BT-Drucksache 14/1129

Entwurf eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volktsentscheid (dreistufige Volksgesetzgebung)

Vom 9. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1129
14. Wahlperiode

09. 06. 99

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
Heidemarie Lüth, Petra Pau, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Entwurf eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren
und Volksentscheid (dreistufige Volksgesetzgebung)

A. Problem
Meinungsumfragen signalisieren eine zunehmende Politik-, Politi-
ker- und Parteienverdrossenheit. Viele Bürger beklagen fehlende
bzw. unzureichende Möglichkeiten, unmittelbarer in den politischen
Prozeß eingreifen zu können, wenn sie ihre Interessen nicht oder
nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Sie fühlen sich mehr als Ob-
jekte der parlamentarischen Demokratie denn als Subjekte demo-
kratischer Willensbildung. So macht das Wort von der „Zuschauer-
demokratie“ die Runde.
Repräsentative parlamentarische Demokratie ist unabdingbar, aber
auch entwicklungs- und ergänzungsbedürftig. Ohne eine Ergän-
zung durch Elemente der unmittelbaren Demokratie – dies ist eine
Grundstimmung, die sich besonders in den Jahren nach der Ver-
einigung Deutschlands verstärkt und gefestigt hat – sind die Bür-
gerinnen und Bürger mit der parlamentarischen Demokratie un-
zufrieden.
Der Wunsch der Bevölkerung nach direkter Mitwirkung an der
Gesetzgebung ist durch demoskopische Umfragen sowie die bereits
bestehende Praxis in den einzelnen Bundesländern belegt. Dieser
Wille, über Sachfragen auch selbst zu entscheiden, findet im beste-
henden repräsentativen System des Grundgesetzes keinen Nieder-
schlag.

B. Lösung
Die vom Parlamentarischen Rat für das Grundgesetz verhängte „ple-
biszitäre Quarantäne“ (Otmar Jung) muß beendet werden, um den
Bürgerinnen und Bürgern erweiterte und unmittelbarere Möglich-
keiten zu geben, aktiv an öffentlichen Entscheidungen mitzuwirken.
Der Übergang von einer „Zuschauer- zu einer Teilhabedemokratie“
verlangt die verfassungsrechtliche Verankerung und gesetzliche
Ausgestaltung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid (Volksgesetzgebung). Ein Gesetz über die dreistufige Volks-
gesetzgebung ist geeignet, dieses Demokratiedefizit auf Bundes-
ebene zu beseitigen.

Drucksache 14/1129 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Da die Anzahl der zu erwartenden Volksinitiativen, Volksbegehren
und Volksentscheide offen ist, kann eine Prognose der genauen
Kosten nicht erstellt werden. Die Mittel sollten durch Etatkürzungen
beim Bundesverfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst und
bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher-
heitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
aufgebracht werden.
Um die Kosten zu reduzieren, sollten Volksabstimmungen, soweit
möglich, auf den Tag einer Bundestagswahl gelegt werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1129

Entwurf eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
(dreistufige Volksgesetzgebung)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates
das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des
Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung und Ergänzung

des Grundgesetzes
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch-
land vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert
durch ..., wird wie folgt geändert:
1. Artikel 20 Abs. 2 erhält folgende Fassung:

„(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie
wird vom Volke in Wahlen sowie durch Volksin-
itiative, Volksbegehren und Volksentscheid (drei-
stufige Volksgesetzgebung) und durch besondere
Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt
und der Rechtsprechung ausgeübt.“

2. Artikel 76 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt gefaßt:

„(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage
durch die Bundesregierung, aus der Mitte des
Bundestages, durch den Bundesrat, durch Volks-
initiative und durch Volksbegehren eingebracht.“

b) Absatz 2 Satz 1 wird wie folgt gefaßt:
„Vorlagen der Bundesregierung, des Bundestages,
durch Volksinitiativen bzw. Volksbegehren sind
zunächst dem Bundesrat zuzuleiten.“

3. Artikel 79 Abs. 2 erhält folgende Fassung:
„(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung
von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages
und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Bei
einem Volksentscheid über ein verfassungsänderndes
Gesetz ist die Zustimmung von zwei Dritteln der
abgegebenen gültigen Stimmen erforderlich. Minde-
stens 25 Prozent der Stimmberechtigten müssen ihre
Stimme abgegeben haben.“

4. In Artikel 93 wird in Absatz 1 nach Nummer 2a
eine neue Nummer 2b mit folgendem Wortlaut einge-
fügt:
„2b. bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer

Volksinitiative oder eines Volksbegehrens nach
Artikel 20 Abs. 2 auf Antrag der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages;“.

Artikel 2
Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren

und Volksentscheid
(dreistufige Volksgesetzgebung)

§ 1
Volksgesetzgebung

Das Volk übt das Recht der Gesetzgebung unmittelbar
über die Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid (dreistufige Volksgesetzgebung) aus. Volksent-
scheide können auch auf Beschluß des Deutschen Bun-
destages durchgeführt werden.

§ 2
Volksinitiative

(1) Die Wahlberechtigten haben das Recht, Gesetz-
entwürfe und Beschlußentwürfe zu Gegenständen der
politischen Willensbildung (Volksinitiativen) in den
Bundestag einzubringen, mit denen sich der Deutsche
Bundestag zu befassen hat.
(2) Volksinitiativen zum Bundeshaushalt und finanz-
wirksame Volksinitiativen bedürfen eines Finanzie-
rungsvorschlages.
(3) Der Träger der Volksinitiative ist ein rechtsfähiger
Verein nach § 21 BGB.
(4) Volksinitiativen, die ein Grundrecht in seinem
Wesensgehalt antasten oder durch die die Gliederung des
Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der
Länder bei der Gesetzgebung sowie die in den Artikeln 1
und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, sind
unzulässig.
(5) Die Volksinitiative ist an den Präsidenten des
Deutschen Bundestages zu richten. Sie muß einen ausge-
arbeiteten und mit Gründen versehenen Gesetzentwurf
oder einen ausgearbeiteten und mit Gründen versehenen
Beschlußentwurf zu einem Gegenstand der politischen
Willensbildung beinhalten.
(6) Die Volksinitiative muß von mindestens 100 000
Wahlberechtigten unterzeichnet sein. Der Unterschrif-
tenbogen muß neben der persönlichen Unterschrift
den vollständigen Wortlaut des Gesetzentwurfs oder
des Beschlußentwurfs zu einem Gegenstand der poli-
tischen Willensbildung, die fortlaufende Numerierung
der Unterschriften, den Namen, Vornamen, Tag der
Geburt, den Wohnort und die Anschrift der Unter-
zeichner sowie das Datum jeder Unterschriftsleistung
enthalten.

Drucksache 14/1129 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

(7) Die Volksinitiative muß drei Vertrauenspersonen
sowie drei Stellvertreterinnen oder Stellvertreter benennen,
die berechtigt sind, im Namen der Volksinitiative verbind-
liche Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.
(8) Wenn die Volksinitiative zustande gekommen ist,
hat der Träger der Volksinitiative Anspruch auf Er-
stattung der Kosten einer angemessenen Information
über die Ziele der Volksinitiative. Die Kosten werden
mit 50 Deutsche Mark je 100 gültige Unterschriften
pauschalisiert.
(9) Der Deutsche Bundestag hat sich innerhalb von
sechs Monaten mit der Volksinitiative zu befassen. Hat
er Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit, so muß er
unverzüglich das Bundesverfassungsgericht anrufen. Das
Bundesverfassungsgericht hat innerhalb von drei Mona-
ten zu entscheiden.
(10) Die Träger der Volksinitiative haben das Recht
auf Anhörung in den Ausschüssen und im Plenum des
Deutschen Bundestages.
(11) Der Deutsche Bundestag kann dem Gesetzent-
wurf oder dem Beschlußentwurf zu einem Gegenstand
der politischen Willensbildung nur in unveränderter
Form zustimmen, es sei denn, die Vertrauenspersonen
erklären sich, vor der Abstimmung im Deutschen Bun-
destag, gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bun-
destages mit der Änderung einverstanden.

§ 3
Volksbegehren

(1) Stimmt der Deutsche Bundestag einem Gesetzent-
wurf oder einem Beschlußentwurf einer Volksinitiative
innerhalb von sechs Monaten nicht zu, hat der Träger der
Volksinitiative frühestens zwei Monate nach der Ableh-
nung das Recht, ein Volksbegehren durchzuführen. Die
dem Volk vorzulegende Frage ist jeweils so zu stellen,
daß sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann.
Sie darf vom Gegenstand der Frage der Volksinitiative
nicht wesentlich abweichen.
(2) Volksbegehren, die ein Grundrecht in seinem We-
sensgehalt antasten oder durch die die Gliederung des
Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Län-
der bei der Gesetzgebung, die in den Artikeln 1 und 20
niedergelegten Grundsätze berührt werden, sind unzu-
lässig.
(3) Volksbegehren, die mit Mehrausgaben verbunden
sind, müssen Regelungen enthalten, wie durch Aus-
gabenkürzungen oder Mehreinnahmen diese Mehraus-
gaben aufzubringen sind.
(4) Das Volksbegehren ist unter Abdruck des mit
einer Begründung versehenen Gesetzentwurfs oder Be-
schlußentwurfs unter Mitteilung der Namen und An-
schriften der Vertrauenspersonen und ihrer Stellvertrete-
rinnen oder Stellvertreter sowie in Absprache mit ihnen
vor Beginn des Volksbegehrens in einer Drucksache des
Deutschen Bundestages zu veröffentlichen.
(5) Die Unterstützung des Volksbegehrens geschieht
durch Eintragung in Listen. Die Eintragslisten sind ent-

sprechend den Vorschriften in § 2 Abs. 6 von den Trä-
gern des Volksbegehrens auszugestalten und öffentlich
auszulegen. Die Träger des Volksbegehrens können von
den Gemeindebehörden verlangen, die Listen zur Ein-
tragung bereitzuhalten und die Drucksache des Deut-
schen Bundestages innerhalb der Eintragsfrist auszu-
legen. Die Prüfung und Bestätigung der Unterschriften
erfolgt durch die Gemeinden.
(6) Ein Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn
mindestens eine Million Wahlberechtigte innerhalb von
sechs Monaten dem Volksbegehren im Wege der Unter-
schriftensammlung durch die Träger der Volksinitiative
zugestimmt haben. Ein Volksbegehren, das eine Ände-
rung des Grundgesetzes anstrebt, bedarf der Zustimmung
von zwei Millionen Wahlberechtigten.
(7) Der Präsident des Deutschen Bundestages gibt das
Gesamtergebnis des Volksbegehrens in einer Drucksache
des Deutschen Bundestages bekannt.
(8) Die Träger des erfolgreichen Volksbegehrens
haben Anspruch auf die Erstattung der Kosten einer
angemessenen Information der Öffentlichkeit. Die Ko-
sten werden mit 150 Deutsche Mark pro 100 gültige
Unterschriften pauschalisiert.

§ 4
Volksentscheid

(1) Entspricht der Deutsche Bundestag nicht innerhalb
einer Frist von drei Monaten dem Volksbegehren, so
findet frühestens sechs Monate, spätestens neun Monate
nach dem Abschluß eines erfolgreichen Volksbegehrens
ein Volksentscheid statt.
(2) Den Tag des Volksentscheids bestimmt der Präsi-
dent des Deutschen Bundestages.
(3) Ein konkurrierender Gesetzentwurf oder Be-
schlußentwurf, der durch die Bundesregierung oder aus
der Mitte des Deutschen Bundestages im Deutschen
Bundestag einzubringen ist, kann mit zur Abstimmung
gestellt werden, falls er die Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages erhält. Der Deutsche Bundesrat kann einen
eigenen konkurrierenden Gesetzentwurf beschließen. Die
Träger des Volksbegehrens haben das Recht, konkurrie-
renden Entwürfen eine Stellungnahme anzufügen.
(4) Vor dem Volksentscheid hat der Präsident des
Bundestages den mit Gründen versehenen Gesetzentwurf
oder Beschlußentwurf des Volksentscheids sowie den
konkurrierenden Entwurf oder die konkurrierenden Ent-
würfe den Wahlberechtigten bekanntzugeben.
(5) Ein Gesetzentwurf oder Beschlußentwurf ist durch
Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der
Abstimmenden entsprechend den Wahlrechtsgrundsätzen
des Artikels 38 Grundgesetz zugestimmt hat. Es zählen
nur die gültigen Ja- und Nein-Stimmen. Bei Stimmen-
gleichheit ist der Entwurf abgelehnt.
(6) Ein verfassungsänderndes Gesetz bedarf der Zu-
stimmung von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.
Mindestens 25 Prozent der Stimmberechtigten müssen
ihre Stimme abgegeben haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/1129

(7) Bei mehreren dem Volk zur Entscheidung vor-
gelegten Gesetzentwürfen oder Beschlußentwürfen hat
jede/jeder Stimmberechtigte so viele Stimmen, wie Ent-
würfe zur Abstimmung stehen. Haben bei einer Abstim-
mung über mehrere Gesetzentwürfe oder Beschlußent-
würfe, die den gleichen Gegenstand betreffen, mehrere
die erforderliche Mehrheit erlangt, so ist der Gesetz-
entwurf angenommen, für den die größere Zahl von
Ja-Stimmen abgegeben wurde.
(8) Der Bund erstattet den Ländern zugleich für ihre
Gemeinden die entstandenen Kosten.
(9) Den Antragstellern werden die notwendigen
Kosten eines angemessenen Abstimmungskampfes
erstattet. Die Erstattung wird mit 20 Deutsche Mark je
100 gültige Ja-Stimmen für den Gesetzentwurf oder
Beschlußentwurf der Antragsteller pauschalisiert.

§ 5
Verwendung von Vorschriften

des Bundeswahlgesetzes
Die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes in der Fas-
sung der Bekanntmachung vom ... über
1. die Einteilung der Wahlkreise in Wahlbezirke,
2. die Öffentlichkeit der Wahlhandlung und unzulässige

Wahlpropaganda,
3. die Bildung und Tätigkeit der Wahlorgane,
4. die Wahlehrenämter,
5. die Aufstellung, Führung und Auslegung der Wahl-

verzeichnisse und Erteilung von Wahlscheinen,
6. die Wahrung des Wahlgeheimnisses,
7. die Briefwahl,
8. die Anfechtung von Entscheidungen und Maßnahmen

im Wahlverfahren
sind entsprechend anzuwenden.

§ 6
Feststellung des Ergebnisses, Ausfertigung

und Verkündung
(1) Das Präsidium des Deutschen Bundestages stellt
das Ergebnis des Volksentscheides fest und macht es
bekannt. Gegen diese Feststellung ist Beschwerde beim
Bundesverfassungsgericht zulässig; § 48 des Bundesver-
fassungsgerichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 11. August 1993 gilt entsprechend.
(2) Ein durch Volksentscheid angenommenes Gesetz
wird vom Präsidenten des Deutschen Bundestages aus-
gefertigt und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

§ 7
Anwendung der Bundesabstimmungsordnung

Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist,
gelten für das Abstimmungsverfahren, die Feststellung
des Ergebnisses des Volksentscheides und die Ermächti-
gung zum Erlaß von Rechtsverordnungen die Bestim-
mungen des Gesetzes über das Verfahren bei Volksent-
scheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Arti-
kel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vom 30. Juli 1979 ent-
sprechend.

§ 8
Anfechtung

(1) Für die Anfechtung von Entscheidungen und
Maßnahmen, die sich direkt auf das Verfahren zur
unmittelbaren Gesetzgebung des Bundes beziehen, findet
§ 49 des Bundeswahlgesetzes sinngemäß Anwendung.
(2) Aus Anlaß von Streitigkeiten zu diesem Gesetz
entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Artikel 3
Das Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.

Bonn, den 9. Mai 1999

Dr. Evelyn Kenzler
Roland Claus
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Heidemarie Lüth
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 14/1129 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung
A. Allgemeines

In der Öffentlichkeit und in der gesellschaftswissenschaftli-
chen Literatur wird seit langem die fehlende unmittelbare
Einflußnahme der Bürgerinnen und Bürger auf die Gesetz-
gebung, die mangelhafte Repräsentanz der Bürgerinnen und
Bürger durch die Abgeordneten und das Parlament beklagt.
Das bestehende parlamentarische System gewährleistet
weder eine befriedigende Beteiligung der Abgeordneten an
wichtigen parlamentarischen Entscheidungen noch vermag
sie zu sichern, daß die Interessen und der Wille der von den
parlamentarischen Entscheidungen betroffenen Bürgerinnen
und Bürger in der Gesetzgebung und Staatspolitik aus-
reichend zum Tragen kommen. Als handlungsfähig und
bestimmend im Gesetzgebungsprozeß erscheinen vielmehr
hauptsächlich die Regierung, die Parteien- und Fraktions-
spitzen, die Ministerien und die Bundestagsverwaltung,
weniger aber die einzelnen Abgeordneten und das Plenum
der Abgeordneten und schon gar nicht die Bürgerinnen und
Bürger selbst.
Das Bedürfnis bei den Bürgerinnen und Bürgern nach
unmittelbarer Mitwirkung am Gesetzgebungsgeschehen
ist keine zufällige und zeitweilige Erscheinung, sondern
hat seine Ursache im Entwicklungsstand unserer Ge-
sellschaft. Das gewachsene Demokratiebedürfnis von
„unten“ gerät zunehmend in Widerspruch zu den recht-
lichen Formen, Strukturen und Verfahren, die gewisser-
maßen von „oben“ vorgegeben sind. Die Behinderung
von Demokratieentwicklung riskiert den Stillstand und
damit den schleichenden Tod der Demokratie.
Im Interesse der Demokratie ist es deshalb an der Zeit,
die repräsentative Demokratie durch direktdemokrati-
sche Elemente zu ergänzen und zu verstärken.
Die Einführung eines dreistufigen Verfahrens der Volks-
gesetzgebung ist ein wesentlicher Schritt in diese
Richtung. Nachdem Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid nunmehr in allen Bundesländern einge-
führt sind und von den Bürgerinnen und Bürgern in
Anspruch genommen werden, muß die Volksgesetzge-
bung auch auf Bundesebene ermöglicht werden. Wie
erste Erfahrungen zeigen, führen diese neuen Instru-
mente dort, wo sie genutzt werden, nicht zuletzt auch zu
einer Erhöhung der Verantwortlichkeit der repräsentativ-
demokratischen Institutionen und stärken somit das ge-
samte demokratische System. Es stehen der Einführung
eines dreistufigen Verfahrens der Volksgesetzgebung auf
Bundesebene also weder aktuell noch historisch negative
Erfahrungen entgegen. Auch bedeutet die bisherige Ent-
scheidung für eine überwiegend repräsentative Demo-
kratie kein Verbot von plebiszitären Elementen.

B. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1
Mehr Demokratie durch Einführung einer Volksgesetz-
gebung zu „wagen“ ist ohne Änderung der Verfassung
nicht möglich.

Artikel 20 Abs. 2 muß geändert werden, um das Demo-
kratieprinzip „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“
zeitgemäß mit mehr Leben zu erfüllen, indem direkt-
demokratische Elemente verstärkt in Gesellschaft und
Staat zur Anwendung kommen können. Der Begriff
„Abstimmungen“ ist deshalb durch „Volksinitiative,
Volksbegehren und Volksentscheid (dreistufige Volks-
gesetzgebung)“ zu ersetzen.
Artikel 76 Abs. 1 und 2 ist zu ändern, da das bisherige
Initiativrecht für die Einbringung von Gesetzesvorlagen
durch die Volksinitiative und das Volksbegehren erweitert
wird. Der Kreis der Berechtigten wird somit größer.
Volksinitiative und Volksbegehren sind deshalb auch
wie Vorlagen der Bundesregierung bzw. des Deutschen
Bundestages dem Bundesrat zuzuleiten.
Da Volksentscheide grundsätzlich auch auf eine Änderung
des Grundgesetzes zielen können, ist Artikel 79 Abs. 2
zwangsläufig dahin gehend zu ändern, daß für sie ebenso
wie bei einer Verfasssungsänderung durch Gesetz eine
qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen
gültigen Stimmen erforderlich ist. Zudem wird hier –
gemäß der Bedeutung des Grundgesetzes – ein Quorum
von mindestens 25% der abgegebenen Stimmen einge-
führt. Das Quorum erscheint in dieser Höhe als angemes-
sen, um einerseits eine Verfassungsänderung auf diesem
Wege nicht zu leicht zu machen und damit die Verfassung
leichtfertig „aufs Spiel zu setzen“ sowie andererseits keine
kaum überwindbare Hürde aufzubauen.
Durch Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2b soll sichergestellt werden,
daß auch Volksinitiativen und Volksbegehren auf ihre
Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsge-
richt überprüft werden können. Diese Vorschrift sichert
die Verfassungskonformität der Volksgesetzgebung.

Zu Artikel 2
Das „Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid (dreistufige Volksgesetzgebung)“ ist das
Ausführungsgesetz zu den in Artikel 1 vorgenommenen
Ergänzungen bzw. Änderungen des Grundgesetzes (Ar-
tikel 20 Abs. 2, Artikel 76 Abs. 1 und 2, Artikel 79
Abs. 2 und Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2b) zur Einführung der
dreistufigen Volksgesetzgebung. Die Regelung des kon-
kreten Verfahrens ist notwendig, um die plebiszitäre
Demokratie funktionsfähig zu gestalten. Dadurch, daß
die Bürgerinnen und Bürger den politisch staatlichen
Entscheidungsprozeß zu bestimmten Fragen unmittelbar
bestimmen können, wird Volkssouveränität real und die
Übernahme von politischer Verantwortung für den ein-
zelnen Menschen erlebbar.

Zu § 1
Klargestellt wird, daß die dreistufige Volksgesetzgebung
die politisch-rechtliche Form ist, im Rahmen derer das
Volk unmittelbar das Recht auf Gesetzgebung ausübt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/1129

Zu § 2
In Ausführung des Artikels 20 Abs. 2 Grundgesetz wird
die Volksinitiative als erste Stufe der Volksgesetzgebung
geregelt.
Absatz 1 bestimmt den Kreis der zur Volksinitiative
Berechtigten (die Wahlberechtigten), die Gegenstände
der Volksgesetzgebung (Gesetzentwürfe und Beschluß-
entwürfe zu Gegenständen der politischen Willensbil-
dung), den Charakter der Volksinitiative als Befassungs-
auftrag an den Deutschen Bundestag sowie die Frist,
innerhalb derer sich der Deutsche Bundestag mit der
Volksinitiative zu befassen hat (sechs Monate).
Absatz 2 bestimmt, daß Volksinitiativen zu finanzwirk-
samen Gesetzen möglich sind, aber eines ausgearbeiteten
konkreten Finanzierungsvorschlages bedürfen, um auf
diese Weise eine verantwortungsbewußte Diskussion um
die Finanzierung eines Gesetzesvorschlages oder eines
Beschlußentwurfs zu einem Gegenstand der politischen
Willensbildung zu befördern.
Nach Absatz 3 ist ein rechtsfähiger Verein Träger
der Volksinitiative (d. h. ein nichtwirtschaftlicher Ver-
ein, der durch Eintragung in das Vereinsregister des
zuständigen Amtsgerichts Rechtsfähigkeit besitzt) nach
den §§ 21 und 24 ff. des BGB.
Absatz 4 bekräftigt die Klauseln des Artikels 19 Abs. 2
und des Artikels 79 Abs. 3 Grundgesetz, nach denen in
keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt
eingeschränkt werden darf und Grundgesetzänderungen
ihre Schranke in den in den Artikeln 1 und 20 Grundge-
setz niedergelegten Grundsätzen finden. Wesensgehalt
wird dabei als ein Kernbestand der Grundrechte verstan-
den, der nach allen Beeinträchtigungen der Grundrechts-
schutzgüter Bestand hat. „Der Wesensgehalt eines
Grundrechts darf nach dem klaren Wortlaut des Ar-
tikels 19 Abs. 2 Grundgesetz in keinem Fall angetastet
werden; die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein
solcher Eingriff ausnahmsweise trotzdem zulässig sei, ist
gegenstandslos“ (BVerfGE 7, 377, 411). Volksinitiativen
etwa zur Beseitigung des Asylrechts oder des Rechts auf
Unverletzlichkeit der Wohnung, zur Einführung der
Todesstrafe oder zur Beseitigung der parlamentarischen
Demokratie sind demnach unzulässig.
Absatz 5 bestimmt, daß die Volksinitiative an die Präsi-
dentin oder den Präsidenten des Deutschen Bundestages
zu richten ist. Der Gesetzentwurf bzw. der Beschlußent-
wurf der politischen Willensbildung ist mit Gründen zu
versehen.
Die in Absatz 6 festgelegte Eingangshürde von 100 000
Unterschriften ist angemessen. Bagatellinitiativen wer-
den dadurch vermieden. Die vorgesehene Gestaltung der
Unterschriftenbogen ermöglicht eine Überprüfung der
Unterschriften auf ihre rechtmäßige Abgabe. Dabei geht
der Gesetzgeber davon aus, daß die Unterschriften frei
gesammelt werden. Eine Frist ist nicht vorgesehen. Sie
würde eine unnötige Hürde bedeuten.
Absatz 7 regelt, daß vom Träger der Volksinitiative (hier
als rechtsfähiger Verein zu verstehen) drei Vertrauensper-
sonen sowie drei Stellvertreterinnen oder Stellvertreter zu
benennen sind, die die Stellung eines gesetzlichen Vertre-
ters der Volksinitiative nach § 26 BGB haben. Diese Re-

gelung schafft klare Verantwortlichkeitsstrukturen und
dient der Praktikabilität der Volksgesetzgebung.
Nach Absatz 8 hat der Träger der Volksinitiative An-
spruch auf Erstattung der Kosten einer angemessenen
Information über den Gesetzentwurf bzw. den Be-
schlußentwurf der Volksinitiative. Volksinitiativen sind
eine Form der Mitwirkung an der politischen Willensbil-
dung des Volkes. Es liegt deshalb nahe, sie, soweit sie
erfolgreich sind, im gewissen Maße aus öffentlichen
Mitteln zu finanzieren. Eine derartige Kostenerstattung
ist auch fester Bestandteil der neueren Gesetzgebung der
Bundesländer zur Volksgesetzgebung.
Dem Befassungsauftrag muß der Deutsche Bundestag nach
Absatz 9 innerhalb von sechs Monaten nachkommen. Die
Einführung einer solchen Frist ist erforderlich, um einen
zügigen Fortgang der Volksgesetzgebung sicherzustellen.
Andernfalls könnte eine Initiative Gefahr laufen, daß die
Verwirklichung ihres Anliegens durch Zeitablauf unmög-
lich wird.
Der Deutsche Bundestag muß das Bundesverfassungsge-
richt anrufen, falls seinerseits verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen. Die Frist von drei Monaten, inner-
halb derer das Bundesverfassungsgericht entscheiden
soll, ist gerechtfertigt, um zu verhindern, daß der Fort-
gang der Volksgesetzgebung unnötig verzögert wird.
Absatz 10 bestimmt, daß die Träger einer erfolgreichen
Volksinitiative ein Anhörungsrecht in den entsprechen-
den Bundestagsausschüssen und im Plenum haben, das
auch die Anhörung der Sachverständigen, die von dem
Träger benannt werden, einschließt.
Nach Absatz 11 kann der Deutsche Bundestag, soweit
nicht die Vertrauenspersonen mit einer Änderung einver-
standen sind, dem Gesetzentwurf oder Beschlußentwurf
nur in unveränderter Form zustimmen. Diese Regelung
ist erforderlich, da ansonsten die Gefahr besteht, daß das
eigentliche Anliegen unterlaufen, verändert oder gar
verfälscht wird.

Zu § 3
§ 3 regelt die zweite Stufe der Volksgesetzgebung: das
Volksbegehren.
Absatz 1 stellt klar, daß nach Ablauf der Sechs-Monats-
Frist auf Verlangen des Trägers der Volksinitiative ohne
ein weiteres Genehmigungsverfahren ein Volksbegehren
zum Gegenstand der Volksinitiative begonnen werden
kann. Dies kann frühestens zwei Monate nach Ableh-
nung durch den Deutschen Bundestag geschehen. Die
Möglichkeit einer Änderung des Volksbegehrens gegen-
über der Volksinitiative erscheint sinnvoll, um auf Be-
schlüsse des Deutschen Bundestages oder auf die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts zu reagieren,
wenn dies lediglich einen Teil der Volksinitiative für
verfassungswidrig erklärt hat.
Absatz 2 bekräftigt noch einmal ausdrücklich die
Schranken, die das Grundgesetz für Grundrechtsein-
schränkungen und für Verfassungsänderungen festlegt,
um keinerlei Zweifel auch an den Grenzen der Volksge-
setzgebung aufkommen zu lassen.

Drucksache 14/1129 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Absatz 3 bestimmt, daß Volksbegehren zu finanz-
wirksamen Gesetzentwürfen oder Beschlußentwürfen im
Falle von Mehrausgaben Festlegungen dahin gehend
enthalten müssen, wie die entsprechenden finanziellen
Mittel durch Mehreinnahmen oder Einsparungen aufge-
bracht werden. Dies dem Deutschen Bundestag und
Bundesrat zu überlassen, würde bedeuten, daß Lösungen
gefunden werden könnten, die den Intentionen der In-
itiatoren des Volksbegehrens zuwiderlaufen. Eine derar-
tige Regelung soll auch den demokratischen Prozeß
insofern qualifizieren, als Verantwortungsbewußtsein
und ein komplexes Herangehen an die Lösung gesell-
schaftlicher Probleme befördert werden.
Absatz 4 bestimmt, daß und wie der Gesetzentwurf oder
Beschlußentwurf des Volksbegehrens vor dem Beginn
der Unterschriftensammlung in einer Drucksache des
Deutschen Bundestages zu veröffentlichen ist, um auch
den Abgeordneten gezielt Kenntnis vom Volksbegehren
zu geben.
Absatz 5 regelt die Eintragung in die Eintragslisten,
wobei die Vorschriften des § 2 Abs. 6 hinsichtlich des
Unterschriftenbogens übernommen werden. Es gibt
sowohl eine freie Unterschriftensammlung als auch eine
solche in Amtsräumen innerhalb der Eintragungspflicht.
Geprüft und bestätigt werden die Unterschriften durch
die Gemeinden.
Nach Absatz 6 sind für ein erfolgreiches Volksbegehren
die Unterschriften von mindestens einer Million Stimm-
berechtigten innerhalb einer Eintragsfrist von sechs Mo-
naten erforderlich. Dies wären knapp zwei Prozent der
Wahl- bzw. Stimmberechtigten, ein Prozentsatz der in
etwa auch in der Schweiz, in Italien und einer Reihe von
Einzelstaaten der USA gilt. Es erscheint angemessen,
daß für ein erfolgreiches Volksbegehren zur Änderung
des Grundgesetzes die Zahl der notwendigen Unter-
schriften auf zwei Millionen festgelegt wird.
Absatz 7 überträgt es der Präsidentin bzw. dem Präsi-
denten des Deutschen Bundestages, das Ergebnis des
Volksbegehrens entsprechend ihrer Verantwortung bei
der Verkündung von Gesetzen bekannt zu geben.
Absatz 8 regelt die Frage der Kostenerstattung, wobei
angesichts der Notwendigkeit einer soliden Information
gerade in diesem Stadium der dreistufigen Volksgesetz-
gebung die vorgeschlagene Höhe der Kostenerstattung
angemessen erscheint, um die erforderliche Finanzierung
sicherzustellen und die Wahrnahme der Volksgesetzge-
bung nicht bereits aus Kostengründen scheitern zu lassen.

Zu § 4
Absatz 1 bestimmt, daß der Deutsche Bundestag auch
nach einem erfolgreichen Volksbegehrens die Möglich-
keit hat, dem Inhalt des Volksbegehrens zu entsprechen,
um aus Gründen der Kostenersparnis auch in diesem
Stadium einen Abschluß des Gesetzgebungsprozesses zu
ermöglichen. Innerhalb einer Zeitspanne von sechs bis
spätestens neun Monaten nach Abschluß des Volksbe-
gehrens muß der Volksentscheid stattfinden, damit das
Verfahren der Volksgesetzgebung zügig zum Abschluß
gebracht werden kann.

Absatz 2 regelt, daß der genaue Termin von der Präsi-
dentin oder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages
bestimmt wird.
Absatz 3 gibt dem Deutschen Bundestag das Recht, mit
der Mehrheit der Stimmen seiner Abgeordneten einen
Konkurrenzentwurf zum Entwurf des erfolgreichen
Volksbegehrens zu beschließen. Dem Grundsatz der
Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung nach Ar-
tikel 79 Abs. 2 Grundgesetz wird dadurch entsprochen,
daß auch der Bundesrat dieses Recht erhält. Ein Recht
der Träger des Volksbegehrens, den konkurrierenden
Entwürfen eine Stellungnahme anzufügen, ist angesichts
der Unterstützung des erfolgreichen Volksbegehrens
durch mehr als eine Million bzw. mehr als zwei Millio-
nen Bürgerinnen und Bürger gerechtfertigt.
Nach Absatz 4 obliegt es der Präsidentin oder dem Prä-
sidenten des Deutschen Bundestages, die Entwürfe in
angemessener Form zu veröffentlichen. In angemessener
Form bedeutet, die Entwürfe allen Bürgerinnen und Bür-
gern zwecks Information zugänglich zu machen. Hier ist
z. B. an ein sog. Abstimmungsbüchlein zu denken, wie es
in der Schweiz zu diesem Zwecke genutzt wird. Zudem ist
eine Veröffentlichung im Internet vorzunehmen.
Die Absätze 5, 6 und 7 regeln die Annahme des oder der
Entwürfe mittels des Volksentscheides. Bei verfas-
sungsändernden Gesetzen ist eine Zustimmung von zwei
Dritteln der abgegebenen Stimmen sowie ein Beteili-
gungsquorum von 25 Prozent erforderlich. Ein Zustim-
mungsquorum ist nicht vorgesehen, da dies aus der Sicht
einer neuen politischen Entscheidungs- und Streitkultur
unweigerlich kontraproduktiv wäre, zumal Volksinitiati-
ve und Volksbegehren – um erfolgreich zu sein – bereits
an eine Beteiligungs- bzw. Zustimmungszahl gebunden
sind. Zustimmungsquoren bieten Raum für Boykott-
strategien. Ein Aufruf zur Nichtbeteiligung genügt,
„Die Gegner brauchen keine inhaltlichen Argumente“
(M. Jansen, Die Architektur des Volksentscheids, Zeit-
schrift für Direkte Demokratie, II/97, S. 14).
Bei mehreren dem Volk zur Entscheidung vorgelegten
Gesetz- oder Beschlußentwürfen gilt: Jede und jeder
hat so viele Stimmen, wie Entwürfe zur Abstimmung
stehen; angenommen ist der Entwurf, auf den die mei-
sten Ja-Stimmen entfallen. Die Möglichkeit eines zu-
sätzlichen Präverenz-Abstimmungssystems ist nicht
vorgesehen, da es das Verfahren allzu kompliziert ge-
stalten würde.
Nach Absatz 8 werden den Ländern auch für ihre Ge-
meinden die entstandenen Kosten vom Bund erstattet.
Absatz 9 regelt die Kostenerstattung. Die mit 20 DM je
100 gültige Ja-Stimmen für die Träger des Volksbegeh-
rens pauschalisierte Erstattung ist geeignet, zumindest
einen Großteil der Kosten eines angemessenen Abstim-
mungskampfes zu bestreiten.

Zu § 5
Verwiesen wird auf die Bestimmungen des Bundeswahl-
gesetzes, die auf den Volksentscheid anzuwenden sind
und besondere Regelungen entbehrlich machen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/1129

Zu § 6
Das Ergebnis des Volksentscheids wird vom Präsidium
des Deutschen Bundestages festgestellt und bekannt
gemacht. Das Beschwerderecht beim Bundesverfas-
sungsgericht sowie die Ausfertigung und Verkündung
des Gesetzes werden analog zu den Bestimmungen des
parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens geregelt.

Zu § 7
Die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren bei
Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung
nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vom 30. Juli
1979 werden entsprechend angewandt. Es handelt sich
um die Vorschriften über das Stimmrecht (§ 4), die Aus-
übung des Stimmrechts (§ 5), die Abstimmungsorgane
(§ 6), die Anwendung der Vorschriften des Bundeswahl-
gesetzes (§ 7), die Abstimmungszeit (§ 8), das Abstim-
mungsgeheimnis (§ 9), die Stimmabgabe (§ 10), das
Abstimmungsergebnis (§ 11), die ungültigen Stimmen

(§ 12), die Entscheidungen des Abstimmungsvorstandes
(§ 13), die Feststellung des Abstimmungsergebnisses
und des Ergebnisses des Volksentscheids (§ 14), die
Nachabstimmung (§ 15), die Wiederholung der Abstim-
mung (§ 16) und die Veröffentlichung des Abstim-
mungsergebnisses (§ 17) sowie eine Ermächtigung zum
Erlaß von Rechtsvorschriften durch den Bundesminister
des Innern zu dem in den §§ 4 bis 17 festgelegten Ver-
fahren (§ 40) und die Kosten des Volksentscheids (§ 41),
die der Bund trägt.

Zu § 8
Die Regelungen über Rechtsweg und Anfechtung, die
für die Bundestagswahlen gelten, werden entsprechend
angewandt.

Zu Artikel 3
Inkraftretungsregelung

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