BT-Drucksache 14/1194

Agrarreform in der Entwicklungszusammenarbeit einen höheren Stellenwert geben

Vom 18. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1194
14. Wahlperiode
18. 06. 99
Antrag
derAbgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Detlef Dzembritzki, Gabriele Fograscher, Iris Follak, Frank Hempel, Gustav Herzog, Marianne Klappert, Karin Kortmann, Werner Labsch, Tobias Marhold, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Karsten Schönfeld, Dr. R. Werner Schuster, Jella Teuchner, Matthias Weisheit, Heino Wiese (Hannover), Waltraud Wolff (Zielitz), Heide Wright, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Agrarreform in der Entwicklungszusammenarbeit einen höheren Stellenwert geben
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veranstaltete Weltkonferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung (WCARRD) hat vor genau 20 Jahren die Durchführung und Förderung von Agrarreformen gefordert und sich intensiv den Fragen der praktischen Umsetzung gewidmet. Folgende Komponenten des Aktionsplans (The Peasants' Charter, 1980) verdeutlichen den ganzheitlichen Charakter von Agrarreformbemühungen:
• Zugang zu Land, Wasser und anderen natürlichen Ressourcen
• Partizipation
• Integration der Frauen
• Zugang zu Krediten, Märkten und Dienstleistungen
• Entwicklung von außerlandwirtschaftlichen Aktivitäten, wie z.B. im handwerklichen Bereich
• Bildung, Ausbildung.
An diesen grundsätzlichen Forderungen hat sich trotz veränderter Rahmenbedingungen in vielen Entwicklungsländern nichts geändert.
Die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung eines Landes wird entscheidend durch die Ausgestaltung der Bodenordnung bestimmt. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen diesem elementaren Agrarverfas-sungselement und Machtfragen in den betroffenen Gesellschaften ist unbestritten. Wesentlich beeinflußt sind dadurch Ausmaß und Richtung wirtschaftlicher Entwicklung, Fragen der politischen Partizipation und der Zivilgesellschaft sowie Dimensionen der Umweltzerstörung.
Agrarreformen sind von großer Bedeutung für die verbesserte Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung, wie es im Artikel 11 des internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankert ist. Mit dem Artikel 11.2 des WSKR-Paktes sind die Mitgliedstaaten völkerrechtlich zu Reformen ihrer landwirtschaftlichen Systeme verpflichtet, um das Recht auf Nahrung der besonders gefährdeten Gruppen zu gewährleisten. Gerade in Ländern, in denen viele landlose und kleinbäuerliche Familien keinen oder zu wenig Zugang zu produktiven Ressourcen haben und gleichzeitig eine hohe Landbesitzkonzentration vorherrscht, sind Agrarreformen aus menschenrechtlicher Sicht unerläßlich.
Die Forderung nach Agrarreformen steht im Einklang mit der VN-Erklärung zum Recht auf Entwicklung vom Oktober 1993, in der Entwicklung definiert wird als „ein umfassender ökonomischer, gesellschaftlicher, kultureller und politischer Prozeß, der auf die ständige Verbesserung des Wohlstandes der gesamten Bevölkerung und aller Individuen abzielt und der auf der freien, aktiven und wesentlichen Teilnahme aller an der Entwicklung und an der gerechten Verteilung des aus ihr entstehenden Nutzens beruht".
Die Staaten der Weltgemeinschaft haben auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro mit der Verabschiedung der Agenda 21 bekräftigt, daß Politik- und Agrarreformen zu den wichtigsten Instrumentarien einer nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung gehören. Auf der Nachfolgekonferenz in New York wurde 1997 das „Programme for the further Implementation of Agenda 21" verabschiedet. Dieses Programm stellt wie schon die Agenda 21 aus dem Jahre 1992 die Bedeutung von nationalen Strategien heraus. Bis 2002 sollen die Vertragsstaaten auf Nachhaltigkeit ausgerichtete nationale Strategien verabschieden.
Beim Welternährungsgipfel im November 1996 in Rom wurde die Bedeutung von Agrarreformpolitiken zur Überwindung von Hunger und Armut erneut unterstrichen. Im Aktionsplan von Rom verpflichteten sich die Regierungen, „den Zugang zu Land und anderen natürlichen und produktiven Ressourcen in gleicher Weise für Frauen und Männer zu verbessern, insbesondere, wo nötig, durch die effektive Umsetzung von Landreformen und die effiziente Nutzung der natürlichen und landwirtschaftlichen Ressourcen".
Trotz der immer wieder bekräftigten Verpflichtung für Agarreformen sind in den vergangenen Jahren in vielen Ländern Agrarreformprozesse ins Stocken geraten. Es ist besorgniserregend, daß einerseits die Staatengemeinschaft zwar mit einer Vielzahl an Deklarationen und Konferenzen für Agrarreformen plädiert hat und in vielen Ländern eine Agrarreform aus menschenrechtlichen Gründen unverzichtbar ist, andererseits aber diese Programme in kaum einem Land eine konsequente Umsetzung erfahren. Vielmehr sind Agrarreformprozesse in einigen Ländern im Zeichen der seit einigen Jahren rahmensetzenden Strukturanpassungsprogramme gestoppt worden.
Agrarreformen können weltweit der Schlüssel zur Lösung eines Bündels von Problemen sein. Dabei werden nicht nur makro- und mikroökonomische Entwicklungen positiv beeinflußt, sondern es geht für die betroffenen Menschen, etwa die Millionen von landlosen Landarbeitern in Brasilien und vielen anderen Ländern, um die Chance auf ein menschenwürdiges Leben.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat bereits in der Vergangenheit die Bedeutung von Agrarreformen anerkannt. Erforderlich ist jedoch, daß die Entwicklungszusammenarbeit der Unterstützung von Agrarreformen auf bilateraler wie auf multilateraler Ebene einen höheren Stellenwert einräumt als bisher. Gerade angesichts der zu verzeichnenden Defizite bei
der Umsetzung von Aktionsplänen von Weltkonferenzen wie der WCARRD und des Welternährungsgipfels sind hier neue Initiativen unumgänglich.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
• den Agrarreformen in der Entwicklungszusammenarbeit auf bilateraler und multilateraler Ebene eine hohe Priorität einzuräumen;
• die vorgesehene internationale Konferenz zur Überprüfung der Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans des Welternährungsgipfels sollte sich in besonderem Maße auch der Umsetzung des Aktionsplans der Weltkonferenz über Agrarreform und ländliche Entwicklung widmen und auch das Spannungsverhältnis der Strukturanpassungsprogramme zu den Agrarreformprozessen in Entwicklungsländern untersuchen;
• in der internationalen Debatte um Agrarreformen deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß der Zugang der ländlichen Armen zu produktiven Ressourcen über Land- und Landwirtschaftsreformen in vielen Ländern zu den Grundvoraussetzungen einer sozial und wirtschaftlich nachhaltigen Entwicklung gehört sowie positive Auswirkungen auf die politische Partizipation und Demokratisierungsprozesse impliziert;
• Agrarreformen als zentrale Maßnahme für eine verbesserte Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung zu unterstützen, in Anerkennung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten, als einzelne und bei ihrer Kooperation das Maximum ihrer Ressourcen einzusetzen, um fortschreitend die volle Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte zu gewährleisten (Artikel 2 WSKR-Pakt);
• bei allen Länderkonzepten, im politischen Dialog, bei der Projektauswahl und bei der multilateralen Abstimmung der Entwicklungszusammenarbeit die Unterstützung von Agrarreformbemühungen der Partnerländer deutlicher in den Vordergrund zu stellen, insbesondere hinsichtlich der Kooperation auf institutioneller Ebene, etwa um vorhandene Agrarreformbehörden in den Partnerländern in Fragen der Organisationsstruktur und Effektivität;
• die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen, die für die Umsetzung von Agrarreformen eintreten, auszuweiten, insbesondere wenn sie sich für den gleichberechtigten Zugang der Frauen zu produktiven Ressourcen, die Sicherheit indigener Gemeinschaften über ihr Land oder den Schutz der Menschenrechte.
Bonn, den 18. Juni 1999
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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