BT-Drucksache 14/554

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Verjährung Schadensersatzforderungen für Zwangsarbeit)

Vom 17. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/554 vom 17.03.1999

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Verjährung
Schadensersatzforderungen für Zwangsarbeit) =

17.03.1999 - 554

14/554

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Wolfgang Gehrcke-
Reymann,
Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Petra Pau, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(Verjährung Schadensersatzforderungen für Zwangsarbeit)

A. Problem
Mit dem 13. Mai 1999 drohen die Ansprüche von Zwangsarbeitern des
nationalsozialistischen Unrechtsregimes 1933 bis 1945 auf Ersatz des
entstandenen Schadens nach § 852 BGB zu verjähren. Damit wäre den
Betroffenen der Rechtsweg zur Verfolgung ihrer Schadensersatzforderung
verschlossen.
B. Lösung
Festlegung einer angemessenen Verjährungsfrist für Ansprüche aus
geleisteter Zwangsarbeit in § 852 BGB.
C. Alternativen
Keine
D. Kosten
Soweit Verfahren anhängig werden, entstehen den Verfahrensbeteiligten
Gerichtskosten. Soweit es zu entsprechenden rechtskräftigen Urteilen
kommt, entstehen den Verurteilten Kosten aus der Schadensersatzpflicht.


Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(Verjährung Schadensersatzforderungen für Zwangsarbeit)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats das folgende Gesetz
beschlossen:
Artikel 1
Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896, in der Fassung vom 31.
August 1990 (BGBl. II S. 889), zuletzt geändert ... , wird wie folgt
geändert:

§ 852 Abs. 1 wird durch folgenden Satz 2 ergänzt:
"Ansprüche aus geleisteter Zwangsarbeit in Deutschland bzw. dessen
Einflußgebiet während des nationalsozialistischen Unrechtsregimes 1933
bis 1945 verjähren am 8. Mai 2005."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am 8. Mai 1999 in Kraft.

Bonn, den 17. März 1999
Dr. Evelyn Kenzler
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Etwa 10 Millionen Menschen wurden vom verbrecherischen Hitler-Regime zu
Zwangsarbeit ohne adäquate Vergütung und unter zum Teil unmenschlichen
Be-
dingungen herangezogen. Es handelte sich dabei um Verstöße gegen das
Humanitäre Völkerrecht und um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit im Sinne von Artikel 6 des Statuts des Internationalen
Militärgerichtshofs von Nürnberg. Die Opfer erhielten bisher keine oder
keine angemessene Entschädigung.
Die nunmehr vorgesehene Errichtung einer "Stiftungs-
initiative deutscher Unternehmen" mit einem Fonds zur Entschädigung von
ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ist ein
begrüßenswertes, wenn auch verspätetes Vorhaben zur teilweisen
Wiedergutmachung des den Opfern zugefügten Unrechts. Es erscheint
jedoch zweifelhaft, ob die angestrebte Lösung des Problems über diese
Stiftung zu einer angemessenen Entschädigung der Opfer führen wird.
Offen bleiben die Höhe der Einzahlungen seitens der bisher
teilnahmewilligen Unternehmen und die Bereitschaft zur Teilnahme
weiterer verantwortlicher Unternehmen. Die öffentliche Hand auf Bundes-
, Länder- und kommunaler Ebene will sich offenbar nicht beteiligen.
Ungeklärt ist, wie Zwangsarbeit außerhalb von Industrieunternehmen, z.
B. in der Landwirtschaft und im Straßenbau, in das Vorhaben eingebunden
werden soll. Alles in allem ist zu befürchten, daß die Höhe der
Entschädigungszahlungen an die Betroffenen den Leiden und den
materiellen Verlusten der Opfer nicht annähernd gerecht werden.
Aus diesen Gründen, aber auch aus rechtsstaatlichen Erwägungen muß den
Betroffenen der Rechtsweg offen gehalten werden. Dies scheint ab Mai
1999 im Zusammenhang mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) vom 13. Mai 1996 - 2 BvL 33/93 - (BVerfGE 94, 315ff.) nicht
mehr gesichert zu sein. Deshalb ist eine ausdrückliche gesetzliche
Regelung der Verjährung von Ansprüchen aus Zwangsarbeit vor Ablauf des
13. Mai 1999 erforderlich.
Solche Ansprüche können sich aus der Schadensersatzpflicht wegen
unerlaubter Handlungen nach § 823 BGB und aus anderen Bestimmungen des
Fünfundzwanzigsten Titels des BGB ergeben. § 823 Abs. 1 BGB lautet:
"Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit,
die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen
widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus
entstehenden Schadens verpflichtet."
Die Schadenersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen verjähren nach §
852 BGB in drei bzw. 30 Jahren. Absatz 1 lautet: "Der Anspruch auf
Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens
verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte
von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt,
ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren." Es ist davon
auszugehen, daß die Verjährung der Ansprüche bis zu dem genannten
Beschluß des BVerfG gehemmt war. In der Nazizeit, also bis zum 8. Mai
1945, waren solche Ansprüche nicht verfolgbar. In der Nachkriegszeit
stand der Verfolgung der Ansprüche eine herrschende
anspruchsausschließende Rechtsauffassung entgegen. Die Gerichte haben
Klagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter Berufung
auf Artikel 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar
1953 als zur Zeit unbegründet abgewiesen. Nach dieser Bestimmung waren
die Ansprüche bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage
zurückzustellen. Lutz Frauendorf resümiert die Rechtssprechung [in
Zeitschrift für Rechtspolitik 32 (1999) 1 S. 2] so: "Im übrigen gehöre
es zu einem das Völkerrecht tragenden Grundsatz, daß der aus Kriegs-
und Besatzungshandlungen erwachsende Schaden nur durch Reparationen von
Staat zu Staat unter Ausschluß von Ansprüchen einzelner Geschädigten
abgegolten werde. Der Grundsatz der Exklusivität des Völkerrechts
schließe individuelle Ansprüche generell aus." Diese Auffassung hat
auch die Bundesregierung vertreten. In der Unterrichtung durch die
Bundesregierung "Umfassender Bericht über bisherige
Wiedergutmachungsleistungen deutscher Unternehmen" vom 3. Juni 1996,
Drucksache 13/4787, heißt es: "Solche Forderungen können nach allgemein
anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen nicht von einzelnen Personen
und auch nicht gegen einzelne Personen oder privatrechtliche
juristische Personen, sondern nur von Staat zu Staat als
Reparationsleistungen geltend gemacht werden. Zur Regelung solcher
Ansprüche bedarf es völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen den
betroffenen Staaten. Deutsche Privatunternehmen können deshalb von
ausländischen Zwangsarbeitern nicht in Anspruch genommen werden. Auch
deutsche Gesetze sehen solche Ansprüche nicht vor."
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Argumentation der deutschen
Gerichte und der damaligen Bundesregierung juristisch haltbar ist. Auf
jeden Fall führte die herrschende Rechtsauffassung zur Hemmung der
Verjährung aus Rechtsgründen nach § 202 BGB. Absatz 1 lautet: "Die
Verjährung ist gehemmt, solange die Leistung gestundet oder der
Verpflichtete aus einem anderen Grund vorübergehend zur Verweigerung
der Leistung berechtigt ist." Lutz Frauendorf schreibt dazu (a. a. O.
S. 5): "Deshalb greift hier der Grundgedanke des § 202 BGB ('agere non
valenti non currit praescriptio'). Danach ist die Zeit, während der der
Gläubiger den Anspruch wegen rechtlicher Hindernisse vorübergehend
nicht geltend machen kann, bei sachgerechter Interessenabwägung nicht
in die Verjährungszeit einzubeziehen. Bei dieser Interessenabwägung ist
auch der Gedanke von Treu und Glauben zu beachten. Bis zu der
Entscheidung des BVerfG stand ein allgemein in Rechtsprechung und
Literatur vertretenes Hindernis dem Erfolg einer Klage entgegen. Es
wäre grob unbillig, würde man die Einreden der Verjährung in Verfahren
ehemaliger Zwangsarbeiter, deren Klagen bisher als aussichtslos
gegolten haben, zulassen. Sie wäre unzulässige Rechtsausübung."
Das BVerfG ist in seinem Beschluß vom 13. Mai 1996 von der bisher von
Bundesregierung und Gerichten vertretenen Auffassung über die
Rechtslage abgewichen,
so daß angenommen werden muß, daß der bisherige Hemmungsgrund hinfällig
geworden ist. Das Gericht ging unter Berufung auf internationale und
deutsche Quellen von einer "Anspruchsparallelität" auf
völkerrechtlicher und nationalrechtlicher Ebene aus. "Diese
Anspruchsparallelität gilt auch für etwaige zwischenstaatliche
Ansprüche auf Grund von Zwangsarbeit im Zusammenhang mit dem Zweiten
Weltkrieg. ... Hingegen bleibt es dem das Völkerrecht verletzenden
Staat unbenommen, der verletzten Person auf Grund des eigenen,
nationalen Rechts Ansprüche zu gewähren. ... Die Anspruchsparallelität
besteht erst recht, wenn der Ausgleichsanspruch nicht aus dem
Sonderrecht für Kriegsfolgen oder Verfolgungsschäden abgeleitet wird,
sondern aus einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch." (BVerfGE 94, 330f.) Damit ist der individuelle
Rechtsweg für das Einklagen von Ansprüchen auf Schadensersatz wegen
unerlaubten Handlungen offen. In der Tat haben das Landgericht Bonn und
das Landgericht Bremen in noch nicht rechtskräftig gewordenen Urteilen
die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter dem
Grunde nach anerkannt.
Demnach würde die dreijährige Verjährungsfrist aus § 852 Abs. 1 BGB mit
dem 13. Mai 1996 beginnen
und mit dem 13. Mai 1999 ablaufen. Angesichts der Unkenntnis der
Anspruchsberechtigten über die komplizierte Rechtslage und der
Verantwortung der Bundes-
republik Deutschland für eine gerechte und humanitäre Lösung muß eine
Regelung gefunden werden, die es den Betroffenen ermöglicht, ihre
Ansprüche auch nach diesem Datum auf dem Rechtswege zu verfolgen. Die
Festlegung des Tages der Verjährung von Ansprüchen aus Zwangsarbeit auf
den 8. Mai 2005, den 60. Jahrestag der Beendigung der
nazionalsozialistischen Herrschaft, ist dem politischen Gewicht der
Angelegenheit ange-
messen.
Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dieser Lösung nicht entgegen. Die
Ungleichbehandlung von Ansprüchen aus Zwangsarbeit und aus anderen
unerlaubten Handlungen hinsichtlich der Verjährungsfristen ist wegen
der Unvergleichbarkeit der Sachverhalte kein Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 GG. Die Zwangsarbeit in der Nazizeit
stellt einen äußerst schwerwiegenden, massenhaften und daher singulären
Eingriff in verbriefte Menschenrechte dar. Die Festlegung des
Verjährungszeitpunkts ist eine Billigkeitsregelung, die der deutschen
Verantwortung für die Greueltaten des NS-Regimes auch unter
Berücksichtigung des der Verjährung zugrundeliegenden Gedankens der
Herstellung des Rechtsfriedens nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne
angemessen ist. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit,
Rechtssicherheit und Verhältnis-
mäßigkeit aus Artikel 20 GG bleiben bei Beachtung der Interessen aller
Beteiligten gewahrt. Sie gebieten das Offenhalten des Rechtswegs für
einen bestimmten
überschaubaren Zeitraum zugunsten eines Personen-
kreises, der im NS-Staat maßlos entrechtet und von der Bundesrepublik
Deutschland bislang vernachlässigt wurde.

17.03.1999 nnnn

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.