BT-Drucksache 14/1529

Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben

Vom 3. September 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1529
14. Wahlperiode 03. 09. 99

Antrag
der Abgeordneten Petra Bläss, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn,
Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, Dr. Heidi Knake-Werner, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer,
Heidemarie Lüth, Christina Schenk, Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der
Fraktion der PDS

Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Trotz einiger Erfolge ist die Gleichstellung von Frauen und Männern nach wie
vor nicht verwirklicht. Immer noch sind Frauen strukturell in vielfältiger Wei-
se benachteiligt.

Als wesentliches Hemmnis erweist sich dabei die geschlechtsspezifische Ar-
beitsteilung. Noch immer sind in erster Linie Frauen für die Reproduktions-
arbeit zuständig. Diese für eine Gesellschaft überlebensnotwendigen Tätig-
keiten werden von vielen Frauen unbezahlt oder unterbezahlt verrichtet.
Damit sind sie ökonomisch abhängig – vom Ehegatten und/oder vom Staat.

Die wirtschaftliche Gleichstellung und finanzielle Unabhängigkeit von Frau-
en ist wesentliche Vorraussetzung, um das Staatsziel „Durchsetzung der tat-
sächlichen Gleichberechtigung von Frauen“ zu erreichen. Alle hier lebenden
Frauen müssen das Recht auf ein eigenständiges existenzsicherndes Einkom-
men mit sozial- und rentenrechtlicher Absicherung haben.

2. Obwohl eine steigende Erwerbstätigkeit von Frauen festgestellt werden kann,
führte diese nicht zu ihrer Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind viel-
fach in geringer qualifizierten und entlohnten Teilzeitarbeitsverhältnissen und
überdurchschnittlich in Formen ungesicherter Beschäftigung tätig. In beson-
derem Maße sind dabei Frauen betroffen, die einer mehrfachen Diskriminie-
rung ausgesetzt sind, wie z. B. Migrantinnen. Dies gilt auch für Frauen mit
Behinderungen, die nicht selten in eine Ausbildung und Erwerbstätigkeit ge-
zwungen werden, die auf den häuslichen und Dienstleistungsbereich be-
schränkt bleiben.

Im Zuge des deutschen Einigungsprozesses wurde die Gleichstellung von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Westen nicht weiterentwickelt – stattdessen
sind die Arbeitsmarktchancen für Frauen im Osten dramatisch gesunken. Fast
zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen sind Frauen aller Altersgruppen. Bun-
desdeutsche Arbeitsmarkt- und Lohnstrukturen vergrößern die Einkommens-
differenz zwischen Frauen und Männern.

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3. Das bestehende rechtliche und tarifliche Regelwerk geht immer noch von le-
benslanger Vollzeiterwerbstätigkeit von der Berufsausbildung bis zum Errei-
chen der Altersgrenze aus. Tatsächlich sind solche Erwerbsverläufe – wenn
überhaupt – lediglich für Männer die Norm. Sie unterstellen Haushaltsstruk-
turen mit einem in der Regel männlichen Vollzeiterwerbstätigen und eine
überwiegende Zuständigkeit der Frau für Hausarbeit und Kinderbetreuung,
die allenfalls Raum für eine mehrfach unterbrochene, zeitlich reduzierte Er-
werbsarbeit mit geringeren Chancen auf Qualifikation und Ausbildung läßt.
Ein so verstandenes „Normalarbeitszeitverhältnis“ entspricht immer weniger
den Ansprüchen von Frauen und Männern und steht einer gleichberechtigten
Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit im Wege.

4. Junge Frauen haben bei qualifizierten Schulabschlüssen junge Männer mitt-
lerweile übertroffen. Trotzdem erhalten sie ein Jahr nach der Ausbildung ein
Einkommen, das durchschnittlich bereits rund 20 % unter dem der Männer
liegt.

Bei einem Blick auf die tatsächliche Ausbildungssituation wird deutlich, dass
geschlechtsspezifische Aufteilungen bei der Berufswahl fortbestehen. Junge
Frauen entscheiden sich vorwiegend für die typisch „weiblichen“ Ausbil-
dungsberufe in Büro, Textilverarbeitung und Verkauf. 54 Prozent aller weib-
lichen Auszubildenden lernten 1997 in nur zehn Ausbildungsgängen. Zu er-
kennen ist sogar ein zurückgehendes Interesse der jungen Frauen an
„Männerberufen“.

Derzeit sind 50 Prozent der Mädchen, die einen Ausbildungsplatz suchen,
noch nicht vermittelt; der Ausbildungsnotstand hat für Mädchen katastropha-
le Auswirkungen. Sie werden in schlechtbezahlte Berufe gedrängt, die wenig
Chancen bieten, oder müssen in schulischen Maßnahmen Warteschleifen zie-
hen, bis sie einen Ausbildungsplatz finden.

5. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Bereich der Wissenschaft eine
Männerdomäne. Zwar steigt der Anteil von Frauen bei den Studierenden kon-
tinuierlich an. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden betrug 1997
43 Prozent; im Sommersemester 1995 überschritt der Frauenanteil unter den
Studienanfängerinnen/Studienanfängern mit 51,2 Prozent erstmals die 50-
Prozent-Schwelle. In den zentralen Positionen und Entscheidungsgremien ist
der Frauenanteil jedoch nach wie vor verschwindend klein.

Die Institutionalisierung von Hochschulfrauen-/-gleichstellungsbeauftragten
ist als ein großer Erfolg zu bewerten, dennoch hat sich an der grundlegenden,
patriarchalen Struktur von Wissenschaft und Hochschule wenig geändert. Die
männlich geprägten Qualifikationsstrukturen an der Hochschule haben zur
Folge, dass der inzwischen gestiegene Frauenanteil bei den Studierenden kei-
ne Entsprechung bei den höheren Qualifikationsstufen findet. Männerbündi-
sche Rekrutierungsstrategien sorgen für kaum zu durchbrechende Zugangs-
barrieren für Frauen. Hier bedarf es grundlegender struktureller Reformen,
die die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen – unabhängig von Ge-
schlecht und Herkunft – gewährleisten.

6. Es ist begrüßenswert und überfällig, dass die Bundesregierung die Gleichstel-
lung von Frauen und Männern zu einem großen gesellschaftlichen Reform-
projekt machen will. Solange die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
nicht so gestaltet sind, dass sie eine tatsächliche Chancengleichheit ermögli-
chen, sind positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen unerläßlich.

Strukturelle Diskriminierungen von Gruppen können jedoch nicht allein auf
der individuellen Ebene bekämpft werden. Gruppenbezogene Ansätze – wie
beispielsweise die Quote – müssen darüber hinaus Anwendung finden.

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Die im Rahmen des von der Bundesregierung vorgelegten Programms „Frau und
Beruf“ vorgestellten Maßnahmen sind völlig unzureichend, um die Gleichstel-
lung von Frauen und Männern im Erwerbsleben entscheidend voranzubringen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Entwurf für ein arbeitsrechtliches Gleichstellungsförderungsgesetz zu
erarbeiten und vorzulegen, das öffentlichen Dienst und Privatwirtschaft ver-
pflichtet und durch Sanktionen anregt, den Anteil von Frauen systematisch
so lange zu erhöhen, bis dieser mindestens 50 % in allen Bereichen und auf
allen Ebenen beträgt. Bestandteil des Gesetzes sollen sein:

– die Einführung einer Pflicht zu gleichstellungsfördernden Maßnahmen,
wie die Einführung von Gleichstellungsplänen, Quotenregelungen und der
Institution einer Gleichstellungsbeauftragten in allen Betrieben und
Dienststellen, die regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmerinnen/Arbeitneh-
mer beschäftigen.
Die Gleichstellungsbeauftragten sind durch die weiblichen Beschäftigten
zu wählen, Freistellungsregelungen, Mitwirkungs- und Initiativrechte mit
der Möglichkeit der Anrufung einer Vermittlungsstelle müssen gewähr-
leistet sein;

– die Quotierung der Personal- und Betriebsräte und die Ausweitung ihrer
Kompetenzen im Bereich der Gleichstellung,

– Geldbußen bei Verstößen gegen die Gleichstellungsfördermaßnahmen,

– die Verbesserung der bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz
der Beschäftigten vor sexueller Belästigung,

– ein wirksames Verbot geschlechtsspezifischer Benachteiligungen: Die
Schadensersatzansprüche bei Zuwiderhandlungen müssen ausgeweitet
und ergänzt werden; Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers/der
Arbeitgeberin,

– ein Katalog mit Fördermaßnahmen für besonders benachteiligte Frauen,
wie z. B. Frauen mit Behinderungen, die geeignet sind, die vorhandenen
Zugangsbarrieren abzubauen;

2. frauendiskriminierende Festlegungen im Arbeitsförderungsgesetz zu korri-
gieren, durch

– die Gleichstellung von Betreuungs- und Pflegezeiten mit einer sozialver-
sicherungspflichtigen Beschäftigung,

– den Abbau von Zugangsbarrieren für Frauen zu Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktförderung,

– die verbindliche Quotierung aller arbeitsmarktpolitischen Instrumente und
Regelungen,

– die Erweiterung der Rechte der Beauftragten für Frauenbelange in den Ar-
beitsämtern;

3. eine Klagebefugnis für Verbände und Kommissionen, die die Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen im Erwerbsleben zum Satzungsziel ha-
ben, gesetzlich zu verankern;

4. gleichstellungspolitische Regelungen für die Wirtschaftspolitik des Bundes,
der Länder und der Kommunen zu schaffen,

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Rechtsgrundlage dafür schafft,
die Vergabe von Aufträgen, Fördermitteln und Subventionen der öffentli-

Drucksache 14/1529 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

chen Hand grundsätzlich an gleichstellungspolitische Maßnahmen zu bin-
den,

– in den wirtschafts- und strukturpolitischen Programmen des Bundes si-
cherzustellen, dass qualifizierte und zukunftsträchtige Beschäftigungs-
möglichkeiten für Frauen eröffnet werden und durch eine Verknüpfung
von Gleichstellungspolitik mit Arbeitsmarktpolitik der Zugang von Frau-
en tatsächlich verbessert wird;

5. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung
und Berufstätigkeit für Frauen und Männer garantiert. Das Gesetz soll

– Frauen und Männern während der unterschiedlichen Phasen ihrer Eltern-
schaft eine tatsächliche Wahlfreiheit garantieren zwischen voller Erwerbs-
tätigkeit, einer zeitweisen Freistellung oder einer vorübergehenden Ar-
beitszeitreduzierung,

– Frauen und Männer motivieren, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit pa-
ritätisch miteinander zu teilen,

– Kindern ein alters- und bedarfsgerechtes, öffentlich gefördertes Betreu-
ungsangebot sichern,

– dazu beitragen, dass Kinderbetreuung über den engen familialen Rahmen
hinaus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird;

6. einen Gesetzentwurf zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung vorzulegen,
der dazu beiträgt, ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot an
Ausbildungsplätzen sicherzustellen;

7. Maßnahmen zu initiieren, die geeignet sind, den Anteil von Frauen in Wissen-
schaft und Forschung wirkungsvoll zu erhöhen. Dazu gehören insbesondere:

– eine Dienstrechtsreform, die die Erwerbsbiographien von Frauen ange-
messen berücksichtigt und dazu beiträgt, die Chancengleichheit für Frauen
zu verwirklichen;

– außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind bei gleichstellungspoliti-
schen Maßnahmen und Regelungen explizit mit einzubeziehen.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert,

8. einen Entwurf für die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes vorzulegen, der
beschäftigungs- und gleichstellungspolitisch orientiert ist und der einen Kauf-
kraftverlust ausschließt. Der Entwurf soll

– eine Begrenzung der zulässigen wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf
40 Stunden beinhalten und

– die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bei sieben Stunden festschreiben.

Den Flexibilisierungsanforderungen der Unternehmen müssen rechtlich ab-
gesicherte Arbeitszeitoptionen entgegengestellt werden, die die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer entsprechend ihrer Interessenlage und jeweili-
gen Lebenssituation in Anspruch nehmen können und die die Vereinbarkeit
von Erwerbs- und Familienarbeit sicherstellen. In der Regelung der individu-
ellen Reduzierung von Arbeitszeit ist der Grundsatz der Freiwilligkeit und das
Rückkehrrecht auf einen Vollzeitarbeitsplatz festzuschreiben.

Berlin, den 1. September 1999

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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