Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2019, Az. 2 StR 485/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10374

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Gegenstand

Hauptverhandlung in Strafsachen: Befangenheitsablehnung eines im Auftrag der Polizei tätig gewordenen Übersetzers; Aufklärungspflicht des Gerichts bei Zweifeln an der Richtigkeit der Übersetzung von Telefongesprächsprotokollen


Leitsatz

1. Ein im Ermittlungsverfahren im Auftrag der Polizei tätig gewordener Übersetzer kann nur dann gemäß § 74 StPO als befangen abgelehnt werden, wenn er in der Hauptverhandlung vom Gericht als Sachverständiger gehört wird.

2. Zweifeln an der Richtigkeit der in die Hauptverhandlung gemäß § 249 Abs. 1 StPO ordnungsgemäß eingeführten Übersetzungen hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (Festhaltung BGH, 27. November 2018, 3 StR 339/18, NStZ-RR 2019, 57).

Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2018 wird von der Einziehung sämtlicher sichergestellter Mobiltelefone abgesehen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat beide Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen schuldig gesprochen und den Angeklagten [X.] unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten   [X.].         zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2

Darüber hinaus hat es sichergestellte Betäubungsmittel nebst Verpackungsmaterial sowie mehrere bei beiden Angeklagten sichergestellte Mobiltelefone und zwei für die [X.] genutzte Pkw eingezogen. Gegen den Angeklagten [X.]hat es zudem die erweiterte Einziehung von [X.] in Höhe von 15.620 Euro angeordnet. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revisionen. Die im Übrigen erfolglosen Rechtsmittel führen lediglich zu einer Absehensentscheidung hinsichtlich der eingezogenen Mobiltelefone.

I.

3

Die von beiden Angeklagten zulässig erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung eines wegen Befangenheit angebrachten [X.] gegen den Übersetzer der [X.] ist aus den Gründen der Zuschrift des [X.] unbegründet.

4

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens fanden umfangreiche Telefonüberwachungsmaßnahmen statt. Da alle Telefongespräche in fremder Sprache (teils Berbersprache, teils [X.]) geführt worden waren, wurden diese durch einen vom [X.] beauftragten Übersetzer in die [X.] übertragen und verschriftet. In der Hauptverhandlung wurden auf Anordnung des Vorsitzenden einzelne Wortprotokolle durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Nach Verlesung zahlreicher und vor Einführung weiterer Gesprächsprotokolle lehnten die Angeklagten „den Dolmetscher, der die [X.] übersetzt hat“ wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der „Dolmetscher“ habe sich nicht auf die Übersetzung der Gespräche beschränkt, sondern in Klammern eigene Interpretationen und Erläuterungen hinzugefügt, z. B. Er (Lkw-Fahrer); ihm ([X.]); dorthin (verm. [X.].   ); etwas (Probe) usw. Dies begründe nach herrschender Rechtsprechung, insbesondere des [X.]s Darmstadt, die Besorgnis der Befangenheit des „Dolmetschers“.

6

Das [X.] hat den Befangenheitsantrag wie folgt abgelehnt:

„Die Vorschriften über die Ablehnung von Dolmetschern sind auf den vom [X.] beauftragten Übersetzer der abgehörten Telefongespräche nicht anwendbar. Aus § 191 [X.] ergibt sich, dass das [X.] nur auf Dolmetscher bzw. Sachverständige Anwendung findet, die vom Gericht zugezogen worden sind.“

7

Die Revisionen halten die Zurückweisung des [X.] für rechtsfehlerhaft. Die [X.] habe es versäumt, das Ablehnungsgesuch in der Sache zu bescheiden. § 191 [X.] sei anwendbar, wenn Gespräche in der Hauptverhandlung von einem Dolmetscher originär übersetzt werden. Der Einvernahme des „sachverständigen Dolmetschers“ in der Hauptverhandlung stehe es gleich, wenn vorher gefertigte Übersetzungen durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Aus diesem Grunde hätten die vom abgelehnten „Dolmetscher“ gefertigten Übersetzungen der Telefongespräche weder durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden noch hätten diese im Rahmen der Beweiswürdigung im Urteil verwertet werden dürfen.

8

2. Das [X.] hat das Ablehnungsgesuch rechtsfehlerfrei abgelehnt.

9

a) Der für das [X.] tätig gewordene Übersetzer war kein Dolmetscher im Sinne des § 191 [X.]. Aufgabe des Dolmetschers ist es, die Verständigung der Verfahrensbeteiligten zu ermöglichen. Es ist nicht seine Aufgabe, den Sinn einer nicht im Verfahren, sondern außerhalb des Prozesses abgegebenen fremdsprachigen Äußerung zu ermitteln. Dies ist Aufgabe eines Sachverständigen, für dessen Ablehnung § 74 [X.] gilt.

b) Die Revision kann zwar grundsätzlich darauf gestützt werden, dass ein Ablehnungsgesuch gegen einen Sachverständigen zu Unrecht zurückgewiesen worden ist. Die Ablehnung eines im Auftrag der Polizei oder der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens tätig gewesenen Sachverständigen ist nach der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Meinung in der Literatur, denen sich der Senat anschließt, nur möglich, wenn dieser vom Gericht in der Hauptverhandlung vernommen wird ([X.], Urteil vom 9. April 1965 – 4 [X.], [X.], 26; [X.], [X.] 1984, 71, 72; [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl., § 74 Rn. 12; KK-[X.]/Senge, 7. Aufl. § 74 Rn. 7; MüKo-[X.]/[X.], 1. Aufl., § 74 Rn. 3; [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 74 Rn. 1; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 74 Rn. 6; [X.]/[X.], 68. EL, § 74 Rn. 18; LR-[X.]/[X.], 27. Aufl., § 74 Rn. 3; aA derselbe in Rn. 21; [X.]/[X.], Polizeibeamte als Zeugen und Sachverständige, 2. Aufl., [X.]; krit. SSW-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 74 Rn. 8; [X.], [X.], 368, 374; dem folgend HK-[X.]/Brauer, 6. Aufl., § 74 Rn. 12). Den Verfahrensbeteiligten bleibt es insoweit unbenommen, schon während des Ermittlungsverfahrens Gegenvorstellungen bei der Staatsanwaltschaft zu erheben (vgl. SK-[X.]/[X.], aaO, § 74 Rn. 6 mwN). Auch im Rahmen der Hauptverhandlung können die Verfahrensbeteiligten eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Übersetzung beanstanden. Die wörtlichen Übersetzungen der Gesprächsprotokolle sind vorliegend nach § 249 Abs. 1 [X.] im Wege des [X.] eingeführt worden. Die [X.] war – jedenfalls soweit in der Hauptverhandlung Einwände gegen die Richtigkeit der Übersetzung erhoben wurden – gehalten, sich gewissenhaft Aufklärung zur sorgfältigen Übertragung der Gesprächsaufzeichnungen zu verschaffen ([X.], Beschluss vom 3. April 2002 – 1 [X.], [X.], 493, 494). Wie das Tatgericht die Überzeugung von Übereinstimmung der Übersetzung mit den fremdsprachigen Gesprächsprotokollen gewinnt, bleibt ihm nach Maßgabe der Aufklärungspflicht überlassen ([X.], Beschluss vom 27. November 2018 – 3 [X.], NStZ-RR 2019, 57).

Hier hat sich die [X.] ausweislich der Urteilsgründe und des Revisionsantrags durch Vernehmung des Zeugen    [X.]von der beruflichen und fachlichen Qualifikation des Übersetzers sowie von dessen Zuverlässigkeit überzeugt. Zudem hat der über viele Jahre in [X.] wohnhafte Angeklagte   [X.].       die Richtigkeit der Übersetzung der ihm vorgehaltenen Wortprotokolle bestätigt, auch wenn er sie teilweise inhaltlich anders gedeutet hat. Eine dies beanstandende Aufklärungsrüge haben die Beschwerdeführer nicht erhoben.

c) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er die von der Revision unter Verweis auf Beschlüsse des [X.]s Darmstadt ([X.] 1990, 258 und 1995, 239) vorgebrachten Bedenken hinsichtlich einer Befangenheit des Übersetzers auch in der Sache nicht teilen würde. Die von der Revision als mögliche Interpretationen beanstandeten Zusätze dienen zum Teil der Klarstellung und dem Verständnis, sind teilweise mit „vermutlich“ gekennzeichnet und als solche ausnahmslos in Klammern gesetzt. Ein vom [X.] Übersetzer überschreitet im Regelfall nicht seine Kompetenzen, wenn er aus dem Kontext früherer von ihm abgehörter – eventuell nicht im Wortlaut übersetzter – Gespräche zur besseren Verständlichkeit Erläuterungen beifügt, solange er durch Klammern deutlich macht, dass es sich nur um eine mögliche Deutung seinerseits handelt und damit die letztendliche Interpretationshoheit dem [X.] als seinem Auftraggeber überlässt ([X.], Beschluss vom 28. August 2007 – 1 [X.], [X.], 50). Etwas anderes könnte sich lediglich dann ergeben, wenn ein Übersetzer ohne Anhaltspunkte aus dem Kontext einseitig tendenziöse, für den Angeklagten belastende Schlussfolgerungen ziehen würde. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte.

II.

Auch die von beiden Angeklagten erhobene Sachrüge deckt weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer auf. Allerdings sieht der Senat mit Zustimmung des [X.] aus Gründen der Verfahrensökonomie gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 2 [X.] von der Einziehung sämtlich sichergestellter Mobiltelefone ab, weil aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht sicher auszuschließen ist, dass einzelne der Telefone nicht zur Tatbegehung genutzt wurden.

III.

Angesichts des geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, die Angeklagten mit den gesamten Kosten ihrer Rechtsmittel zu belasten (§ 473 Abs. 4 [X.]).

[X.]     

      

Appl     

      

Zeng   

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 485/18

13.02.2019

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Darmstadt, 6. Juni 2018, Az: 900 Js 49484/16 - 12 KLs

§ 74 StPO, § 244 Abs 2 StPO, § 249 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2019, Az. 2 StR 485/18 (REWIS RS 2019, 10374)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 1391 REWIS RS 2019, 10374

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Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 458/20

Zitiert

3 StR 339/18

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