Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 1619/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4013

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom 16. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt als Verbraucher die beklagte [X.] wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Am 6. Oktober 2016 kaufte der Kläger von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten [X.] als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 77.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der [X.] (Schadstoffklasse: [X.]) ausgestattet. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise noch valutierend über ein Darlehen bei der [X.] (künftig: Darlehensgeberin). Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin zugrunde. Dort hieß es unter anderem:

"II. Sicherheiten

Der Darlehensnehmer räumt dem Darlehensgeber zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten Ansprüche des Darlehensgebers aus der Geschäftsverbindung einschließlich einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1 - 3 ein. […]

[…]

3. Abtretung von sonstigen Ansprüchen

Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende - gegenwärtige und zukünftige - Ansprüche an den Darlehensgeber ab, […] [der] diese Abtretung annimmt:

- […]

- […]

- gegen den Verkäufer für den Fall einer Rückgängigmachung des finanzierten Vertrages oder Herabsetzung der Vergütung.

- gegen die […] [Beklagte], […], gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die […] [Beklagte] oder einen Vertreter der […] [Beklagten]. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auf Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.

[…]

6. Rückgabe der Sicherheiten

Der Darlehensgeber verpflichtet sich, nach Wegfall des Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt) sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt [X.]. […] 3) zurückzuübertragen […] Bestehen mehrere Sicherheiten, hat der Darlehensgeber auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher nach […] [seiner] Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der gesicherten Ansprüche des Darlehensgebers überschreitet. […]"

3

Der Kläger hat die Beklagte in den Vorinstanzen auf Zahlung von 54.340,65 € nebst Verzugszinsen, Zahlung von 1.905,18 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen und Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten in Anspruch genommen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

6

Der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er etwa bestehende deliktische Ansprüche an die Darlehensgeberin abgetreten habe. Die in den Darlehensvertrag einbezogene [X.] erfasse die geltend gemachten deliktischen Ansprüche und halte einer Kontrolle nach den §§ 305 ff. [X.] stand. Weder sei sie - weil [X.] - überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 [X.] noch benachteilige sie den Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Klausel sei auch nicht unklar. Eine bloße Sicherungsabtretung berühre zwar regelmäßig nicht die Befugnis des [X.], das übertragene Recht gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen. Aufgrund der Offenlegung der Sicherungsabtretung könne der Kläger jedoch nicht Zahlung an sich verlangen. Da der Kläger Schadensersatz nicht verlangen könne, seien ihm weder die beantragten Nebenforderungen zuzuerkennen noch der Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.

II.

7

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger ist vielmehr Anspruchsinhaber möglicher deliktischer Ansprüche gegen die Beklagte, weil die in der [X.] zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin enthaltene [X.] nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 [X.], § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unwirksam ist. Darauf, ob die Unwirksamkeit der Klausel zusätzlich aus Gesichtspunkten hergeleitet werden könnte, die in dem Senatsurteil vom 24. April 2023 ([X.], [X.], 1122, zur Veröffentlichung in [X.] bestimmt) tragend waren, kommt es nicht an (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 1990 - [X.], [X.] 110, 241, 244; [X.]/[X.], [X.], Neubearbeitung 2022, § 307 Rn. 111 f. mwN).

8

1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem Rechtsgrund" handele es sich um eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 [X.], die gemäß § 305 Abs. 2 [X.] Bestandteil des Darlehensvertrags geworden sei.

9

2. Weiter im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Klausel als nach § 307 Abs. 3 Satz 1 [X.] kontrollfähig erachtet.

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 [X.] sind Gegenstand der Inhaltskontrolle solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzenden Regelungen vereinbart werden (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 20. Oktober 2015 - [X.], [X.] 207, 176 Rn. 16 mwN). Die Klausel, die der Senat ohne Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts selbst auslegen kann (vgl. [X.], Urteil vom 14. Mai 2019 - [X.], [X.] 222, 74 Rn. 38; Urteil vom 15. November 2022 - [X.], NJW 2023, 296 Rn. 19), ist so zu verstehen, mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag erfasse sie sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in Zusammenhang stehende Ansprüche des [X.] gegen die Beklagte ([X.], Urteil vom 24. April 2023 - [X.], [X.], 1122 Rn. 14). Einbezogen sind, worauf der Senat vorab hingewiesen hat, entgegen der Rechtsauffassung der Revisionserwiderung auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz, die dem Kläger und Darlehensnehmer bei der Verwendung des gekauften Fahrzeugs entstehen. Die Klausel erfasst damit in Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht nur, was die Revisionserwiderung zugesteht, Ansprüche wegen der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des [X.] als Fahrzeugkäufers gegen die Beklagte (dazu grundlegend [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.] 225, 316 Rn. 46 f.). Sie betrifft vielmehr auch Rentenansprüche aus § 843 [X.] bzw. aus § 9 [X.], § 843 Abs. 2 bis 4 [X.] im Falle einer aus der Verwendung des Fahrzeugs entstehenden Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung, die nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bis zu einer anderslautenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht nicht pfändbar und damit nach § 400 [X.] nicht abtretbar sind (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 1959 - [X.], [X.] 31, 210, 217; Urteil vom 31. Oktober 1969 - [X.], NJW 1970, 282, 283; Urteil vom 25. Januar 1978 - [X.], [X.] 70, 206, 212; [X.]/[X.]/[X.], [X.], Neubearbeitung 2022, § 394 Rn. 41).

3. Die so zu verstehende Klausel hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 [X.], § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand. Sie weicht zulasten des [X.] ohne Rücksicht darauf, ob die Voraussetzungen eines Verbundgeschäfts vorliegen, von zwingenden Vorschriften ab (vgl. [X.], Urteil vom 21. April 2009 - [X.], [X.] 180, 257 Rn. 33; Urteil vom 17. Dezember 2013 - [X.], [X.] 199, 281 Rn. 10; Urteil vom 27. Januar 2015 - [X.], NJW 2015, 1440 Rn. 17; Urteil vom 20. Oktober 2015 - [X.], [X.] 207, 176 Rn. 30 f.; Urteil vom 20. März 2018 - [X.], [X.] 218, 132 Rn. 18; Urteil vom 17. November 2020 - [X.], [X.] 227, 343 Rn. 19). Die § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 [X.] sind zwingendes Recht (vgl. [X.], Urteil vom 21. November 2000 - 9 [X.], NJW 2001, 1443). § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist auch auf Renten anwendbar, die dem Kläger zu zahlen wären (vgl. [X.], Urteil vom 15. Juli 2010 - [X.], [X.], 777 Rn. 42 ff.).

Darauf, ob sich die Darlehensgeberin (auch) den Einwand der Treuwidrigkeit entgegenhalten lassen müsste, wenn sie sich auf die Abtretung von Ansprüchen aus § 843 [X.] bzw. § 9 [X.], § 843 Abs. 2 bis 4 [X.] beriefe, kommt es nicht an. Einwände gegen die Rechtsausübung des Verwenders betreffen die [X.] und setzen eine wirksame Klausel voraus, so dass die Prüfung anhand der §§ 307 ff. [X.] Vorrang vor der Prüfung anhand des § 242 [X.] genießt. Der Anwendungsbereich einer Klausel kann mithin nicht unter Verweis auf § 242 [X.] eingeschränkt werden, um sie im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion auf den gerade noch wirksamen Inhalt zurückzuführen (vgl. [X.], Urteil vom 18. März 2015 - [X.], [X.] 204, 302 Rn. 19; Urteil vom 24. April 2023 - [X.], [X.], 1122 Rn. 23).

4. Die wegen ihrer Abweichung von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 [X.] ohne Wertungsmöglichkeit unwirksame formularmäßige Sicherungsabtretung sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass andere Ansprüche als solche auf Zahlung von Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, wirksam abgetreten sind. Ein solches Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des [X.] unzulässig ist ([X.], Urteil vom 27. Januar 2015 - [X.], NJW 2015, 1440 Rn. 18; Urteil vom 20. Oktober 2015 - [X.], [X.] 207, 176 Rn. 32, jeweils mwN). Die Klausel kann auch nicht in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil zerlegt werden (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 2018 - [X.], [X.] 218, 132 Rn. 20; Urteil vom 24. April 2023 - [X.], [X.], 1122 Rn. 25).

III.

Das Berufungsurteil ist danach gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, da es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten wegen einer deliktischen Schädigung des [X.] getroffen, sodass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

[X.]     

      

Möhring     

      

Rensen

      

Liepin     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 1619/22

26.06.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 16. November 2022, Az: 23 U 3119/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 1619/22 (REWIS RS 2023, 4013)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4013

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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