Rolle, gewinnt aber aufgrund inter-
nationaler Verhandlungen über Patentrechte (TRIPS) an Bedeutung. Hierbei
begrüßt der Deutsche Bundestag, dass alle Beteiligten zur Kooperation statt
Konfrontation und die Pharmakonzerne insbesondere zu Beteiligung an den
Kosten der HIV/AIDS-Pandemie durch vergünstigte bzw. kostenlose Medika-
mente bereit sind, auch wenn bei angekündigten Preisnachlässen für antivirale
Medikamente von bis zu 90 % die Behandlungskosten weiterhin für viele unbe-
zahlbar bleiben. Letztendlich können bezahlbare Medikamente nur bei einem
funktionierenden Gesundheitssystem wirksam zum Einsatz gebracht werden.

Die aufgrund des Einwirkens von zivilgesellschaftlichen und politischen Kräf-
ten erreichte Rücknahme der Sammelklagen gegen die südafrikanische Regie-
rung wird ausdrücklich begrüßt und als Zeichen der Verständigung gewertet.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass unklare Formulierungen und Interpretationen
in TRIPS es Entwicklungsländern schwer machen, ihre Rechte zum Schutz der
öffentlichen Gesundheit umzusetzen. Ein weiteres Indiz dafür ist die vor der
WTO anhängige Klage der USA gegen Brasilien wegen der lokalen Produktion
von HIV/AIDS-Medikamenten.

Die Zusammenarbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung (BMZ) mit dem Pharmakonzern Boehringer/Ingelheim
wird ausdrücklich begrüßt. Das BMZ unterstützt einige afrikanische Länder bei
der Stärkung ihrer Gesundheitssysteme, damit diese ein von Boehringer für
5 Jahre kostenlos bereitgestelltes Medikament wirksam einsetzen können, wel-
ches die Übertragungsgefahr von der Mutter auf ihr Kind deutlich reduziert. In
Südafrika kooperieren die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenar-
beit (GTZ) und DaimlerChrysler im Rahmen einer Public Private Partnership
bei einem HIV/AIDS-Projekt zukunftsweisend miteinander.

Im Rahmen der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die
Bundesregierung hauptsächlich das Joint United Nations Programme on AIDS
(UNAIDS). An UNAIDS und das Global Programme on AIDS (WHO), dem
Vorgänger von UNAIDS, wurden zwischen 1988 und 1999 insgesamt
31,4 Mio. DM Funds in Trust bereitgestellt. Der Beitrag von 1999 betrug
1 Mio. DM und wurde für das Jahr 2000 auf 2,5 Mio. DM erhöht. Die Bundes-
regierung fördert hiermit auch die bei UNAIDS angesiedelte, von mehreren
afrikanischen Staatschefs 1999 gegründete „International Partnership against
AIDS in Africa (IPAA)“.

Auch auf Ebene der Europäischen Union besteht Konsens über die Bedeutung
von Armutsreduzierung bei der AIDS-Bekämpfung.

Den von VN-Generalsekretär Kofi Annan auf dem Sondergipfel der Organi-
sation für Afrikanische Einheit (OAU) in Nigeria geforderten „Globalen HIV/
AIDS und Gesundheitsfonds“ finanziell zu unterstützen wird ausdrücklich
begrüßt.

Drucksache 14/6320 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

 HIV/AIDS-Prävention und -Bekämpfung als Querschnittsaufgabe deutscher
Entwicklungszusammenarbeit weiter zu stärken, da die HIV/AIDS-Epide-
mie in den besonders betroffenen Ländern alle Bereiche der Gesellschaft
betrifft und somit auch eine alle Bereiche umfassende Antwort hierauf not-
wendig ist;

 der Prävention von HIV/AIDS auch weiterhin einen herausragenden Stel-
lenwert in der Entwicklungszusammenarbeit beizumessen, da Prävention –
solange HIV/AIDS nicht heilbar ist – die einzige zukunftsfähige Strategie
zur Bekämpfung der Epidemie darstellt;

 in den bilateralen Verhandlungen unter Berücksichtigung der jeweiligen kul-
turellen Voraussetzungen auf das Problembewusstsein der Regierungen und
Partner in Entwicklungsländern einzuwirken und bei Zusagen von Geldern
der Entwicklungszusammenarbeit die Integration und Implementierung von
HIV/AIDS-Präventions- und Behandlungsmaßnahmen im Rahmen der Ent-
wicklungsplanung zu berücksichtigen und Regierungen und Eliten in den
Entwicklungsländern zur Übernahme von Verantwortung zu bewegen;

 den von VN-Generalsekretär Kofi Annan geforderten „Globalen HIV/AIDS
und Gesundheitsfonds“ mit zusätzlichen Finanzmitteln zu unterstützen, um
den globalen Anforderungen gerecht zu werden;

 sich auf Ebene der Europäischen Union dafür einzusetzen, HIV/AIDS-Prä-
vention als wichtigstes Element der Epidemiebekämpfung durchzusetzen;

 bei Ländern, die für einen Schuldenerlass in Frage kommen, darauf einzuwir-
ken, dass frei werdende Finanzmittel für Armutsbekämpfung, Bildung, den
Aufbau bzw. Ausbau der Basisgesundheitseinrichtungen und für HIV/AIDS-
Präventionsmaßnahmen (insbesondere Aufklärung) eingesetzt werden;

 innerhalb der Weltbank darauf einzuwirken, dass Mittel für Maßnahmen der
HIV/AIDS-Prävention und -Behandlung ausschließlich als Zuschüsse und
nicht als Kredite vergeben werden, um eine weitere Verschuldung der ärms-
ten Länder zu vermeiden;

 Kooperationen mit Unternehmen im Rahmen von Public Private Partnership
zu stärken und auszubauen;

 HIV/AIDS-Medikamente in Entwicklungsländern zum Einsatz zu bringen,
das dafür notwendige Einwirken auf nationale und internationale Pharma-
konzerne zu verstärken, die betroffenen Länder im Rahmen internationaler
Politikberatung bei der Ausschöpfung aller Möglichkeiten des TRIPS-Ab-
kommens zu unterstützen und in Verhandlungen zwischen den internationa-
len Pharmakonzernen und den betroffenen Regierungen der Entwicklungs-
länder zu vermitteln, um den allgemeinen Zugang zu bezahlbaren
Medikamenten zu ermöglichen;

 die für die Umsetzung notwendigen Gesundheitsdienste zu stärken und me-
dizinische Begleitmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf freiwillige
HIV-Tests und begleitende Beratung, zu fördern;

 Forschung im Bereich der HIV-Impfstoffentwicklung zu forcieren, damit so
bald wie möglich wirksame Impfstoffe zur Eindämmung der Pandemie zur
Verfügung stehen;

 die Rechte von Frauen in Entwicklungsländern weiter zu stärken, sie be-
günstigt in Bildungs- und Gesundheitsprogramme zu integrieren, um ihre
positiven Handlungsstrategien im Kampf gegen die Seuche zu nutzen und
sich vor diesem Hintergrund auch verstärkt für die Rechte verwitweter
Frauen einzusetzen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/6320

 Programme anzuregen, die die Betreuung, Unterstützung und den künftigen
Lebensweg (u. a. durch bedarfsorientierte Schul- und Ausbildung) von
AIDS-Waisen sichern;

 zur Förderung der Kondomnutzung die Verteilung von Kondomen in um-
fangreiche Aufklärung und Beratung einzubeziehen, geeignete Anreize zu
schaffen, damit sie eingesetzt werden (z. B. entwicklungspolitisch ange-
passte Kostenbeteiligung), tradierte Vorstellungen von Männlichkeit abzu-
bauen und darauf hinzuwirken, dass Männer sich ihrer Verantwortung stel-
len;

 Nichtregierungsorganisationen, Menschen, die mit HIV/AIDS leben, tradi-
tional leaders und politische Führungseliten in die HIV/AIDS-Bekämpfung
zu integrieren bzw. in die Verantwortung zu nehmen, um das öffentliche
Problembewusstsein zu fördern, eine höhere Akzeptanz und Partizipation in
der Zielgruppenbevölkerung für die Maßnahmen zu erreichen und somit die
Breitenwirksamkeit zu erweitern;

 mehr Informations-, Beratungs- und Testkapazitäten, vor allem auch im
ländlichen Raum, im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit (FZ) zu för-
dern und im Rahmen der technischen und personellen Zusammenarbeit (TZ/
PZ) zur Verfügung zu stellen;

 mediale Aufklärung, u.a. über Radio zu fördern, um auch die Bevölkerung
im ländlichen Raum zu erreichen, insbesondere Mädchen und Frauen.

Berlin, den 20. Juni 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Begründung

Die Dringlichkeit, auf HIV/AIDS unverzüglich zu reagieren, leitet sich direkt
von dem oben beschriebenen Ausmaß und der rasanten Entwicklung der Seu-
che ab.

Entwicklungserfolge der vergangenen Jahrzehnte fallen immer mehr der ubi-
quitären Seuche HIV/AIDS zum Opfer.

Nachhaltige Entwicklung kann sich nur vollziehen, wenn die Bundesrepublik
Deutschland und die Weltgemeinschaft es schaffen, die Bemühungen der jewei-
ligen Länder bei der HIV/AIDS-Bekämpfung wirkungsvoll zu unterstützen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.