BT-Drucksache 14/3786

Sicherung der Volksfeste, des Markthandels und des Schaustellergewerbes

Vom 5. Juli 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3786
14. Wahlperiode 05. 07. 2000

Antrag
der Abgeordneten Brunhilde Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, Iris Follak,
Renate Gradistanac, Karl-Hermann Haack (Extertal), Barbara Imhof,
Jann-Peter Janssen, Ilse Janz, Susanne Kastner, Marianne Klappert,
Horst Kubatschka, Eckhard Ohl, Birgit Roth (Speyer), Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Wieland Sorge, Wolfgang Spanier, Antje-Marie Steen,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Sylvia Voß, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert,
Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Christine Scheel, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Ulrich Irmer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Marita Sehn,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.
sowie der Abgeordneten Rosel Neuhäuser, Dr. Heinrich Fink, Rolf Kutzmutz,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Sicherung der Volksfeste, des Markthandels und des Schaustellergewerbes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutsche Volksfestkultur ist mit einer Fülle von tief im volkstümlichen
Brauchtum verwurzelten Jahrmärkten, Kirmessen, Wochen- und Weihnachts-
märkten in ihrer Art einzigartig auf der ganzen Welt. Die Volksfeste sind we-
sentliches Kulturgut und als solches von der Bundesregierung und der EU aner-
kannt und schützenswert. Sie sind in der Bundesrepublik Deutschland für alle
sozialen Schichten ein wichtiger Bestandteil der Freizeitgestaltung, erfüllen
eine wichtige soziale Ausgleichsfunktion für alle Altersklassen sowie eine Inte-
grationsfunktion für ausländische Mitbürger, wahren regionaltypisches Brauch-
tum und Tradition und stärken das Heimatbewusstsein.

In der Freizeit- und Tourismuswirtschaft tragen die ca. 10 000 traditionellen
Volks- und Schützenfeste auf besonders sympathische Art zur Vielfalt des ge-
samtkulturellen Angebotes bei. Sie steigern nicht nur die allgemeine Lebens-
qualität der ortsansässigen Bevölkerung, sondern sind in vielen Städten und
Gemeinden auch ein beachtlicher Anziehungspunkt für in- und ausländische

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Gäste. Mit 67 Prozent der Bevölkerung als Besuchern von Volksfesten und ins-
gesamt über 200 Millionen Besuchern pro Jahr sind Volksfeste mit Abstand der
größte Freizeitbereich in Deutschland. Volksfeste leisten einen wichtigen Bei-
trag zur Attraktivität des Tourismusstandorts Deutschland bzw. zum Wachstum
des Städtetourismus als nachfragestärkstem Segment des Deutschlandtouris-
mus. Von dieser umfangreichen Palette regionaltypischer Veranstaltungen des
Schaustellergewerbes profitieren u. a. auch der örtliche Einzelhandel sowie das
Hotel- und Gaststättengewerbe. 1998 wurden 1,3 Mrd. DM Umsatz erwirt-
schaftet. Im Reisegewerbe insgesamt – um neben dem Schaustellergewerbe
auch noch den Markt- und Straßenhandel hinzuzunehmen – wurde ein Ge-
samtumsatz von 22 Mrd. DM erzielt. Im Schaustellergewerbe allein sind
34 000 Menschen tätig (einschließlich der mitarbeitenden Familienmitglieder),
im Reisegewerbe inklusive Markt- und Straßenhandel insgesamt (unter Einbe-
ziehung der Familienangehörigen) sind es 1,2 Millionen Menschen in über
320 000 Betrieben.

Im Gegensatz zu anderen Kulturbereichen, die teilweise sogar erhebliche Sub-
ventionen erhalten, fehlt es dem Kulturgut Volksfest aber oftmals an rechtli-
chem Schutz und Unterstützung angesichts eines harten Wettbewerbes. So wird
etwa die Durchführung von Volksfesten immer häufiger privatrechtlich organi-
siert bzw. an Privatunternehmen übertragen. Der damit verbundene Übergang
vom Kostendeckungsprinzip auf das Prinzip der Gewinnmaximierung führt für
die Schausteller zu enormen Kostensteigerungen, die nur teilweise über Preis-
erhöhungen aufgefangen werden können. Außerdem belasten die Kommunen
Volksfeste und das sie tragende mittelständisch geprägte Schaustellergewerbe
zunehmend mit Gebührenerhöhungen, neuen Gebühren, Abgaben und Baga-
tellsteuern. Bei rückläufigem Umsatzvolumen erwirtschaften die Schausteller-
unternehmen kaum noch die für die Zulassung zu den Festen erforderlichen Ei-
geninvestitionen in attraktive Geschäfte bzw. die notwendigen Sicherheiten für
eine Fremdfinanzierung. Andere Finanzierungsformen ohne Anrecht auf späte-
ren Eigentumserwerb, wie z. B. die Miete von Geschäften, führen bei gleich-
bleibender Standplatzkapazität und einer Vielzahl neuer Anbieter zu einer rui-
nösen Konkurrenzsituation. Die Existenz der Familienunternehmen ist durch
die Anmietung von Geschäften bedroht bzw. die Gefahr der Scheinselbständig-
keit gegeben.

Die mobilen Schaustellerunternehmen und Marktkaufleute werden auch immer
stärker durch Betriebe des stationären Gewerbes aus dem Nahrungsmittelhand-
werk, der Getränkewirtschaft sowie von Privatpersonen, Vereinen und Instituti-
onen vom jeweiligen Volksfestplatz verdrängt. Dadurch entstehen erhebliche
Wettbewerbsverzerrungen, da das mobile Schaustellergewerbe und der Markt-
handel in der Regel pro Jahr nur an 120 Tagen Umsatz erzielen kann, während
das stationäre Gewerbe mehr als das Doppelte an Geschäftszeit zur Verfügung
hat.

Weitere Belastungen sind Auflagen durch Gesetze und Verordnungen, vor al-
lem im Lebensmittel- und Verkehrsbereich, sowie die Streichung von Strecken
und Verladebahnhöfen sowie der Abriss von Auffahrrampen für den Schienen-
transport von Großfahrgeschäften durch die Deutsche Bahn AG. Im Rahmen
der EU ist die Ausübung der grenzüberschreitenden Reisetätigkeit von Schau-
stellerunternehmen zu Volksfesten durch eine fehlende Harmonisierung der Be-
dingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten kaum möglich. Im Rahmen der
Euro-Einführung machen sich Preisunterschiede zu ausländischen Konkurren-
ten stark bemerkbar, die wegen niedrigerer Umsatzsteuersätze sowie niedrige-
rer oder fehlender Energiesteuern, geringerer Sozialversicherungsbeiträge,
schärferem Arbeitsrecht und weiterer kostenträchtiger Auflagen für deutsche
Schausteller diese im Wettbewerb deutlich benachteiligen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3786

Die Bundesregierung hat Maßnahmen zum Erhalt dieser Branche in Angriff ge-
nommen:

● Schausteller können seit dem 1. Dezember 1999 Ausnahmegenehmigungen
beantragen, um die bisherige Vorführfrist von Fahrzeugen beim TÜV von
6 auf 8 Monate zu verlängern. Damit wird die TÜV-Prüfung besser auf die
Schaustellersaison abgestimmt. In Bezug auf fliegende Bauten jedoch sind
einheitliche Sicherheits- und Prüfstandards nötig und sollten zwischen den
Verantwortlichen vereinbart werden.

● Um die Zukunfts- und Bildungschancen der Schaustellerkinder zu verbes-
sern, wurde ein Schulbegleittagebuch eingeführt. Somit kann eine kontinu-
ierliche und damit bessere Unterrichtung der Kinder an unterschiedlichen
Schulen gewährleistet werden.

● Die Kultusministerkonferenz hat sich geeinigt, nach Wiedereinführung des
Vollzuges der Berufschulpflicht für Schaustellerjugendliche die Jugendlichen
nicht in die üblichen Berufschulklassen einzugliedern, sondern Sonderlehr-
gänge und Blockunterricht in den Wintermonaten vorzusehen. Ein einheit-
licher branchenbezogener Unterricht in der Berufsschule ist wünschenswert.

● Ein Fortschritt ist auch die Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom
30. Juli 1999, nachdem für Kinder von Binnenschiffern, Schaustellern und
Zirkusangehörigen, die in einem Heim untergebracht sind, bundesweit ein-
heitlich 10 DM pro Kind und pro Tag gezahlt werden soll. Noch zu regeln
ist, dass diese Zuschüsse auch bei Unterbringung in Pflegefamilien gezahlt
werden.

● Um zu ermöglichen, dass ausländische Arbeitskräfte, die in einem Jahr mehr
als 6 Monate beschäftigt waren, auch im Folgejahr wieder beschäftigt wer-
den können, wird gegenwärtig geprüft, wie ein „Wiederkehrrecht“ ermög-
licht werden kann. Ziel ist es, unbürokratisch den Rückgriff auf erfahrene
Mitarbeiter zu ermöglichen. Angestrebt wird eine Regelung analog zur kurz-
fristigen Beschäftigung.

● Die Möglichkeit einer Dauererlaubnis der Schausteller nach § 2 des Gast-
stättengesetzes ist im Bund-Länder-Ausschuss abgestimmt. Eine Musterver-
waltungsvorschrift ist vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo-
gie erarbeitet und von den Ländern gutgeheißen worden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in Ergänzung zu Titel III der Gewerbeordnung einen einheitlichen Gewerbe-
begriff für Schausteller einzuführen, um einheitliche Regelungen für das ge-
samte Schaustellergewerbe zu erreichen;

2. dafür Sorge zu tragen, dass auf Volksfesten der ermäßigte Mehrwertsteuer-
satz auf Lebensmittel und schaustellerische Dienstleistungen beibehalten
wird;

3. weitere Erleichterungen bei den Freistellungen für Transportfahrten von
Schaustellern und Marktkaufleuten von den Fahrverboten an Sonn- und Fei-
ertagen zu prüfen;

4. in der Verkehrspolitik den Vorrang für die Schiene auch für den Transport
über die Schiene durchzusetzen, um die Beschickung von Volksfesten mit-
tels Bahntransport attraktiv zu machen;

5. bei der anstehenden Überarbeitung der entsprechenden EU-Richtlinie darauf
hinzuwirken, dass die Fahrzeuge des Schaustellergewerbes und der Markt-
kaufleute mit den langsam laufenden landwirtschaftlichen Fahrzeugen

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gleichgestellt werden und in die Fahrerlaubnisklassen L und T einbezogen
werden;

6. die finanzielle Förderung der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) auf
hohem Niveau fortzuführen und so zu ermöglichen, dass die Marketingakti-
vitäten der DZT für deutsche Volksfeste im In- und Ausland erhalten bleiben
und intensiviert werden können;

7. eine Studie über das Schaustellergewerbe zu erstellen;

8. darauf hinzuwirken, dass Länder, Städte und Gemeinden auf Volksfesten
und Märkten auf die Anwendung bzw. Erhöhung von Bagatellsteuern (Ver-
gnügungsteuer, Schankerlaubnissteuer, etc.) sowie die Erhöhung von Ge-
bühren (Standgebühr, Bauabnahmegebühr, etc.) verzichten. Hierdurch wür-
den Schaustellerbetriebe und Marktkaufleute mit Rücksicht auf ihre
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entlastet. Zugleich sollte der rechtliche
Schutz traditioneller Volksfeste und Märkte hinsichtlich der Festplätze und
der Öffnungszeiten verbessert werden und eine Förderung durch schlüssige
und koordinierte Freizeitplanungskonzepte erfolgen, in die Volksfeste und
Märkte ausdrücklich integriert sind;

9. sich dafür einzusetzen, dass die Bearbeitungszeit von Anträgen auf Vermitt-
lung von Aushilfskräften von Nicht-EU-Staaten, die gegenwärtig ca. 5 Monate
beträgt, verkürzt wird, um dem Schaustellergewerbe mehr Sicherheit bei der
Personalplanung zu ermöglichen.

Berlin, den 5. Juli 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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