Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.08.2010, Az. 2 StR 305/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 3768

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[X.] vom 27. August 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] nach Anhörung des [X.], des Beschwerdeführers und des [X.] am 27. August 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten unter anderem vom Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Einen Mitangeklagten hat es vom Vorwurf der Beihilfe zum versuchten Totschlag freigesprochen. Die Revision des Angeklagten führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, soweit es ihn betrifft. 1 1. Nach den Feststellungen des [X.] entwendete der [X.] eine fremde Brieftasche, in der sich unter anderem Führer-schein und Personalausweis des Eigentümers [X.]befanden; oder er gelangte auf sonstige Weise in den Besitz der Brieftasche. Dies hat das [X.] wahldeutig als Diebstahl oder Unterschlagung angesehen. 2 - 3 - Am 17. August 2008 wurde der Angeklagte von der Polizei festgenom-men; hierbei wurde der Führerschein des Geschädigten [X.] bei ihm gefun-den. Der Angeklagte erklärte auf Befragen, er sei die im Führerschein abgebil-dete Person. Das [X.] hat dies - unter ausdrücklicher Abweichung von Rechtsprechung des [X.] - als Missbrauch von Ausweispapie-ren (§ 281 StGB) angesehen. 3 Am 16. August 2008 gegen 2.50 Uhr näherte sich der Angeklagte einer Gruppe von Drogenabhängigen, die in der [X.] in [X.]standen und unter denen sich der mit dem Angeklagten verfeindete Nebenkläger [X.]befand. Ohne Vorwarnung sprühte der Angeklagte diesem [X.] ins Gesicht und stach unmittelbar darauf ein Messer gezielt in die Brust des [X.], um diesen zu töten. Er nahm an, dass der Nebenkläger an der Verletzung versterben werde, und entfernte sich vom [X.]. Der [X.] konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Dieses Geschehen hat das [X.] als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körper-verletzung gewertet. 4 Bei allen drei genannten rechtswidrigen Taten war nach den Feststellun-gen des [X.] die Schuldfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert, möglicherweise ganz aufgehoben. 5 2. Die Feststellungen des [X.] zur Schuldfähigkeit des Ange-klagten halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat inso-weit festgestellt, der Angeklagte höre seit seinem 12. Lebensjahr "imaginäre Stimmen", sei deswegen medikamentös behandelt worden, habe in [X.] ab 2008 keine Medikamente mehr eingenommen und deshalb wieder Stimmen gehört. Er leide, nach der Diagnose des vernommenen [X.], an "paranoider und hebephrener Schizophrenie", zeige schädlichen [X.] - 4 - kaingebrauch und antisoziales Verhalten ([X.]). Daher sei seine Einsichts-fähigkeit "jedenfalls eingeschränkt" gewesen, "nicht ausschließbar sogar aus-geschlossen" ([X.]). Die Lebensführung des Angeklagten vor der Tat [X.] "insgesamt als Ausdruck seiner Erkrankung und allenfalls nur noch eingeschränkt als von freier Willensbildung und freien Entscheidungen geprägt" ([X.]). Er sei jedenfalls vermindert schuldfähig, möglicherweise schuldun-fähig. Diese Darlegungen erfüllen die rechtlichen Anforderungen an die Fest-stellung von Schuldunfähigkeit nicht; gleichermaßen nicht die Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen des § 63 StGB. 7 Es fehlt insbesondere ein Hinweis darauf, wie sich die Geisteskrankheit des Angeklagten auf die Begehung der konkret festgestellten Taten ausgewirkt haben soll. Dieser Mangel liegt bei den beiden ersten Taten auf der Hand; es ist nicht ersichtlich, welchen Einfluss das (zeitweise) Hören von Stimmen auf diese beiden Taten gehabt haben soll. Aber auch hinsichtlich des versuchten [X.] ergibt sich aus dem Urteil kein konkreter Zusammenhang zwischen den Symptomen der festgestellten Geisteskrankheit und der [X.], -planung oder -ausführung. 8 Im Hinblick darauf, dass der frühere Mitangeklagte [X.]den Angeklag-ten darauf hinwies, er solle sich mit dem von [X.] auftragsgemäß gekauften Messer allenfalls verteidigen, dass der Angeklagte nach der Tatausführung floh und zur Erklärung eine - unglaubhafte - Schutzbehauptung einer [X.] aufstellte, lag die Annahme, er habe keine Einsicht in das Unrecht seines Handelns gehabt, eher fern; das [X.] erläutert nicht, wie es gleichwohl zu dieser Feststellung gelangt ist. Offenbar übersehen ist, dass die Feststellung "eingeschränkter Einsichtsfähigkeit" für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB 9 - 5 - grundsätzlich ohne Bedeutung, jedenfalls aber problematisch und auch in [X.] mit der Möglichkeit einer gänzlichen Aufhebung der Unrechtseinsicht (nicht: der Fähigkeit hierzu) im einzelnen zu prüfen und zu erörtern ist (vgl. dazu BGHSt 34, 22, 25 ff.; 40, 341, 349; 49, 347, 349; [X.], 682 f.; [X.], StGB, 57. Aufl., § 21 Rn. 3 mwN). Die Annahme möglicher Schuldunfähigkeit findet in den Urteilsgründen daher keine hinreichende Grundlage. Aus denselben Gründen mangelt es an der tragfähigen Feststellung eines die Unterbringung gemäß § 63 StGB recht-fertigenden Zustands. 10 3. Der neue Tatrichter wird, wenn die Taten wiederum wie geschehen festgestellt werden sollten, ihrer rechtlichen Würdigung größere Aufmerksam-keit zuzuwenden haben. Bei der [X.] bleibt bisher unklar, worauf die (wahldeu-tige) Annahme einer Unterschlagung beruht und ob der Tatbestand der [X.] gesehen worden ist. Bei der Tat 2 überzeugt die Ansicht des [X.], im Hinblick auf "Sinn und Zweck" des Gesetzes sei der Auslegung des § 281 StGB durch den [X.] nicht zu folgen, jedenfalls bislang nicht. Hinsichtlich der Tat 3 bleibt unklar, aus welchen Gründen das "unvermittelte" ([X.], vorwarnungslose Handeln des Angeklagten gegen den Nebenkläger, der sich "unterhielt" und mit einem Angriff offensichtlich nicht rechnete, nicht als heimtückisch angesehen worden ist. 11 - 6 - Der Umstand, dass nur der Angeklagte das auf Freispruch und Anord-nung der Maßregel lautende Urteil angefochten hat, würde nach Einfügung von § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO durch das Gesetz vom 16. Juli 2007 ([X.] 1327) der Verhängung einer Strafe für den Fall abweichender neuer Feststellungen nicht entgegen stehen. 12 Rissing-van Saan Fischer Schmitt
Eschelbach Ott

Meta

2 StR 305/10

27.08.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.08.2010, Az. 2 StR 305/10 (REWIS RS 2010, 3768)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3768

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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