BT-Drucksache 14/3781

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNREN -14/1247- Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung

Vom 5. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3781

14. Wahlperiode

05. 07. 2000

Beschlussempfehlung und Bericht

des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 14/1247 –

Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung

A. Problem

1. Die Anwendung körperlicher Gewalt bei der Erziehung von Kindern ist in
Deutschland immer noch weit verbreitet. Untersuchungen haben ergeben,
dass Opfer elterlicher Gewalt später vermehrt selbst Gewalt anwenden.
Dieser Kreislauf der Gewalt muss unterbrochen werden.

2. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1998 zum
Familienleistungsausgleich und die Änderung beim Rentenanpassungsver-
fahren machen Änderungen im Kindesunterhaltsrecht notwendig.

B. Lösung

1. Kindern wird in § 1631 Abs. 2 BGB ein Recht auf gewaltfreie Erziehung ein-
geräumt. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere ent-
würdigende Maßnahmen, auch solche zum Zwecke der Erziehung, werden
für unzulässig erklärt.

2. Um sicherzustellen, dass sich die unterhaltsrechtlichen Regelbeträge auch
weiterhin entsprechend der Einkommensentwicklung ändern werden und um
die Verwendung des Kindergeldes zur Sicherung des Existenzminimums des
Kindes zu gewährleisten, werden die §§ 1612a und 1612b BGB geändert.

Mehrheitliche Annahme

C. Alternativen

Keine
Drucksache

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3781

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

D. Kosten

Es sind Mehrkosten bei den Jugendämtern zu erwarten, die jedoch noch nicht
bezifferbar sind. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Kostendarstel-
lung in der Drucksache 14/1247 S. 1 und 7 verwiesen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

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Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

1. den Gesetzentwurf – Drucksache 14/1247 – in der nachstehenden Fassung
(Anlage) anzunehmen,

2. folgende Entschließung anzunehmen:

„Das geltende Familienunterhaltsrecht weist eine Reihe von Mängeln auf, die
dringend zügig behoben werden müssen, weil sonst die Akzeptanz dieses für
viele Menschen existenziell bedeutsamen Rechtsbereichs geringer werden
könnte.

Besonders schwer wiegen dabei folgende Probleme:

– Das Unterhaltsrecht ist auf verschiedenen Gebieten inzwischen so unüber-
sichtlich geworden, dass seine Ergebnisse für die Beteiligten oft nur
schwer nachvollziehbar sind.

– Die Abstimmung mit dem flankierenden Sozial- und Steuerrecht sowie
den verfassungsrechtlichen Grundlagen ist angesichts zahlreicher Ände-
rungen in einzelnen Bereichen nicht immer oder nicht immer überzeugend
erfolgt.

– Die Regelungen über das Rangverhältnis unterschiedlicher familienrecht-
licher Unterhaltsansprüche, wie etwa denen von minderjährigen Kindern
und sie betreuender Erwachsenen, stoßen zunehmend auf Kritik der Fach-
leute wie der Betroffenen.

Die von der Regierungskoalition vorgeschlagenen Änderungen der §§ 1612a
und 1612b BGB beheben die aufgezeigten grundsätzlichen Mängel noch
nicht vollständig. Sie verfolgen nur das Ziel, den wirtschaftlichen Vorteil des
seit dem 1. Januar 2000 erhöhten Kindergeldes stärker als bisher den Haus-
halten zukommen zu lassen, in denen die Kinder versorgt werden, zumal die
Erhöhung des Kindergeldes seit dem 1. Januar 2000 wesentlich um der Ent-
lastung der Betreuung willen erfolgte.

Die Bundesregierung wird gebeten, zügig und mit allem Nachdruck das gel-
tende Unterhaltsrecht, insbesondere hinsichtlich der Abstimmung seiner In-
halte mit sozial- und steuerrechtlichen Parallelregelungen sowie der Auswir-
kungen der in § 1612b Abs. 5 BGB vorgeschlagenen Änderungen in der
Praxis, gründlich zu überprüfen und Vorschläge zu seiner Neuregelung ein-
zubringen.“

Berlin, den 28. Juni 2000

Der Rechtsausschuss

Dr. Rupert Scholz

Vorsitzender

Margot von Renesse

Berichterstatterin

Ronald Pofalla

Berichterstatter

Volker Beck (Köln)

Berichterstatter

Rainer Funke

Berichterstatter

Sabine Jünger

Berichterstatterin
Drucksache

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– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung
und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt
Teil III, Gliederungsnummer 400-2, veröffentlichten berei-
nigten Fassung, das zuletzt durch ... geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:

1. § 1612a Abs. 4 wird durch folgende Absätze ersetzt:

„(4) Die Regelbeträge ändern sich entsprechend der
Entwicklung des durchschnittlich verfügbaren Arbeits-
entgelts erstmals zum 1. Juli 1999 und danach zum
1. Juli jeden zweiten Jahres. Die neuen Regelbeträge
ergeben sich, indem die zuletzt geltenden Regelbeträge
mit den Faktoren aus den jeweils zwei der Veränderung
vorausgegangenen Kalenderjahren für die Entwicklung

1. der Bruttolohn- und -gehaltssumme je durchschnitt-
lich beschäftigten Arbeitnehmer und

2. der Belastung bei Arbeitsentgelten

vervielfältigt werden; das Ergebnis ist auf volle Deut-
sche Mark aufzurunden. Das Bundesministerium der
Justiz hat die Regelbetrag-Verordnung durch Rechtsver-
ordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates be-
darf, rechtzeitig anzupassen.

(5) Die Faktoren im Sinne von Absatz 4 Satz 2 wer-
den ermittelt, indem jeweils der für das Kalenderjahr, für
das die Entwicklung festzustellen ist, maßgebende Wert
durch den entsprechenden Wert für das diesem voraus-
gegangene Kalenderjahr geteilt wird. Der Berechnung
sind

1. für das der Veränderung vorausgegangene Kalender-
jahr die dem Statistischen Bundesamt zu Beginn des
folgenden Kalenderjahres vorliegenden Daten der
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung,

2. für das Kalenderjahr, in dem die jeweils letzte Ver-
änderung vorgenommen wurde, die vom Statisti-
schen Bundesamt endgültig festgestellten Daten der
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sowie

3. im Übrigen die der Bestimmung der bisherigen Re-
gelbeträge zugrunde gelegten Daten der Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnung

zugrunde zu legen; sie ist auf zwei Dezimalstellen
durchzuführen.“

2. In § 1612b Abs. 5 werden die Wörter „Unterhalt in Höhe
des Regelbetrages“ durch die Wörter „Unterhalt in
Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages“ ersetzt.

3. § 1631 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erzie-
hung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen

und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzuläs-
sig.“

Artikel 2

Änderung des Kindesunterhaltsgesetzes

Artikel 5 § 1 des Kindesunterhaltsgesetzes vom 6. April
1998 (BGBl. I S. 666) wird wie folgt gefasst:

㤠1

Bei Anwendung von § 1612a Abs. 4 Satz 2 des Bürger-
lichen Gesetzbuchs ist bis zur Herstellung einheitlicher
Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland (§ 1 Abs. 4 des Versorgungsausgleichs-Über-
leitungsgesetzes) von den für dieses Gebiet nach dem Stand
bis zum 3. Oktober 1990 ermittelten Werten der Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnung auszugehen. In dem in
Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet gelten
§ 1612a Abs. 4 und 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bis zu
dem Zeitpunkt, in dem die neuen Regelbeträge die für das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand bis
zum 3. Oktober 1990 festgestellten Regelbeträge über-
steigen würden, mit der Maßgabe, dass von den für dieses
Gebiet ermittelten Werten ausgegangen wird. Ab diesem
Zeitpunkt gelten die Regelbeträge nach § 1 der Regel-
betrag-Verordnung auch in dem in Artikel 3 des Einigungs-
vertrages genannten Gebiet.“

Artikel 3

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Dem § 16 Abs. 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch –
Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes vom
26. Juni 1990 – BGBl. I S. 1163) in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3546),
das zuletzt durch … geändert worden ist, wird folgender
Satz 3 angefügt:

„Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in
der Familie gewaltfrei gelöst werden können.“

Artikel 4

Unterhaltstitelanpassungsgesetz

§ 1

In anhängigen Verfahren, die die gesetzliche Unterhalts-
pflicht eines Elternteils oder beider Elternteile gegenüber
einem minderjährigen Kind betreffen, ist eine vor dem …
[einsetzen: den in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Zeit-
punkt] geschlossene mündliche Verhandlung auf Antrag
wieder zu eröffnen.

Anlage
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 –

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§ 2

Urteile, Beschlüsse und andere Schuldtitel im Sinne des
§ 794 der Zivilprozessordnung, in denen Unterhaltsleistun-
gen für ein minderjähriges Kind nach dem vor dem … [ein-
setzen: den in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Zeit-
punkt] geltenden Recht zuerkannt, festgesetzt oder über-
nommen sind, können auf Antrag im vereinfachten
Verfahren nach § 655 der Zivilprozessordung für die Zeit
nach der Antragstellung dahin abgeändert werden, dass die
Anrechnung von kindbezogenen Leistungen im Sinne der
§§ 1612b und 1612c des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter-
bleibt, soweit der Unterhalt 135 Prozent des Regelbetrages
nach der Regelbetrag-Verordnung nicht übersteigt.

Artikel 5

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

(1) Artikel 1 Nr. 3 und Artikel 3 treten am Tage nach der
Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am ...
[einsetzen: Datum des ersten Tages des zweiten auf die Ver-
kündung folgenden Kalendermonats] in Kraft.

(2) Artikel 4 dieses Gesetzes tritt am [einsetzen: Tag und
Monat wie Absatz 1 Satz 2 sowie Jahreszahl des fünften auf
das Inkrafttreten folgenden Kalenderjahres] außer Kraft.
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– 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Margot von Renesse, Ronald Pofalla, Volker Beck
(Köln), Rainer Funke und Sabine Jünger

I. Zum Beratungsverfahren

Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf der
Drucksache 14/1247 in seiner 49. Sitzung vom 30. Juni 1999
in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung
dem Rechtsausschuss und zur Mitberatung dem Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.

Der

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend

hat die Vorlage in seiner 41. Sitzung vom 28. Juni
2000 beraten und zu Artikel 1 Nr. 3 des Gesetzentwurfs
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS bei Stimmenthaltung der
Fraktion der CDU/CSU beschlossen zu empfehlen, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Zu dem von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Än-
derungsantrag hinsichtlich des Kindesunterhaltsrechts hat
der Ausschuss mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS gegen die
Stimmen der Fraktion der CDU/CSU beschlossen zu emp-
fehlen, den Änderungsantrag anzunehmen. Unter Berück-
sichtigung dieses Änderungsantrags hat der Ausschuss mit
den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, F.D.P. und PDS gegen die Stimmen der Fraktion
der CDU/CSU beschlossen zu empfehlen, den Gesetzent-
wurf anzunehmen.

Der

Rechtsausschuss

hat die Vorlage in seiner 56. Sitzung
vom 28. Juni 2000 abschließend beraten und zu der Rege-
lung über das Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631
Abs. 2 BGB, § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII) in seiner 36. Sit-
zung vom 1. Dezember 1999 und zu den Regelungen des
Kindesunterhaltsrechts in seiner 49. Sitzung vom 5. April
2000 zusammen mit dem Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend je eine öffentliche Anhörung durchge-
führt, an der folgende Sachverständige teilgenommen ha-
ben:

Anhörung am 1. Dezember 1999:

Anhörung am 5. April 2000:

Hinsichtlich der Ergebnisse der Anhörungen wird auf die
Protokolle der 36. und 49. Sitzung des Rechtsausschusses
mit den anliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen
verwiesen.

In der Schlussabstimmung im Rechtsausschuss stimmten
die Fraktionen über die einzelnen Punkte des Gesetzent-
wurfs in der vom Ausschuss beschlossenen Fassung wie
folgt ab:

Die Artikel 1 bis 5 sowie der Gesetzentwurf insgesamt wur-
den mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS gegen die Stimmen der
Fraktion der CDU/CSU angenommen.

Der Entschließungsantrag wurde mit den Stimmen der Frak-
tionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS bei
Stimmenthaltung der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
angenommen.

II. Zur Begründung der Beschlussempfehlung

1. Allgemeines

Die vom Rechtsausschuss beschlossenen Regelungen zum
Kindesunterhaltsrecht gehen im Wesentlichen auf einen Än-
derungsantrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN (Ausschussdrucksache 14/37) zurück. Auch der
verabschiedete Entschließungsantrag ist von den Koaliti-
onsfraktionen eingebracht worden.

Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hoben im Ausschuss besonders hervor, dass das beschlos-
sene Recht auf gewaltfreie Erziehung ein wesentlicher Bei-

– Dorothea Barkey Staatsanwaltschaft Bielefeld
– Sven Borsche Sprecher des Bundesverbands

der AWO National Coalition,
Bonn

– Dr. Jörg Dieterich Therapiezentrum Schwarz-
waldpark, Freudenstadt

– Dr. Peter Güttler Erziehungswissenschaftler,
Berlin

– Heinz Hilgers Präsident des Kinderschutz-
bundes, Hannover

– Irene Johns Vorsitzende des Kinderschutz-
zentrums Kiel

– Josef Niehaus Jugendring Dortmund
– Prof. Christian Pfeiffer Kriminologisches Forschungs-

institut Niedersachsen,
Hannover

– Dr. Robert Sauter Leiter des Bayerischen
Landesjugendamtes, München

– Dr. Horst Schetelig Kinder- und Jugendtherapeut,
Norden

– Marion Simon Verein „Frauen helfen
Frauen“, Warendorf

– Klaus Weber Präsident des Landgerichts
Traunstein

– Prof. Siegfried Willutzki Direktor des Amtsgerichts
a.D., Köln

– Dr. Helmut Büttner Vorsitzender Richter
am OLG Köln

– Margret Diwell Rechtsanwältin
– Dr. Bernd-Peter Gerhardt Richter am Oberlandesgericht

München
– Hans-Peter Peine ISUV Verband für Unterhalt

und Familienrecht
– Ingeborg Rakete-Dombek Rechtsanwältin
– Carola Schewe Verband alleinerziehender

Mütter und Väter
– Harald Scholz Vorsitzender Richter

am OLG Düsseldorf
– Birgit Uhlworm SHIA LV Brandenburg
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 –

Drucksache

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trag zur Gewaltprävention innerhalb der Familien sein
könne. Es komme jetzt darauf an, dass die Betroffenen die
Intention des Gesetzgebers im Alltag umsetzten. Dies könne
nicht erzwungen werden; entscheidend sei vielmehr eine
entsprechende Einsicht der Erziehungsberechtigten.
Die beschlossenen Regelungen zum Kindesunterhaltsrecht
seien lediglich ein erster Schritt zur weiteren Vereinfachung
und Anpassung in diesem Bereich. Deshalb sei die Bundes-
regierung in dem Entschließungsantrag aufzufordern, wei-
tere Gesetzesinitiativen hierzu vorzubereiten.
Die Fraktion der CDU/CSU sprach sich dafür aus, das
Recht auf gewaltfreie Erziehung nicht in § 1631 BGB, son-
dern in § 1626 BGB zu regeln. Hinsichtlich der unterhalts-
rechtlichen Regelungen stimmte sie zwar einer grundsätzli-
chen Anpassung der entsprechenden Vorschriften zu, lehnte
jedoch insbesondere die Änderung des § 1612b BGB ab,
weil dadurch das Unterhaltsrecht noch weiter verkompli-
ziert würde, was im Gegensatz zu dem vom Ausschuss ver-
abschiedeten Entschließungsantrag stehe.
Die Fraktion der F.D.P. begrüßte insbesondere die Signal-
wirkung, die von der Verankerung des Rechts auf gewalt-
freie Erziehung im BGB ausgehe. Auch wenn sich dadurch
der Alltag in den Familien nicht abrupt ändere, könne sie
auf Dauer zu einer Änderung der Einstellung der Betroffe-
nen führen.
Auch die Fraktion der PDS betonte, dass der gesetzlichen
Regelung nun flankierende Maßnahmen folgen müssten. Sie
verwies insoweit auf ihren Antrag auf Drucksache 14/2720.

2. Zu den einzelnen Vorschriften

Im Folgenden werden lediglich die vom Rechtsausschuss
beschlossenen Änderungen gegenüber der ursprünglichen
Fassung des Gesetzentwurfs erläutert. Soweit der Ausschuss
den Gesetzentwurf unverändert angenommen hat, wird auf
die jeweilige Begründung in der Drucksache 14/1247 S. 3 ff.
verwiesen.

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

(§ 1612a Abs. 4 BGB)
Die Änderung stellt sicher, dass sich die unterhaltsrecht-
lichen Regelbeträge (§ 1612a BGB i.V. mit der Regelbe-
trag-Verordnung) auch künftig entsprechend der Entwick-
lung der verfügbaren Arbeitsentgelte verändern.
Nach geltendem Recht werden die für das Gebiet der Bun-
desrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2. Oktober
1990 geltenden Regelbeträge entsprechend der mit dem ge-
bräuchlichen statistischen Instrumentarium erfassbaren Ent-
wicklung des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts in die-
sem Gebiet dynamisiert. Regelungstechnisch wird dieses
durch eine in Zweijahresschritten vorzunehmende Fort-
schreibung der Regelbeträge entsprechend der Veränderung
des aktuellen Rentenwerts der gesetzlichen Rentenversiche-
rung im Sinne von § 68 SGB VI bewirkt; hierbei bleiben
rentenversicherungsspezifische Berechnungselemente, die
mit der Entwicklung der Entgelte der Aktiven nicht im Zu-
sammenhang stehen, unberücksichtigt. Die auf dem Haus-
haltssanierungsgesetz beruhende, vom Regelanpassungs-
mechanismus abweichende Fortschreibung des aktuellen
Rentenwerts in den Jahren 2000 und 2001 entsprechend der
Veränderung der Lebenshaltungskosten im jeweils der An-

passung vorausgegangenen Kalenderjahr soll ohne Einfluss
auf die Fortschreibung der Regelbeträge bleiben. Damit
wird sichergestellt, dass das unterhaltsbedürftige Kind auch
weiterhin an der Verbesserung der wirtschaftlichen Leis-
tungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Elternteils in-
folge einer Erhöhung seiner verfügbaren Einkünfte teilhat.

Mit der Änderung des § 1612a BGB wird das bisherige
Recht im Ergebnis fortgeschrieben, zugleich aber der for-
male Zusammenhang mit dem Rentenversicherungsrecht
aufgegeben und ein gänzlich eigenständiges Fortschrei-
bungsverfahren auf der Grundlage von Daten der Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnung eingeführt. Damit wird das
Unterhaltsrecht von rentenversicherungsrechtlichen Vorga-
ben „entkoppelt“ und ein dauerhaft beständiger Fortschrei-
bungsmechanismus geschaffen.

Zu Nummer 2

(§ 1612b Abs. 5 BGB)

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung
vom 10. November 1998 – 2 BvR 1057/91 u. a. – erneut
festgestellt, dass „der Staat … den Unterhaltsaufwand für
Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuer-
bares Einkommen außer Betracht lassen (muss), in dem die-
ses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder
erforderlich ist.“ Daneben betont das Bundesverfassungsge-
richt, dass der Betreuungsbedarf der Kinder „als Bestandteil
des kindbedingten Existenzminimums steuerlich zu ver-
schonen“ sei und dass schließlich ein Erziehungsbedarf des
Kindes vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sei (2 BvR
1057/91 u.a., dort unter B I. 3a sowie unter C II.). Entspre-
chend dieser Entscheidung ist der Familienleistungsaus-
gleich in einer ersten Stufe ab dem Jahr 2000 durch das Ge-
setz zur Familienförderung neu geregelt worden.

In Ergänzung zu dem Familienförderungsgesetz sind die
Alleinerziehenden nun auch unterhaltsrechtlich zu entlas-
ten. Dies ist umso dringender angezeigt, als nach der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts die früher der
Entlastung dienende Vorschrift des § 33c EStG wegen deren
Unvereinbarkeit mit Artikel 6 GG entfallen ist. Erst durch
eine solche unterhaltsrechtliche Neuregelung kann sicherge-
stellt werden, dass das Existenzminimum des Kindes nicht
nur steuerrechtlich freigestellt wird, sondern auch Anknüp-
fungspunkt für die Verteilung bzw. Verwendung des Kinder-
geldes wird.

Hiernach kann nicht länger bereits in solchen Fällen, in de-
nen der Barunterhaltspflichtige lediglich Unterhalt in Höhe
der Regelbeträge leistet, eine Anrechnung des Kindergeld-
anteils vorgenommen werden; vielmehr hat eine derartige
Anrechnung des Kindergeldes zu unterbleiben, soweit der
für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende Be-
trag, also der tatsächlich geschuldete Unterhalt, hinter dem
Barexistenzminimum zurückbleibt. Insoweit zieht diese Än-
derung des § 1612b Abs. 5 BGB auch eine Konsequenz dar-
aus, dass sich die Regelbeträge nicht allein am wirklichen
Bedarf des Kindes ausrichten. Der hälftige Kindergeldanteil
gemäß § 1612b Abs. 1 BGB wird künftig nur angerechnet,
soweit er zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Un-
terhalt das Barexistenzminimum übersteigt. Diese Regelung
erscheint im Interesse des Kindes sachgerecht.

Der neu geregelte Absatz 5 führt auf diese Weise zu einer
geänderten Verwendung des Kindergeldes unter Übernahme
Drucksache

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– 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

des Barexistenzminimums als maßgeblicher Grenze, ohne
dass von der in § 1612b Abs. 1 BGB angeordneten Halb-
teilung des Kindergeldes abgewichen würde. Denn nach
wie vor verbleibt es zunächst bei dieser Halbteilung des
Kindergeldes, wie sie sich letztlich auch aus der in § 1606
Abs. 3 Satz 2 BGB festgestellten grundsätzlichen Gleich-
wertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt ergibt. Das
Unterhaltsrecht folgt damit auch dem Familienförderungs-
gesetz, wonach das Kindergeld gemäß § 31 EStG der steu-
erlichen Freistellung des Barexistenzminimums sowie des
Betreuungsbedarfs des Kindes dienen soll. Der Barunter-
haltsleistende wird jedoch so lange verpflichtet, die ihm zu-
stehende Hälfte des Kindergeldes für den Unterhalt des Kin-
des zu verwenden, bis das Barexistenzminimum des Kindes
gesichert ist. Ausgehend von den Erwägungen des Bundes-
verfassungsgerichts wäre auch eine Regelung, die das hälf-
tige Kindergeld beim Barunterhaltsverpflichteten zu dessen
freier Verfügung beließe, selbst wenn dieser das Existenz-
minimum des Kindes noch nicht sichergestellt hat, kaum
mehr zu rechtfertigen. Unberührt bleibt hiervon das Erfor-
dernis, in Mangelfällen auch den notwendigen Selbstbehalt
des Barunterhaltsverpflichteten zu wahren.

Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht dargelegt,
welcher Bedarf des Kindes zur Ermittlung der freizustellen-
den Unterhaltsleistungen im Einzelnen zu berücksichtigen
ist (2 BvL 42/93, dort unter C I. 5), und es hat dabei in glei-
cher Weise wie der von der Bundesregierung periodisch
vorgelegte Bericht über die Höhe des Existenzminimums
von Kindern und Familien (zuletzt auf Drucksache 14/
1926) die hiernach maßgeblichen Mindestbeträge unter Zu-
grundelegung des „Mehrbedarfes“ als Richtgröße für den
einzusetzenden Wohnbedarf des Kindes ermittelt. Für die
neue Regelung in § 1612b Abs. 5 BGB ist hiernach in glei-
cher Weise von dem Existenzminimumsbericht auszugehen.
Eine höhere Grenze als Bezugsgröße in § 1612b Abs. 5
BGB ließe sich nicht mit dieser Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts rechtfertigen.

Der Entwurf verzichtet dabei in dem neu gefassten § 1612b
Abs. 5 BGB darauf, das Barexistenzminimum des Kindes
autonom zu definieren, um nicht durch die Einführung einer
weiteren Bezugsgröße die ohnehin komplizierte Berech-
nung des Kindesunterhalts noch weiter zu erschweren. Viel-
mehr hat ein eingehender Abgleich der Entwicklung der
Beträge des Existenzminimums einerseits sowie der Regel-
beträge andererseits ergeben, dass die ohnehin beizubehal-
tenden Regelbeträge eine treffsichere Rechengrundlage
abgeben und dass sich hiernach das Existenzminimum mit
135 Prozent des jeweiligen, nach Altersgruppen gestaffelten
Regelbetrages darstellen lässt. Mit diesem Prozentsatz der
Regelbeträge wird zum einen sichergestellt, dass in allen
Altersgruppen an einen Barunterhalt in Höhe des Existenz-
minimums angeknüpft wird. Zum anderen gewährleistet

eine Verwendung der Relation 135 Prozent eine bruchlose
Umsetzung in der familiengerichtlichen Praxis; denn diese
richtet sich bei der Festlegung der Unterhaltshöhe grund-
sätzlich nach der Düsseldorfer Tabelle, in der bereits eine
solche Gruppe mit einem Prozentsatz von 135 Prozent aus-
gewiesen ist. Auch in Zukunft wird dabei zu beachten sein,
ob sich diese Korrelation als nachhaltig tragfähig erweist.

Zu Artikel 2

(Artikel 5 § 1 des Kindesunterhalts-
gesetzes)

Es handelt sich um eine Parallelregelung zu Artikel 1 Nr. 1.
Sie stellt bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensver-
hältnisse in den alten und neuen Bundesländern sicher, dass
die Fortschreibung der Regelbeträge jeweils auf der Grund-
lage der gebietsspezifischen Daten der Volkswirtschaft-
lichen Gesamtrechnung erfolgt.

Zu Artikel 4

(Unterhaltstitelanpassungsgesetz)

Die in diesem Gesetz enthaltenen Übergangsregelungen be-
inhalten Vorschriften über die Behandlung anhängiger Ver-
fahren (§ 1) und die Abänderung bestehender Schuldtitel
(§ 2).

Zu § 1

Die Vorschrift gibt den Parteien in anhängigen Rechtsstrei-
tigkeiten über den Unterhalt eines minderjährigen Kindes
Gelegenheit, eine vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ge-
schlossene mündliche Verhandlung wieder eröffnen zu las-
sen, damit sie ihre Ansprüche schon in diesem Rechtsstreit
auf das neue materielle Unterhaltsrecht umstellen können.

Zu § 2

Die Vorschrift regelt die Umstellung von Alttiteln über Kin-
desunterhalt auf die Anrechnung der kindbezogenen Leis-
tungen nach dem neugefassten § 1612b Abs. 5 BGB. Sie
wird auf Antrag für die Zeit nach Antragstellung in der
Weise vorgenommen, dass die Unterhaltsrente unter Beach-
tung dieser neuen Anrechnungsvorschrift festgesetzt wird.
Die Umstellung erfolgt im vereinfachten Verfahren nach
§ 655 der Zivilprozessordnung.

Zu Artikel 5

(Inkrafttreten, Außerkrafttreten)

Absatz 1 Satz 2 regelt das Inkrafttreten der hinzugefügten
unterhaltsrechtlichen Regelungen.

Absatz 2 enthält eine Außerkrafttretensregelung. Die Über-
gangsregelungen des Artikels 4 sollen nach fünf Jahren
außer Kraft treten. Es kann davon ausgegangen werden,
dass die überwiegende Anzahl der Titel bis dahin abgeän-
dert ist. Titel, die innerhalb dieses Zeitraums noch nicht um-
gestellt worden sind, können nach § 323 ZPO abgeändert
werden. Die Befristung dient damit der Rechtsbereinigung.

Berlin, den 28. Juni 2000

Margot von Renesse

Berichterstatterin

Ronald Pofalla

Berichterstatter

Volker Beck (Köln)

Berichterstatter

Rainer Funke

Berichterstatter

Sabine Jünger

Berichterstatterin

x

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