BT-Drucksache 14/4802

Freiwillige Agrar-Umwelt/ Sozial-Zertifizierung für Entwicklungsländer

Vom 28. November 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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4802

14. Wahlperiode

28. 11. 2000

Antrag

der Abgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler,
Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki,
Gernot Erler, Gabriele Fograscher, Anke Hartnagel, Frank Hempel,
Ingrid Holzhüter, Barbara Imhoff, Ulrich Kelber, Karin Kortmann, Konrad Kunick,
Tobias Marhold, Ulrike Mehl, Albrecht Papenroth, Dagmar Schmidt (Meschede),
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Dr. R. Werner Schuster,
Joachim Tappe, Matthias Weisheit, Engelbert Wistuba, Hanna Wolf (München),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung für Entwicklungsländer

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für die umweltfreundlichere und sozialverträgliche land- und forstwirtschaft-
liche integrierte Produktion sind in den vergangenen 30 Jahren viele Millionen
Forschungs- und Beratungsmittel in die Entwicklungshilfe geflossen. Diese
Mittel sind nur dann sinnvoll investiert, wenn die Erkenntnisse auch in die
Praxis umgesetzt werden. Dieses ist derzeit nur äußerst begrenzt der Fall.

Staatliche Programme und mögliche Kontrollen sind in Entwicklungsländern,
über die gesetzlichen Regelungen hinaus, nicht oder nur begrenzt möglich. Da-
her ist die Verantwortung zur praxisgerechten Umsetzung von den wirtschaft-
lich Handelnden freiwillig zu übernehmen, so wie dieses seit vielen Jahren sehr
erfolgreich im ökologischen Landbau praktiziert wird.

Neben dem wichtigen Ziel, den ökologischen Landbau zu fördern, wird für
eine nachhaltige und zukunftsorientierte integrierte Pflanzenproduktion eine
international anerkannte und freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung
erforderlich sein. Die Zertifizierung hat das Ziel, die Interessen von Ökologie
und Arbeitsbedingungen mit der Ökonomie im Rahmen einer fortschrittlichen
Umwelt- und Sozialpolitik auf Unternehmensebene zu vereinbaren. Dafür wer-
den marktwirtschaftliche Instrumente wie Umweltmanagement und Umwelt-
betriebsprüfung herangezogen, wie dieses z. B. in der gewerblichen Wirtschaft
durch ISO 14001 im internationalen Geltungsbereich und die EG-Umwelt-
Audit-VO Nr. 1836 vom 29. Juni 1993 im Geltungsbereich der EU bereits ge-
schieht.
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In Deutschland werden derzeit für die Landwirtschaft Modellvorhaben durch-
geführt und Zertifizierungskriterien entwickelt. Die Forstwirtschaft hat bereits
freiwillig Zertifizierungen nach Umwelt- und Sozialstandards eingeführt, die
international Anerkennung finden. Private Gesellschaften sowie Umwelt- und
Menschenrechts-Organisationen beginnen, Bananen, Blumen, Kaffee, Baum-
wolle und Tee zu zertifizieren. An Erfahrungen und Glaubwürdigkeit mangelt
es jedoch. Der ökologische Landbau hat eine langjährige und glaubwürdige
Zertifizierungstradition.

Durch die freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung sind praxisorien-
tierte, umwelt- und sozialrelevante Erkenntnisse durch die vor der Zertifizie-
rung erforderliche Beratung schnell umsetzbar. Die Umsetzung umwelt- und
sozialrelevanter Normsetzungen wird kontrollierbarer. Der Handel und der
Konsument haben die Gewähr, dass die erworbenen Produkte weitgehend um-
weltgemäß und sozialwürdig produziert wurden.

Die freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung legt die Verantwortung für
entsprechendes Handeln in die Hände des Produzenten, des Handels und des
Konsumenten. Der Handel kontrolliert die Produktion oder lässt durch Zertifi-
zierungs-Organisationen kontrollieren, denn er bestimmt nach vorgegebenen
Umwelt- und Sozialstandards die Produktionsbedingungen. Der Staat gibt
allenfalls einen groben rechtlichen Rahmen vor, wie z. B. für die gewerbliche
Wirtschaft durch die o. g. EG-Umwelt-Audit-VO.

Hinsichtlich der freiwilligen Anbaukontrolle bzw. Zertifizierung leistet der
ökologische Landbau seit Jahren wegweisende Arbeit.

Trotz erfreulicher und richtungsweisender Fortschritte in der Forstwirtschaft
führen nach Umwelt- und Sozialstandards zertifizierte Produkte aus integrierter
landwirtschaftlicher Produktion in den Konsummärkten noch ein Nischen-
dasein. Um diese Situation positiv zu ändern und Produzenten sowie Handels-
ketten für freiwillig zertifizierte Produkte zu gewinnen, sind Öko- und Sozial-
zertifizierungen auf wissenschaftlich nachvollziehbarer und damit transparenter
Ebene durchführbar. Dieses ist nur möglich, wenn zukünftig Produktion, Han-
del, Nichtregierungsorganisationen und die angewandte Wissenschaft enger zu-
sammenarbeiten. Erst wenn sich Produktion und Handel auf belastbare und
marketingfähige Zertifizierungen verlassen können, wird sich die Agrar-Um-
welt/Sozial-Zertifizierung verstärkt auf den Konsummärkten durchsetzen und
damit nachhaltig die Umwelt- und Arbeitsbedingungen in den Entwicklungs-
ländern verändern.

Die freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung schafft Arbeitsplätze in
den Industrieländern und in den Entwicklungsländern.

Einzelne Handelshäuser stehen der freiwilligen Zertifizierung und der Vergabe
von Siegeln durchaus positiv gegenüber. Dies setzt jedoch eine überschaubare,
transparente Vergabe von Siegeln im Interesse der Konsumenten und der Un-
ternehmen voraus. Eine Inflationierung von Siegeln muss vor diesem Hinter-
grund vermieden werden.

Für ein beim Handel und Konsumenten glaubwürdiges und akzeptiertes Um-
welt/Sozialsiegel besteht Bedarf. Dafür sind Unterstützungen hinsichtlich einer
verstärkten internationalen Koordination bei der Erstellung der Standards und
der Unternehmenskontrolle erforderlich. Die Akzeptanz auf dem Markt ist nur
erreichbar, wenn Nichtregierungsorganisationen, der Handel, die Produzenten
und die betroffenen Wissenschaftsbereiche in den Entscheidungsprozess einbe-
zogen werden.

Die internationale Agrarforschung ist unter hohem Mitteleinsatz seit vielen
Jahren erfolgreich bestrebt, umweltverträgliche Alternativen für die integrierte
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land- und forstwirtschaftliche Produktion zu erarbeiten. Es ist an der Zeit, viele
dieser Erkenntnisse zunächst unter wissenschaftlicher Begleitung in die Praxis
umzusetzen. Dafür ist das Beschreiten bereits vorsichtig begangener Wege mit
neuen Partnern erforderlich. Die freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizie-
rung ist ein solcher marktwirtschaftlicher und zukunftsorientierter Weg. Dieser
Weg ist nicht als Konkurrenz zum wichtigen ökologischen Anbau zu verstehen.
Er ist vielmehr eine notwendige Ergänzung für die kontrolliert integrierte land-
und forstwirtschaftliche Produktion, insbesondere auch für Exportprodukte, die
einem hohen Qualitätsstandard genügen müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ein Konzept für die prakti-
sche Umsetzung der Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung unter Einbezie-
hung der Produktion, des Handels, Nichtregierungsorganisationen und der
relevanten angewandten Wissenschaftsbereiche vorzulegen.

2. Die internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Standards und
Leitlinien für den Zertifizierungsprozess im Bereich der freiwilligen Agrar-
Umwelt/Sozial-Zertifizierung unter Einbeziehung von Produktion, Handel
und Nichtregierungsorganisationen unter wissenschaftlicher Begleitung
durch gemeinsame zielorientierte Gespräche und gegebenenfalls Modellpro-
jekte zu fördern. Dabei muss die internationale Vergleichbarkeit der Zertifi-
zierungen und ihre Ein- bzw. Anbindung in bestehende und erfolgreiche
Zertifizierungssysteme berücksichtigt werden.

3. Die Bildung eines organisatorischen Rahmens für den Austausch und die
Zusammenarbeit von Produktion, Handel, Nichtregierungsorganisationen
und Wissenschaft auf dem Gebiet der Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung
zu unterstützen.

4. Zertifizierungsorganisationen, die nach international anerkannten Regeln tä-
tig sind, fachlich und organisatorisch im Hinblick auf eine belastbare und
marketingfähige Zertifizierung für Produkte aus der Land- und Forstwirt-
schaft, einschließlich des biologischen Landbaus, zu unterstützen.

5. Die Bundesregierung sollte prüfen, wie auch durch Formen der Zusammen-
arbeit mit der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern und in Deutschland
(PPP) die Rahmenbedingungen für fair gehandelte Produkte zu verbessern
wären.

Berlin, den 28. November 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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