BT-Drucksache 14/5878

Umsatzbesteuerung von Kabarettisten und Kabarettistinnen

Vom 9. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5878
14. Wahlperiode 09. 04. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Heinrich Fink,
Roland Claus und der Fraktion der PDS

Umsatzbesteuerung von Kabarettisten und Kabarettistinnen

Laut Umsatzsteuergesetz sowie der Sechsten Richtlinie 77/388 EWG zur Har-
monisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteu-
ern (6. EG-Richtlinie) genießen u. a. städtische und staatliche Bühnen Umsatz-
steuerfreiheit. In der Vergangenheit war es Praxis, dass sowohl Kabaretttheater
als auch Solokabarettisten und -kabarettistinnen auf Antrag ebenfalls von der
Umsatzsteuer befreit wurden.

Diese Praxis hat sich dahin gehend geändert, dass zumindest Solokabarettisten
und -kabarettistinnen diese Steuerbefreiung nunmehr verweigert wird. Grund-
lage ist der Erlass des Bundesministeriums der Finanzen „Umsatzsteuer bei Ka-
barettisten und Kabarettistinnen“ vom 22. September 1999. Darin beruft sich
der Bundesminister der Finanzen auf die 6. EG-Richtlinie, die eine Umsatz-
steuerbefreiung von Solokünstlerinnen und -künstlern untersagen würde. Tatsa-
che ist aber, dass gemäß 6. EG-Richtlinie „bestimmte kulturelle Dienstleistun-
gen …, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen von dem
betreffenden Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen erbracht werden“, steu-
erbefreit sind. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 1999 entschieden, dass
auch natürliche Personen „Einrichtung“ im Sinne des Artikels 13 Teil A Absatz
1 lit. b und g der 6. EG-Richtlinie sein können. Dies legt nahe, den Begriff der
„anerkannten Einrichtung“ innerhalb derselben Vorschrift der Richtlinie ein-
heitlich auszulegen. Dies hätte die Folge, dass Solokünstlerinnen und -künstler
die Umsatzsteuerbefreiung in Anspruch nehmen könnten.

Besonders problematisch ist, dass die Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung
für die Solokabarettisten und -kabarettistinnen rückwirkend umgesetzt wird.
Die Künstlerinnen und Künstler werden zu Nachentrichtungen der Mehrwert-
steuer für bis zu sieben Jahren verpflichtet. Dies obwohl sie aufgrund der Mehr-
wertsteuerbefreiung in den entsprechenden Jahren keine Möglichkeit hatten,
diese – so wie es bei der Mehrwertsteuer üblich ist – zu überwälzen. Die Künst-
lerinnen und Künstler müssen die Steuerschuld aus ihrem Ersparten oder
laufenden Einkommen bedienen – die Steuer verwandelt sich so von einer Ver-
brauchsteuer in eine Einkommensteuer.

Wir fragen die Bundesregierung

1. Welche neuen Erkenntnisse führten – nach jahrelanger Umsatzsteuerbefrei-
ung von Solokabarettisten und -kabarettistinnen – dazu, dass erst 1999 die
Befreiung mit dem Hinweis auf verbindliches Gemeinschaftsrecht aufge-
hoben wurde, vor dem Hintergrund dessen, dass einerseits die 6. EG-Richt-
linie bereits in den Jahren zuvor Gültigkeit besaß und andererseits der

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Europäische Gerichtshof bis zum Jahr 1999 in seiner Rechtsprechung
gerade eine Ausdehnung des Begriffs „Einrichtung“ in Artikel 13 Teil A
Absatz 1 lit. b und g auf natürliche Personen und somit die Ausdehnung
der Steuerbefreiung von Solisten und Solistinnen ausschloss?

2. Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung in dem Erlass vom
22. September 1999 zu der Aussage, dass die Ausdehnung der Umsatzsteu-
erbefreiung gemäß Artikel 13 Abschnitt A Absatz 1 lit. n auf Solokünstler
und -künstlerinnen nicht möglich ist?

3. Liegen der Auffassung der Bundesregierung im Rahmen der Europäischen
Union formulierte Mitteilungen, Urteile etc. zugrunde?

4. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes vom 7. September 1999, wonach „der Begriff der Einrichtung
grundsätzlich weit genug (sei), um auch natürliche Personen zu erfassen“,
eine Ausdehnung der Umsatzsteuerbefreiung der 6. EG-Richtlinie auf
Solisten und Solistinnen ermöglicht (Beantwortung bitte mit Begründung)?

5. Gibt es seitens der Bundesregierung oder einzelner Bundesländer Überle-
gungen, die Rechtsauffassung anlässlich der unter Frage 4 genannten Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes zu korrigieren und entsprechend
den Erlass vom 22. September 1999 auszusetzen bzw. aufzuheben?

6. Wenn nicht, welche Gründe führen dazu, dass der Erlass weiterhin und so-
gar rückwirkend Anwendung findet?

7. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung der Artikel 13 Abschnitt A
Absatz 1 lit. n der 6. EG-Richtlinie in Bezug auf die Umsatzsteuerpflicht
von Solisten und Solistinnen in den anderen Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union ausgelegt und welche umsatzsteuerlichen Regelungen kom-
men davon ausgehend in Anwendung?

8. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die rückwirkende Erhebung der
Mehrwertsteuer verfassungsgemäß ist (bitte mit Begründung)?

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob die Kabarettisten und Kabaret-
tistinnen seitens der Finanzverwaltung in den Jahren vor 1999 z. B. durch
die Vorläufigkeit von Steuerbescheiden auf die Möglichkeit der rückwirken-
den Aufhebung ihrer Umsatzsteuerbefreiung hingewiesen wurden?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der Nachentrichtungen
von Mehrwertsteuer auf die soziale Lage der Kabarettisten und Kabarettis-
tinnen sowie auf die Freie Kulturszene insgesamt ein?

11. Welche Auswirkungen wird – nach Einschätzung der Bundesregierung –
die Umsatzsteuerpflicht von Solokabarettisten und -kabarettistinnen auf
Eintrittspreise, die Bezahlbarkeit von Kultur sowie die Vielfältigkeit des
Kulturangebots haben?

12. Wie hoch sind – nach Schätzung der Bundesregierung – die Steuermehr-
einnahmen aus der Nachentrichtung der Mehrwertsteuer sowie der zukünf-
tigen Umsatzsteuerpflicht von Kabarettisten und Kabarettistinnen?

Berlin, den 4. April 2001

Dr. Barbara Höll
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Roland Claus und Fraktion

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