Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.07.2012, Az. 20 F 12/11

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2012, 5067

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Bindungswirkung der Auslegung des Klagebegehrens durch das Gericht der Hauptsache im in-camera-Verfahren


Gründe

I.

1

Der Antragsteller, ein Verein, der die Interessen mittelständischer Autohöfe vertritt, begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren auf der Grundlage des [X.] ([X.]) von der Antragsgegnerin, vertreten durch das [X.], Bau und Stadtentwicklung, Zugang zu dem [X.], mit dem der [X.] seinen Geschäftsanteil an der [X.] - später umgewandelt in die [X.] (Beigeladene zu 2) - verkauft hat. Einen Antrag, mit dem im Widerspruchsverfahren ein nur noch beschränkter Zugang zu dem [X.] begehrt worden war - nämlich soweit darin Aussagen zu dem Erhalt des Systems "Fahren, Tanken und Rasten auf der Autobahn" enthalten sind, mit Ausnahmen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Dritter - hatte das [X.]esministerium zuvor mit Ausnahme des Absatzes 3 der Vorbemerkung abgelehnt, weil die Beigeladene zu 2 und einer der Käufer, der mittlerweile als Beigeladene zu 1 firmiert, ihre Einwilligung verweigert hatten; der insoweit ebenfalls einschlägige Absatz 5 der Vorbemerkung enthalte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Der Streit um den entsprechenden Zugang zum gleichzeitig abgeschlossenen Rahmenvertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2 sowie der Beigeladenen zu 3 hat sich zwischenzeitlich erledigt, nachdem der Antragsteller von dritter Seite eine Kopie dieses Vertrags erhalten hat.

2

Mit Beweisbeschluss vom 6. Oktober 2011 forderte das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin auf, den [X.] vorzulegen. Die Klage sei in dem für die Beweiserhebung maßgeblichen Umfang zulässig. Der Antragsteller begehre nunmehr zwar Akteneinsicht in den gesamten Vertrag, ohne dass für den im Vergleich zum Verwaltungsverfahren erweiterten Teil des Begehrens ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Mit diesem weiten Klageantrag verfolge der Antragsteller jedoch auch das ursprüngliche Begehren auf Zugang zu solchen Informationen im Kaufvertrag weiter, die den Erhalt des "Systems Fahren, Tanken und Rasten auf der Autobahn" beträfen. Das diesbezügliche Informationsbegehren sei nicht zu unbestimmt. Denn der Antragsteller habe ausgeführt, dass zu den relevanten Informationen alle Vertragsbestimmungen zu rechnen seien, in denen Aussagen zu [X.] gemacht würden. Bei welchen Vertragsbestimmungen dies der Fall sei, könne durch Einsichtnahme in den Vertrag eindeutig geklärt werden. Einen der Gewährung von Informationen entgegenstehenden unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mache die Antragsgegnerin nicht geltend. Auch auf die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit in den Bestimmungen des Kaufvertrages Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offenbart würden, komme es derzeit nicht an. Denn maßgeblich für die Begründetheit des vom Antragsteller zulässigerweise weiter verfolgten [X.] sei danach zunächst, ob und inwieweit in den vom Antragsteller nicht zugänglich gemachten Passagen des [X.]s überhaupt Aussagen zu [X.] enthalten seien. Der Antragsteller bestreite die Angaben der Antragsgegnerin, wonach dies nur auf die vom Klageantrag nicht mehr umfassten Absätze 3 und 5 der Vorbemerkung zutreffe.

3

Das [X.], Bau und Stadtentwicklung gab daraufhin unter dem 1. November 2011 eine Sperrerklärung ab. Der Inhalt des [X.]s sei sowohl nach dem Gesetz als auch seinem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Dem Abschluss des [X.]s sei ein mehrstufiges Bieterverfahren vorausgegangen; dort gelte der Grundsatz des [X.]. Darüber hinaus enthalte der [X.] und Geschäftsgeheimnisse. Die in den einzelnen Paragraphen enthaltenen Bestimmungen schränkten die unternehmerische Freiheit der Beigeladenen noch heute ein; sie hätten erheblichen Einfluss auf die operative Betriebs- und Geschäftspolitik; die Wettbewerbsposition der Beigeladenen werde gefährdet. Überdies würde ein Bekanntwerden des Inhalts dem Wohl des [X.]es Nachteile bereiten. Dem [X.] entstünden erhebliche wirtschaftliche Nachteile, wenn etwaige Interessenten über die vom [X.] verwendeten Vertragsstandards unterrichtet würden. Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen werde das Ermessen dahingehend ausgeübt, dass die Vorlage des ungeschwärzten [X.] verweigert werde. Das in-camera-Verfahren trage dem Interesse beider Seiten angemessen Rechnung.

4

Bereits mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2011 hat die Beigeladene zu 1 in entsprechender Anwendung des § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Feststellung beantragt, dass die Vorlage des [X.]s wegen der darin enthaltenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse rechtswidrig sei.

5

Auf den Antrag des Antragstellers vom 25. November 2011, der die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Vorlage begehrt, hat das Verwaltungsgericht die zunächst dem Oberverwaltungsgericht übersandten Akten dort zurückgefordert und die Sache dem [X.] des [X.]esverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

II.

6

Über den Antrag des Antragstellers hat gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, § 189 VwGO der [X.] des [X.]esverwaltungsgerichts zu beschließen. Der von der Beigeladenen zu 1 zunächst gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Vorlage steht dieser Zuständigkeit nicht entgegen; er gibt auch keinen Anlass zu einer Aussetzung des Verfahrens. Zwar kann mit einem Antrag entsprechend § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch die behördliche Entscheidung überprüft werden, einem Aktenvorlageersuchen des [X.] zu entsprechen, sei es weil schon [X.] nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verneint werden, sei es, weil im Rahmen der Ermessensentscheidung die Abwägung zu Gunsten einer Vorlage ausfällt (vgl. Beschluss vom 2. November 2010 - BVerwG 20 F 2.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 8 m.w.N.). An einer solchen Freigabeentscheidung fehlte es indessen. Die Beigeladene zu 1 hat vielmehr vorsorglich - im Sinne einer Schutzschrift - ein entsprechendes Begehren angebracht. Dieses geht jedoch ins Leere, nachdem das [X.], Bau und Stadtentwicklung mit der Sperrerklärung eine Entscheidung über die Verweigerung der Vorlage getroffen hat. Für dessen Überprüfung ist auf Antrag des Antragstellers nach § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VwGO das [X.]esverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz anstelle des gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich zur Entscheidung berufenen Oberverwaltungsgerichts zuständig, da das [X.] als eine oberste [X.]esbehörde sich jedenfalls auch auf den [X.] der Nachteile für das Wohl des [X.]es gestützt hat.

7

Der Antrag ist - derzeit - unzulässig. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des [X.] im selbstständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit ordnungsgemäß bejaht hat. Daran fehlt es.

8

Das Verwaltungsgericht hat zwar - wie in der Regel zur ordnungsgemäßen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen geboten und auch ausreichend - einen Beweisbeschluss erlassen (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 24. November 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <230 f.> = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27 und vom 22. Januar 2009 - BVerwG 20 F 5.08 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 53 Rn. 2). In diesem Beschluss hat es auch zur Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung erweiterten [X.] des Antragstellers Stellung genommen, zur Klärung der Voraussetzungen des allein als zulässig erachteten - in Übereinstimmung mit dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren - eingeschränkten [X.] gleichwohl die Vorlage des gesamten Vertrags erforderlich gehalten.

9

Hat das Gericht der Hauptsache - wie hier - die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der [X.] grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Bindungswirkung entfaltet auch die Auslegung des Klagebegehrens durch das Gericht der Hauptsache. Eine andere Beurteilung durch den [X.] kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 7 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 60 und vom 8. Februar 2011 - BVerwG 20 [X.] - juris Rn. 9). Davon ist insbesondere auch dann auszugehen, wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Antragsteller und die Beigeladene zu 1 wenden sich allerdings zu Unrecht gegen die Ausführungen des [X.] zur Zulässigkeit der in der mündlichen Verhandlung erweiterten Klage. Dieser vom Verwaltungsgericht vertretene rechtliche Ausgangspunkt zur Bestimmung der Entscheidungserheblichkeit der vorzulegenden Unterlagen ist vom [X.] nicht zu beanstanden. Die Beigeladene zu 1 missversteht die Äußerungen im Beweisbeschluss, und der Antragsteller zeigt nicht auf, dass die Rechtsauffassung des [X.] unhaltbar ist.

Das Verwaltungsgericht hat aber seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, um den Umfang der Vertragsbestandteile zu ermitteln, die für das im Hauptsacheverfahren in prozessrechtlich zulässiger Weise geltend gemachte Informationszugangsbegehren in Betracht kommen. So wäre schon vor Erlass des [X.] zu erwägen gewesen, der Antragsgegnerin aufzugeben, weitere Angaben zum Vertrag mit einer abstrakten Umschreibung des Regelungsgegenstands der einzelnen Vertragsbestimmungen zu machen. Auf dieser Grundlage hätte sodann geprüft werden können, ob ein Bezug zu den den Antragsteller interessierenden Aussagen zu dem Erhalt des Systems "Fahren, Tanken und Rasten auf der Autobahn" angenommen oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2010 - BVerwG 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7).

Jedenfalls nach Abgabe der Sperrerklärung war das Verwaltungsgericht aber gehalten, die Frage der Entscheidungserheblichkeit der einzelnen Vertragsbestimmungen nochmals zu überprüfen. Denn in der Sperrerklärung wird der Inhalt der einzelnen Vertragsregelungen jedenfalls stichwortartig umrissen (vgl. Beschluss vom 13. April 2011 - BVerwG 20 [X.] - juris Rn. 9 f.). Die Möglichkeit, dass das Verwaltungsgericht bei deren Bewertung zum Schluss kommt, dass bestimmten Vertragsklauseln jeglicher Bezug zum Informationszugangsbegehren des Antragstellers fehlt, ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Dafür spricht im Übrigen auch die Einschätzung verschiedener Klauseln durch den Antragsteller in seinem Beschwerdeschriftsatz.

Meta

20 F 12/11

03.07.2012

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend VG Berlin, 6. Oktober 2011, Az: 2 K 54.11, Beschluss

§ 99 Abs 2 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.07.2012, Az. 20 F 12/11 (REWIS RS 2012, 5067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5067

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

20 F 13/15 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Abgabe der Sperrerklärung


20 F 4/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Schutz fiskalischer Interessen im in-camera-Verfahren


20 F 11/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Anforderung an die Sperrerklärung bei vertraglichen Regelungen


20 F 25/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Pflicht des Hauptsachegerichts zur Verlautbarung seiner Rechtsauffassung


20 F 12/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Entbehrliche Äußerung zur Entscheidungserheblichkeit bei Konkurrentenklage


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.