Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2017, Az. 2 StR 465/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9655

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130617B2STR465.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 465/16

vom
13. Juni 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2017
gemäß § 349 Abs.
4
[X.] beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2016
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugend-kammer zuständige Strafkammer des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefoh-lenen in jeweils drei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren vier Fäl-len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und auf die Sachrüge gestützte [X.] des Angeklagten. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge Erfolg.
1
-
3
-
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2001
zusammen mit seiner Le-bensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. Juli 2007 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
Im [X.] 2009 nahmen sie die zum damaligen Zeitpunkt acht Jahre alte -
spätere
Geschädigte -
Enkelin der Ehefrau des [X.] zur Erziehung und Betreuung auf. Wegen Erziehungs-
und Um-gangsproblemen erhielten sie in der Folgezeit Hilfe durch das Jugendamt. Im Februar/März 2014 und im April 2015 wurde die Geschädigte wegen Streitigkei-ten zwischen ihr und dem Angeklagten kurzfristig durch das Jugendamt in
Ob-hut
genommen; sie kehrte aber jeweils wieder in den gemeinsamen Haushalt zurück. Am 7.
Juli 2015 begab sich die Geschädigte freiwillig in die Kinder-
und Jugendpsychiatrie, wo sie sich hinsichtlich der dem Verfahren zugrundeliegen-den Taten offenbarte.

Im Zeitraum zwischen [X.] 2013 und Juli 2015 kam es an nicht mehr feststellbaren Tagen zu insgesamt sieben Taten: In der Gartenlaube leckte der Angeklagte mit seiner Zunge am unbedeckten Geschlechtsteil der sexuell uner-fahrenen Geschädigten (Fall II. 1. der Urteilsgründe). Einen Vibrator, auf dem der Angeklagte zuvor Gleitgel aufgetragen hatte, führte er bei der Geschädigten einmal anal (Fall II. 2. der Urteilsgründe) und in einem anderen Fall -
für die Geschädigte schmerzhaft -
vaginal ein (Fall II.
3. der Urteilsgründe). Der Ange-klagte versuchte in zwei weiteren Fällen mit seinen Penis bei der Geschädigten vaginal einzudringen, was ihm aufgrund der Anspannung des Kindes nicht ge-lang; in einem Fall befriedigte er sich sodann selbst und ejakulierte auf dessen Bauch (Fälle
II. 4. und II. 5. der Urteilsgründe). Nach Aufforderung befriedigte die Geschädigte den Angeklagten mit der Hand bis zum Samenerguss 2
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4
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4
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(Fall
II.
6. der Urteilsgründe). Innerhalb des [X.] vollzog der Ange-klagte mit der Geschädigten den Analverkehr. Danach sagte er ihr, dass sie niemandem davon erzählen solle, weil er sonst dafür bestraft werde (Fall II.
7. der Urteilsgründe).
b)
Die Geschädigte offenbarte sich an einem zeitlich nicht einzuordnen-den Tag ohne nähere Details einer gleichaltrigen Freundin. Während ihres [X.] in der Kinder-
und Jugendpsychiatrie
äußerte sie sich am 31.
August 2015 gegenüber einer dort tätigen Krankenschwester,
auch
ohne konkrete An-gaben über das Geschehene zu [X.] 8.
September 2015 wurde die Polizei von Seiten der Einrichtung informiert. Am 10. und 14. September erfolgten polizeiliche Vernehmungen der Geschä-. Anlässlich der Durchsuchung der Wohnung und der Gartenlaube des Angeklagten wurden u.a. mehrere Vibratoren, ein Pornofilm und ein Mobiltelefon mit insgesamt 13
Fotos sichergestellt, auf denen ein Zungenkuss zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten sowie Großaufnahmen der Brüste und des Vaginal-
und Analbereich des Kindes zu sehen sind.
In der Folgezeit [X.] deswegen in den Haushalt ihrer Großmutter zurückkehren. Am 27. September 2015 schrieb sie einen Brief an eine Ärztin der Kinder-
und Jugendpsychiatrie, in dem sie erklärte, den Ange-klagten zu Unrecht beschuldigt zu haben. Sie habe bemerkt, dass sie sich schon sehr oft widersprochen habe. Sie sage die Wahdies nicht nur, damit sie nicht ins Heim komme. Sie sei wütend auf [X.] gewe-

Oktober 2015 nahm die Geschädigte ihre Angaben aus dem Brief vom 27.
September 2015 zurück.

Sie habe sich sehr unter Druck gefühlt, weil ihre Oma zu ihr gesagt 5
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5
-
habe, sie würde für immer weggehen, wenn die Vorwürfe gegen den Angeklag-ten wahr seien. Tatsächlich seien ihre Angaben bei der Polizei über den sexuel-len Missbrauch durch den Angeklagten
wahr. Am 24.
November 2015 wurde sie richterlich vernommen; die Geschädigte machte dort n-

2.
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Er habe ein freundschaftli-ches Verhältnis zu der Geschädigten gehabt. Auseinandersetzungen habe es indes
i-chen Fotos habe er teilweise auf Verlangen der Geschädigten gefertigt; wie die könne er sich nicht erklären. Sein Mobiltelefon habe Die Geschädigte habe durchaus Zugang zu seinem Mobiltelefon
gehabt.
Das [X.] hat seine Überzeugung von dem festgestellten [X.] im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeb-lich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.
1. Die zulässige Rüge einer Verletzung des §
261 [X.] wegen Nichtbe-rücksichtigung des Ergebnisses einer verlesenen gynäkologischen Untersu-chung ist begründet.
Das [X.] hat sich insoweit nicht mit allen erhobe-nen Beweisen auseinandergesetzt und daher seine Überzeugung nicht aus dem vollständigen Inhalt der Beweisaufnahme geschöpft. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
7
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-
6
-
Am 5.
Hauptverhandlungstag verlas der Vorsitzende den gynäkologi-schen Befund des

k.

s N.

vom 28.
September 2015
hinsichtlich der Geschädigten. Der -
im Übrigen -
unauffällige Befund stellte [X.] Verletzungen und u.a. ein intaktes Hymen fest. Diesen
Umstand hat das [X.] nicht verwertet.
Die Revision macht zu Recht geltend, dass der Tatrichter dieses Be-weisergebnis in den Urteilsgründen mit Blick darauf hätte erörtern müssen, ob dieser Umstand der Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten
entgegen-stehe. Denn nach ihrer Aussage, die mit dem Befund nicht ohne Weiteres ver-einbar ist, habe der Angeklagte ihr im Fall II.
3. der Urteilsgründe -
für sie schmerzhaft
-
einen Vibrator vaginal eingeführt.
Soweit der Generalbundesan-walt ausführt, dem gynäkologischem Befund käme kein erörterungsbedürftiger

bleibt dies notwendigerweise spekulativ. Auch wenn es möglich ist, einen vollendeten [X.] ohne Verletzung der [X.] auszuführen, hätte es einer Auseinan-dersetzung mit der Frage bedurft, ob auch im vorliegenden Fall die (für die Ge-schädigte schmerzhafte) vaginale Einführung eines -
nicht näher spezifizierten
-
Vibrators ohne Verletzung des Hymens möglich ist (vgl. auch [X.], Urteil vom 4.
März 1960 -
4 StR 31/60, [X.]St 14, 162, 164; Beschluss vom 24.
Juni 2008 -
3 StR
169/08).
Diese nicht unbedeutende Indiztatsache könnte erhebliches Gewicht für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin insgesamt haben, namentlich auch im Hinblick auf deren ambivalentes Verhalten in der Vergangenheit sowie auf weitere vom [X.] erwähnte, jedoch als letztlich nicht gravierend angesehene Besonderheiten.
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12
-
7
-
Das Schweigen der Urteilsgründe zu diesem für die Beweiswürdigung möglicherweise nicht unbedeutenden
Beweisergebnis ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen
§
261 [X.]. Dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, kann nicht ausgeschlossen werden.
2. Auch die Sachrüge hat Erfolg. Die Beweiswürdigung hält -
auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteil vom 18.
September 2008 -
5 [X.], [X.], 401, 402)
-
sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das
Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ([X.], Urteil
vom 6.
April 2016 -
2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brau-chen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind ([X.], aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder ge-gen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 6.
November 1998 -
2 [X.], [X.]R [X.] §
261 Be-weiswürdigung 16; weitere Nachweise bei [X.]/[X.], [X.], 60.
Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
Darüber hinaus hat der [X.] in Fällen, in denen im [X.] g-keit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteils-gründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Ange-klagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
April 1987
-
3
StR 141/87, [X.]R [X.] 13
14
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8
-
§
261 Beweiswürdigung 1; [X.], Urteil vom 3.
Februar 1993 -
2
StR
531/92, [X.]R StGB §
177 Abs.
1 Beweiswürdigung 15; Beschluss vom 10. Januar 2017
-
2
StR 235/16, [X.], 367, 368 mwN) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 30.
August 2012 -
5 [X.], [X.], 19; [X.], Beschluss vom 10.
Januar 2017 -
2
StR 235/16, [X.], 367, 368 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Mai 2002 -
1
StR 40/02, [X.], 656,
657).
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforde-rungen ist das [X.] nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter
Erörterungsmängeln.
Das [X.] hat sich nicht näher damit auseinandergesetzt, dass die Geschädigte, in Absprache

mit einer sie betreuenden Psychotherapeutin freiwilligder
Kinder-
und Jugendpsychiatrie untergebracht wurde und die verfahrensgegenständlichen sexuellen Übergriffe während dieses Aufenthaltes
wird nicht
mitgeteilt. Offen bleibt auch, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschä-digten, die von verschiedenen Zeugen beobachtetes selbstverletzendes Verhal-ten gezeigt hat,
auftraten, und wann
und
warum die gegenüber der Psychothe-rapeutin geäußerten nicht näher erörterten Suizidgedanken auftraten.
Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von mehreren Zeugen, u.a. auch von der Großmutter der Geschädigten -
mit Beispielen belegt -
als Mädchen beschrieben wird, das n-von möglicherweise bestehenden e-den dargestellten n-ten, erschließt sich dem [X.] mangels näherer Erörterung durch das Landge-richt nicht.
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-
c)
Der [X.] kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beur-teilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
Krehl

Eschelbach

Zeng

Bartel

Grube

19

Meta

2 StR 465/16

13.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2017, Az. 2 StR 465/16 (REWIS RS 2017, 9655)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9655

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 394/12

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