BT-Drucksache 14/4923

zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIDS 90/DIE GRÜNEN -14/4500- Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i.V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz

Vom 7. Dezember 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4923
14. Wahlperiode 07. 12. 2000

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 14/4500 –

Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur
Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“

hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung
eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der
„Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD)
gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff.
Bundesverfassungsgerichtsgesetz

A. Problem

Dem Deutschen Bundestag liegt die Zusammenfassung des Bundesministeri-
ums des Innern vom 24. Oktober 2000 zu den Erkenntnissen der Verfassungs-
schutzbehörden von Bund und Ländern zum Nachweis der Verfassungswidrig-
keit der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ vor.

Der Innenausschuss (federführend) und der Rechtsausschuss (mitberatend) des
Deutschen Bundestages wurden beauftragt, die Erkenntnisse der Verfassungs-
schutzbehörden von Bund und Ländern zu prüfen und dem Deutschen Bundes-
tag eine Empfehlung zu den hieraus zu ziehenden Folgerungen vorzulegen.

B. Lösung

Antrag beim Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz
i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG.

Der Innenausschuss schlägt die Annahme der Empfehlung mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. und bei einer Stimm-
enthaltung eines Mitglieds der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.

Drucksache 14/4923 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen

Der Deutsche Bundestag würde sich lediglich darauf beschränken, die Ent-
scheidungen der Bundesregierung und des Bundesrates, Anträge auf ein Verbot
der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ zu stellen, zu begrüßen.

D. Kosten

Kostenabschätzungen wurden keine angestellt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4923

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

folgender Empfehlung zuzustimmen:

A. Der Deutsche Bundestag beantragt beim Bundesverfassungsgericht gemäß
Artikel 21 Abs. 2 GG i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG folgende Ent-
scheidung:

1. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ ist verfassungswidrig.

2. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ wird aufgelöst.

3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die „Nationaldemokratische Par-
tei Deutschlands“ zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatz-
organisationen fortzusetzen.

4. Das Vermögen der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ wird
zugunsten der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken
eingezogen.

B. Der Präsident des Deutschen Bundestages wird beauftragt, einen Prozessbe-
vollmächtigten für die Antragstellung, die Begründung des Antrags und die
Prozessführung zu bestellen.

C. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Entscheidungen der Bundesregierung
und des Bundesrates, Anträge auf ein Verbot der „Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands“ zu stellen.

Berlin, den 6. Dezember 2000

Der Innenausschuss

Ute Vogt (Pforzheim)
Die Vorsitzende

Dr. Michael Bürsch
Berichterstatter

Wolfgang Zeitlmann
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Cem Özdemir
Berichterstatter

Dr. Guido Westerwelle
Berichterstatter

Drucksache 14/4923 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dr. Michael Bürsch, Wolfgang Zeitlmann,
Cem Özdemir, Dr. Guido Westerwelle und Ulla Jelpke

I. Zum Verfahren

1. Der Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden
von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der
„Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ auf
Drucksache 14/4500 wurde in der 130. Sitzung des
Deutschen Bundestages am 9. November 2000 dem In-
nenausschuss federführend sowie dem Rechtsausschuss
zur Mitberatung überwiesen.

2. Der Rechtsausschuss hat in seiner 67. Sitzung am
6. Dezember 2000 zu dem Antrag der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erkenntnisse der Ver-
fassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Ver-
fassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei
Deutschlands“ – Drucksache 14/4500 – folgende Be-
schlüsse gefasst:

Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS

gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU und
F.D.P., dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN, wie er der Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zugrunde liegt, zuzustimmen.

Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS
gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU bei Ent-
haltung der Fraktion der F.D.P., den Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU (Anlage 1) abzulehnen.

Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS
gegen die Stimmen der Fraktion der F.D.P. bei Enthal-
tung der Fraktion der CDU/CSU, den Antrag der Frak-
tion der F.D.P. (Anlage 2) abzulehnen.

Der Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN auf Drucksache 14/4500 wird einstimmig für
erledigt erklärt.

Anlage 1

Antrag der Fraktion der CDU/CSU

Der Bundestag wolle beschließen:

Der politische Extremismus ist eine Kampfansage an die
Demokratie und an die verfassungsmäßige Ordnung. Die
Bekämpfung des politischen Extremismus hat für die CDU/
CSU-Fraktion höchste Priorität.

Extremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit richten
bei den Opfern, in unserer Gesellschaft und für das Ansehen
unseres Landes in der Welt großen Schaden an. Radikale
politische Kräfte haben in diesem Jahrhundert bereits viele
Menschen, unser Land und unsere Nachbarn in Not und
Elend gestürzt.

Eine wirksame und konsequente Präventionsstrategie gegen
Extremismus und Gewalt ist daher eine ständige Aufgabe
unserer freiheitlichen und wehrhaften Demokratie.

Die CDU/CSU-Fraktion hat ihre Vorstellungen und Initiati-
ven zur nachhaltigen Bekämpfung von Extremismus, Gewalt
und Fremdenfeindlichkeit bereits formuliert (Bundestags-
drucksache 14/4067). Die Würde des Menschen zu achten,
muss Leitbild für jedes staatliche, politische aber auch pri-
vate Handeln sein. Unser Einsatz muss der Akzeptanz des
parlamentarischen Regierungssystems gelten. Das schließt
notwendig den Kampf gegen alle Formen des politischen
Extremismus ein.

Die NPD ist eine Partei, die nach ihren politischen Vorstel-
lungen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf abzielt,
die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur zu
beeinträchtigen, sondern sogar zu beseitigen.

Der Antrag von Bundesregierung und Bundesrat an das
Bundesverfassungsgericht, die Verfassungswidrigkeit der
NPD festzustellen, soll einen Beitrag zur Abwehr dieser Be-
strebungen und zur Sicherung der freiheitlich demokrati-
schen Grundordnung leisten.

Mit Bundesregierung und Bundesrat haben sich bereits zwei
Verfassungsorgane dafür ausgesprochen, die Verfassungs-
widrigkeit der NPD durch das Bundesverfassungsgericht
feststellen zu lassen. Die Notwendigkeit eines eigenen An-
trags des Deutschen Bundestages besteht daher nicht. Es ist
eine klassische Aufgabe der Exekutive, einen Partei-Ver-
botsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Ent-
sprechend wurde auch bei den bisher vier Partei-Verbots-
verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verfahren.
Das Verbotsverfahren gegen die Sozialistische Reichspartei
Deutschlands (SRP) und gegen die Kommunistische Partei
Deutschlands (KPD) wurde durch einen Antrag der Bundes-
regierung eingeleitet; der Verbotsantrag gegen die Natio-
nale Liste (NL) wurde vom Hamburger Senat, der gegen die
Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) von der Bunds-
regierung und dem Bundesrat gestellt. In keinem dieser
Fälle hat der Bundestag einen eigenen Antrag auf Feststel-
lung der Verfassungswidrigkeit gestellt. Es besteht kein
Grund, vorliegend von der in allen bisherigen Verbotsver-
fahren praktizierten Übung abzuweichen. Dies vor allem
auch deshalb, weil dem Bundestag nur ein Ausschnitt des
von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der
Länder gesammelten und ausgewerteten Materials zur Ver-
fügung steht. Nur der Bundesregierung und den Landesre-
gierungen, nicht aber dem Bundestag, liegt das einschlä-
gige Material in seiner Gesamtheit vor. Eine rechtlich wie
politisch verantwortliche Gesamtwürdigung kann deshalb

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4923

auch nur von der Bundesregierung und den Landesregie-
rungen vorgenommen werden.

Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung sind Bundesregierung
und Bundesrat zu der Überzeugung gelangt, dass ein An-
trag auf Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie erachten einen
solchen Antrag zudem als notwendig. Auf dieser Grundlage
befürwortet der Deutsche Bundestag die Antragstellung
durch Bundesregierung und Bundesrat.

Mit einem Verbotsantrag erledigt sich allerdings nicht die
politische Auseinandersetzung mit dieser Partei. Sie darf

jetzt nicht in den Hintergrund rücken. Wir müssen die NPD
wie alle anderen extremistischen Parteien auch weiterhin
nachhaltig politisch bekämpfen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die im Antrag der Fraktion der CDU/CSU ,Nachhaltige Be-
kämpfung von Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlich-
keit‘, Bundestagsdrucksache 14/4067, aufgeführten konkre-
ten und vielfältigen Maßnahmen zur Verbesserung der
Möglichkeiten, Extremismus, Gewalt und Fremdenfeind-
lichkeit zu bekämpfen, unverzüglich umzusetzen.

Anlage 2

Antrag der Fraktion der F.D.P.

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Umfang rechtsextremistischer, antisemitischer und
fremdenfeindlicher Vorgänge in der Bundesrepublik
Deutschland ist in hohem Maße Besorgnis erregend. In die-
sem Jahr werden die Straftaten aus diesem Bereich eine
deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr aufweisen.
Dies zeigt, dass es sich nicht um eine vorübergehende Er-
scheinung handelt.

Zu lange sind derartige Vorgänge bagatellisiert, jedenfalls
aber nicht ausreichend zur Kenntnis genommen worden.
Damit muß Schluss sein. Es ist notwendig, Ausmaß und Ur-
sachen in aller Offenheit anzusprechen. Es geht um mehr
als um das Ansehen Deutschlands im Ausland oder um wirt-
schaftliche Interessen, die durch rechtsextremistische Um-
triebe beeinträchtigt werden. Die freiheitlich-demokratische
Grundordnung muss von der gesamten Gesellschaft ent-
schieden verteidigt werden. Die Würde aller Menschen ist
unantastbar.

Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus
und Rassismus müssen konsequent bekämpft werden. Re-
pressive Maßnahmen sind unverzichtbar, um deutlich zu
machen, dass Staat und der überwiegende Teil der Gesell-
schaft Intoleranz gegen Fremde und Minderheiten keines-
falls tolerieren. Der Rechtsstaat muss schnell und hart, vor
allem aber wirksam und nachhaltig reagieren.

1. Ein Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische
Partei Deutschlands (NPD) beim Bundesverfassungsge-
richt ist deshalb der falsche Weg. Seine Erfolgsaussich-
ten sind fraglich, seine Nebenwirkungen gefährlich, und
selbst ein positiver Ausgang des Verbotsverfahrens
würde das eigentliche Problem nicht lösen.

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die Bundesre-
gierung das bisherige Verfahren in einer der Bedeutung
der Sache nicht angemessenen Art und Weise betrieben
hat. Statt wie ursprünglich angekündigt zunächst sorg-
fältig die von den Verfassungsschutzbehörden des Bun-
des und der Länder zusammengetragenen Informationen
auszuwerten und anschließend eine rechtliche und poli-
tische Beurteilung abzugeben, hat sich die Bundesregie-
rung ohne Not frühzeitig öffentlich auf ein Verbotsver-

fahren festgelegt. Dies ist vor allem deshalb nicht
verständlich, weil noch kurze Zeit vorher von der Bun-
desregierung selbst bezweifelt wurde, dass die Voraus-
setzungen für ein Verbot erfüllt sind und es seitdem keine
neuen Erkenntnisse gibt. Der Deutsche Bundestag hält
es für nicht akzeptabel, dass die Bundesregierung ihn
mehrfach öffentlich aufgefordert hat, einen Verbotsan-
trag zu unterstützen, ja sogar einen eigenen Verbotsan-
trag zu stellen, ohne seinen Mitgliedern zuvor Gelegen-
heit gegeben zu haben, das von den Behörden
zusammengetragene Material in angemessener Weise
zur Kenntnis zu nehmen. Ebenso hält es der Deutsche
Bundestag für einen unangemessenen Umgang zwischen
Verfassungsorganen, den Eindruck zu erwecken, als
ließe sich das Bundesverfassungsgericht auch von der
Zahl der Antragsteller statt ausschließlich von der Sub-
stanz des Verbotsantrages beeindrucken.

Ein Verbot wäre das richtige Mittel gegen die politische
Gefährdung der Demokratie durch eine extremistische
Partei. In einer solchen Ausnahmesituation kann der
freiheitliche, wehrhafte Rechtsstaat zu der äußersten
Möglichkeit der Auflösung einer Partei gezwungen sein.
Die Wahlergebnisse der NPD zeigen, dass diese Gefahr
gegenwärtig nicht besteht. Worum es tatsächlich geht, ist
die Bedrohung von Menschen durch rechtsextremistische
Gewalt. Rechtsextreme Kriminalität muss mit allen dem
Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft
werden, das heißt in erster Linie mit Polizei und Straf-
recht. Niemand ist vor strafrechtlicher Verfolgung ge-
schützt, weil er Mitglied einer Partei ist. Die strafrecht-
liche Verfolgung von NPD-Mitgliedern hängt nicht
davon ab, ob diese Partei verboten wird oder nicht.
Staatliches Flaggezeigen gegen rechtsextremistische Ge-
walt muss allenthalben, auch regional überall mit voller
Konsequenz stattfinden. Die einschlägigen Jugendstraf-
verfahren müssen durch eine bessere Ausstattung der
Justiz beschleunigt werden. Polizeiliche und staatsan-
waltschaftliche Sondereinheiten müssen ausgedehnt
werden auf alle Bundesländer, in denen sich rechtsextre-
mistische Jugendszenen gebildet haben.

Ein NPD-Verbotsverfahren würde sich über einen länge-
ren Zeitraum, eventuell über mehrere Jahre, hinziehen
und eine große Öffentlichkeitswirkung hervorrufen. Das
zeigen die Verfahren der Vergangenheit. Die entspre-
chende Medienwirkung wäre für die NPD eine erhebli-

Drucksache 14/4923 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

che Propaganda, was sich bereits jetzt ansatzweise zeigt.
Verbote rechtsextremer Organisationen nach dem Ver-
einsrecht, wie der Organisation „Blood & Honor“, sind
demgegenüber effektiver, weil schneller durchsetzbar als
ein Parteiverbot.

Die Konzentration auf ein Verbot der NPD lenkt zudem
von den eigentlichen Problemen des Rechtsextremismus
ab. Der gezielt vermittelte Eindruck entschlossenen
staatlichen Handelns an diesem Punkt kann den Irrtum
hervorrufen, etwas gegen die Ursachen des Rechtsextre-
mismus getan zu haben. Das kann dazu verführen, die
tatsächlich notwendigen Maßnahmen zu vernachlässi-
gen. Ein Verbot der NPD beseitigt jedoch rechtes Ge-
dankengut nicht. Es liegt vielmehr nahe, dass zahlreiche
NPD-Mitglieder bei anderen rechten Parteien ein neues
Aktionsfeld finden. Darüber hinaus droht die Gefahr ei-
nes Zusammenschlusses der bisher zersplitterten rechten
Szene mit unabsehbaren Folgen für die Parteienland-
schaft.

2. Rechtsextremismus ist nicht durch staatliche Anordnung
zu beseitigen. Deshalb werden durch ein Parteienverbot
die eigentlichen Probleme nicht gelöst. Rechtsextremis-
mus muss politisch bekämpft werden.

Dies ist vor allem dort aussichtsreich, wo Einflußnahme
noch möglich ist, nämlich besonders bei jungen Men-
schen. Die Ursachen für Rechtsextremismus sind vielfäl-
tig: Defizite in Elternhaus, Ausbildung und Bildung, feh-
lende Infrastruktur für Jugendliche, soziales Umfeld,
Perspektivlosigkeit durch Arbeitslosigkeit und gelegent-
lich auch Mitläuferschaft. In all diesen Bereichen müs-
sen daher die Maßnahmen ansetzen.

Entscheidend ist, dass junge Menschen zu mehr Mit-
menschlichkeit, Toleranz und demokratischem Verhalten
erzogen werden. Hier hat die Bundesregierung die
falschen Signale gesetzt. Die Globalzuschüsse für die
politischen Stiftungen sind im Vergleich zu 1998 um
20 Mio. Mark auf 167 Mio. Mark gekürzt worden. Die
Bundeszentrale für politische Bildung hat für ihre Bil-
dungsarbeit mit 30 Mio. Mark rund 25 Prozent weniger
Gelder zur Verfügung als 1998. Statt die Mittel zu kür-
zen, muss ein Sonderprogramm für „Erziehung zu Mit-
menschlichkeit und Toleranz“ in Höhe von mindestens
300 Mio. Mark aufgelegt werden. Politische Bildung und
Aufklärung sowie die Vermittlung neuer Erfahrungen
tragen maßgeblich dazu bei, Vorurteile abzubauen, poli-
tische, soziale und historische Zusammenhänge besser
zu erkennen sowie Verständnis für gesellschaftliches
Miteinander verschiedener Gruppen zu fördern. Wer
schon die rechte Gesinnung bekämpft, muss später nicht
gegen rechte Gewalt vorgehen.

Sich entschieden gegen Intoleranz einzusetzen ist nicht
allein Verpflichtung der Politik. Jeder ist gefragt, Zivil-
courage zu zeigen. Eine besondere Aufgabe kommt all
denen zu, die Werte zu vermitteln haben und als Vorbil-
der gelten. Hierzu zählen vor allem Eltern, Lehrer und
Kirchen, aber auch Journalisten, Sportler, Künstler, Ver-
bände, Unternehmer und Gewerkschaften. Zahlreiche
bereits bestehende Initiativen und Projekte belegen, dass
es vielen Menschen ernst ist mit ihrer Verantwortung.
Besonders hervorzuheben ist das ehrenamtliche Engage-
ment vieler Bürgerinnen und Bürger in diesem Bereich.
Um wirklich erfolgreich zu sein, müssen die Maßnahmen
jedoch ausgeweitet und intensiviert werden. Dazu bedarf
es stärkerer staatlicher Anstöße und Unterstützung. Ein
Parteienverbot trägt hierzu nichts bei.

3. Der Innenausschuss hat auf Grundlage des Antrages
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Drucksache 14/4500 – die Empfehlung in seiner 48. Sit-
zung am 6. Dezember 2000 abschließend beraten und
dieser mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. und bei
einer Stimmenthaltung eines Mitglieds der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zugestimmt.

II. Zur Begründung

Die Mehrheit des Ausschusses hat sich von der Begründung
der Koalitionsfraktionen, die auch Teil des empfehlenden
Beschlussvorschlages (Innenausschussdrucksache 14/342)
ist, leiten lassen. Diese hatte folgenden Wortlaut:

Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, Rechtsext-
remismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entschlos-
sen zu bekämpfen. Über ein Verbot der NPD hinaus ist da-
für ein Bündel konkreter Maßnahmen zur Eindämmung der
rechten Gefahr erforderlich. Das reicht von deutlich ver-
stärkten Anstrengungen im Bereich der Bildung bis zu einer
veränderten Arbeit der Polizei.

Dem Deutschen Bundestag liegen die Erkenntnisse der
Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zum
Nachweis der Verfassungswidrigkeit der NPD vor. Der
Deutsche Bundestag hat unter Berücksichtigung dieser und
weiterer Erkenntnisse die Überzeugung gewonnen, dass die
1964 in Hannover gegründete NPD eine verfassungswid-
rige Partei ist.

Gemäß Artikel 21 Abs. 2 GG sind Parteien verfassungswid-
rig, die „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer
Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen".
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist eine Partei zu verbieten, wenn sie ihre verfassungsfeind-
lichen Ziele mit einer aktiv-kämpferischen, aggressiven
Grundhaltung gegen die freiheitliche demokratische Grund-
ordnung verfolgt.

Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele. Nach ihrem
Programm, ihrer Vorstellungswelt und ihrem Wirken weist
die NPD seit ihren Anfängen eine Wesensverwandtschaft
mit dem Nationalsozialismus auf. Wesentliche Bestandteile
der Parteiideologie der NPD sind Fremdenhass und Rassis-
mus. Sie verstand und versteht sich nach wie vor als Protest
gegen die angebliche „propagandistische Verfälschung der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/4923

deutschen Geschichte“. Die NPD missachtet die Menschen-
rechte durch die antisemitische, rassistische und fremden-
feindliche Ausrichtung ihrer Parteiideologie. Sie bekämpft
das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit der
Parteien und damit die Grundprinzipien der freiheitlichen
und demokratischen Verfassung und des Parlamentarismus.
An die Stelle der Demokratie will sie ein totalitäres Herr-
schaftssystem des „völkischen Kollektivismus“ setzen. Ihre
geschichtsrevisionistische Propaganda, mit der die Verbre-
chen des Nationalsozialismus relativiert werden und mit der
die Kriegsschuld Deutschlands in Frage gestellt wird, ver-
letzt eklatant den Grundsatz der Völkerverständigung.

Die NPD nimmt eine aktiv-kämpferische, aggressive Hal-
tung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grund-
ordnung ein. Ihre verfassungsfeindlichen Ziele sucht sie
nicht mehr primär als Wahlpartei auf parlamentarischem
Weg zu erreichen, sondern verlegt ihr hauptsächliches Akti-
onsfeld auf die Straße. Seit einigen Jahren bindet die NPD
Neonazis und Skinheads gezielt für ihr Ziel ein, die freiheit-
lich demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie setzt
auf die Massenmobilisierung auf der Straße, wobei sie ihre
verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur propagiert sondern
auch versucht, diese aktiv-kämpferisch mit aggressiven Mit-
teln zu verwirklichen. Dabei vertritt sie aktiv ein Konzept,
das Minderheiten in bestimmten Gebieten die grundlegen-
den Bürger- und Menschenrechte abspricht. Minderheiten
werden insbesondere in diesen Zonen bedroht und verfolgt.
Demokratie, Rechtsstaat und bürgerliche Freiheitsrechte
sollen danach in letzter Konsequenz flächendeckend abge-
schafft werden.

Die NPD hat in den letzten Jahren eine herausgehobene Be-
deutung für das rechtsextreme und gewaltbereite Spektrum
erlangt. Dadurch ist eine neue Dimension der Gefahr ent-
standen. Der NPD ist es zwischen 1998 bis Ende August

2000 gelungen, weit über 200 Demonstrationen und öffent-
liche Aktionen mit im Einzelfall bis zu 5 000 Teilnehmern zu
organisieren. Die Zusammenarbeit mit gewalttätigen Perso-
nen und Gruppierungen, namentlich mit häufig bei öffentli-
chen Veranstaltungen präsenten Neonazis und NPD-nahen
Skinheads, ist Bestandteil ihrer Strategie. Die Demonstrati-
onen der NPD sind gerade durch die Mobilisierung dieser
militanten Skinheads und Neonazis klarer Ausdruck ihres
aktiv-kämpferischen aggressiven Bestrebens, über den au-
ßerparlamentarischen Kampf die politische Macht zu errin-
gen und unsere Verfassungsordnung zu beseitigen. Gewalt
insbesondere gegen Ausländer wird sogar in Erklärungen
von Spitzenfunktionären der NPD legitimiert.

Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD mit
der Folge des Verbotes dieser Partei ist deshalb erforder-
lich, um den von ihr ausgehenden Gefahren für die freiheit-
liche demokratische Grundordnung zu begegnen.

Die Fraktion der CDU/CSU ist dieser Empfehlung nicht ge-
folgt. Sie gesteht zwar der Exekutive zu, einen Verbotsan-
trag zu stellen. Sie sieht aber keinen Handlungszwang für
den Deutschen Bundestag, einen eigenständigen Verbotsan-
trag beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. In die-
sem Zusammenhang weist sie auch darauf hin, dass die
Abgeordneten ihrer Ansicht nach nicht alle entscheidungs-
erheblichen Unterlagen hätten einsehen können.

Die Fraktion der F.D.P. hat der Empfehlung nicht zuge-
stimmt, u. a. weil ihrer Ansicht nach die Nachteile eines
Verbotsverfahrens die Vorteile überwiegen würden, etwa
weil im Falle eines Verbots sich die rechtsradikale Szene
neu und stärker formieren könnte.

Die Fraktion der PDS hat der Empfehlung zugestimmt. Sie
rügt aber, dass nach ihrer Ansicht der Bundesregierung ein
klares Gesamtkonzept zur Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus fehlen würde.

Berlin, den 6. Dezember 2000

Dr. Michael Bürsch
Berichterstatter

Wolfgang Zeitlmann
Berichterstatter

Cem Özdemir
Berichterstatter

Dr. Guido Westerwelle
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.