BT-Drucksache 14/5545

Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft stärken

Vom 13. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5545
14. Wahlperiode 13. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken, Gunnar Uldall,
Hartmut Schauerte, Hans Michelbach, Marie-Luise Dött, Norbert Barthle, Otto
Bernhardt, Renate Blank, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Klaus Brähmig, Hartmut
Büttner (Schönebeck), Albrecht Feibel, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G.
Fritz, Dr. Jürgen Gehb, Kurt-Dieter Grill, Norbert Hauser (Bonn), Josef Hollerith,
Siegfried Hornung, Susanne Jaffke, Steffen Kampeter, Ulrich Klinkert, Dr. Martina
Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Dr. Paul Laufs, Vera Lengsfeld, Dr. Klaus W.
Lippold (Offenbach), Julius Louven, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Elmar
Müller (Kirchheim), Bernd Neumann (Bremen), Friedhelm Ost, Eduard Oswald,
Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber,
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Adolf Roth (Gießen), Anita Schäfer, Karl-Heinz
Scherhag, Dietmar Schlee, Gerhard Schulz, Dr. Christian Schwarz-Schilling,
Margarete Späte, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Max Straubinger, Andrea
Voßhoff, Matthias Wissmann, Werner Wittlich, Dagmar Wöhrl, Elke Wülfing
und der Fraktion der CDU/CSU

Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Beschäftigte befinden sich
international im Umbruch. Zunehmende internationale Konkurrenz und glo-
bale volkswirtschaftliche Verflechtung stellen unsere mittelständische Wirt-
schaft vor tiefgreifende Herausforderungen. Märkte wachsen zusammen,
Produktionsstätten arbeiten weltweit vernetzt, deutsche Standorte stehen
heute in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Standorten auf der Welt.
Digitalisierung und zunehmende Vernetzung haben die Möglichkeit ge-
schaffen, an jedem beliebigen Ort der Welt mit Unternehmungsgeist und
bei geeigneten Rahmenbedingungen wettbewerbsfähige Unternehmen und
Arbeitsplätze zu schaffen. Deutschland muss ein international attraktiver
Unternehmens- und Beschäftigungsstandort sein.

2. Der Wirtschaftsstandort Deutschland muss für die mittelständische Wirt-
schaft verbessert werden. Dazu ist eine Entlastung des Mittelstandes von
Steuern und Abgaben unverzichtbar. Privatisierung muss neue Betätigungs-
felder öffnen, Regulierungen und bürokratische Hemmnisse müssen abge-
baut werden. Auch die Beschäftigungspolitik muss der Internationalisierung
und Globalisierung Rechnung tragen. Die Lohnzusatzkosten, die die Wettbe-
werbsfähigkeit des beschäftigungsintensiven Mittelstandes beeinträchtigen,
insbesondere soweit dieser in internationaler Konkurrenz steht, müssen
spürbar gesenkt werden.

Drucksache 14/5545 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

3. Der Mittelstand leistet in Deutschland den entscheidenden Beitrag zur
Schaffung und Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. 3,3 Millio-
nen Selbständige beschäftigen fast 20 Millionen Erwerbstätige und bilden
1,2 Millionen junge Menschen aus. Mittelständische Unternehmer bilden
damit das Rückgrat der Volkswirtschaft und stabilisieren den Arbeitsmarkt.
Im Durchschnitt der Jahre 1992 bis 1998 wurden in Westdeutschland rund
146 000 Unternehmen pro Jahr gegründet, in Ostdeutschland waren es
49 000. Diese Betriebe schufen jeweils 331 000 beziehungsweise 152 000
Arbeitsplätze. Langfristig werden netto gerechnet pro Gründung etwa 2,4
Arbeitsplätze geschaffen. Der Erhalt unserer Betriebe ist mindestens so
wichtig wie die Förderung/Erleichterung von Gründungen.

4. Arbeit ist für den Menschen die primär existenzsichernde Lebensgrundlage.
Aus dem Sinn und dem Ertrag seiner Arbeit schöpft der Mensch auch sein
Selbstwertgefühl. Dies trifft für den abhängig Beschäftigten ebenso wie für
den eigenverantwortlich handelnden Selbständigen zu. Beide Erwerbswege
müssen für jeden Menschen zugänglich sein. Das verfügbare Volumen an
Arbeit ist nahezu unbegrenzt. Die wesentliche Ursache von Arbeitslosigkeit
ist, dass dieses Volumen nur partiell in sozialversicherungspflichtige bezie-
hungsweise selbständige Beschäftigung mündet. Im Zentrum politischen
Handelns muss daher die Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen für
Arbeit, für die Schaffung und Besetzung von Arbeitsplätzen sein.

5. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist anhaltend bedrückend. Einerseits sind
derzeit (Februar 2001) rund 5,7 Millionen Menschen (also über 13 %) offen
oder verdeckt arbeitslos; offiziell waren im Februar 4,113 Millionen Arbeits-
lose gemeldet. Andererseits klagen zahlreiche Unternehmen darüber, dass
1,5 Millionen offene Stellen für Hoch- und Geringqualifizierte nicht besetzt
werden können. Geringqualifizierte und Ungelernte stellen die wesentlichen
Problemgruppen dar. Die Arbeitslosigkeit von Ungelernten lag Ende 2000
beispielsweise in Ostdeutschland weit über 50 %. Abgesehen von den de-
mographisch bedingten Veränderungen ist trotz der Ankündigung des Bun-
deskanzlers Gerhard Schröder, sich an den Arbeitslosenzahlen messen zu
lassen, eine reale Verbesserung der Beschäftigungslage in Deutschland seit
1998 nicht gelungen. Daraus folgt, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen verbessert werden müssen.

6. Deutschland leidet an einem hochregulierten Arbeitsmarkt. Regulierung, die
keine Freiräume für flexible und differenzierte Lösungen lässt, erschwert
Arbeitslosen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt und den Unternehmen
die Besetzung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Eine
Deregulierung des Arbeitsmarktes hilft nicht nur den Unternehmen, sondern
auch den Beschäftigungssuchenden. Tendenziell ist die Erwerbstätigenquote
in Ländern mit höherer Regulierung nämlich deutlich geringer als in Län-
dern mit weniger Regulierung.

7. Den Erwerbstätigen bleibt viel zu wenig vom eigenen Lohn, was demoti-
vierend ist, während den Arbeitgebern über das eigentliche Arbeitsentgelt
hinaus nicht arbeitsbezogene (und daher eher von der Gemeinschaft zu
tragende) Kosten aufgebürdet werden. Die arbeitenden Menschen – egal ob
Arbeitnehmer oder Selbständige – haben kein Verständnis dafür, dass als
Lohn ihrer Arbeit netto oft nicht mehr übrig bleibt als bei denen, die – aus
welchen Gründen auch immer – nicht arbeiten.

8. Die Belastung der Arbeit durch Steuern und Abgaben reduziert

 in den unteren Einkommensbereichen die Bereitschaft, eine sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung anzunehmen,

 in den mittleren und oberen Einkommensbereichen die Anreize, zusätz-
liche Leistung zu erbringen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5545

 in den Unternehmen den Gewinn, aus dem Investitionen in Erhalt und
Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit sowie in die Schaffung von Arbeits-
plätzen finanziert werden.

9. Sachverständigenrat und Monopolkommission haben darauf hingewiesen,
dass auch in der Tarif-, Arbeits- und Sozialpolitik sowie der Bildungs- und
Forschungspolitik mittelstandsgerechte Rahmenbedingungen geschaffen
werden müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, durch folgende
Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung des
Mittelstandes zu verbessern:

1. Wirtschaftspolitik für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

a) Um der Überregulierung, den langwierigen Verfahren und den damit ver-
bundenen hohen Kosten auch bei Unternehmensgründungen entgegen-
zuwirken, sind eine Reihe von Maßnahmen zu prüfen:

– die Weiterentwicklung bestehender Möglichkeiten einer direkten Ge-
nehmigung, wenn Behörden auf einen Antrag nicht reagieren,

– vereinfachte Genehmigungsverfahren in den Fällen, in denen mehrere
verschiedene Genehmigungsstellen zu beteiligen sind,

– eine Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsverfahren (um
dadurch den Zeitaufwand für eine Unternehmensgründung, die bis zu
24 Monaten dauern kann und damit bedeutend länger als in anderen
Ländern dauert, drastisch zu senken),

– eine Reduzierung der Einzelschritte sowie der Mindestkosten für eine
Unternehmensgründung,

– die Korrektur der zunehmenden Verrechtlichung der Rahmenbedin-
gungen für die Wirtschaft hinsichtlich Notwendigkeit und Angemes-
senheit.

b) Es gibt einen tendenziellen Zusammenhang zwischen Regulierungsdichte
und Arbeitsplatzdichte. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Dere-
gulierung des Arbeitsmarktes. Die neuesten Gesetze/Vorhaben der Bun-
desregierung, wie das Betriebsverfassungsgesetz und das „Gesetz über
Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge“, müssten zurückgenommen
beziehungsweise im Interesse der Beschäftigten, Beschäftigungssuchen-
den und der Arbeitgeber korrigiert werden.

c) Das Thema New Economy ist im Deutschen Bundestag umfassend aufzu-
arbeiten. Die aus Sicht der beteiligten Wirtschaft derzeit brachliegende
Initiative „D21“, die im Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie angesiedelt ist, ist zu intensivieren. Die Besteuerung von Aktien-
optionen für Mitarbeiter ist auf ein Niveau abzusenken, das die inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen bei der
Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter gewährleistet.

d) Die angespannte Eigenkapitalsituation mittelständischer Betriebe ist
durch Senkung von Steuern und Abgaben zu verbessern. Die Rahmen-
bedingungen für die Beschaffung von Fremd- und Eigenkapital müssen
verbessert werden. Die Bundesregierung muss angesichts der bevorste-
henden Einführung des Rating-Verfahrens (Basel II) vor allem für Exis-
tenzgründer flankierende Konzepte bei der Kapitalbeschaffung vorlegen.
Auch die Bereitstellung von Risikokapital ist umgehend zu verbessern.
So hat die Herabsetzung der Grenze für wesentliche Beteiligungen auf
1 % auf die Bereitstellung von Risikokapital für Jungunternehmer eine

Drucksache 14/5545 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

steuerlich diskriminierende Wirkung. Diese Grenze ist deshalb wieder zu
erhöhen.

e) Das wirtschaftliche Engagement der kleinen und mittleren Betriebe im
Ausland muss durch zielführende Maßnahmen und durch Bürgschaften
der Bundesregierung flankiert werden. Vor allem Auslandsmessen und
die Außenhandelskammern sind stärker zu fördern.

f) Monopolstellungen, auch privatisierter Unternehmen wie zum Beispiel
Bahn und Post, müssen weiter aufgelöst, öffentliche Beteiligungen und
öffentliche Dienstleistungen privatisiert und dereguliert werden. Das
Briefmonopol darf nicht, wie von der Bundesregierung geplant, über
2002 hinaus verlängert werden. In den Wirtschaftsbereichen Entsorgung
und Recycling müssen ebenso wie im Telekommunikationsbereich für
den Mittelstand faire Wettbewerbschancen erhalten beziehungsweise
eröffnet werden. Private Anbieter kommunaler Dienstleistungen und
öffentliche Anbieter müssen auch steuerlich gleichgestellt werden.

g) Die Betriebe werden mit vielfältigen Aufgaben sowie bürokratischen
Auflagen belastet, die eindeutig oder überwiegend staatliche beziehungs-
weise gesellschaftliche Aufgaben sind. Umfang, Wirkung und Zuord-
nung dieser Aufgaben – insbesondere für mittelständische Betriebe –
sollen wissenschaftlich untersucht werden. Die entsprechenden Konse-
quenzen müssen dazu führen, die Betriebe für ihre eigentliche Aufgabe,
die Erwirtschaftung von Erträgen und Prosperität sowie die Schaffung
von Arbeits- und Ausbildungsplätzen freizustellen.

2. Arbeitsmarktpolitik für Wachstum und Beschäftigung

a) Tarifverträge sollen stärker auf ursprüngliche Kernbereiche wie Entgelt
und Arbeitszeitrahmen konzentriert werden sowie ökonomische und sozi-
ale Bedingungen beschreiben, die den Betriebsebenen Raum für dezent-
rale, individuelle Lösungen lassen. Dementsprechend sollte das Günstig-
keitsprinzip unter Beachtung der Tarifautonomie neu interpretiert werden
und neben Lohn und Arbeitszeit auch die individuelle Beschäftigungs-
sicherung berücksichtigen. Wenn die Belegschaft und der Betriebsrat mit
qualifizierter Mehrheit in einer betrieblichen Notlage für eine bestimmte
Lösung im Unternehmen ein positives Votum abgeben, sollte dies als
Vermutung für eine günstigere Regelung gelten. Den Tarifparteien muss
zur Sicherung der Tarifautonomie ein begründetes Vetorecht bleiben.

b) Das Betriebsverfassungsgesetz muss dem zusammenwachsenden europä-
ischen Wirtschaftsraum insbesondere den Beschlüssen von Nizza zur
europäischen Aktiengesellschaft Rechnung tragen. Eine Belastung ins-
besondere kleiner und mittlerer Betriebe durch eine Ausweitung der Mit-
bestimmungstatbestände, eine Erhöhung der Zahl der Betriebsräte oder
der Schaffung zusätzlicher Einflussmöglichkeiten auf Investitionsent-
scheidungen wird ebenso abgelehnt wie das Wahlverfahren zu Lasten
kleinerer Gewerkschaften und Einzelbewerber. Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung muss deshalb zurückgenommen werden. Ziel muss
sein, die Rahmenbedingungen für ein unmittelbares, partnerschaftliches
Zusammenwirken von Unternehmensleitung und Mitarbeitern zu opti-
mieren.

c) Die damalige Anhebung des Schwellenwertes, bis zu dem Betriebe dem
Kündigungsschutzgesetz nicht unterliegen, von 5 auf 10 Arbeitnehmer
hat allein im Handwerk mindestens 20 000 neue Arbeitsplätze geschaf-
fen. Es war deshalb ein Fehler, dass die rot-grüne Bundesregierung diese
Maßnahme zurückgenommen hat. Das Kündigungsschutzrecht soll die
Interessen der Beschäftigten schützen, die Schaffung von Arbeitsplätzen
jedoch nicht gefährden. Deshalb ist die Einführung eines Optionsrechts

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5545

insbesondere für Problemgruppen, wie Langzeitarbeitslose und ältere
Erwerbstätige, zu überprüfen, wodurch Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Abfindungsregeln im Gegenzug für einen Verzicht auf Kündigungs-
schutzklagen vereinbaren können. Die Mindesthöhe der Abfindung sollte
gesetzlich geregelt werden.

d) Die Erleichterung von befristeten Arbeitsverträgen nach dem Beschäfti-
gungsförderungsgesetz von 1985 hat per saldo Jobs geschaffen. Ange-
sichts dieser positiven Beschäftigungswirkung der ursprünglichen Befris-
tung eines Arbeitsvertrages sollten jüngste Einschränkungen aufgehoben
werden. Neu gegründete Unternehmen müssen die Möglichkeit erhalten,
die ursprüngliche Regelung auf vier Jahre auszudehnen. Der vorausset-
zungslose Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist weder akzeptabel noch
praktikabel. Schon jetzt bieten viele Betriebe ihren Beschäftigten intelli-
gente Teilzeitmodelle, insbesondere zur Kindererziehung an. Überzogene
Regulierung und Zwang wirken kontraproduktiv.

e) Zum Ausbau eines Niedriglohnsektors ist das Lohnabstandsgebot bei der
Bemessung der Sozialhilfe strikt zu beachten und die Anrechnung von
Erwerbseinkommen auf die Sozialhilfe zu reduzieren. Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe müssen so ausgestaltet werden, dass Anreize zur An-
nahme einer Beschäftigung geschaffen werden. Wer eine angebotene und
zumutbare Beschäftigung ohne hinreichenden Grund ablehnt, soll den
Anspruch auf soziale Leistungen verlieren. Eine mit dem 630-Mark-Ge-
setz faktisch unterbundene Möglichkeit einer sozialabgabenfreien ge-
ringfügigen Beschäftigung muss wieder hergestellt und beschäftigungs-
freundlich ausgestaltet werden.

3. Steuern und Abgaben senken, damit sich Leistung lohnt

Arbeitnehmern und Unternehmern muss wieder mehr vom Ertrag ihrer Ar-
beit bleiben und die Steuer- und Abgabenbelastung daher deutlich gesenkt
werden.

a) Die Staatsquote (Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt) ist dauerhaft auf
unter 40 % zu senken. Dies ist möglich, wenn die Ausgabenzuwächse
von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Sozialversicherungen über
einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren jährlich prozentual deutlich
unterhalb des Wachstums des nominalen Bruttoinlandsprodukts gehalten
werden. Zusätzliche Ausgaben müssen durch Minderausgaben an anderer
Stelle erwirtschaftet werden. Eine weitere Belastung gerade mittelstän-
discher Unternehmen durch eine weitergehende Beteiligung an den
Kosten gesamtgesellschaftlicher Aufgaben ist auszuschließen.

b) Die Bundesregierung muss endlich – wie versprochen – die Sozialversi-
cherungsbeiträge auf weniger als 40 % senken; neben den Kosten unseres
sozialen Sicherungssystems muss die Finanzierbarkeit legaler Arbeit
beachtet werden. Dazu sind durchgreifende Reformen der Sozialversi-
cherungssysteme notwendig, die vor allem auf mehr Eigenverantwortung
zielen. Die Bundesregierung soll daher vor allem den Beitragssenkungs-
spielraum bei der Arbeitslosenversicherung unter anderem durch eine
sachgerechte Zuordnung gewisser Programme zum Bundeshaushalt aus-
schöpfen. Auch die Krankenkassenbeiträge sind unter anderem durch
mehr Eigenverantwortung stabil zu halten.

c) Die Steuerbelastung muss durch eine schnellere und weiterreichende Ab-
senkung der Einkommensteuer über den gesamten Tarifverlauf abgebaut
werden. Unter anderem muss der Einkommensteuerspitzensatz auf deut-
lich unter 40 % gesenkt werden. Die Einkommensgrenze, mit der der
Höchststeuersatz greift, muss leistungsgerechter erhöht werden. Ziel bei
der Senkung des Spitzensteuersatzes muss eine Gleichbehandlung von

Drucksache 14/5545 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Personen- und Kapitalgesellschaften sein. Der Einkommensteuerein-
gangssatz ist so zu senken, dass es sich im Niedriglohnsektor wieder
lohnt, Arbeit aufzunehmen. Nur so kann die klaffende Schere zwischen
Brutto- und Nettoeinkommen ein Stück geschlossen und der Anreiz zu
legaler Beschäftigung gegenüber Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit
erhöht werden. Durch das stufenweise Hinausschieben der Tarifsenkung
auf das Jahr 2005 werden immer weniger von der Steuersenkung profitie-
ren, da die „kalte“ Progression den Steuervorteil bereits vorher aufzehrt.
Eine „kalte“ Progression muss vermieden werden.

d) Abschreibungen sind für die Investitionen kleiner und mittlerer Betriebe
eine wichtige Selbstfinanzierungsquelle. Daher sind die Abschreibungs-
dauern von der Bundesregierung derart festzulegen, dass sowohl die tech-
nische als auch die betriebswirtschaftliche Nutzungsdauer berücksichtigt
werden. Die zum 1. Januar 2001 in Kraft getretenen allgemeinen Ab-
schreibungstabellen sind auszusetzen, um unsachgemäße Abschreibungs-
dauern zu vermeiden und Planungssicherheit für Investoren zu schaffen.

e) Bis zum Jahr 2004 werden in über 300 000 mittelständischen Unterneh-
men aufgrund des Generationswechsels die gegenwärtigen Eigentümer
ausscheiden. Der Fortbestand dieser Unternehmen muss gesichert und
darf nicht durch steuerliche Belastungen wie die geplante Erhöhung der
Immobilienbewertung („kalte“ Erbschaftsteuererhöhung) gefährdet wer-
den.

f) Die steuerlichen Bedingungen für die Umstrukturierung von Personen-
unternehmen müssen deutlich verbessert werden. Insbesondere ist es
erforderlich, die Regelungen des Mitunternehmererlasses vollständig
wieder herzustellen, die Möglichkeit zur steuerneutralen Realteilung von
Personengesellschaften wieder einzuführen und Gewinne aus der Ver-
äußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften wieder in die Reinvesti-
tionsrücklage nach § 6b EstG einzubeziehen.

g) Die Ökosteuer erhöht massiv die Betriebskosten bei Handwerk und Han-
del sowie im Dienstleistungs- und Verkehrssektor. Freistellungen gelten
im Regelfall nicht für kleine und mittlere Betriebe. Hinsichtlich des
Gleichheitsgrundsatzes bestehen auch erhebliche verfassungsrechtliche
Bedenken. Die Ökosteuer ist daher wieder abzuschaffen.

4. Bildungspolitik: Wissen ist das Kapital der Zukunft!

a) Der globale Wettbewerb um Arbeitsplätze und Marktanteile wird in Zu-
kunft immer mehr durch den Wettbewerb um Wissen bestimmt sein. Ob
die Bundesrepublik Deutschland in diesem Wettbewerb um Wissen auf
einem vorderen Platz landet, hängt davon ab, ob es gelingt, die vorhan-
denen Bildungsressourcen in unserem Land besser zu mobilisieren.
Deutschland muss zudem für die besten Köpfe international attraktiv
werden. Der Mittelstand wird wie bisher über den Durchschnitt ausbil-
den. Der Staat hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, um zeitgemäße
Aus- und Fortbildung zu ermöglichen. Hierzu gehören insbesondere die
Flexibilisierung und Internationalisierung von Ausbildungsgängen und
Weiterbildungsangeboten.

b) Bildung und Ausbildung müssen qualifizierter, leistungsorientierter und
praxisbezogener werden. Um die intellektuellen und kreativen Ressour-
cen junger Menschen zu erschließen (die die Selbständigen und Beschäf-
tigten von morgen sind) müssen Begabungen gefördert und Lernende
leistungsorientiert motiviert werden sowie lebenslanges Lernen im Mit-
telpunkt stehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/5545

c) Aufgrund komparativer Nachteile im Bereich der gründerspezifischen
Aus- und Weiterbildung müssen Bund und Länder darauf hinwirken, in
Schulen, Fachhochschulen und Universitäten die Vermittlung von Kennt-
nissen und Fähigkeiten im Bereich von Unternehmens- und Existenzgrün-
dung auf- beziehungsweise auszubauen. So ist unter anderem bei tech-
nisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen eine fehlende Vernetzung
mit wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildungsinhalten festzustellen.

d) Der bevorstehende Generationswechsel im Mittelstand erfordert die staat-
liche Unterstützung derjenigen, die eine Existenzgründung oder Betriebs-
übernahme planen. Diese leistet im Handwerk das so genannte Meister-
BaföG. Zur Verbesserung der Gleichwertigkeit allgemeiner und beruf-
licher Bildung und zur Unterstützung der Gründungswelle im Mittelstand
ist das Meister-BAföG den heutigen Erfordernissen durch eine Anhebung
des Zuschussanteils, eine zeitliche Ausdehnung der Förderung bis zum
Abschluss der Prüfung, einen Ausbau der Leistungen für Familien sowie
durch Erleichterung der Rückzahlungsbedingungen anzupassen.

5. Neue Bundesländer: Vergleichbare Chancen in ganz Deutschland her-
stellen

a) Zentrale Aufgabe von Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitspolitik muss vor
allem die Stabilisierung vorhandener und die Ansiedlung innovativer
mittelständischer Betriebe in den neuen Bundesländern sein. Striktes Ar-
beitsrecht und fehlende Lohndifferenzierung benachteiligen vor allem
strukturschwache Regionen und deshalb die neuen Bundesländer. Die
vorhandene Regelungsdichte auf dem Arbeitsmarkt, die den neuen Bun-
desländern im Zeitraffer aus Westdeutschland übergestülpt worden ist,
sollte beispielsweise im Rahmen von zeitlich befristeten Experimenten
und Kleinbetriebsklauseln maßvoll zurückgefahren werden. Die Ausnah-
men müssen so lange gelten, bis eine Annäherung an die Wirtschaftsver-
hältnisse in Westdeutschland erreicht ist.

b) Die bestehende Infrastrukturlücke aufgrund teilungsbedingten Nachhol-
bedarfs ist wesentlich mitverantwortlich für eine geringere Produktivität
in den östlichen Bundesländern. Deshalb ist der Abbau dieser Infrastruk-
turlücke für das Ziel einer selbsttragenden Wirtschaftsentwicklung eine
entscheidende Voraussetzung.

c) Das Gewerbe im Allgemeinen und das Baugewerbe im Besonderen lei-
den vor allem in den neuen Bundesländern in erheblichem Maße unter
der mangelnden Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit zahlreicher
Auftraggeber. Hinsichtlich der durch mangelnde Zahlungsmoral beding-
ten finanziellen Probleme der Bauhandwerker ist ein spezifisches Bau-
vertragsrecht in das Bürgerliche Gesetzbuch einzuführen.

d) Aufgrund der offensichtlich noch nicht abgeschlossenen Schrumpfung
der Baubranche sind Wachstumspotentiale in anderen Bereichen, z. B.
beim Export, durch eine verlässliche Absatzförderung zu erschließen.

6. Verkehrs- und Umweltpolitik: Mobilität schafft und erhält Arbeitsplätze

Hohe Energiekosten haben insbesondere in mittelständischen Betrieben
(beispielsweise dem Güterkraftverkehrsgewerbe, dem Personennahver-
kehrsgewerbe und den Gartenbaubetrieben) eine ruinöse Auswirkung. Darü-
ber hinaus belastet die Ökosteuer den Mittelstand einseitig. Die geplante
Einführung eines Zwangspfandes wird Arbeitsplätze vernichten.

Der gesellschaftlich gewünschte Einklang von Ökologie und Ökonomie
wurde durch die derzeitige Regierung nicht herbeigeführt. Der Bundesregie-
rung ist es nicht gelungen, ein wirksames Konzept vorzulegen, das die öko-
nomischen Bedürfnisse des Mittelstandes mit sinnvollen ökologischen Maß-

Drucksache 14/5545 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
nahmen in Einklang bringt. Umwelt- und Verkehrspolitik sind so zu
gestalten, dass sie gezielt auf die Interessen kleiner und mittlerer Unterneh-
men eingehen.

Berlin, den 13. März 2001

Hansjürgen Doss
Peter Rauen
Ernst Hinsken
Gunnar Uldall
Hartmut Schauerte
Hans Michelbach
Marie-Luise Dött
Norbert Barthle
Otto Bernhardt
Renate Blank
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Klaus Brähmig
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Albrecht Feibel
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Kurt-Dieter Grill
Norbert Hauser (Bonn)
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Susanne Jaffke
Steffen Kampeter
Ulrich Klinkert
Dr. Martina Krogmann
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Julius Louven
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Elmar Müller (Kirchheim)
Bernd Neumann (Bremen)
Friedhelm Ost
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Adolf Roth (Gießen)
Anita Schäfer
Karl-Heinz Scherhag
Dietmar Schlee
Gerhard Schulz
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Margarete Späte
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Andrea Voßhoff
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.