Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.01.2017, Az. 2 StR 235/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 17726

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:100117B2STR235.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 235/16

vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 10.
Januar 2017
gemäß §
349 Abs.
4
[X.] beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Februar 2016
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugend-kammer zuständige Strafkammer des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit
sexuellem [X.] in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexu-ellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Bean-standungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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3
-
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem [X.] zusammen mit seiner Le-bensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 gebore-nen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heira-teten er und seine Lebensgefährtin.
Im [X.]raum zwischen dem 1.
Januar 2007 und dem 31.
Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädig-ten und berührte sie mit seinem unbedecl-lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör-

Innerhalb des vorgenannten [X.]raums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den
Aufforderungen
Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum n
Tep-

An einem nicht mehr feststellbaren Tag im [X.]raum zwischen dem 1.
Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kon-dom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr klei-nes Geheimnis

sei und sie es niemandem verraten dürfe
(Fall II.
10. der Ur-teilsgründe).

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b)
Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschul-zeit, im März 2010,
gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortlei-terin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei-wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins [X.] fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen
körperlichen Untersuchungen

[X.] spiegelte dieser
sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der [X.] blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergrif-fen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im [X.] vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten,
entschuldigte sich die Geschädigte bei
dem Angeklagten.
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psy-chische Probleme bei der Geschädigten
auf. Sie unternahm Suizidversuche, -
und [X.]. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr
ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her-

und es habe auch [X.] gegeben.
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer ge-schlossenen Einrichtung der Kinder-
und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten 7
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woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
c)
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung [X.] insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.

2.
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das [X.] hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamt-würdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschä-digten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die durch das [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hinsicht-lich der
sexuellen
Übergriffe
des Angeklagten hält -
auch unter Berücksichti-gung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Ur-teil vom 18.
September 2008 -
5 [X.], [X.], 401, 402)
-
sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Ur-teil vom 6.
April 2016 -
2
StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brau-chen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO). 11
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6
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Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder ge-gen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6.
November 1998 -
2 [X.], [X.]R [X.] §
261 Be-weiswürdigung 16;
weitere Nachweise bei [X.]/[X.], [X.], 59.
Aufl., §
261 Rn.
3 und 38).

Darlegung
einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu be-einflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
April 1987
-
3
StR 141/87, [X.]R [X.] §
261 Be-weiswürdigung 1; Beschluss vom 22.
April 1997 -
4
StR 140/97, [X.]R [X.] §
261 Beweiswürdigung
13; Urteil vom 3.
Februar 1993 -
2
StR 531/92, [X.]R StGB §
177 Abs.
1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 -
2
StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 30.
August 2012 -
5
StR 394/12, [X.], 19; Urteil vom 6.
April 2016 -
2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Mai 2002 -
1
StR 40/02, [X.], 656,
657).
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforde-rungen ist das [X.] nicht
gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.

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7
-
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung
und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs
von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch [X.], [X.] vom 24.
April 2014 -
5
StR 113/14, [X.], 219), sind wider-sprüchlich und lückenhaft.
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar sexuellen Handlungen (UA S.
7, 13) gewesen, die indes das [X.] nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das [X.] hingegen
-
widersprüchlich
-
aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S.
13).
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen [X.] sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der [X.] (seien) stets nachvollzie

15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass (UA S.
22).
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen -
wie hier
-
zum Kern-geschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen [X.] ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten 18
19
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-
8
-
Maßstäben verwehrt ist (vgl. [X.], Urteil vom 10. August 2011 -
1
StR 114/11, [X.], 110, 111).
bb) Das [X.] hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum ge-gangen sein könnte, n oder jeden-

19), zumal die Ge-schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei.
Das [X.] hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter ande-rem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur [X.] der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die [X.], dass sich die Geschädigte zum [X.]punkt der Erstoffenbarung im
März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere
weil
die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand.
Bereits zu einem [X.]punkt vor der Erstof-fenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sie gerne bei ihrem leiblichen Va-

11).
Hinzu kommt, dass es -
auch nach der Einlassung des Angeklagten
-
zwischen ihr und ihrem Stiefvater seit dem Jahr 2008

10) vermehrt zu
Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie

21)
habe, erläutert die J[X.] im Einzelnen nicht näher.
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das [X.] sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte,

5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder-
und 21
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-
9
-
Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war
und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder-
und Jugendpsychiatrie von der Geschä-Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Auf-enthalte in der Kinder-
und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be-

7)

14), von diesen -
ebenfalls nicht näher ausgeführten
-

20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das [X.] nicht.
-
10
-
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
VRi[X.] Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng
ist krankheitsbedingt an
der Unterschrift gehindert.

Eschelbach

Bartel

Grube

24

Meta

2 StR 235/16

10.01.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.01.2017, Az. 2 StR 235/16 (REWIS RS 2017, 17726)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17726

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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