Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.06.2016, Az. I B 159/15

1. Senat | REWIS RS 2016, 10488

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Ausschluss früherer Beamter vom Richteramt


Leitsatz

NV: Eine (Finanz-)Beamtin, die Vertreterin einer Behörde war (hier: eine vormalige Sachgebietsleiterin des FA) und nunmehr Richterin wird, ist von der Mitwirkung an allen Sachen ausgeschlossen, die bereits vor ihrer Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihr hätten vertreten werden können .

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.], [X.], vom 18. Juni 2015  3 K 2075/12 aufgehoben.

Die Sache wird an einen anderen Senat des [X.], [X.], zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) --ein [X.] Staatsbürger-- in den Streitjahren (2004 bis 2006) unbeschränkt steuerpflichtig war und seine in [X.] erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abkommensrechtlich im Inland besteuert werden dürfen und ob die aus einer Steuerfahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse den Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) berechtigt haben, frühere Steuerbescheide, in denen der Kläger als beschränkt steuerpflichtig veranlagt wurde, aufzuheben und Bescheide zu erlassen, durch die die Steuer auf der Grundlage einer unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers neu festgesetzt worden ist.

2

Das Finanzgericht ([X.]) [X.] hat der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es hat die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers und der abkommensrechtlichen Besteuerungsbefugnis des [X.] Fiskus zwar bejaht. Eine Änderungsbefugnis des [X.] gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung hat das [X.] jedoch mit der Begründung abgelehnt, das [X.] habe im Rahmen der ursprünglichen Veranlagung seine Ermittlungspflicht verletzt, während dem Kläger keine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorzuwerfen sei.

3

Das [X.] beantragt mit seiner Beschwerde, die Revision gegen das [X.]-Urteil zuzulassen und macht u.a. geltend, die an dem [X.]-Urteil mitwirkende Richterin am [X.] sei im Streitfall von Gesetzes wegen von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.

4

Der Kläger hat zur Nichtzulassungsbeschwerde nicht Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 116 Abs. 6 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

6

1. Das [X.] kann keinen Bestand haben, weil die daran mitwirkende [X.]in am [X.] für den Streitfall von der Ausübung des [X.]amts ausgeschlossen ist.

7

a) Nach der gemäß § 51 Abs. 1 [X.]O im [X.] sinngemäß anwendbaren Bestimmung des § 41 Nr. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist [X.] u.a. von der Ausübung des [X.]amts kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist. Durch den Ausschluss soll die Mitwirkung einer Gerichtsperson verhindert werden, für die auch nur die abstrakte Möglichkeit bestand, den Streitpunkt bereits aus der Sicht eines Beteiligtenvertreters zu sehen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 4. Juli 1990 II R 65/89, [X.], 8, [X.] 1990, 787). Da für den Tatbestand des § 41 Nr. 4 ZPO ein tatsächliches Auftreten als Vertreter nicht erforderlich ist ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 51 [X.]O Rz 9), ist ein ([X.], der kraft Gesetzes oder aufgrund erteilten generellen oder einzelnen Auftrages Vertreter einer Behörde war und nunmehr [X.] wird, von der Mitwirkung an allen Sachen ausgeschlossen, die bereits vor seiner Übernahme in das [X.]verhältnis anhängig waren und somit von ihm hätten vertreten werden können ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 51 [X.]O Rz 24; Schoenfeld in [X.], [X.]O § 51 Rz 27; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 51 Rz 11; s. auch BFH-Urteil in [X.], 8, [X.] 1990, 787 zum Ausschluss eines ehemaligen Finanzamtsvorstehers).

8

b) In Bezug auf R liegt eine solche Konstellation vor. Denn diese war ausweislich der Angaben des [X.] und des von diesem vorgelegten [X.] für das [X.], in welchem die Sache beim [X.] anhängig geworden ist, selbst Sachgebietsleiterin und Stellvertreterin desjenigen [X.], der die [X.] geleitet hat, in welcher die Streitsache bearbeitet worden war; sie war außerdem aufgrund einer Generalvollmacht des Vorstehers des [X.] vom 22. August 2012 ermächtigt worden, das [X.] in allen stattfindenden Terminen beim [X.] zu vertreten und alle Erklärungen für und gegen das [X.] abzugeben. Darauf, ob R in ihrer Zeit als Vertreterin des [X.] tatsächlich mit der Streitsache befasst war, kommt es nicht an.

9

2. Da die Ausschließung unverzichtbar und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen ist, steht der Aufhebung und Zurückverweisung nicht entgegen, dass das [X.] diese nicht bereits in erster Instanz gegenüber dem [X.] gerügt hat (vgl. [X.] vom 5. Mai 2011 X B 191/10, [X.], 1385).

3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an einen anderen Senat des [X.] zurückzuverweisen (§ 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dieser wird gegebenenfalls Gelegenheit haben zu prüfen, ob es zutreffen kann, dass der Kläger, obwohl er nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils gegenüber dem [X.] über Jahre hin verschwiegen hat, dass er sein im Inland gelegenes Einfamilienhaus zusammen mit seiner Ehefrau und seiner Tochter als (einzige) Familienwohnung selbst bewohnt hat, seine steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht verletzt haben soll.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I B 159/15

07.06.2016

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 18. Juni 2015, Az: 3 K 2075/12, Urteil

§ 51 Abs 1 S 1 FGO, § 41 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.06.2016, Az. I B 159/15 (REWIS RS 2016, 10488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10488

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