Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2012, Az. 4 StR 374/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 1998

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 374/12

vom
24.
Oktober 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 24.
Oktober 2012 gemäß §
349 Abs.
4 [X.]
beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2.
Mai 2012 mit den Feststellungen auf-gehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Ver-gewaltigung) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten ver-urteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich
der Angeklagte mit seiner Revision und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat
Erfolg.
I.
1.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getrof-fen:
1
2
-
3
-
Die Geschädigte, die [X.] Staatsangehörige K.

L.

, war im
Februar 2007 auf Veranlassung des gesondert verfolgten D.

M.

unter Vorspiegelung gut entlohnter Arbeitsmöglichkeiten nach [X.]
gelockt worden, musste jedoch statt dessen u.a. im Haushalt der Familie
M.

, den sie nicht verlassen durfte, unentgeltliche Arbeiten verrichten
und wurde von M.

mehrfach vergewaltigt. Als sie etwa drei Wochen
nach ihrer Ankunft in [X.] M.

gegenüber erklärte, sie wolle
dessen Haushalt nunmehr verlassen, schlug er sie so heftig, dass sie [X.] wurde, zu Boden fiel und erst dort wieder zu sich kam. M.

äußerte
daraufhin, wenn sie noch einen Laut von sich gebe, werde sie nicht mehr
aufstehen können. Durch Zerstörung der SIM-Karte des Mobiltelefons der
Geschädigten unterband er zudem deren Kontakt mit ihrer in [X.] lebenden Familie.
Der mit dem Bruder des gesondert verfolgten D.

M.

, R.

M.

, befreundete Angeklagte lernte die Geschädigte bei Besuchen im
Haushalt der Familie M.

kennen. Die [X.] hat nicht feststellen
können, dass er sowie R.

M.

von den sexuellen Übergriffen des ge-
sondert verfolgten D.

M.

auf die Zeugin sowie von den übrigen
Gewalttätigkeiten und Drohungen und deren einschüchternder Wirkung auf die Geschädigte wussten. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt veranlass-ten der Angeklagte
und R.

M.

die Geschädigte, die diesem Ansin-
nen nur widerstrebend Folge leistete, sie in
die Wohnung des R.

M.

zu begleiten, die in einem großen Wohnblock in [X.] lag. Da beide in dieser Wohnung den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten durchführen wollten und ihnen bewusst war, dass diese mit dem Vorhaben nicht einverstanden sein würde, veranlassten sie die Geschädigte, eine Marihuana-Zigarette zu rauchen, um die erwartete Gegenwehr zu unterlaufen. Nach dem Genuss der Zigarette 3
4
-
4
-
litt die Geschädigte unter Kopfschmerzen;
ihre körperliche Funktionsfähigkeit war, bei noch vollem Bewusstsein, herabgesetzt. Obwohl sie deutlich erklärte, dies nicht zu wollen, begannen beide Männer damit, die Geschädigte anzufas-sen und auszuziehen.
Sodann
führten sie mit ihr in wechselnden Positionen gleichzeitig den Geschlechtsverkehr durch. Nach ihrer anfänglichen Weigerung wehrte sich die Geschädigte nicht mehr, weil sie erkannt hatte, dass dies we-gen ihrer Ortsunkundigkeit, der Anonymität in dem großen Wohnblock, ihrer herabgesetzten körperlichen Funktionstätigkeit und
ihrer fehlenden Kenntnisse der [X.] keinen Sinn haben würde. Dass die Geschädigte nur aus diesen Gründen auf Widerstand verzichtete, war dem Angeklagten und dem gesondert verfolgten R.

M.

bewusst. Dass die Geschädigte vor
Durchführung der sexuellen Handlungen von dem Angeklagten oder von R.

M.

bedroht wurde, hat das [X.] nicht festgestellt.
2.
Der Angeklagte, so das [X.], habe sich wegen sexueller Nöti-gung (Vergewaltigung) im Sinne von §
177 Abs.
1 Nr.
3, Abs.
2 Satz
2 Nr.
1 StGB schuldig gemacht. Die Geschädigte habe sich zum Zeitpunkt der [X.] in einer schutzlosen Lage befunden, da sie in der Wohnung des [X.] verfolgten R.

M.

über keine effektiven Schutz-
und Verteidi-
gungsmöglichkeiten mehr verfügt habe und deshalb der nötigenden Gewalt beider Täter ausgeliefert gewesen sei. Bei Gesamtwürdigung aller Tatumstände habe sie keine Aussicht gehabt, sich den als mögliche Nötigungsmittel in [X.] zu ziehenden Gewalthandlungen beider Täter zu widersetzen, sich ihrem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Der [X.] habe auch vorsätzlich gehandelt, da er nicht nur den entgegenstehenden Willen der Geschädigten, sondern auch die Umstände erkannt habe, die ihre schutzlose Lage begründeten.
5
-
5
-
II.
Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 10.
September 2012 keinen Erfolg. Die Rüge der Verletzung von §
338 Nr.
6 [X.] genügt schon deshalb nicht den Anforderun-gen des §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.], weil sie mit unvollständigem
bzw. unzutref-fendem
Sachvortrag begründet wird.
2.
Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die Verurteilung we-gen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung wegen Ausnutzung einer schutz-losen Lage im Sinne des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a)
Nach der neueren
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Verwirklichung des Tatbestandes des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB unter ande-rem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigen-den Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutz-losigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des [X.] in Gestalt von Körperver-letzungs-
oder gar Tötungshandlungen einen

ihm grundsätzlich möglichen

Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlun-gen vornimmt oder duldet; auf diese Umstände muss sich der

zumindest be-dingte

Vorsatz des [X.] erstrecken
(vgl. dazu [X.], Urteile vom 27.
März 2003

3
StR
446/02, [X.], 533, 534; vom 25.
Januar 2006

2
StR
345/05, [X.]St 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4.
April 2007

4
StR
345/06, [X.]St 51, 280, 284; vom 11.
Juni 2008

5
StR
193/08, NStZ 6
7
8
9
-
6
-
2009, 263; vom 10.
Mai 2011

3
StR
78/11, [X.], 311, 312; vom 20.
Oktober 2011

4
StR
396/11, [X.], 209; vom 21.
Dezember 2011

4
StR
404/11,
[X.], 570, 571,
jeweils mwN; anders noch [X.], Urteil vom 20.
Oktober 1999

2
StR
248/99, [X.]St 45, 253, 255
ff.).
b)
Gemessen daran hat das [X.] die Voraussetzungen von §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB nicht ausreichend belegt.
Das [X.] hat zwar Feststellungen dazu getroffen, dass sich die Geschädigte zum Tatzeitpunkt objektiv in einer schutzlosen Lage befand. Dass sie die sexuellen Handlungen des Angeklagten und des gesondert verfolgten R.

M.

gerade aus Angst vor Körperverletzungs-
oder gar Tötungs-
handlungen hingenommen hat
und der Angeklagte dies erkannte und zumin-dest billigend in Kauf nahm, ergeben die Urteilsfeststellungen jedoch nicht. [X.] gingen den
sexuellen Handlungen in der Wohnung des R.

M.

keine Drohungen voraus, die Anlass
für konkrete Befürchtungen der Geschä-digten hätten sein können, sie habe bei weiterem Widerstand mit Körperverlet-zungs-
oder Tötungshandlungen zu rechnen. Ob die vom [X.] zeitlich nicht genau eingeordneten, früheren sexuellen Übergriffe des gesondert ver-folgten D.

M.

sowie seine übrigen Gewalttätigkeiten und Drohun-
gen zum Nachteil der Geschädigten als Anknüpfungspunkt für die Erfüllung des Tatbestandes des §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB in Betracht kommen, kann dahin-stehen. Nach den Urteilsfeststellungen waren diese Geschehnisse weder dem Angeklagten noch dem R.

M.

zum Zeitpunkt der Tatausführung be-
kannt.

10
11
-
7
-
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entschei-dung.
Eine Aufhebung des Haftbefehls durch den Senat ist nicht geboten (§
126 Abs.
3 [X.]; [X.], [X.], 55.
Aufl., §
126 Rn.
9).
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke

Quentin
Reiter
12

Meta

4 StR 374/12

24.10.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2012, Az. 4 StR 374/12 (REWIS RS 2012, 1998)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1998

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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