BT-Drucksache 14/538

Reform der europäischen Entwicklungspolitik durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Vom 16. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/538 vom 16.03.1999

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der europäischen
Entwicklungspolitik durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft =

16.03.1999 - 538

14/538

Antrag
der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Joachim Tappe, Adelheid
Tröscher, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Detlef
Dzembritzki, Gabriele Fograscher, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Karin
Kortmann, Tobias Marhold, Holger Ortel, Dagmar Schmidt (Meschede),
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Reform der europäischen Entwicklungspolitik durch die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die deutsche Bundesregierung hat am 1. Januar 1999 für ein halbes Jahr
den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Sie hat damit die
Chance, wichtige Reformprozesse in der europäischen
Entwicklungszusammenarbeit (EZ) anzustoßen, um durch mehr Kohärenz,
Komplementarität und eine bessere Koordinierung und Evaluierung ihre
Wirksamkeit zu erhöhen. Auch hinsichtlich einer verbesserten
Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen in der
europäischen EZ ist dringender Reformbedarf geboten. Der Deutsche
Bundestag bekräftigt in diesem Zusammenhang seinen einstimmigen
Beschluß vom 29. April 1998 (Drucksache 13/10302), wo wichtige
Reformmaßnahmen für die europäische EZ detailliert am Beispiel der
zukünftigen EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit gefordert werden.
Während ihrer EU-Ratspräsidentschaft wird die Bundesregierung die
Verhandlungen zwischen der EU und 71 Staaten Afrikas, der Karibik und
des Pazifik (AKP) über die künftige Gestaltung der EU-AKP-
Zusammenarbeit mit besonderer Aufmerksamkeit begleiten und
voranbringen. Die vertraglich geregelte Zusammenarbeit der EU mit den
AKP-Ländern gilt als ein Kernstück der europäischen
Entwicklungspolitik. Im Februar 2000 läuft das Lomé-IV-Abkommen und die
dann bereits seit 25 Jahren bestehende Lomé-Zusammenarbeit in der
bisherigen Form aus, wenn sich die Vertragspartner nicht auf einen
Nachfolgevertrag verständigen. Die Verhandlungen über die Gestaltung
einer zukünftigen Lomé-Kooperation basieren auf den jeweiligen
Verhandlungsrichtlinien der EU und der AKP-Staaten. Alle Beteiligten
sind sich grundsätzlich über die Reformbedürftigkeit des Vertragswerks
einig, wenn Lomé seinem Anspruch gerecht werden will, auf der Basis
einer vertraglich geregelten Partnerschaft eine nachhaltige Entwicklung
in den AKP-Ländern zu erzielen.
II. Der Deutsche Bundestag begrüßt die entwicklungspolitischen Ziele,
die sich die Bundesregierung gesetzt hat, u. a.:
- die Umsetzung von Entwicklungspolitik als aktiver Friedenspolitik,
die eingeordnet in einen außen- und sicherheitspolitischen Gesamtrahmen
direkt und indirekt einen Beitrag zur Krisenprävention leistet;
- die Stärkung der Partnerschaft mit Nichtregierungsorganisationen
der Entwicklungszusammenarbeit in Europa und im Süden;
- die Unterstützung einer kohärenten, auf nachhaltige und
menschenwürdige Entwicklung der Länder des Südens ausgerichtete
Gesamtpolitik der EU in Abstimmung mit der Arbeit der multilateralen
Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen;
- die Ausrichtung des Lomé-Nachfolgeabkommens am zentralen Ziel der
Armutsbekämpfung sowie die geplante Stärkung des politischen Dialogs
über u. a. Fragen der Demokratisierung und Beachtung der Menschenrechte
zwischen den Regierungen sowie zwischen den Regierungen und den
verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft; die Betonung der
Geschlechter-Gleichberechtigung und die Aufnahme von
verantwortungsvoller Regierungsführung in die "wesentlichen Elemente"
der Lomé-Zusammenarbeit.
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Initiative zur
Reform der europäischen EZ zu ergreifen. Diese muß insbesondere zielen
auf:
- eine verbesserte Koordination der EU-AKP-Zusammenarbeit mit der
übrigen EU-EZ und der nationalen EZ der 15 Mitgliedstaaten [insgesamt
rd. 30 Mrd. DM aus den drei entwicklungspolitischen Finanztöpfen
Europäischer Entwicklungsfonds (EEF), EZ-Haushaltslinie der EU und
bilaterale Ausgaben der Mitgliedstaaten]. Dies wäre ein wichtiger
Schritt, um von den bisher fünfzehn + eins = sechzehn EZ-Politiken (der
15 Mitgliedstaaten plus die Entwicklungspolitik der EU) zukünftig zu
einer kohärenten Gesamtpolitik zu gelangen. Damit verbunden sollten die
Europäische Kommission, das Europäische Parlament sowie die Parlamente
der Mitgliedstaaten eine Übersicht über die Gesamtmittel der
europäischen EZ und ihrer Verwendung erhalten. Der finanzielle Rahmen
der EU-EZ muß erhalten bleiben. Die parlamentarische Kontrolle des EEF
ist sicherzustellen;
- deutliche Anstöße für eine umfassende institutionelle Reform der
EU im Bereich der EZ. Neben einer wirksameren parlamentarischen
Kontrolle der Europäischen Kommission ist es vor allem vordringlich,
die gegenwärtig auf vier Kommissare, drei Generaldirektionen und auf
European Community Humanitarian Office (ECHO) zersplitterte EZ der EU-
Kommission in der Hand einer Kommissarin/eines Kommissars (und einer
Generaldirektion) zusammenzufassen. Diese könnte dann auch die Aufgaben
der Koordination der EU-Entwicklungspolitik mit den Einzelpolitiken der
15 Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 130 x EG-V wahrnehmen;
- Krisenprävention als operativer Bestandteil der europäischen EZ.
Dazu müssen sich die Mitgliedstaaten zügig auf ein gemeinsames Konzept
zur Krisenprävention einigen, das die EZ im Zusammenwirken mit allen
außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen besonders berücksichtigt,
dafür ein entsprechendes Instrumentarium entwickeln und dieses auf
seine Wirksamkeit überprüfen. Im Sinne einer kohärenten Politik muß
außerdem nachdrücklich auf eine stärkere Kontrolle der Rüstungsausgaben
und des internationalen Waffenhandels gedrängt werden;
- Politikkohärenz in jenen Politikbereichen, die auf
Entwicklungsländer ausstrahlen, z. B. in der Agrar- und
Fischereipolitik. Die Ernährungssicherheit der Bevölkerung in den
Entwicklungsländern muß Vorrang vor europäischen Wirtschaftsinteressen
haben. EU-Subventionen für Agrarprodukte, die in Entwicklungsländer
exportiert werden, behindern die Entwicklung der Landwirtschaft in den
betroffenen Ländern und sollten deshalb abgebaut werden. Gleichzeitig
ist der Marktzugang für die Importe von Agrarprodukten aus
Entwicklungsländern in die EU zu erleichtern. Weiterhin muß eine Reform
der EU-Fischereiabkommen, insbesondere hinsichtlich der
westafrikanischen Küstenländer, vorangetrieben werden. Im Sinne einer
nachhaltigen Fischereibewirtschaftung in den betroffenen LDC-Ländern
müssen die Fangmengen überprüft und ggf. reduziert werden; zu
überprüfen ist, ob eventuell eine drastische Reduzierung des Fischfangs
durch die Flotten der EU-Mitglieder in Erwägung gezogen werden muß;
- Politikkohärenz im Bereich der Außenhandelspolitik. Die EU muß
ihre Märkte für Importe aus Entwicklungsländern weiter öffnen und deren
Marktzugang erleichtern. Hinsichtlich des Lomé-Nachfolgeabkommens ist
eine Einführung von solchen Handelsregeln anzustreben, die flexibel dem
jeweiligen Entwicklungsniveau der AKP-Staaten angepaßt sind. Die EU muß
gemeinsam mit den AKP-Staaten und anderen Entwicklungsländern in der
Welthandelsorganisation (WTO) prüfen, wie die schwächeren Ökonomien der
Entwicklungsländer besser in den Welthandel integriert und gleichzeitig
auf angemessene Weise geschützt werden können;
- Stärkung der Partnerschaft in der europäischen EZ. Die
Verhandlungen zum Lomé-Nachfolgeabkommen bieten eine ideale
Gelegenheit, einen gleichberechtigten Dialog über Fragen von
beiderseitigem Interesse zwischen der EU und den AKP-Ländern bei der
Vertragsgestaltung zu etablieren. Zusätzlich sollte geprüft werden, ob
ein gemeinsames EU-AKP-Verbindungsbüro bei der WTO in Genf einen
relevanten Beitrag zur Durchsetzung der gemeinsamen Interessen in der
WTO leisten könnte;
- Verbesserung der Partnerschaft in der europäischen EZ mit den
Nichtregierungsorganisationen in Europa und im Süden. Die NRO-
Kofinanzierung für die Durchführung von Projekten muß vereinfacht,
beschleunigt und auch kleinen Nichtregierungsorganisationen besser
zugänglich gemacht werden, z. B. durch regierungsunabhängige
Sonderfonds. Daneben müssen die verschiedenen Gruppen der
Zivilgesellschaft auch in den politischen Dialog einbezogen werden, d.
h. die Partnerschaft muß sich auch auf die politische Vorbereitung von
EZ beziehen. In diesem Zusammenhang muß auch das Lomé-Nachfolgeabkommen
ein deutliches Zeichen setzen; es soll im Bereich des politischen
Dialogs und der Projektkooperation eine stärkere Beteiligung der
Zivilgesellschaft etablieren. Hierbei sollten auch kommunale
Partnerschaften einbezogen werden;
- Verständigung auf gemeinsame Kriterien der nachhaltigen und
menschenwürdigen Entwicklung.
Der Deutsche Bundestag ist sich bewußt, daß es vor allem darum geht,
bis Juli 1999 entscheidende Impulse zu geben und entsprechende
Reformprozesse anzuschieben.
Bonn, den 16. März 1999
Dr. R. Werner Schuster
Joachim Tappe
Adelheid Tröscher
Brigitte Adler
Ingrid Becker-Inglau
Rudolf Bindig
Detlef Dzembritzki
Gabriele Fograscher
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Karin Kortmann
Tobias Marhold
Holger Ortel
Dagmar Schmidt (Meschede)
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Dr. Peter Struck und Fraktion
Dr. Angelika Köster-Loßack
Hans-Christian Ströbele
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

16.03.1999 nnnn

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.