Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.09.2022, Az. XI ZR 26/22

11. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 5545

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Tenor

Der Antrag des [X.] auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 22. Dezember 2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Streitwert: bis 19.000 €

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des von dem Kläger erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.

2

Der Kläger erwarb im März 2017 einen gebrauchten [X.], zum Kaufpreis von 17.890 €. Zur Finanzierung des über eine Anzahlung von 9.000 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom 10. März 2017 einen Darlehensvertrag über 8.890 € mit einem effektiven Jahreszins von 0,9% ab. Das Darlehen sollte durch 36 Monatsraten in Höhe von 250,37 € zurückgezahlt werden. Der Darlehensvertrag enthält unter Ziffer 10 folgende Angabe über die Verzugsfolgen:

"Im Falle des Zahlungsverzugs haben die Kreditnehmer der Bank den ausstehenden Betrag mit dem gesetzlichen Zinssatz gem. § 288 Abs. 1 BGB bzw. Abs. 2 BGB zu verzinsen, es sei denn, die Bank weist einen höheren oder die Kreditnehmer einen niedrigeren Verzugsschaden nach."

3

Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung und bot der Beklagten das Fahrzeug zur Abholung an.

4

Mit der Klage begehrt der Kläger zuletzt die Rückzahlung der Anzahlung sowie die von ihm auf das Darlehen erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 9.013,32 € nebst [X.] nach Übergabe des finanzierten Fahrzeugs; ferner verlangt er die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist unbegründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Der Kläger habe sein Widerrufsrecht jedenfalls verwirkt. Das Zeitmoment ergebe sich daraus, dass der streitgegenständliche Widerruf erst 3 ¼ Jahre nach Abschluss des Darlehensvertrags erfolgt sei. Das Umstandsmoment liege vor, weil der Kläger das Darlehen zwei Monate vor Abgabe der Widerrufserklärung vollständig abgelöst habe und es sich bei der finanzierten [X.] um einen Gebrauchsgegenstand handele, der dem kontinuierlichen wertverzehrenden Wertverlust unterliege. Außerdem habe die Beklagte die Sicherheiten freigegeben.

8

Das Urteil des [X.] vom 9. September 2021 ([X.], 1986) stehe der Annahme einer Verwirkung nicht entgegen, weil es sich lediglich mit einem allein an zeitliche Komponenten anknüpfenden Ausschluss des Widerrufsrechts befasse, nicht aber mit einer Verwirkung nach § 242 [X.]. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Unionsrecht der Annahme einer Verwirkung entgegenstehe, könne das Urteil des [X.] (aaO) für den vorliegenden Rechtsstreit keine Rechtswirkungen entfalten, weil eine rückwirkende Anwendung auf einen Sachverhalt, der bereits vor dem 9. September 2021 vollständig abgeschlossen gewesen sei, unter Vertrauensgesichtspunkten nicht in Betracht komme.

II.

9

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Berufung des [X.] im Lichte des Unionsrechts bei Vorliegen besonderer, über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich oder betrügerisch bewertet werden kann mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können (vgl. hierzu das Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den [X.], Senatsbeschluss vom 31. Januar 2022 - [X.], u.a., [X.], 420).

III.

Das Berufungsurteil erweist sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig, so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).

Dem Kläger stand bei Abschluss des gemäß § 358 Abs. 3 [X.] mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen ([X.] nach § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 [X.] ein Widerrufsrecht zu. Die Widerrufsfrist begann nicht zu laufen, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 [X.] erhalten hatte. Die Widerrufsfrist wurde vorliegend nicht in Gang gesetzt. Denn die Beklagte hat - was das Berufungsgericht offengelassen hat - den Kläger gemäß § 492 Abs. 2 [X.] i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EG[X.] über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung nicht ordnungsgemäß unterrichtet (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2022 - [X.], [X.], 979 Rn. 11 f.).

Der vom Kläger mit der Revision verfolgte [X.] aus § 358 Abs. 4 Satz 1 [X.] in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 355 Abs. 3 Satz 1 [X.] auf Rückgewähr der von ihm an die Beklagte geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen ist allerdings derzeit unbegründet. Insoweit steht der Beklagten - was sie mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat - nach § 358 Abs. 4 Satz 1 [X.] aF i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 [X.] gegenüber dem vorleistungspflichtigen Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat. Dass die Beklagte angeboten hätte, das Fahrzeug beim Kläger abzuholen (§ 357 Abs. 4 Satz 2 [X.]), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit der Kläger die Zahlung "nach" Herausgabe des Fahrzeugs begehrt, setzt dies in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 [X.] voraus, dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - [X.], [X.], 253 Rn. 29). Dies ist indes nicht der Fall.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des Annahmeverzugs liegen nicht vor. Ein tatsächliches Angebot nach § 294 [X.] hat der Kläger nicht abgegeben. Nach § 295 [X.] kann ein wörtliches Angebot zwar ausnahmsweise genügen. Die vorgerichtlichen wörtlichen Angebote des [X.] zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten sind aber unzureichend, weil er damit seiner Vorleistungspflicht nicht genügt hat. Im Anwaltsschreiben vom 9. Juni 2020 ist die Rückgabe des Fahrzeugs - entgegen § 357 Abs. 4 Satz 1 [X.] - nur in Form einer Abholung durch die Beklagte angeboten worden, was diese jedoch zuvor nicht angeboten hat (§ 357 Abs. 4 Satz 2 [X.]) und daher unzulänglich war. Im weiteren Anwaltsschreiben vom 24. August 2020 hat er der Beklagten eine Rückgabe des Fahrzeugs lediglich "im Gegenzug" zur Zahlung der Beklagten und damit im Rahmen einer Zug-um-Zug-Leistung angeboten.

Auch die im Laufe des Klageverfahrens mit Schriftsätzen vom 14. April 2021 und vom 2. August 2021 vorgetragenen Angebote, der Beklagten das Fahrzeug an deren Sitz zu übergeben, sind nicht geeignet, einen Annahmeverzug der Beklagten zu begründen, weil die Voraussetzungen des § 295 [X.] nicht vorliegen. Nach § 295 [X.] genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners unter anderem dann, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde. Hierfür fehlt es vorliegend bereits an einer bestimmten und eindeutigen Erklärung der Beklagten, dass sie die Leistung nicht annehmen werde (vgl. hierzu [X.]/[X.], [X.], 81. Aufl., § 295 Rn. 4). Die Beklagte hat sich vielmehr überhaupt nicht zu der Frage geäußert, ob sie - würde es denn tatsächlich angeboten werden - das Fahrzeug entgegennehmen werde. Allein darin, dass die Beklagte vorgerichtlich und im Rechtsstreit das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines wirksamen Widerrufs bestritten hat, liegt nicht die Erklärung, dass sie die Leistung nicht annehmen werde (vgl. Senatsurteile vom 1. Juni 2021 - [X.], juris Rn. 17 und vom 14. Juni 2022 - [X.], [X.], 1371 Rn. 18).

Vorsorglich weist der Senat für ein etwaiges Folgeverfahren darauf hin, dass aus der Abweisung des Rückgewähranspruchs als derzeit unbegründet lediglich in Rechtskraft erwächst, dass der Kläger gegen die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen zur Zahlung fälligen Anspruch hatte, nicht dagegen, dass die Beklagte einem solchen Anspruch nicht weitere Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann (vgl. Senatsurteil vom 30. März 2021 - [X.], [X.], 371 Rn. 18 mwN).

IV.

Der Antrag des [X.] auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des [X.] über die Vorabentscheidungsersuchen des Senats (Beschluss vom 31. Januar 2022 - [X.], u.a., [X.], 420) und des [X.] (Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 6 U 715/19, juris) hat keinen Erfolg, weil sich die dort aufgeworfenen Fragen vorliegend nicht stellen.

[X.]     

      

Grüneberg     

      

Matthias

      

Derstadt     

      

Schild von Spannenberg     

      

Meta

XI ZR 26/22

20.09.2022

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 22. Dezember 2021, Az: 19 U 152/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.09.2022, Az. XI ZR 26/22 (REWIS RS 2022, 5545)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5545

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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