Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2014, Az. 2 StR 78/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 210

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Gegenstand

Versuchter Mord: Korrektur des Rücktrittshorizonts bei Flucht des Tatopfers nach der letzten Ausführungshandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Oktober 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im [X.] 2. der Urteilsgründe,

b) im [X.] zu [X.] 1. der Urteilsgründe,

c) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

4. Der Antrag der Nebenklägerin auf Bestellung eines Beistands für das Revisionsverfahren ist gegenstandslos.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

2

1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] ohne Erfolg.

3

2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

4

a) Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der Nebenklägerin mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 15 cm - in kurzer Folge insgesamt elf Stich- bzw. Schnittverletzungen zu, davon jeweils zwei im Rückenbereich und in der linken Schulterregion, um sie zu töten. Der Nebenklägerin gelang es, sich aus der Umklammerung des Angeklagten zu lösen, diesen wegzuschubsen, über den [X.] ins Treppenhaus des vierten Obergeschosses des Mehrfamilienhauses zu rennen und "um Hilfe schreiend die Treppe hinunter" zu laufen.

5

Der Angeklagte verfolgte die Nebenklägerin nicht, sondern schloss die von der Nebenklägerin bei ihrer Flucht offen gelassene Wohnungstür. Er begab sich ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster, um zu sehen, "ob die Nebenklägerin das Haus verlässt, und weil er auch wissen bzw. feststellen wollte, wie schwer die Nebenklägerin durch sein Einwirken verletzt worden war". Lebensgefährliche Verletzungen der Nebenklägerin hielt er für möglich.

6

Als er "festgestellt hatte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte, befürchtete er schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung". Er verletzte sich mit dem [X.] selbst, um sich als Opfer eines Angriffs der Nebenklägerin zu präsentieren, und setzte einen Notruf an die Polizei ab. Die Nebenklägerin, die sich zwischenzeitlich in die im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses befindliche Wohnung eines Nachbarn begeben hatte, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.

7

b) Die Annahme des [X.]s, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von [X.] nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen der [X.] zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.

8

aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach [X.] Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 15d mwN). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeen-deten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (Senat, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 [X.], [X.], 73, 74; [X.], Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, [X.], 463; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, [X.], 569, 570). So liegt es nach der Rechtsprechung des [X.] etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen ([X.], Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, [X.], 331 f.; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, [X.], 569, 570 mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des [X.] zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben ([X.], Urteil vom 17. Juli 2014, aaO mwN).

9

bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das [X.] nicht hinreichend bedacht. Die [X.] hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte. Allein der Umstand, der Angeklagte "befürchtete ... schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung" ist mehrdeutig. Denn der Angeklagte musste erst recht in dem Fall, dass die Nebenklägerin den Angriff mit dem Messer überleben sollte und sodann als Zeugin zur Verfügung stünde, mit "schwerwiegenden Konsequenzen" rechnen. Die Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, die Nebenklägerin tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch (noch) nicht die Annahme, die Nebenklägerin habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 [X.], [X.], 688, 689).

c) Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 353 Aufhebung 1; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl., § 353 Rn. 12).

d) Der neue Tatrichter wird sich eingehender als bislang geschehen auch mit der Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu befassen haben. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen besteht bei dem Angeklagten zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung; die Steuerungsfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen, denn der Angeklagte verfüge über "ein gutes [X.] Funktionsniveau und über ausreichende kompensatorische Stärken, weshalb die Persönlichkeitsstörung nicht den Rechtsbegriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei". Diese Wertung ist mit den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des in der Vergangenheit mehrfach in verschiedenen Psychiatrien untergebrachten Angeklagten nicht in Einklang zu bringen; im Übrigen ist nicht belegt, woran die [X.] das "gute psychosoziale Funktionsniveau" und die "ausreichenden kompensatorischen Stärken" des Angeklagten knüpft.

3. [X.] erweist sich als rechtsfehlerfrei. Hingegen ist der Strafausspruch rechtsbedenklich und deswegen aufzuheben. Die [X.] hat nicht erkennbar geprüft, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, obwohl dazu Veranlassung bestanden hätte. Die [X.] hat lediglich hinsichtlich des Falles II. 2. der Urteilsgründe die Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erörtert, nicht hingegen in Bezug auf die dem Fall II. 1. der Urteilsgründe zugrundeliegende Tat, die nur drei Tage zuvor begangen worden war. Angesichts des für beide Taten relevanten [X.] des Angeklagten hätte indes auch im Fall II. 1. der Urteilsgründe eine entsprechende Prüfung erfolgen müssen.

4. Die Aufhebung im Fall II. 2. der Urteilsgründe und im Strafausspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Die (teilweise) Aufhebung des Urteils erfasst nicht den Adhäsionsausspruch ([X.], Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, insoweit in [X.], 569 nicht abgedruckt; [X.]/[X.], aaO, § 406a Rn. 8); eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 [X.], [X.]St 52, 96, 98). Zum Feststellungsausspruch hinsichtlich der Ersatzpflicht für künftige Schäden wird auf den Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 2/14, im Übrigen auf den [X.] des Senats vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 verwiesen.

5. Der Antrag, der Nebenklägerin Rechtsanwalt    [X.]     aus E.    auch für das Revisionsverfahren als Beistand zu bestellen, bedarf keiner Bescheidung, da Rechtsanwalt [X.]     bereits durch Beschluss des [X.]s Gera vom 26. August 2013 gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 [X.] zum Beistand der Nebenklägerin bestellt worden ist und eine solche Bestellung über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fortwirkt (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Mai 1999 - 5 StR 223/99, [X.]R [X.] § 397a Abs. 1 Beistand 2; [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., § 397a Rn. 17a mwN).

6. Der beim [X.] am 3. Februar 2014 eingegangene Antrag des Angeklagten, ihm zur Durchführung des Revisionsverfahrens Rechtsanwalt   F.       aus R.       , der bereits erstinstanzlich als Pflichtverteidiger bestellt worden war, (weiterhin) als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist ebenfalls gegenstandslos. Unbeschadet der Frage der Zuständigkeit für die Bestellung (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 17. Juni 1999 - 4 StR 229/99, [X.]R [X.] § 141 Bestellung 3; Beschluss vom 10. März 2005 - 4 StR 506/04, insoweit in NStZ-RR 2005, 240, 241 nicht abgedruckt) wirkt die Bestellung des erstinstanzlichen Verteidigers im Revisionsverfahren fort (vgl. [X.]/[X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl., § 141 Rn. 10; [X.]/[X.], aaO § 140 Rn. 8).

Fischer                      Appl                        Eschelbach

                  Ott                        Zeng

Meta

2 StR 78/14

17.12.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gera, 28. Oktober 2013, Az: 120 Js 2957/13 - 1 Ks (3)/18

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 1 StGB, § 211 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2014, Az. 2 StR 78/14 (REWIS RS 2014, 210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 210

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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