BT-Drucksache 14/3515

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom 26. bis 30. Juni 2000 in Genf-Weltsozialgipfel Kopenhagen + 5

Vom 7. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

07. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Ingrid Becker-Inglau, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler,
Rudolf Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki, Gernot Erler,
Gabriele Fograscher, Anke Hartnagel, Reinhold Hemker, Frank Hempel,
Ingrid Holzhüter, Barbara Imhof, Karin Kortmann, Konrad Kunick, Tobias Marhold,
Ulrike Mehl, Christoph Moosbauer, Albrecht Papenroth, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Dr. R. Werner Schuster,
Wieland Sorge, Joachim Tappe, Engelbert Wistuba, Hanna Wolf (München),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Claudia Roth (Augsburg),
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom 26. bis 30. Juni 2000 in
Genf – Weltsozialgipfel Kopenhagen + 5

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im März 1995 fand in Kopenhagen der Weltgipfel für soziale Entwicklung statt,
auf dem 134 Staats- und Regierungschefs eine 10 Verpflichtungen umfassende
Erklärung und ein Aktionsprogramm verabschiedeten. Die Hauptthemen des
Gipfels waren: Beseitigung der Armut, Förderung produktiver Beschäftigung
und soziale Integration. Zentrale Aussage von Kopenhagen war, dass die sozi-
ale Entwicklung den gleichen Rang wie die Wirtschaftsentwicklung hat. Das
Abschlussdokument betont sowohl die Eigenverantwortung der einzelnen Staa-
ten als auch der Staatengemeinschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme.

In der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom 26. bis 30. Juni
2000 in Genf sollen die Beschlüsse des Weltsozialgipfels Kopenhagen aus dem
Jahr 1995 bestätigt, aber nicht neu verhandelt werden. Ziel der Sondergeneral-
versammlung ist es, die bisherige Umsetzung des Weltgipfels zu überprüfen
und Maßnahmen zu beschließen, durch die die Erklärung und das Aktionspro-
gramm von Kopenhagen zukünftig weiter umgesetzt werden sollen.

Dabei müssen Entwicklungen wie z. B. die zunehmende Globalisierung, die so-
zialen Folgen von Finanzkrisen, die zunehmende Bedeutung der Zivilgesell-
schaft und die nach wie vor unzureichenden Chancen der Entwicklungsländer
im Welthandel eingebunden werden. Die Sondergeneralversammlung kann
wichtige Signale setzen, aber keine handelspolitischen Entscheidungen treffen,
für die die Welthandelsorganisation (WTO) zuständig ist.
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag sieht im Zusammenhang mit der Sondergeneralver-
sammlung und der Situation in vielen Ländern der Welt wichtigen Handlungs-
bedarf:



Die soziale Lage in der Welt ist einerseits durch die positive Entwicklung ei-
ner Reihe von Sozialindikatoren gekennzeichnet. Beispielhaft genannt seien
hier die Erhöhung der Lebenserwartung in vielen Ländern sowie die Schaf-
fung von Bildungs- und Basisgesundheitseinrichtungen. Auf der anderen
Seite haben Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Armut in vielen Ländern zu-
genommen ebenso wie das Wohlstandsgefälle zwischen verschiedenen Re-
gionen. Die Ursachen von Armut und Ungerechtigkeit sind vielschichtig und
liegen nicht zuletzt im gesellschaftlich-politischen Bereich der betroffenen
Länder selbst, aber auch an den internationalen Rahmenbedingungen. Für
Veränderungen ist daher politischer Wille zu Reformen notwendig, um die
Sozialentwicklung positiv zu beeinflussen. Soziale und wirtschaftliche Ent-
wicklung müssen Hand in Hand gehen. Soziale Gerechtigkeit ist eine Vor-
aussetzung für Frieden und Sicherheit innerhalb und zwischen den Staaten.



Die Verwirklichung der Menschenrechte, die Schaffung demokratischer
Strukturen und eine verantwortungsvolle Staatsführung sind von zentraler
Bedeutung für nachhaltige Entwicklung. Menschenrechtsverletzungen,
Misswirtschaft, Korruption oder der Ausschluss größerer Bevölkerungsteile
von politischen Entscheidungen können zu Krisen und gewalttätigen Konf-
likten führen.



Die weltweite Armut ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit,
der Abbau der Kluft zwischen arm und reich ein Gebot der Gerechtigkeit
und der Vernunft. Alle Länder und internationalen Organisationen sind sich
einig, dass die Bekämpfung der Armut zu den zentralen politischen Aufga-
ben innerhalb der einzelnen Staaten und in der internationalen Zusammenar-
beit gehört. Wichtig ist, die vorhandenen Erfahrungen und Erkenntnisse über
erfolgversprechende Strategien tatkräftig in der Praxis umzusetzen. Dazu
gehört es, die Armut als Problem mit vielfältigen Ursachen zu begreifen, an
den Ursachen anzusetzen und die Armen selbst sowie ihre legitimen Vertre-
terinnen und Vertreter in die Entscheidungen einzubeziehen.



Auf gemeinsamen Werten beruhende soziale Spielregeln der globalisierten
Wirtschaft, zu denen die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor-
ganisation (ILO) gehören, sollen die Lage der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer verbessern und ihnen einen gerechten Anteil an dem Wohlstand
ermöglichen, zu dem sie selbst beitragen. Dabei ist auch den Interessen der
Entwicklungsländer an der Aufrechterhaltung komparativer Wettbewerbs-
vorteile Rechnung zu tragen.



In den Verpflichtungen von Kopenhagen sind u. a. bereits das Verbot der
Zwangs- und Kinderarbeit, die Vereinigungsfreiheit, Gleichheit des Entgel-
tes für Frauen und Männer für gleichwertige Arbeiten enthalten.



In partizipatorischen, auf nachhaltige Entwicklung ausgerichteten Systemen
sind Bildung und Zugang zu Schule und Weiterbildung unabdingbar, damit
alle an dem Entwicklungsprozess im eigenen Lande teilnehmen können.
Millionen von Mädchen und Frauen sind von Bildungsmöglichkeiten ausge-
schlossen, weil sie nicht einmal die Chance haben, Lesen und Schreiben zu
lernen. Die Weltbank bezeichnet Bildung für Mädchen als wichtigste und
wirksamste Einzelinvestition überhaupt.



Armutsbekämpfung als ein wesentlicher Teil der globalen sozialen Entwick-
lung kann ohne eine verstärkte Bemühung um die Lösung von Umweltprob-
lemen wie z. B. Wasser, Wüstenbildung etc. nicht auskommen.
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II. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass

die Gesamtorientierung der deutschen Entwicklungspolitik den Beschlüssen
des Kopenhagener Gipfels entspricht und verschiedene Rahmenbedingungen
entscheidend durch die deutsche Einflussnahme mit verändert wurden, denn
nur strukturelle Veränderungen können soziale Entwicklungen in allen Politik-
bereichen verwirklichen helfen.

Armutsbekämpfung durch Reform der internationalen Rahmenbedingungen



es der Bundesregierung gelungen ist, anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in
Köln im Juni 1999 die erweiterte HIPC-Entschuldungsinitiative auf den Weg
zu bringen. Die Finanzierung ist auf der Herbsttagung von Internationalem
Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington 1999 beschlossen wor-
den. Die durch die Schuldenerleichterungen freiwerdenden Mittel sollen für
armutsmindernde Maßnahmen eingesetzt werden. Die Entschuldung soll den
Menschen in den Entwicklungsländern möglichst direkt zugute kommen,
d. h. das eigentliche Ziel der Entschuldung ist die Bekämpfung der Armut.
Um dies sicherzustellen, wird die Entschuldung in ein umfassendes Konzept
der Armutsbekämpfung eingebettet, dessen Kern die Erarbeitung und Umset-
zung länderspezifischer Strategien der Armutsbekämpfung (so genannte Pov-
erty Reduction Strategy Papers PRSP) ist und die den Orientierungsrahmen
für die nationale Politik wie auch für die unterstützenden Beiträge der Bretton
Woods Institutionen und anderer Geber bildet. Die Federführung für die Erar-
beitung der Strategie liegt dabei bei der Regierung des Landes unter Beteili-
gung der Zivilgesellschaft (Stichwort ownership) unterstützt von Weltbank,
IWF und den sonstigen Gebern. Die Programme des IWF für die ärmeren
Länder („Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität“) werden somit zu
integralen Bestandteilen dieser Strategien. Dies heißt, dass die Komplemen-
tarität der Programme des IWF zu den länderspezifischen Armutsbekämp-
fungsprogrammen gesichert wird. Dabei ist besonders wichtig, dass nunmehr
eine ausreichende Beteiligung der Zivilgesellschaft in den betroffenen Län-
dern gewährleistet ist. Dies ist eine fundamentale Änderung der bisherigen
Praxis, nach der die IWF-Programme sich auf makroökonomische Aspekte
beschränkten, ohne die sozialen Auswirkungen der Anpassungsprogramme
angemessen zu berücksichtigen.



die Bundesregierung zur Finanzierung der Gesamtinitiative der Entschul-
dung einen umfassenden Beitrag leistet. Sie wird, wenn seitens der Entwick-
lungsländer die notwendigen Reformen durchgeführt werden, ca. 30 Län-
dern bis zu insgesamt 10 Mrd. DM bilaterale Schulden erlassen. Rund
6 Mrd. DM entfallen auf Handelsschulden – einschließlich der Ex-DDR-
Schulden. Zirka 4 Mrd. DM sind Schulden aus der Finanziellen Zusammen-
arbeit. Die Bundesregierung wird darüber hinaus 150 Mio. DM direkt in den
Treuhandfonds einzahlen, der bei der Weltbank zur Unterstützung der multi-
lateralen Gläubiger bei der Finanzierung ihres Anteils an der Entschuldungs-
initiative eingerichtet worden ist. Insgesamt beträgt das Erlassvolumen
rd. 70 Mrd. US-$. Ein substantieller Beitrag von bis zu 1 Mrd. Euro wird
auch aus Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in die HIPC-
Entschuldung fließen. Im Durchschnitt ist damit zu rechnen, dass die Länder
nach der Entschuldung nur noch weniger als 10 % ihrer Exporteinnahmen
für den Schuldendienst ausgeben müssen.



Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem EU/Afrika-Gipfel in Kairo eine
weitere Initiative zur Streichung von Schulden der Staaten Afrikas bis zu
einer Höhe von insgesamt 700 Mio. DM angestoßen hat.
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– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Chancengleichheit zwischen Entwicklungs- und Industrieländern



im Zusammenhang mit der Verbesserung der internationalen Rahmenbe-
dingungen für die Entwicklungsländer die EU bereits erklärt hat, bis zum
Jahr 2003 für nahezu alle Exportprodukte der ärmsten Länder die Import-
zölle abschaffen zu wollen.



die Bundesregierung für eine Umstrukturierung des WTO-Instrumentariums
und -Verfahrens eintritt (beispielsweise für eine tatsächliche Beteiligung der
Entwicklungsländer an allen Abstimmungen), um den Bedürfnissen und der
Situation von Entwicklungsländern besser gerecht zu werden.

Soziale Grunddienste



in der internationalen Entwicklungspolitik soziale Grunddienste in den letz-
ten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. So hat die VN-
Sozialentwicklungskommission im Februar 1999 ihren Stellenwert bekräf-
tigt und wichtige Grundprinzipien aufgestellt.



die Bundesrepublik Deutschland von Beginn an die 20/20-Initiative unter-
stützt hat und die Sicherung sozialer Grunddienste als wichtigen Teil der
Armutsbekämpfung ansieht. Die 20/20-Initiative fordert Vereinbarungen in-
teressierter Industrie- und Entwicklungsländer, durchschnittlich 20 % der
öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit und 20 % des Staatshaushaltes
für soziale Grunddienste zu verwenden. Zu den sozialen Grunddiensten zäh-
len Grundbildung, Basisgesundheit einschließlich reproduktive Gesundheit
und Bevölkerungsprogramme, Ernährungsprogramme, Trinkwasserversor-
gung und Abwasserbeseitigung.



die Bundesregierung nicht nur intern bei der jährlichen Aufstellung der Rah-
menplanung für die Entwicklungszusammenarbeit auf die besondere Bedeu-
tung der sozialen Grunddienste hingewiesen hat, sondern das Thema anhand
einer Standardformulierung in bilaterale Regierungsverhandlungen mit Ent-
wicklungsländern eingebracht hat. In 20 Fällen sind beiderseitige Absichts-
erklärungen in den Protokollen enthalten so z. B. Niger, der Jemen, Jorda-
nien, Bolivien.

Kernarbeitsnormen



die Bundesregierung sich aktiv für die Einhaltung der Kernarbeitsnormen
und der Konvention gegen Kinderarbeit einsetzt. 1998 hat die ILO eine Er-
klärung über „Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ ange-
nommen. Das „Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maß-
nahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ wurde
im Juni 1999 auf der 87. Internationalen Arbeitskonferenz verabschiedet.
Die Bundesregierung unterstützt und fördert die ILO umfassend bei dem in-
ternationalen Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit.

Frauen



die Bundesrepublik Deutschland zu den 10 ersten Staaten gehört, die das im
März 1999 verabschiedete und im Oktober 1999 von der Generalversamm-
lung der Vereinten Nationen angenommene Zusatzprotokoll zu CEDAW der
von den Vereinten Nationen 1979 beschlossenen Konvention „Übereinkom-
men zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau“ gezeichnet haben. Das
Zusatzprotokoll eröffnet Frauen ein Individualbeschwerderecht, wenn sie
glauben, dass sie aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden sind.
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Zivilgesellschaft



das „Deutsche NRO-Forum Weltsozialgipfel“, zu dem sich über 40 deutsche
Nichtregierungsorganisationen (NRO) vor dem Weltsozialgipfel 1995 zu-
sammengeschlossen haben und das die Vorbereitung und Umsetzung der
Kopenhagener Beschlüsse durch die Bundesregierung mit Anregungen und
konstruktiver Kritik aktiv begleitet hat, auch in dem gegenwärtigen Vorberei-
tungsprozess durch Vertreterinnen/Vertreter des Forums an den Besprechun-
gen, der Erarbeitung von Papieren und Stellungnahmen sowie als Mitglied
der deutschen Delegation in den Vorbereitungsausschüssen in New York
beteiligt ist.



auch in Genf Repräsentanten von NRO, Stiftungen, des Deutschen
Gewerkschaftsbundes und der Arbeitgeberverbände vertreten sein und bera-
tend mitwirken werden.



unter Beteiligung der Bundesregierung in den bisherigen Vorbereitungstref-
fen erfolgreich eine Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure in Genf
für die Sondergeneralversammlung durchgesetzt werden konnte.

Nationale Umsetzung



die von der Bundesregierung bereits initiierten Maßnahmen zur Erfüllung der
Verpflichtungen und Beschlüsse von Kopenhagen auch auf der nationalen
Ebene umgesetzt sind. Beispielhaft genannt seien hier die Einführung eines
nationalen Armutsberichts, die Entlastung der Familien, die Reformanstren-
gungen zur Zukunftsfestigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme, das Pro-
gramm zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit und die Gespräche zum
Bündnis für Arbeit.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,



weiterhin auf eine Verbesserung der Koordination zur Umsetzung der Ziele
von Kopenhagen + 5 und der Entwicklungszusammenarbeit zwischen den
einzelnen Staaten der EU sowie mit der EU selbst hinzuwirken.



auf allen Ebenen, national und international, weiterhin alle Schritte anzustre-
ben und zu unterstützen, die die Eigeninitiative, Selbsthilfe und Selbstorgani-
sation sowie den Einsatz der produktiven Fähigkeiten zulassen und fördern,
da die Armen und Benachteiligten bereit und grundsätzlich fähig sind, sich
selbst zu helfen, wenn die äußeren Bedingungen stimmen.



sich weiterhin für die Verwirklichung der Menschenrechte, die Schaffung de-
mokratischer Strukturen und eine verantwortungsvolle Staatsführung, die
von zentraler Bedeutung für nachhaltige Entwicklung sind, einzusetzen.



dafür Sorge zu tragen, dass die Achtung der bürgerlichen und politischen wie
auch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie die Prinzi-
pien der Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, Berechenbarkeit und Kontrolle der
Verwaltung und die Orientierung aller politischen Entscheidungen an Priori-
täten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den Genfer Beschlüs-
sen verankert werden.

Entschuldung



sich aktiv für die weitere Umsetzung der erweiterten HIPC-Initiative einzu-
setzen und darauf zu achten, dass die im Rahmen der Entschuldung freiwer-
denden Mittel zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden.
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Chancengleichheit zwischen Entwicklungs- und Industrieländern



sich weiterhin, vor allem auf der Ebene der EU, für den weiteren Abbau von
Exportsubventionen und Handelsbarrieren der Industrieländer für Produkte
aus den Entwicklungsländern einzusetzen, insbesondere bei landwirtschaft-
lichen Erzeugnissen und Produkten der Textilindustrie.



sich dafür einzusetzen, dass bei der Festlegung von weiteren Liberalisierun-
gen die besondere Situation von Entwicklungsländern berücksichtigt wird.
Gegebenenfalls sollten Ausnahmeregelungen vereinbart werden.



verstärkt für eine Umstrukturierung des WTO-Instrumentariums und -verfah-
rens einzutreten, um den Bedürfnissen und der Situation von Entwicklungs-
ländern besser gerecht zu werden. Auch sollten die Entwicklungsländer, ins-
besondere die ärmsten, stärker an den Entscheidungsprozessen innerhalb der
WTO beteiligt werden.

Soziale Grunddienste und wirtschaftliche Entwicklung



sich dafür einzusetzen, dass in Genf Eckpunkte für Strategien zur Bekämp-
fung der Armut und Arbeitslosigkeit genannt und nationale Pläne mit Zeit-
zielen und konkreten Indikatoren gefordert werden. Solche Pläne müssen
eine kohärente Politik in allen Bereichen und auf allen Ebenen anstreben.
Dazu gehören auch soziale Grunddienste im Sinne der 20/20-Initiative und
soziale Sicherungssysteme. Zur Verringerung der Arbeitslosigkeit sind durch
die Verbindung einer beschäftigungsfördernden makroökonomischen Politik
mit Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen
möglichst hohe Synergieeffekte anzustreben. Berufliche Qualifizierungsmaß-
nahmen sind geeignete Mittel zur Erreichung des Zieles; Hauptakteure sind
neben der Regierung Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.



sich dafür einzusetzen, dass die 20/20-Initiative fortgeführt und fortent-
wickelt wird, auch im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
(EZ). In diesem Zusammenhang sollte die Bundesregierung darauf hinwir-
ken, dass die 20/20-Initiative in die entwicklungspolitische Gesamtstrategie
der EU-Kommission übernommen wird.



sich dafür einzusetzen, dass bei der von IWF und Weltbank angestrebten Ver-
koppelung von Entschuldung und Armutsbekämpfung in den HIPC-Ländern
die Förderung sozialer Grunddienste gemäß dem 20/20-Ansatz besonderer
Stellenwert eingeräumt wird.



darauf hinzuwirken, dass Mittel, die der multilateralen EZ unter Einschluss
der EU-Fonds zur Verfügung gestellt werden, auf die Einhaltung des Ziels
der Armutsbekämpfung unter besonderer Berücksichtigung der Förderung
sozialer Grunddienste angelegt sind.



sich dafür einzusetzen, dass die vorhandenen Erfahrungen und Erkenntnisse
über erfolgversprechende Strategien zur Reduzierung der Armut tatkräftig in
der Praxis umgesetzt werden und neue Initiativen, basierend auf den bisheri-
gen Erfahrungen, in den Genfer Beschlüssen verankert werden. Dazu gehört
es, Armut als ein Problem mit vielen Ursachen zu begreifen, an den Ursachen
anzusetzen und die Armen selbst sowie ihre legitimen Vertreterinnen und
Vertreter in die Entscheidungen einzubeziehen.



sich in Genf für die VN-Anerkennung und Aufnahme in die Genfer Be-
schlüsse des von der OECD/DAC beschlossenen Zieles einzusetzen, den An-
teil der in extremer Armut lebenden Menschen bis 2015 zu halbieren.



Wirtschaftsprozesse der Entwicklungsländer insbesondere unter dem Ge-
sichtspunkt der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit zu fördern.
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Kernarbeitsnormen und Sozialstandards



sich dafür einzusetzen, dass auf gemeinsamen Werten beruhende soziale
Spielregeln der globalisierten Wirtschaft, zu denen die Kernarbeitsnormen
der ILO gehören und die die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
verbessern und ihnen einen gerechten Anteil an dem Wohlstand ermöglichen,
geschaffen und vereinbart werden. Dabei ist auch den Interessen der Ent-
wicklungsländer an der Aufrechterhaltung komparativer Wettbewerbsvorteile
Rechnung zu tragen und dafür Sorge zu tragen, dass solche Sozialstandards
nicht für weiteren Protektionismus missbraucht werden.



sich für die Schaffung von Richtlinien für die soziale Verantwortung der
Wirtschaft, die Stärkung des sozialen Dialogs und sozialer Indikatoren einzu-
setzen sowie dafür, dass die Sondergeneralversammlung die Erarbeitung von
„Richtlinien für gute Sozialpolitik“ in Auftrag gibt, die von allen Ländern
und Entwicklungsorganisationen anzuwenden sind.



sich aktiv für die Einhaltung von Kernarbeitsnormen und dem Übereinkom-
men gegen Kinderarbeit einzusetzen, ebenso wie für die Aufnahme der For-
derung nach Ratifizierung bzw. Einhaltung dieser Normen in die Beschlüsse
der Sondergeneralversammlung.



sich im Rahmen neuer WTO-Runden über eine Intensivierung der Zusam-
menarbeit zwischen WTO und ILO hinaus dafür einzusetzen, dass die Frage
der sozialen Auswirkungen von Handelsreformen und Kernarbeitsstandards
diskutiert wird.



darauf hinzuwirken, dass die internationalen Organisationen (Weltbank, IWF,
UNDP) und die EU, die Kernarbeitsnormen in den Politikdialog mit den
Entwicklungsländern aufnehmen und dies mit noch zu prüfenden Ansätzen
bzw. Anreizen in der konkreten EZ zu verbinden. Insbesondere die Weltbank
ist weiter aufzufordern, die Thematik der Kernarbeitsnormen und Sozialstan-
dards aktiv in ihrer Politik und Strategiebildung mit ihren Partnern anzuspre-
chen und im Rahmen ihrer Sozial- und Strukturpolitik zu verankern.



sich für eine Stärkung der ILO in ihrer Durchsetzungskraft einzusetzen und
eine engere Zusammenarbeit der ILO mit anderen multilateralen Institutionen
(WTO, Weltbank, OECD/DAC) zu fördern.



auf der bilateralen Ebene die vielfältigen Ansätze zu nutzen, die sich im Rah-
men einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Unternehmen und Wirt-
schaftsverbänden ergeben, einen Beitrag zur Umsetzung der Kernarbeitsnor-
men zu leisten. Der neue Politikansatz Entwicklungspartnerschaften mit der
Wirtschaft (Public Private Partnership) sollte auch dazu genutzt werden, dass
der Staat und die private Wirtschaft Hand in Hand an einer sozial gerechten
und ökologisch nachhaltigen Zukunft arbeiten.

Frauen



die in der Koalitionsvereinbarung festgelegte, verstärkte Förderung wirt-
schaftlicher Unabhängigkeit von Grund- und Ausbildung sowie primärer Ge-
sundheitsversorgung für Frauen und Mädchen nachdrücklich umzusetzen und
dafür Sorge zu tragen, dass in den Genfer Beschlüssen der Zugang zu Bil-
dung für Frauen und Mädchen in den Katalog der wichtigen zukünftigen Um-
setzungsmaßnahmen aufgenommen wird. Der Förderung von Frauen und
Mädchen soll in allen Beschlüssen, Maßnahmen und Projekten, hier vor al-
lem auch PRSP, hohe Priorität eingeräumt werden.
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– 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode


sich für die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zu CEDAW „Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau“, das die Generalversamm-
lung der Vereinten Nationen im Oktober 1999 beschlossen hat, einzusetzen.

Zivilgesellschaft



die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor als eine
Voraussetzung für die nachhaltige Verbesserung der politischen, sozialen,
ökonomischen und ökologischen Entwicklung verstärkt zu fördern und sich
nachhaltig dafür einzusetzen, dass diese in Planung, Durchführung und Mo-
nitoring einbezogen werden und dass sie die Regierung z. B. bei Strategien
gegen Armut und Arbeitslosigkeit im Sinne eines sozialen Dialoges beraten,
insbesondere bei der Erarbeitung der im Rahmen der HIPC-Entschuldung
vorgesehenen nationalen Armutsstrategien (PRSP), welche nur in Zusam-
menarbeit mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erstellt werden
können.



darauf zu achten, dass in allen in Genf zu beschließenden neuen Initiativen
die Rolle der Zivilgesellschaft und des Privatsektors hervorgehoben wird.



NRO verstärkt finanziell zu fördern und sich dafür einzusetzen, dass ein Teil
der durch die HIPC-Entschuldung freiwerdenden Mittel zur Unterstützung
der Zivilgesellschaft eingesetzt werden. Auf diese Weise wird dazu beitragen,
dass die Zivilgesellschaft sich effizient und professionell an den Gestaltungs-
prozessen beteiligen kann.

Umwelt



sich verstärkt für eine Lösung der globalen Umweltprobleme einzusetzen,
insbesondere durch die Förderung regenerativer Energien, den Schutz der tro-
pischen Regenwälder, die Bekämpfung der Wüstenbildung und die Sicher-
stellung einer ausreichenden Trinkwasserversorgung.

Berlin, den 7. Juni 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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