Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2015, Az. 4 StR 514/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 16430

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 514/14

vom
28. Januar
2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 28.
Januar
2015
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 24.
Juni 2014
mit den Feststellun-gen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldig-te die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen fühlte sich der Beschuldigte, der über der [X.] der Frau P.

wohnte, dadurch gestört, dass die [X.]
geknallt würden. Er sprach die Praxisinhaberin mehrfach darauf an und hing entsprechende Zettel an die Eingangstür oder warf sie in den Briefkasten. Am Tattag, dem 21. Juni 2012,
schnitt der Beschuldigte die Hecke, als eine Frau vor dem [X.] zuschlug. Der Beschuldigte war der [X.], sie habe dies absichtlich demonstrativ laut getan,
und rief ihr zu: "Um-1
2
-
3
-
weltverschmutzung nach §
325a! Sie sind nur Gast hier". Die dadurch erheblich verängstigte Autofahrerin erzählte Frau P.

von dem Vorfall. Herr P.

begab sich daraufhin zur Wohnung des Beschuldigten, um ihn darauf anzu-sprechen. Der Beschuldigte packte Herrn P.

in schmerzhafter Weise am
rechten Arm und am Hals und führte ihn die Treppe hinab. Als der herbeigeeilte Ehemann der Vermieterin, [X.]

, versuchte, Herrn P.

aus dem
Griff
zu befreien, stieß ihn der Beschuldigte mit dem Ellenbogen in den Rücken und schleuderte ihn dadurch gegen die Wand. [X.]

erlitt eine stark
blutende Platzwunde über dem Auge. Die Vermieterin, Frau G.

-
K.

, schubste der Beschuldigte die Treppe hoch, so dass sie auf die Stu-
fen prallte. Herr P.

begab sich nun "freiwillig"
wieder in den Haltegriff. Als
die herbeigerufene Polizei eintraf, sagte der Beschuldigte: "Ich hab den [X.] Ich übergebe Ihnen [X.] nach § 127 StPO!"

Ein weiterer Vorfall, der nicht Gegenstand der Antragsschrift ist, [X.] sich etwa einen Monat vor Beginn der mündlichen Hauptverhandlung. Der Beschuldigte nahm einen Schüler, der an einer Bushaltestelle seine Zigaretten-kippe in einen Abfallbehälter werfen wollte, in den Schwitzkasten und schlug ihn auf den [X.] und den Arm, um ihn zu veranlassen, die Kippe in die [X.] zu werfen.
Das [X.] hat das Verhalten des Beschuldigten als vorsätzliche Körperverletzung in drei Fällen zum
Nachteil der [X.]

, G.

und G.

-K.

gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit
und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das [X.] dem angehörten Sachverständigen O.

angeschlossen. Danach litt
der Be-
schuldigte zur Tatzeit an einer exazerbierten schizoaffektiven Störung mit mani-schen Zügen.
Unter dem Einfluss von paranoid-wahnhaftem Erleben sei er 3
4
-
4
-
nicht fähig gewesen, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen und danach zu handeln. Mangels tragfähiger
Krankheits-
und Behandlungseinsicht sowie ausreichender
Compliance seien im Rahmen der regelmäßig auftretenden pa-ranoid-wahnhaften und manischen Exazerbationen weitere Straftaten zu erwar-ten, wobei es sich durchaus auch um Delikte handeln könne, bei denen Men-schen verletzt werden.
II.
Die Voraussetzungen des §
63 StGB werden durch die [X.] nicht belegt.
1.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. [X.],
Beschluss vom 8.
April 2003 -
3
StR
79/03, NStZ-RR 2003,
232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein ([X.], Beschluss vom 29.
August 2012
-
4
StR
205/12, [X.], 367; Urteil vom 6.
März 1986 -
4
StR
40/86, [X.]St 34, 22, 27).
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststel-lungen. Soweit das [X.] im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte
an einer schizoaffektiven Störung mit mani-schen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Januar 2013
-
4
StR 520/12, [X.], 141, 142; Be-5
6
7
-
5
-
schluss vom 26.
September 2012 -
4
StR
348/12, Rn.
8; Beschluss vom 29.
Mai 2012 -
2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14.
September 2010 -
5
StR
229/10, Rn.
8; Urteil vom 21.
Januar 1997 -
1 [X.], [X.]R StGB §
63 Zustand 20). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und allgemein gehaltene
Ausführungen über die gewöhnlich bei diesem Krankheitsbild zu
beobachtenden
Auffälligkeiten. Inwieweit der [X.] aufgrund [X.] handelte, wird nicht dargestellt, vielmehr lassen die Urteilsgründe offen, ob sich der Beschuldigte von "vermeint-lichen oder tatsächlichen"
Beeinträchtigungen belästigt fühlte, als es
zu den ihm vorgeworfenen Taten gekommen ist. Dass sein psychischer Zustand andauernd gestört war, wird nicht näher aufgezeigt. Allein der Umstand, dass bereits dem Urteil vom 2. März 2007, durch
das die Unterbringung des Beschuldigten in ei-nem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der [X.] zur Bewährung ausgesetzt worden war, die Diagnose einer schizoaffekti-ven Psychose mit [X.] Auslenkung zugrunde lag,
reicht hierfür
nicht.
2.
Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden recht-lichen Bedenken.
Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechts-friedens zur Folge haben ([X.], Urteil vom 2.
März 2011 -
2
StR
550/10,
NStZ-RR 2011, 240, 241). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren
Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände
des Einzelfalls entschieden werden. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln ([X.], Be-8
9
-
6
-
schluss vom 26.
September 2012
-
4
StR
348/12, Rn.
10; Urteil vom 17.
November 1999 -
2
StR
453/99, [X.]R StGB §
63
Gefährlichkeit
27).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des [X.] nicht
gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenom-men. Dabei hätte Berücksichtigung finden
müssen, dass der inzwischen 48
Jahre alte Beschuldigte seit dem [X.] unter psychischen Störungen leidet und zuvor nur im
Jahr 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ob er die Bewährungszeit aus dem Urteil vom 2. März 2007 durchgestanden hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Aus den Gründen jenes früheren Urteils ergibt sich, dass der Betreuer des Beschuldigten auch für den Wirkungskreis [X.] einschließlich der Zuführung zu einer Zwangsmedikation und das Aufenthaltsbestimmungsrecht bestellt war. Zu diesem Umstand verhalten sich die aktuellen Urteilsgründe nicht. Auch wäre das [X.] gehalten ge-wesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen verlaufen [X.], wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind ([X.]/[X.] in: [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie,
Bd.
2, S.
84
f.; [X.]/[X.], Forensische Psychiatrie,
4.
Aufl.,
S.
181
f.; [X.]-Isberner/[X.] in: [X.]/[X.], Psychiatrische Begutachtung,
5.
Aufl., S.
181
f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.
10
-
7
-
III.
Sollte der neue Tatrichter -
was nahe liegt
-
wieder zu der Annahme ge-langen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der [X.] aufgrund ei-nes andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuld-fähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen
Defekt be-ruhte, wird er sich, falls die Unterbringungsanordnung aus dem Urteil vom 2.
März 2007 noch nicht erlassen
sein sollte, auch mit der Notwendigkeit einer neuerlichen
Anordnung der Maßregel nach §
63 StGB
auseinanderzusetzen haben
(vgl. [X.], Beschluss vom 3.
Juni 2014
-
4 StR 85/14 mwN).

Mutzbauer Roggenbuck Franke

Bender Quentin
11

Meta

4 StR 514/14

28.01.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2015, Az. 4 StR 514/14 (REWIS RS 2015, 16430)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16430

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4 StR 514/14

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