Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.08.2015, Az. XII ZB 208/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 6417

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 208/15

vom

19. August
2015

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 2
Die Regelung des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO, wonach das Gericht die Bewilligung der Prozesskosten-
bzw. Verfahrenskostenhilfe aufheben soll, wenn der [X.] absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, ist im [X.] der Prozess-
oder Verfahrenskostenhilfe nicht analog [X.].
[X.], Beschluss vom 19. August 2015 -
XII [X.] 208/15 -
Kammergericht [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
19. August
2015
durch [X.] und [X.] Klinkhammer, Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 5.
Januar 2015 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Be-schluss des Amtsgerichts

[X.]

Schöneberg vom 12.
September 2014 abgeändert.
Der Antragstellerin wird für das Scheidungsverfahren in erster In-stanz ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt

R.

aus B.

beigeordnet.
Gerichtskosten werden für die Rechtsmittelverfahren nicht erho-ben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
Die Antragstellerin beantragte im Dezember 2013
Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren. Das [X.] lehnte den Antrag ab, weil die Antragstellerin keine Belege beigefügt und diese auch nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist nachgereicht hatte. Das Beschwer-degericht
wies die dagegen eingelegte Beschwerde zurück, weil die [X.]
-
3
-
lerin mit den in der Beschwerdeinstanz nachgereichten Unterlagen ein [X.] nicht angegeben hatte, auf das sie regelmäßige Sparraten von monatlich 50

Im August 2014 hat die Antragstellerin erneut Verfahrenskostenhilfe [X.] und hierbei wiederum das [X.] nicht
in der Formularer-klärung
angegeben, jedoch einen Kontoauszug
beigefügt, aus dem
sich zum 20.
Dezember 2013 ein Kontostand von 350,63

ergab.
Das [X.] hat auch diesen Antrag abgelehnt, das Beschwerdegericht
die dagegen einge-legte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

II.
[X.] ist zulässig und
begründet.
1. [X.] ist statthaft, weil das Beschwerdegericht
sie zugelassen hat (§§
113 Abs.
1 Satz
2 FamFG, 127 Abs.
2 Satz
2, 574 Abs.
1
Satz
1 Nr.
2 ZPO) und es um Fragen des Verfahrens der Prozess-
bzw. Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8.
Dezember 2010

XII
[X.]
38/09

FamRZ 2011, 463 Rn.
8 mwN und vom 18.
Juli 2007

XII
ZA
11/07

FamRZ 2007, 1720, 1721
mwN). Sie ist auch im Übrigen zuläs-sig.
2. [X.] hat
auch
in der Sache Erfolg.
a) Das Beschwerdegericht
hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Dem erneut gestellten [X.] stehe zwar nicht die unan-fechtbare Entscheidung über das
erste Gesuch der Antragstellerin entgegen, da 2
3
4
5
6
-
4
-
diese Entscheidung nicht in materielle Rechtskraft erwachse. Die Antragstellerin habe das Recht auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe jedoch verwirkt.
Dadurch, dass sie auch im jetzigen Verfahren nicht das [X.] angegeben habe, liege zumindest grob [X.] Verhalten im Sinne von §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO vor. Nachdem der Antragstellerin bereits einmal Verfahrenskostenhilfe wegen desselben Umstandes verweigert worden sei, habe ihr bekannt sein müssen, dass es auch auf dieses Vermögen ange-kommen und bei der Abfassung der Erklärung über ihre persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse insoweit besondere Sorgfalt zu beachten gewesen sei. Dabei spiele es keine Rolle, dass ein Kontoauszug des [X.]
beige-fügt gewesen sei und man die monatlichen Abbuchungen der Sparraten auch aus den Kontoauszügen des Girokontos habe ersehen können. Denn ihre in der Erklärung abgegebene Versicherung, dass diese vollständig und wahr sei, sei mangels Angabe des [X.] falsch gewesen. Das rechtfertige eine Versa-gung der Verfahrenskostenhilfe in analoger Anwendung des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO bereits im Bewilligungsverfahren. Insoweit bestehe eine Regelungslücke, weil sich nicht begründen lasse, weshalb diese [X.] nur eine nachträgliche Aufhebung der Bewilligung rechtfertigen solle, nicht aber eine Versagung der Verfahrenskostenhilfe im laufenden Bewilligungsverfahren. Be-reits im Bewilligungsverfahren sei das Gericht auf die zuverlässigen und ehrli-chen Angaben des Antragstellers angewiesen, so dass auch in diesem [X.] eingreife.
Der [X.] sei auch dann verwirkt, wenn keine Täu-schungsabsicht, sondern nur wiederholte grobe Fahrlässigkeit vorliege, und unabhängig davon, ob die Falschangabe zu einer unzutreffenden Bewilligung führe. Es genüge, dass die falsche Angabe generell geeignet erscheine, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen. Die Versagung 7
8
-
5
-
der Verfahrenskostenhilfe stelle dann den Regelfall dar, von dem hier schon wegen des wiederholten Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht nicht abzuwei-chen sei.
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Im Ausgangspunkt
zutreffend geht das Beschwerdegericht
allerdings davon aus, dass die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung der Zu-lässigkeit eines neuen Verfahrenskostenhilfegesuchs nicht entgegensteht. Denn ein die Verfahrenskostenhilfe versagender Beschluss erlangt zwar formel-le, aber keine materielle Rechtskraft ([X.] Beschluss vom 3.
März 2004

IV
[X.]
43/03

FamRZ
2004,
940
und Senatsbeschluss vom 10.
März 2005

XII
[X.]
19/04

FamRZ 2005, 788).
bb) Zwar kann es ausnahmsweise an einem Rechtschutzbedürfnis für die erneute Antragstellung fehlen, wenn auf der Grundlage desselben [X.] ein vorheriger
Antrag gleichen Inhalts bereits zurückgewiesen worden ist und ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wegen Fristablaufs nicht mehr eingelegt werden kann oder die eingelegten Rechtsbehelfe keinen Erfolg hatten ([X.] Beschluss vom 3.
März 2004

IV
[X.]
43/03

NJW 2004, 1805 Rn.
16; [X.] 2011, 563; [X.], 246; [X.] 2007, 1286; [X.] FamRZ 1997, 756; [X.] [X.] 1989, 67; OVG Bremen JurBüro 1991, 846; [X.]/[X.] ZPO 30.
Aufl. §
117 Rn.
6; Musielak/[X.] ZPO 11.
Aufl. §
127 Rn.
6; [X.]/[X.] 4.
Aufl. §
117 Rn.
4).
Hier ist der zweite Antrag jedoch schon nicht identisch mit dem ersten Antrag. Abgesehen von geringfügig veränderten Einkommensverhältnissen un-terscheidet sich der zweite Antrag vom ersten vor allem
insoweit, als zumindest Kontoauszüge des im
Erklärungsvordruck
nicht angegebenen Kontos beigefügt 9
10
11
12
-
6
-
waren.
Damit ist ein Rechtschutzbedürfnis auch für den erneuten Antrag
gege-ben.
cc) In der Sache ist das Beschwerdegericht
unzutreffend von einer [X.] des Anspruchs auf Verfahrenskostenhilfe auf Grundlage einer analo-gen Anwendung des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO ausgegangen. Nach dieser Vor-schrift soll das Gericht die Bewilligung der Prozess-
bzw. Verfahrenskostenhilfe aufheben, wenn
der Antragsteller
absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach §
120
a Abs.
1 Satz
3 ZPO nicht oder unge-nügend abgegeben hat.
Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, ob §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO, der seinem Regelungsinhalt nach nur die
nachträgliche Aufhebung einer Bewilligung wegen falscher Angaben ermöglicht, analog bereits im [X.] anzuwenden ist und auch hier bei mindestens grob nachlässig unrichtigen Angaben zur Versagung führt.
(1)
Das Beschwerdegericht
hat die analoge Anwendung des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO mit einem Erst-Recht-Schluss begründet: Wenn falsche Angaben
sogar die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung rechtfertigten, müsse erst recht die Möglichkeit bestehen, Verfahrenskostenhilfe
aus demsel-ben Grund bereits im Bewilligungsverfahren zu versagen
(ebenso [X.], 1419; [X.] FamRZ 2014, 589, 590
f.; [X.] Be-schlüsse vom 30.
Januar 2002

4
Ta
148/01

juris und vom 18.
März 2003

4
Ta
446/02

juris; Musielak/[X.] ZPO 12.
Aufl. §
118 Rn.
10).
(2) Demgegenüber weist eine Gegenauffassung
darauf hin
(OLG Karlsruhe
FamRZ 2015, 353; [X.] Beschluss vom 20.
Februar 2007

10
WF
41/07

juris), dass im laufenden Bewilligungsverfahren ein diffe-13
14
15
16
-
7
-
renziertes Instrumentarium zur Verfügung steht, um den Antragsteller zu der erforderlichen Mitwirkung anzuhalten, nämlich insbesondere das Verlangen der Glaubhaftmachung einschließlich eidesstattlicher Versicherung, die
Anordnung der Vorlegung von Urkunden und
das Einholen von Auskünften (§
118 Abs.
2 ZPO). Aufgrund dessen fehle es an einer
planwidrigen
Regelungslücke; als formalen Ablehnungsgrund kenne das Gesetz bewusst nur die fehlende Glaub-haftmachung oder Nichtbeantwortung bestimmter Fragen innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist (§
118 Abs.
2 Satz
4 ZPO).
(3) Der Senat hält die zuletzt genannte Auffassung für zutreffend.
Nach der
Rechtsprechung
des [X.] hat die Vorschrift des §
124
Abs.
1 Nr.
2 ZPO vor allem Sanktionscharakter. Daher kann das Gericht die Verfahrenskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachläs-sigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen An-gaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die [X.] zu beeinflussen (vgl. [X.] Beschluss vom 10.
Oktober 2012

IV
[X.]
16/12

FamRZ 2013, 124
Rn.
21).
Wird eine bewilligte [X.] in Anwendung dieser Vorschrift widerrufen, wirkt sich der [X.] dahin aus, dass die staatliche Leistung nachträglich entzogen wird und der Antragsteller zur Erstattung der Kosten und Auslagen herangezogen wer-den kann.
Würde man den Rechtsgedanken des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO hingegen bereits im Bewilligungsverfahren anwenden und
Verfahrenskostenhilfe wegen falscher Angaben versagen, ergäbe sich eine deutlich
weiter reichende Folge, nämlich dass das
beabsichtigte Verfahren

wie hier das Scheidungsverfahren

17
18
19
-
8
-
überhaupt nicht geführt werden kann, letztendlich also der Zugang zum Rechts-schutz insgesamt versagt bleibt.
Das [X.] hat aus dem Sozialstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG), später auch unter ausdrücklicher Berufung auf den Rechtsstaatsgrundsatz (Art.
20 Abs.
3 GG),
die Forderung nach einer "weitgehenden Angleichung der Situation von [X.] und [X.] im Bereich des Rechtsschutzes" abgeleitet. Danach darf [X.] die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu [X.] nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der [X.] muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen [X.] wie ein Bemittelter
([X.] 122, 39 =
[X.], 2179 Rn.
30
ff.
mwN).
Die Versagung des Zugangs zum Rechtsschutz kann deswegen [X.] nicht im Wege der
Analogie
zu einer Vorschrift hergeleitet werden, die nicht das Ziel der Versagung des Rechtsschutzes verfolgt, sondern den Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer bereits
bewilligten (Sozial-)Leistung beseitigt.
20
21
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9
-
Daher kommt eine analoge Anwendung des §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO im Bewilligungsverfahren nicht in Betracht. Die Versagungsgründe wegen unzu-reichender Mitwirkung im Bewilligungsverfahren sind insoweit durch §
118 Abs.
2 ZPO abschließend geregelt.
c) Da die Sache nach ergänzenden Auskünften der Antragstellerin zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat die beantragte Verfahrenskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligen (§
577 Abs.
5 Satz
1 ZPO).

Dose

Klinkhammer
Ri[X.] Schilling ist in Urlaub

und deswegen an einer Un-

terschrift gehindert.

Dose

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.09.2014 -
83 [X.]/13 -

Kammergericht [X.], Entscheidung vom 05.01.2015 -
25 [X.]/14 -

22
23

Meta

XII ZB 208/15

19.08.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.08.2015, Az. XII ZB 208/15 (REWIS RS 2015, 6417)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6417

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 WF 173/15 (Oberlandesgericht Hamm)


2 SAF 27/15 (Oberlandesgericht Hamm)


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XII ZB 208/15

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