BT-Drucksache 14/3388

Zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung - Frieden braucht Entwicklung

Vom 17. Mai 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3388
14. Wahlperiode 17. 05. 2000

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf
Bindig, Hans-Günter Bruckmann, Detlef Dzembritzki, Gernot Erler, Gabriele
Forgascher, Anke Hartnagel, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Ingrid Holzhüter,
Barbara Imhof, Karin Kortmann, Konrad Kunick, Tobias Marhold, Ulrike Mehl,
Christoph Moosbauer, Albrecht Papenroth, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm
Schmidt (Salzgitter), Dr. Emil Schnell, Dr. R. Werner Schuster, Joachim Tappe,
Engelbert Clemens Wistuba, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack,
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Frieden braucht Entwicklung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Entwicklungspolitik muss sich im Zeitalter der Globalisierung neu ausrich-
ten. Sie steht wie auch andere Politikfelder vor der Aufgabe ihre Rolle neu zu
bestimmen. Die gesellschaftliche und internationale Akzeptanz hängt von einer
realistischen Einschätzung ihrer Reichweite ab. Sie wird eine neue Legitima-
tion erlangen, wenn sie offen ihre Stärken und Möglichkeiten formuliert.

Entwicklungspolitik bezieht ihre Stärke aus einer langjährigen Erfahrung im
Dialog mit anderen Kulturen, Gesellschaften und politischen Systemen.

Sie wird ihren Stellenwert erhöhen, wenn mehr Menschen erkennen, dass
Zusammenarbeit zur Schlüsselfrage der kommenden Jahre wird.

Wir stehen am Beginn des 21. Jahrhunderts vor der Herausforderung, wie wir
die globale Zukunftsfähigkeit gewährleisten können.

Im internationalen Entwicklungsdiskurs spricht man von „der Herausforderung
mit einbezogen zu sein“ (the challenge of inclusion). Dieses gilt sowohl für
Länder hinsichtlich ihrer Integration in die wirtschaftlichen Austauschbezie-
hungen als auch für die ganz individuellen Entwicklungschancen eines jeden
Einzelnen.

Drucksache 14/3388 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwicklungspolitik wurde in den letzten zwei Jahrzehnten häufig als Projekt-
politik definiert. Die neue Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit ist vor-
rangig, nachhaltige internationale Strukturen und Regelwerke zu befördern.

Ziel ist es, die Globalisierung am Leitbild einer menschenwürdigen, nachhal-
tigen und damit zukunftsfähigen Entwicklung auszurichten.

Um die im Zeitalter der Globalisierung stark miteinander verknüpften Pro-
bleme gestalten und beeinflussen zu können, müssen die politischen Instru-
mente weiterentwickelt werden. In diesem Sinne ist Entwicklungspolitik inter-
nationale Strukturpolitik. Ihre Aufgabe besteht darin, die Rahmenbedingungen
einer nachhaltigen Entwicklung zu gestalten.

Dies geschieht im besten Fall durch die Unterstützung internationaler Regel-
werke, die den Entwicklungsländern neue Perspektiven eröffnen.

In einer wohlverstandenen Entwicklungspolitik verbindet sich ein aufgeklärtes
Eigeninteresse mit grundlegenden humanitären Werten. Die Politik folgt der
Erkenntnis, dass Entwicklungsprobleme nicht nur einzelne Länder betreffen,
sondern regionale oder auch globale Bedeutungen haben. Beispielsweise
können grenzüberschreitende Umweltprobleme (z. B. Stabilisierung des Welt-
klimas) nur miteinander bewältigt werden.

Die sozialen, politischen, ökologischen und ökonomischen Ziele der Ent-
wicklungspolitik (Armutsminderung und soziale Gerechtigkeit; Frieden,
Demokratie und Menschenrechte; Bewahrung der natürlichen Ressourcen;
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) werden nur erreicht, wenn
zugleich die Leistungsfähigkeit staatlicher Strukturen gestärkt und über eine
Förderung der Zivilgesellschaft die Beteiligung der Bevölkerung sichergestellt
wird. Ein fairer Ausgleich zwischen und in den Weltregionen, zwischen den
Generationen und Geschlechtern gehört zum Leitbild einer Entwicklungs-
politik, die auf eine menschenwürdige, nachhaltige und zukunftsfähige Ent-
wicklung in allen Ländern zielt.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt die entwicklungspolitischen Leistungen
der Bundesregierung und fordert, sie auf ihre Politik in folgenden Punkten
fortzuentwickeln:

1. Entwicklungspolitik als vorbeugende Sicherheits- und Friedenspolitik

Internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik ist vorbeugende
Friedenspolitik, ihre Instrumente zur Friedensentwicklung sollen deshalb aus-
gebaut werden. Der begonnene Aufbau des Zivilen Friedensdienstes ist ein
wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Die deutsche Politik zielt auf die längerfristige, strukturelle Vorbeugung. Auf-
gabe der Entwicklungspolitik ist deshalb, in den Partnerländern durch Verbes-
serung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhält-
nisse zum Abbau struktureller Ursachen von Konflikten sowie zur Förderung
von Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung beizutragen. Hierzu gehö-
ren die Stärkung von Friedenspotenzialen in den Partnerländern, die rechts-
staatliche Einbindung von Polizei und Militär sowie Versöhnungsarbeit. Die
deutsche Politik wirkt darauf hin, dass in den internationalen Beziehungen die
wirtschafts-, handels- und finanzpolitischen Instrumente und Institutionen stär-
ker auf Entwicklung und Frieden hin orientiert werden.

Die Bundesregierung hat sich die Verhütung und Lösung von Konflikten zum
Ziel gesetzt. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, Krisen- und Gewaltpotenti-
ale frühzeitig zu erkennen. In der Entwicklungspolitik werden daher Krisen-
indikatoren in die Länderstrategien integriert. Über ihr entwicklungspolitisches

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3388

Engagement hinaus hat die neue Bundesregierung die Friedens- und Konflikt-
forschung im Wissenschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland verankert
und die Einrichtung einer Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert.

Die Bundesregierung hat mit der Neufassung der „Politischen Grundsätze für
den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ eine restriktive
Rüstungsexportpolitik beschlossen. Exporte von Kriegswaffen und rüstungs-
relevanten Gütern in Länder außerhalb von NATO und EU werden nicht geneh-
migt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische
Interessen der Bundesrepublik Deutschland für eine Ausnahme sprechen und
diese nicht im Widerspruch zur Menschenrechtspolitik und einer Politik der
nachhaltigen Entwicklung stehen.

Humanitäre Soforthilfemaßnahmen im Ausland im Fall von Naturkatastrophen
und anderen Krisensituationen sowie die Nothilfemaßnahmen für Wiederauf-
bau und innerstaatliche Befriedung zum Zwecke der Friedenserhaltung und der
Konfliktbewältigung sollten enger mit der Entwicklungszusammenarbeit ver-
knüpft werden.

2. Soziale Grunddienste stärken – Arbeit fördern – Nachhaltigkeit anstreben

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit widmet sich vorrangig den Sekto-
ren, die sozialen Ausgleich bewirken, also Ausbildung und Gesundheit als
Voraussetzung für Arbeit, Abbau der Benachteiligung auch von ethnischen
Minderheiten. Programme, die der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und
rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Mädchen dienen, müssen vorrangig
gefördert werden. Dazu gehören Bildung, Gesundheitsfürsorge, HIV/AIDS-Be-
kämpfung, Familienplanung, Verfügung über Eigentum, auch an Grund und
Boden, und Zugang zu Krediten. Die Stellung der Frau wird darüber hinaus in
allen Projekten und Programmen berücksichtigt.

Die deutsche Entwicklungspolitik strebt partnerschaftliche Zusammenarbeit in
den Bereichen Bildung und Ausbildung, Gesundheit, Wissen, Information und
Technologie mit dem Ziel an, qualifizierte Arbeit in den Partnerländern zu för-
dern und die auf dem Weltsozialgipfel von Kopenhagen 1995 empfohlene
20:20-Initiative verstärkt umzusetzen.

Deutsche Entwicklungspolitik und private Wirtschaft können sich auf der Basis
von sozialer und ökologischer Kompetenz sowie wirtschaftlicher Effizienz er-
gänzen und dazu beitragen, Beschäftigung in den Partnerländern zu schaffen.
Die Bundesregierung fördert die Entwicklungszusammenarbeit mit der Wirt-
schaft im Sinne einer internationalen sozialen, ökologischen und ökonomischen
Partnerschaft mit dem Süden und dem Osten. Sie unterstützt gezielt auch über
klein- und mittelständische Betriebe den Ausbau des privatwirtschaftlichen
Sektors der Entwicklungsländer. Dies kommt auch deutschen Beschäftigungs-
interessen zugute, insbesondere in den Bereichen umweltfreundliche Technolo-
gien, Wind und Solarenergie, Photovoltaik, FCKW-Substitution, Wasserklein-
kraftwerke und anderen regenerativen Energien. Dazu gehört auch eine
verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der neuen Medien und neuen Informati-
ons- und Kommunikationstechnologien. Entwicklungspolitische Zielsetzungen
müssen dabei jedoch ausschlaggebend bleiben: Ausgangspunkt für die Förde-
rung ist der Beitrag zur sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Entwick-
lung des Partnerlandes.

In der Folge der Rio-Konferenz von 1992 für nachhaltige Entwicklung, insbe-
sondere zur Umsetzung der Agenda 21 unterstützt die Bundesregierung die
Erarbeitung und Implementierung nationaler Nachhaltigkeitsstrategien ebenso
wie Maßnahmen gegen vorrangige Umweltgefahren in den Partnerländern.

Drucksache 14/3388 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Diese Arbeit wird getragen von einem breiten Engagement auf allen Ebenen
des Bundes, der Länder und der Kommunen, das vermehrt entwicklungspoliti-
sche Maßnahmen zur Umsetzung der Agenda 21, aber auch – im Rahmen
lokaler Agenda-21-Prozesse – ein Umdenken in Deutschland anstrebt. Eine be-
sondere Rolle kommt dabei dem Zentrum für Internationale Zusammenarbeit
Bonn zu, das durch eine aktive Mitwirkung der Bundesregierung und der Bun-
desländer gestärkt werden soll.

Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, eine hohe Qualität von Entwick-
lungszusammenarbeit zu sichern. Dies umfasst auf europäischer und inter-
nationaler Ebene eine unabhängige Evaluierung von Maßnahmen in Entwick-
lungsländern. In der Bundesrepublik Deutschland sollen Bundesministerien
Projekte der internationalen Zusammenarbeit mit den Partnerländern aus-
werten. Ein Erfahrungsaustausch mit den Bundesländern über bereits vorlie-
gende Evaluierungen soll angestrebt werden.

3. Zivilgesellschaft, Demokratie und Menschenrechte stärken

Nach mehr als dreißigjähriger Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit
wird klar, dass deren Erfolg im Wesentlichen von der Entwicklungsorientierung
in den Partnerländern abhängt. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes-
regierung auf, verstärkt mit Regierungen bzw. Ländern zusammenzuarbeiten,
die bereit sind:

● rechtsstaatliche und effiziente politische und wirtschaftliche Rahmenbedin-
gungen für eine sozial und ökologisch verantwortliche Entwicklung zu
schaffen,

● Partizipation, Demokratie und Menschenrechte zu beachten und zu fördern,

● Reformen zur Bekämpfung der Armut, Umweltzerstörung, Korruption und
zur Minderung hoher Militärausgaben einzuleiten.

Die Bundesrepublik Deutschland fördert im Rahmen des Politikdialogs die Zu-
sammenarbeit mit den Parlamenten der Entwicklungsländer, der Schwellenlän-
der und der Transformationsländer.

Zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen soll die deutsche Entwick-
lungspolitik besonders Vorhaben zur Neuordnung der administrativen Struktu-
ren und zur Dezentralisierung sowie zur Reform und Stabilisierung der rechts-
staatlichen Strukturen in den Partnerländern unterstützen. Dies setzt voraus,
dass die Bevölkerung – Frauen und Männer – der jeweiligen Länder an Ent-
scheidungen über Prioritäten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, an
der Nutzung natürlicher Ressourcen und an der Kontrolle staatlichen Handelns
beteiligt wird. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei. Sie
wird helfen, die Funktionsfähigkeit staatlichen Handelns also Effizienz öffent-
licher Dienstleistungen, Stadtentwicklung und Wasserwirtschaft, Wirtschafts-
recht, Haushaltsplanung, Rechnungskontrolle, Steuerwesen, Justizwesen zu
sichern, wenn damit Orientierung an Prinzipien wie Transparenz, Verant-
wortlichkeit, Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Bürgernähe verbunden ist.

Diese entwicklungspolitische Aufgabe kann nur von allen gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Kräften gemeinsam gelöst werden. Dies gilt nicht nur für
die Partnerländer, sondern auch für uns. Die Bundesregierung arbeitet daher
eng mit Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaft und Gewerkschaften, Wis-
senschaft und Bildung, aber auch Ländern und Kommunen zusammen.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wertet die Frage der Menschen-
rechte in der Entwicklungszusammenarbeit und im Politikdialog auf. Dazu ge-
hört die aktive Mitwirkung an der internationalen Normenbildung, verstärktes

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/3388

Engagement im Rahmen der Arbeit der VN-Menschenrechtskommission und
die Beteiligung am Aufbau des unabhängigen deutschen Menschenrechtsinsti-
tuts. Die deutsche Entwicklungspolitik tritt für das Recht auf Entwicklung und
für die Einhaltung aller Menschenrechte ein. Dazu gehören die politisch-
bürgerlichen und gleichermaßen die wirtschaftlich-sozialen und kulturellen
Rechte, wie auch die in speziellen Konventionen vereinbarten Rechte der Ar-
beitnehmer. Sie stärkt die Frauen im Entwicklungsprozess und sie trägt dazu
bei, die Diskriminierung von Frauen und die Vorenthaltung ihrer Menschen-
rechte zu beenden. Sie strebt in Einklang mit den EU-Partnerländern auf
internationaler Ebene eine stärkere Berücksichtigung aller Menschenrechte in
Konzeption und Praxis der Arbeit der Internationalen Finanzinstitutionen, der
Welthandelsorganisation und der Organisationen der Vereinten Nationen sowie
eine engere Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
an.

Ein zentrales Ziel der Bundesregierung ist die Einhaltung der Rechte von
Kindern und Jugendlichen, vor allem von Mädchen. Dazu gehören insbeson-
dere verbesserte internationale Regelungen gegen ausbeuterische Kinderarbeit,
Kinderhandel, Genitalverstümmelung und gegen den Einsatz von Kinder-
soldaten. Der Beitrag der Kulturen der Völker, die nachhaltig sind und nicht die
Rechte der Frauen verletzen, werden von der Bundesregierung geachtet und
anerkannt.

4. Globale Strukturen gestalten – entwicklungspolitische Kohärenz fördern

Die Bundesrepublik Deutschland sollte die Initiativen für die Stärkung multi-
lateraler Entwicklungszusammenarbeit sowie für Reform, Effizienzsteigerung
und Kohärenz der Entwicklungsprogramme der EU und der VN und für eine
bessere Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und mit der deutschen
Entwicklungspolitik intensivieren. Dazu gehört die aktive Teilnahme an der
Diskussion um die politischen Schwerpunkte und Zielvorstellungen der Orga-
nisationen der EU und der VN. Sie muss sich dafür einsetzen, dass die VN
neben ihren sicherheitspolitischen Aufgaben ihre globale Verantwortung für
Entwicklung und Umwelt besser wahrnehmen können. Sie sollte insbesondere
die vom Entwicklungsprogramm der VN (UNDP) entwickelten Vorschläge,
mehr in menschliche Entwicklung, Arbeit und soziale Sicherheit zu investieren,
fördern.

Die Bundesregierung unterstützt die Reformbestrebungen zur weiteren
Stärkung der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) – Bretton-Woods-Insti-
tutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) und regionale
Entwicklungsbanken – als wichtige Instrumente globaler Politikgestaltung.
Hierbei geht es insbesondere um die Stärkung der Kompetenzen der Institutio-
nen im Hinblick auf eine sozial und ökologisch verträgliche Entwicklung sowie
ihre Rolle im Rahmen der Koordinierung. Im Sinne einer konstruktiven globa-
len Strukturpolitik sollte sie ihren Einfluss in IWF und Weltbank verstärken,
damit sich diese Institutionen auch in der Praxis am Leitbild einer menschen-
würdigen nachhaltigen Entwicklung orientieren.

Oberstes Ziel bleibt die Sicherung stabiler und nachhaltig funktionierender
Finanzmärkte als Motor für Wachstum und Beschäftigung. Die zentrale Rolle
dazu kommt auf internationaler Ebene dem IWF zu. Seine zukünftige Rolle ist
dementsprechend auszurichten.

Um den deutschen Einfluss im beschriebenen Sinne zu erweitern, sollte die
Bundesregierung entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen mobili-
sieren. Der Deutsche Bundestag fordert die Regierung auf, auch administrativ
innovative Wege in der multilateralen Politikgestaltung zu gehen (z. B. „task

Drucksache 14/3388 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

forces“ – zeitlich oder projektbegrenzt zur Bearbeitung und Bewertung interna-
tionaler Fragen, Förderung einer pluralen politiknahen Beratungsstruktur etc.).

Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich aktiv an der Fortentwicklung
der internationalen Finanzarchitektur. Diese soll Einfluss auf das weltweite
Wirtschaftsgeschehen ermöglichen, ohne die jeweiligen Wirtschaftspolitiken
aus ihrer Verantwortung zu entlassen, und die Interessen der Entwicklungs- und
Transformationsländer berücksichtigen.

Die Untersuchungen von IWF/Weltbank, der Bank für internationalen Zah-
lungsausgleich und zahlreiche anderer Gremien und Institutionen haben auf die
Schwächen des bestehenden Finanzsystems hingewiesen (spekulative Wäh-
rungs- und Kapitaltransaktionen, kurzfristige spekulative Anlagen in Entwick-
lungs- und Schwellenländern, die Existenz sog. Off-shore-Zentren, eine unbe-
friedigende Einbeziehung der beteiligten privaten Finanzinvestoren an der
Lösung von Finanzkrisen).

Es ist nachdrücklich zu begrüßen, dass die Bundesregierung die von ihr vorge-
schlagene, international vereinbarte Entschuldungsinitiative fortsetzt. Die im
Rahmen der Entschuldungsinitiative beschlossene Bindung von Entschuldung
und weiterer Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit an die Erarbeitung
partizipativer Armutsbekämpfungsstrategien durch die Partnerländer bietet Ge-
währ für einen effizienten und zielgerichteten Einsatz der durch Entschuldung
freiwerdenden finanziellen Mittel.

Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass eine möglichst zügige Umsetzung der
Entschuldung erfolgt. Die Bundesregierung sollte sich in diesem Sinne für eine
Klärung offener Fragen und Entscheidungen bis zur Herbsttagung von IWF
und Weltbank einsetzen. Die nationalen Strategien bilden zugleich den konzep-
tionellen Rahmen für die Koordinierung der Geberbeiträge. Die Bundesre-
gierung soll sich auch an der Umsetzung der Initiative in den Partnerländern
beteiligen. Sie wird die Kosten der Entschuldungsinitiative aus dem Gesamt-
haushalt decken.

Erstmals sollen in den Entwicklungsländern selbst zwischen den Regierungen,
der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft Strategien der Armutsbekämpfung
gemeinsam beraten werden. In diese gemeinsame Strategien sollen auch die
bilateralen Geber einbezogen werden.

Die Bundesregierung setzt sich für international verbesserte Chancen der Ent-
wicklungsländer, für die Beteiligung am Welthandel, für den Abbau protektio-
nistischer Maßnahmen und Handelsbarrieren gegenüber den Entwicklungs-
ländern ein. Desgleichen sollte sie eine Fortentwicklung der Welthandels-
organisation (WTO) unter Einbeziehung sozialer und ökologischer Kriterien
sowie eine bessere Transparenz und Beteiligung aller Mitglieder fördern. Eine
enge Zusammenarbeit mit der ILO ist dabei unabweisbar.

Wenn sich in den Industrieländern nicht die Bereitschaft erhöht, den Entwick-
lungsländern neue Einkommensmöglichkeiten zu erschließen, z. B. durch ver-
besserten Marktzugang, wird ein nachhaltiges Wachstum kaum ermöglicht
werden können. Auch durch noch so gute Projekte der Entwicklungszusam-
menarbeit kann dieses Manko nicht ausgeglichen werden. In dieser Frage kann
die Bundesregierung eine Vorreiterrolle in der EU einnehmen.

Die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt darf nicht deren Be-
mühungen behindern, den Aufbau einer eigenständigen Wirtschaft und einer
eigenen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik zu verfolgen. Die Programme
der Länder sollten sozial verantwortlich und ökologisch nachhaltig ausgerichtet
sein. Auch im Rahmen des Schutzes „geistigen“ Eigentums müssen die Interes-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/3388

sen der Entwicklungsländer berücksichtigt werden, wie z. B. beim Schutz ge-
netischer Ressourcen.

Nicht nur auf globaler und europäischer Ebene, sondern auch bei uns muss Ent-
wicklungspolitik in eine entwicklungspolitisch kohärente Gesamtpolitik einge-
bettet werden. Entwicklungspolitik setzt sich daher auch in Deutschland für die
systematische Beachtung der Belange einer nachhaltigen Entwicklung ein.

Im Rahmen der Außenwirtschaftspolitik sollte durch die Reform der sog. Her-
mes-Bürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen
Kriterien sowie vergleichbarer Regelungen im Rahmen der OECD die Kohä-
renz erhöht werden.

Entwicklungspolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im Rahmen von
entwicklungspolitischer Aufklärungs- und Bildungsarbeit sollen Ziele und An-
liegen der am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung orientierten Eine-Welt-
Politik transparent und die Bedeutung globalen Lernens verständlich gemacht
sowie die notwendige gesellschaftliche Unterstützung verstärkt gewonnen wer-
den.

Berlin, den 17. Mai 2000

Adelheid Tröscher
Brigitte Adler
Ingrid Becker-Inglau
Rudolf Bindig
Hans-Günter Bruckmann
Detlef Dzembritzki
Gernot Erler
Gabriele Forgascher
Anke Hartnagel
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Ingrid Holzhüter
Barbara Imhof
Karin Kortmann
Konrad Kunick
Tobias Marhold

Ulrike Mehl
Christoph Moosbauer
Albrecht Papenroth
Dagmar Schmidt (Meschede)
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Dr. Emil Schnell
Dr. R. Werner Schuster
Joachim Tappe
Engelbert Clemens Wistuba
Hanna Wolf (München)
Dr. Peter Struck und Fraktion

Dr. Angelika Köster-Loßack
Hans-Christian Ströbele
Kerstin Müller (Köln)
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