Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.07.2020, Az. 1 StR 220/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1945

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Gegenstand

Strafzumessung: Berücksichtigung der vorhandenen bzw. fehlenden Therapiebereitschaft eines drogenabhängigen Täters; Anwendung des Zweifelssatzes


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten S.     , Sc.         und E.      wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2019, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Angeklagte [X.]zu zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten Sc.         zu einem Jahr und acht Monaten und den Angeklagten E.      zu zwei Jahren und neun Monaten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten Sc.         in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit der ausgeführten Sachrüge.

2

Ihre Rechtsmittel haben in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

a) Das [X.] hat bei den drogenabhängigen Angeklagten [X.]und Sc.         jeweils als strafschärfend gewertet, dass sie „eine ungelöste Suchtproblematik“ aufweisen. Bei dem unter einer schweren Suchterkrankung leidenden Angeklagten E.     , der eine „Vielzahl von stationären Entgiftung- und Therapiemaßnahmen“ erfolglos durchlaufen hat, hat es strafschärfend dessen „langwierige, unbehandelte Suchtproblematik“ eingestellt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Grundlagen der Strafzumessung sind gemäß § 46 StGB der Grad der persönlichen Schuld des [X.] sowie die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung. Zwar kann eine etwa vorhandene [X.] eine strafmildernde Wirkung entfalten (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 4 StR 234/17 Rn. 5 mwN). Umgekehrt aber begegnen der Wertung einer fehlenden [X.] als Strafschärfungsgrund dann Bedenken, wenn die Weigerung, sich therapeutischer Hilfe zu bedienen, nicht ausschließbar gerade durch die Grunderkrankung bedingt ist. So verhält es sich hier. Es ist zu besorgen, dass sich gerade die Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten bei der Bemessung der Höhe der jeweiligen Freiheitsstrafe zu ihrem Nachteil ausgewirkt hat.

5

b) Bezüglich des Angeklagten Sc.         kann der Strafausspruch aus einem weiteren Grund keinen Bestand haben. Die [X.] unterstellt zwar im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn zu seinen Gunsten, dass nach seiner Einlassung (die sie allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung als „beschönigend“ und Schutzbehauptung gewertet hat, [X.] f.) er und nicht der Mitangeklagte [X.]deeskalierend auf den Angeklagten E.      einwirkte ([X.], 46). Bei der Prüfung, ob der [X.] des § 21 StGB gegeben ist, führt sie aber gegen die Annahme einer rechtlich erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit infolge seiner Alkoholisierung dieses deeskalierende Verhalten an ([X.] f.). Dies ist rechtsfehlerhaft; denn der [X.] darf nicht so angewendet werden, dass er sich an anderer Stelle zu Lasten des [X.] auswirkt (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 20 Rn. 67, vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 5. März 2013 - 5 StR 25/13 Rn. 6 mwN). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten Sc.         ausgewirkt hat. Der Strafausspruch bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

6

c) Da nicht auszuschließen ist, dass die [X.] noch Feststellungen dazu treffen kann, wer tatsächlich auf die genannte Weise deeskaliert hat, hebt der [X.] auch die dem Strafausspruch zugehörenden Feststellungen auf.

7

2. Die Entscheidung über die Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten [X.]und E.      in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bzw. deren Anordnung bei dem Angeklagten Sc.         weisen auf der Grundlage der Feststellungen keine Rechtsfehler auf. Sie bleiben daher von der Aufhebung ausgenommen.

VRi[X.] Dr. Raum befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
gehindert, zu unterschreiben.

        

Jäger     

        

Fischer

Jäger 

                                   
        

     Bär     

        

Hohoff     

        

Meta

1 StR 220/20

22.07.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Karlsruhe, 12. Dezember 2019, Az: 120 Js 16380/19 - 4 KLs

§ 46 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.07.2020, Az. 1 StR 220/20 (REWIS RS 2020, 1945)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1945

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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