Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2014, Az. 2 StR 78/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 220

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 78/14
vom
17. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes u.a.

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2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des
Beschwerdeführers am 17. Dezember 2014
gemäß §
349 Abs.
2 und 4
[X.] beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28.
Oktober 2013 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben,
a) im [X.] 2. der Urteilsgründe,
b) im [X.] zu [X.] 1. der Urteilsgründe,
c) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwen-digen Auslagen, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Antrag der Nebenklägerin auf Bestellung eines Beistands für das Revisionsverfahren ist gegenstandslos.

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3
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentschei-dung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklag-ten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] ohne Erfolg.
2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) im [X.] 2. der Urteilsgründe begegnet [X.] rechtlichen Bedenken.
a) Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der Nebenklägerin mit einem Küchenmesser -
Klingenlänge ca. 15 cm -
in kurzer Folge insgesamt elf Stich-
bzw. Schnittverletzungen zu, davon jeweils zwei im Rückenbereich und in der linken Schulterregion, um sie zu töten. Der Nebenklägerin gelang es, sich aus der Umklammerung des Angeklagten zu lösen, diesen wegzuschubsen, über den [X.] ins Treppenhaus des vierten Obergeschosses des Mehrfamilienhauses zu rennen und "um Hilfe schreiend die Treppe hinunter" zu laufen.
Der Angeklagte verfolgte die Nebenklägerin nicht, sondern schloss die von der Nebenklägerin bei ihrer Flucht offen gelassene Wohnungstür. Er begab sich ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster, um zu sehen, "ob die Nebenklägerin 1
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das Haus verlässt, und weil er auch wissen bzw. feststellen wollte, wie schwer die Nebenklägerin durch sein Einwirken verletzt worden war". [X.] Verletzungen der Nebenklägerin hielt er für möglich.
Als er "festgestellt hatte, dass die Nebenklägerin das [X.] hatte, befürchtete er schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in [X.] auf seine laufende Bewährung". Er verletzte sich mit dem [X.] selbst, um sich als Opfer eines Angriffs der Nebenklägerin zu präsentieren,
und setzte einen Notruf an die Polizei ab. Die Nebenklägerin, die sich zwischenzeitlich in die im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses befindliche Wohnung ei-nes Nachbarn begeben hatte, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
b) Die Annahme
des [X.]s, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von [X.] nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Be-denken. Die Feststellungen der [X.] zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 -
GSSt 1/93, [X.]St 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach [X.] Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren [X.] Abstand nimmt (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 15d mwN). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeen-deten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörte-rung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung 6
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noch -
vom Täter wahrgenommen -
zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits töd-lich verletzt (Senat, Beschluss vom 7.
November 2001 -
2 StR 428/01, [X.], 73, 74; [X.], Urteil vom 6.
März 2013 -
5 StR 526/12, [X.], 463; Urteil vom 17. Juli 2014 -
4 [X.], [X.], 569, 570). So liegt es nach der Rechtsprechung des [X.] etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen ([X.], Beschluss vom 19.
Dezember 2000 -
4 [X.]; Urteil vom 11.
November 2004 -
4 [X.], [X.], 331 f.; Urteil vom 17. Juli 2014 -
4 [X.], [X.], 569, 570 mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des [X.] zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu ha-ben ([X.], Urteil vom 17. Juli 2014, aaO mwN).
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das [X.] nicht hinreichend bedacht. Die [X.] hat insbeson-dere keine ausreichenden Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass die Nebenklägerin das Haus schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung" ist mehrdeutig. Denn der Angeklagte musste erst recht in dem Fall, dass die Nebenklägerin den Angriff mit dem Messer überleben sollte und so-dann als Zeugin zur Verfügung stünde, mit "schwerwiegenden Konsequenzen" rechnen. Die Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, die Nebenklägerin tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch (noch) nicht die Annahme, die Nebenklägerin habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneu-9
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ter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Mai 2012 -
5 [X.], [X.], 688, 689).
c) Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs im [X.] 2. der Urteilsgründe insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 1997 -
4 [X.], [X.]R [X.] § 353 Aufhebung 1; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl., § 353 Rn. 12).
d) Der neue Tatrichter wird sich eingehender als bislang geschehen auch mit der Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu befassen haben. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen besteht bei dem Angeklagten zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung; die Steuerungsfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen, denn der Angeklagte verfüge über "ein gutes [X.] Funktionsniveau und über ausreichende kompensatorische Stärken, weshalb die Persönlichkeitsstörung nicht den Rechtsbegriff der schweren ande-ren seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei". Diese Wertung ist mit den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des in der Vergangenheit mehrfach in verschiedenen Psychiatrien untergebrachten Angeklagten nicht in Einklang zu bringen; im Übrigen ist nicht belegt, woran die [X.] das "gute psychosoziale Funktionsniveau" und die "ausreichenden kompensatorischen Stärken" des Angeklagten knüpft.
3. Der Schuldspruch im [X.] 1. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerfrei. Hingegen ist der Strafausspruch rechtsbedenklich und deswe-gen aufzuheben. Die [X.] hat nicht erkennbar geprüft, ob die Voraus-setzungen des § 21 StGB vorliegen, obwohl dazu Veranlassung bestanden hät-te. Die [X.] hat lediglich hinsichtlich des Falles II. 2. der Urteilsgründe 10
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die Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erörtert, nicht hingegen in Bezug auf die dem [X.] 1. der Urteilsgründe zugrundeliegende Tat, die nur drei Tage zuvor begangen worden war. Angesichts des für beide Taten relevan-ten [X.] des Angeklagten hätte indes auch im [X.] 1. der Urteilsgründe eine entsprechende Prüfung erfolgen müssen.
4. Die Aufhebung im [X.] 2. der Urteilsgründe und im Strafausspruch im [X.]
1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenaus-spruchs nach sich.
Die (teilweise) Aufhebung des Urteils erfasst nicht den [X.] ([X.], Urteil vom 17.
Juli 2014 -
4 [X.], insoweit in [X.], 569
nicht abgedruckt; [X.]/[X.], aaO, § 406a Rn. 8); eine Aufhe-bung der Adhäsionsentscheidung ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 -
2 [X.], [X.]St 52, 96, 98). Zum Fest-stellungsausspruch hinsichtlich der Ersatzpflicht für künftige Schäden wird auf den Senatsbeschluss vom 17.
April 2014 -
2 StR 2/14, im Übrigen auf den An-fragebeschluss des Senats vom 8.
Oktober 2014 -
2 StR 137/14 verwiesen.
5. Der Antrag, der Nebenklägerin Rechtsanwalt

G.

aus E.

auch für das Revisionsverfahren als Beistand zu bestellen, bedarf keiner Be-scheidung, da Rechtsanwalt G.

bereits durch Beschluss des [X.] vom 26.
August 2013 gemäß §
397a Abs.
1 Satz
1 [X.] zum Bei-stand der Nebenklägerin bestellt worden ist und eine solche Bestellung über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fortwirkt (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Mai 1999 -
5
StR 223/99, [X.]R [X.] §
397a Abs.
1 Beistand 2;
[X.]/[X.], [X.], 57.
Aufl., §
397a Rn.
17a mwN).
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6. Der beim [X.] am 3.
Februar 2014 eingegangene Antrag des Angeklagten, ihm zur Durchführung des Revisionsverfahrens Rechtsanwalt

F.

aus R.

, der bereits erstinstanzlich als Pflichtverteidiger bestellt worden war, (weiterhin) als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist ebenfalls gegenstandslos. Unbeschadet der Frage der Zuständigkeit für die Bestellung (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 17.
Juni 1999 -
4 [X.]/99,
[X.]R [X.] §
141 Bestellung 3; Beschluss vom 10. März 2005 -
4 [X.], insoweit in NStZ-RR 2005, 240, 241
nicht abgedruckt) wirkt die Bestellung des erstinstanz-lichen Verteidigers im Revisionsverfahren fort (vgl. [X.]/[X.] in Karls-ruher Kommentar zur [X.], 7. Aufl., §
141 Rn. 10; [X.]/[X.], aaO §
140 Rn.
8).
Fischer Appl Eschelbach

Ott

Zeng
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Meta

2 StR 78/14

17.12.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2014, Az. 2 StR 78/14 (REWIS RS 2014, 220)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 220

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